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- Der AFNB Business Navigator
Auf Basis von ChatGPT haben wir einen eigenes GPT mit der Bezeichnung "AFNB Business Navigator" erstellt. Dieses GPT unterstützt dich bei allen deinen Marketing- und Verkaufsstrategien Und so bekommst du den Navigator: https://www.neuromedia24.com/business-navigator-2-0
- Der AFNB Education Navigator 2.0
Der Education Navigator 2.0 ist dein persönlicher KI-Agent, der dich bei der Vorbereitung, Planung und Erstellung von Seminaren, Trainings, Workshops u.v.m. unterstützt. Hier eine kurze Übersicht mit den wichtigsten Funktionen: Gegenüber der Version 1.0. bietet dir der Education Navigator 2.0 erhebliche Zusatzvorteile. Hier eine Übersicht im direkten Vergleich zum bisherigen Education Navigator: Und so findest du den Education Navigator 2.0: Im Mitgliederbereich unter dem Menüpunkt "Navigatoren" https://www.afnb-mitglieder.com/ In der NeuroMedia24-Mediathek unter dem Menüpunkt "Education Navigator 2.0" https://www.neuromedia24.com/ Per Direktlink auf deinem Desktop oder Smartphone: https://mediathek.neuromedia24.com/education-navigator-20 Hier noch ein wichtiger Hinweis Bitte gib dem Navigator möglichst oft ein Feedback auf seine Antworten. Lobe ihn (Daumen hoch), wenn er dir großartige Ergebnisse geliefert hat und kritisiere ihn (Daumen runter), wenn du mit den Ergebnissen nicht zufrieden bist. Je mehr Feedback der Navigator von dir bekommt, desto schneller lernt er dazu und passt sich immer stärker an deine Bedürfnisse an. Antworten auf häufig gestellte Fragen Kann ich das LLM (Large Language Modell) selbst bestimmen? Nein. Der Education Navigator 2.0 ist zwar unabhängig von einem bestimmten Modell, jedoch kann das Modell, auf dessen Basis Anfragen bearbeitet werden, nur von der AFNB festgelegt werden. Derzeit ist es GPT-4o. Kann ich z.B. eine Tabelle, die der Navigator erstellt hat, in Excel weiterverarbeiten? Ja. Nachdem der Navigator die gewünschte Tabelle erstellt hat, gib bitte folgenden Prompt ein: Bitte erstelle aus der Tabelle eine CSV-Datei. Eine CSV-Datei ist eine Datei, in der alle Werte durch Komma getrennt sind. Du kannst sie aus dem Navigator heraus kopieren und in einem Texteditor speichern. Diese Datei kannst du dann mit Excel oder anderen Programmen weiterverarbeiten bzw. importieren. Was mache ich, wenn mir der Navigator keine Links zu den Themen aus der Mediathek in seiner Antwort anzeigt? Damit dies gut gelingt, ergänze deinen Prompt mit folgender Anweisung: Nenne mir zu jedem Abschnitt deiner Antwort den Link zur Mediathek und den Titel des Themas. Hat der Education Navigator Zugriff auf Informationen aus dem Internet? Nein. Ein ganz entscheidender Vorteil des Navigators ist, dass er alle Antworten aus dem von uns trainierten Wissen der Mediathek generiert. Dadurch ist gewährleistet, dass der Navigator nicht halluziniert und alle Antworten korrekt und realistisch sind. Kann ich Dateien in den Navigator hochladen? Ja, aber nur, wenn die Datei nicht mehr als circa. 3000 Wörter enthält. Wenn du größere Dateien hast, dann speichere sie bitte auf einem Cloud-Server, wie z.B. Google Drive oder Drop Box und kopiere den Link der Datei in deinen Prompt. Kann ich meine Chats im Education Navigator speichern und später wieder aufrufen? Ja, aber nicht direkt im Navigator, da du diesen im Internet und nicht auf deinem lokalen Rechner nutzt. Um deine Chats im Navigator speichern zu können, bräuchtest du einen passwortgeschützen Bereich auf einem Cloudserver, der deine Chats verwaltet. Du kannst aber deine Chats über deinen Browser auf deinem Computer speichern. Hier ein Beispiel wie es mit Google Chrome funktioniert: "Datei" > "Seite speichern unter..." > "Webseite, Einzeldatei" Hast du Fragen, auf die du hier keine Antwort finden konntest? Wenn ja, dann sende uns deine Frage an mail@ts-holding.info . Wir beantworten dir deine Frage sehr gerne.
- NeuroNews
Dein neurowissenschaftlicher Service zur Kundenbindung und Kundengewinnung. Mit unseren NeuroNews bieten wir dir eine hervorragende Möglichkeit für deine eigene Weiterbildung, aber auch für deine Kundenbindung und Kundengewinnung. Jede Woche erhältst du von uns zwei Newsletter mit aktuellen Forschungserkenntnissen aus der Gehirnforschung per Email. Dieser Newsletter bietet dir nicht nur eine hervorragende Möglichkeit, um dein eigenes Wissen zu erweitern, sondern ist auch ein tolles Instrument für deine Kundenbindung und Kundengewinnung. So kannst du zum Beispiel den Newsletter an deine Bedürfnisse anpassen, indem du dein eigenes Logo einbaust, oder persönliche Inhalte hinzufügst und dann an deine Kunden und Interessenten verschickst. Auf diese Weise bietest du deinem Klientel einen spannenden Service und sorgst dafür, dass du in positiver Erinnerung bleibst. Kurzvideos zu den NeuroNews Zu allen NeuroNews, die wir seit dem 01.06.2024 in der neuen Layout-Version produziert haben findest du unter folgendem Link die Kurzvideos: https://web.tresorit.com/l/mwEjk#U_k8XbOW4E8AsLfsAU0Cbw Und so erhältst du die NeuroNews: Gehe auf unsere öffentliche AFNB-Webseite https://www.afnb-international.com/ . Nach ca. 3 Sekunden geht ein Pop-Up auf, wo du die NeuroNews abonnieren kannst. Registriere dich dort und bist zukünftig in unserem Verteiler.
- Conference & Dinner
Unsere Präsenzveranstaltung in der du Zukunft gestalten kannst. Sei bereit für einen Nachmittag voller Erkenntnisse und Inspirationen, gefolgt von einem Abend der Vernetzung und des Austauschs! Von 14:00 Uhr bis 18:00 Uhr erwartet dich ein Feuerwerk an spannenden Workshops, faszinierenden Highlights und Neuerungen, sowie interessanten Präsentationen. Nutze die Gelegenheit, deine eigenen Erfolge zu teilen und dich mit Gleichgesinnten auszutauschen. Nach einem ereignisreichen Nachmittag laden wir dich herzlich ein, von 18:00 Uhr bis 20:00 Uhr an unserem gemeinsamen Abendessen teilzunehmen. Hier kannst du in entspannter Atmosphäre Kontakte knüpfen, Ideen austauschen und neue Freundschaften schließen. Genieße kulinarische Köstlichkeiten und lass den Tag in geselliger Runde ausklingen. Unsere "Conference & Dinner" Veranstaltung findet zweimal jährlich statt und bietet unseren Mitgliedern in Deutschland, Österreich und der Schweiz die Möglichkeit, an neun verschiedenen Standorten teilzunehmen. Ob du ein Experte auf deinem Gebiet bist oder einfach nur neugierig auf die Zukunft – diese Veranstaltung ist für jeden gemacht, der die Herausforderungen von morgen verstehen und gestalten möchte. Sei dabei und sei ein Teil einer Bewegung, die die Grenzen des Denkbaren neu definiert. Erforsche, diskutiere und vernetze dich – gemeinsam gestalten wir die Zukunft!. Und so kannst du an den "Conference & Dinner" Präsenzveranstaltungen teilnehmen: Logge dich in den Mitgliederbereich ein und wähle Events (https://www.afnb-mitglieder.com/regional-meeting-conference-dinner). Hier findest du alle Termine und kannst dich direkt anmelden.
- Aufbau und Struktur der Themen
Durch den einzigartigen Aufbau und die geniale Struktur der Mediathek, bist du mit einem Minimum an Zeit- und Arbeitsaufwand in der Lage, ein komplettes und individuelles Seminar oder Training zu erstellen. Dass dir die multimedialen Dateiformate der Themen in der Mediathek, perfekte Möglichkeiten bieten, um zukunftsorientierte Lernformate, wie zum Beispiel Micro-, Mobile-, Blended- oder Multimedia-Learning anbieten zu können, ist noch lange nicht alles. Wie wir gleich sehen werden, kannst du mit der Mediathek noch viel viel mehr erreichen. Trainings oder Seminare von der Stange sind out. Gefragt sind stattdessen Trainings und Seminare, die auf die individuellen Bedürfnisse und Anforderungen deiner Kunden zugeschnitten sind. Machen wir ein konkretes Beispiel: Für ein Führungskräfteseminar wünscht sich ein Kunde nicht nur Inhalte über moderne Führungsstile, sondern auch Inhalte aus den Bereichen Kommunikation, Motivation, Veränderungsprozesse und Gesundheit. Darüber hinaus legt der Kunde großen Wert auf praktische Anwendungstipps zur Kompetenzentwicklung, die durch konkrete Übungen gefestigt werden sollen. Ausserdem ist es für ihn wichtig, dass die Inhalte des Seminars neurowissenschaftlich abgesichert sind und durch Studien belegt werden können. Ein solches Seminar zu konzipieren, erfordert normaler Weise einen enormen Aufwand an Zeit und Arbeit für die Recherche und Aufbereitung der Lerninhalte. Durch den einzigartigen Aufbau und die geniale Struktur der Mediathek, kannst du solche oder ähnliche Anforderungen deiner Kunden mühelos, und mit einem Bruchteil des normal üblichen Aufwandes an Zeit und Arbeit erreichen. Jedes Thema in der Mediathek beginnt zunächst mit einem kurzen Themenüberblick. Anschließend folgen fünf Kapitel, in denen unterschiedliche Aspekte des jeweiligen Themas behandelt werden. Jedes einzelne Kapitel ist eine in sich abgeschlossene Lerneinheit. Du kannst somit ganz nach belieben aus unterschiedlichen Themen, unterschiedliche Kapitel, wie in einem Baukastensystem zu einem neuen Seminar zusammenstellen. Es kommt aber noch besser. Jedes einzelne Kapitel besteht aus fünf Abschnitten, in denen die Inhalte des jeweiligen Kapitels aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet werden. Nach einer kurzen Einführung in das jeweilige Kapitel, beginnt es mit dem Abschnitt Biochemische Prozesse. Hier werden die vier wichtigsten Neurotransmitter behandelt, die für den Inhalt des Kapitels eine wichtige Rolle spielen. Zu jedem der vier Neurotransmitter gibt es eine kurze wissenschaftliche Erklärung über seine Funktion, also dass zum Beispiel Dopamin eine wichtige Rolle in unserem Belohnungssystem spielt, oder Oxytocin eine wichtige Rolle bei Bindung und Sympathie spielt. Und es gibt zu jedem der vier Neurotransmitter eine Erklärung, wie er im Kontext dieses Kapitels wirkt. Hochgerechnet auf fünf Kapitel hast du somit zu jedem Thema insgesamt zwanzig praxisorientierte Erklärungen über die Funktions- und Wirkungsweise der beteiligten Neurotransmitter. Da auch diese in sich abgeschlossen sind, kannst du sie ebenfalls wie einzelne Bausteine ganz nach deinen Vorstellungen zusammenstellen und in deinen Trainings einsetzen. Nach dem Abschnitt biochemische Prozesse folgt der Abschnitt beteiligte Gehirnareale. Hier werden die vier wichtigsten Gehirnareale dargestellt, die mit dem Inhalt des Kapitels im Zusammenhang stehen. Zu jedem der vier Gehirnareale gibt es auch hier eine kurze Information über seine Funktion, also dass zum Beispiel die Amygdala eine wichtige Rolle bei der Emotionsverarbeitung spielt, oder der präfrontale Cortex der Sitz des Verstandes ist. Und es gibt zu jedem der vier Gehirnareale eine Erklärung, was das jeweilige Areal im Zusammenhang mit diesem Kapitel bewirkt. Hochgerechnet auf fünf Kapitel hast du somit zu jedem Thema insgesamt zwanzig praxisorientierte Erklärungen über die Funktions und Wirkungsweise der beteiligten Gehirnareale. Wenn es also für dich oder deine Kunden wichtig ist, neurowissenschaftliche Erkenntnisse in dein Seminar oder Training zu integrieren, bietet dir jedes Thema der Mediathek eine Fülle von Möglichkeiten. Vielleicht ist es dir oder deinen Kunden aber auch wichtig, wissenschaftliche Studien als Beweis für bestimmte Erkenntnisse zu präsentieren. Wenn ja, dann erwarten dich in dem nächsten Kapitelabschnitt drei Studien. Jede der drei Studien ist in zwei Frageblöcke unterteilt. Erstens: Was wurde untersucht? Und zweitens: Welche konkreten Ergebnisse wurden erzielt? Je Thema stehen dir somit 3 Studien mal fünf Kapitel, also insgesamt fünfzehn Studien zur Verfügung, aus denen du die für dich interessantesten auswählen kannst. Der nächste Kapitelabschnitt dürfte bei fast allen deinen Trainings oder Seminaren eine wichtige Rolle spielen. Nämlich, praktische Tipps zur Kompetenzentwicklung. Zu jedem Kapitel haben wir vier wertvolle Tipps ausgearbeitet und sie ebenfalls in zwei Frageblöcke aufgeteilt. Erstens: Was ist die Eigenschaft der geforderten Kompetenz oder Fähigkeit? Und zweitens: Was kann ich tun, um diese Kompetenz oder Fähigkeit zu entwickeln? Bei fünf Kapiteln je Thema stehen dir somit insgesamt zwanzig praktische Anwendungstipps zur Verfügung, die du für die Entwicklung von Kompetenzen und Fähigkeiten deiner Teilnehmer nutzen kannst. Und im letzten Abschnitt eines jeden Kapitels findest du zwei Übungen, die du wunderbar nutzen kannst, um zum Beispiel die zuvor genannten praktischen Anwendungstipps zu trainieren. Jede Übung besteht aus drei Frageblöcken. Erstens: Was ist das Ziel der Übung? Zweitens: Welche Utensilien benötigst du für die Übung? Und drittens: Was sind die einzelnen Schritte der Übung. Zu jedem Thema stehen dir somit insgesamt zehn Übungen und Tools zur Verfügung, aus denen du auswählen kannst. Mit diesem Aufbau und dieser Struktur der Mediathek verfügst du über ein Höchstmaß an Flexibilität und Individualität. Mit einem Minimum an Zeit und Arbeit bist du in der Lage ein komplettes Training oder Seminar nach deinen Wünschen oder den Vorgaben deiner Kunden zu erstellen. Nutze diese Möglichkeiten und spare zukünftig enorm viel Zeit und Arbeit für die Recherche und die Aufbereitung von Seminarinhalten. Und so findest du die Mediathek: Logge dich im Mitgliederbereich auf www.afnb-mitglieder.com ein und wähle den Menüpunkt "Mediathek (Themen ab 08/2023)".
- APP
Unsere APP mit vielen Leistungen direkt auf deinem Smartphone. Mit unserer App hast du viele unserer Leistungen auf deinem Smartphone stets griffbereit. So kannst du dir zum Beispiel von deinem Smartphone aus Videos aus der Mediathek oder Aufzeichnungen von Online-Veranstaltungen anschauen. Oder du kannst dich zu unseren Events anmelden. Das und vieles mehr kannst du mit unserer APP nutzen. Und so bekommst du die App auf dein Smartphone. Schau dir bitte unten die Beschreibung an. Dort erfährst du Schritt für Schritt, wie du die APP auf deinem iphone oder auf deinem Android-Smartphone installieren kannst. Mache es am besten jetzt gleich, damit du ab sofort mobil alles verfügbar hast. Und so bekommst du die APP auf dein Smartphone: Um unsere APP auf deinem Smartphone zu installieren gehe bitte wie folgt vor: Öffne unsere Adresse www.afnb-app.com Gebe als Benutzernamen (Login) deine bei uns gespeicherte Emailadresse ein. Als Passwort benutze bitte "123456" Nach deinem ersten Login ändere bitte dein Passwort für die APP, indem du in der APP "Mein Profil" wählst und auf den schwarzen Kreis mit dem Zahnrad klickst. Sollte dir dein Smartphone die Funktion "Auf dem Homescreen speichern" nicht automatisch anbieten, findest du hier eine kleine Hilfestellung zur Installation auf Android-Geräten und IOS-Geräten.
- eBook "Future Learning"
Gehirnforschung und die Revolution des Lernens und Lehrens in Trainings, Seminaren und im Coaching. Future Learning ist ein einzigartiges eBook, dass das Thema Gehirnforschung und die Revolution des Lernens und Lehrens in Trainings, Seminaren und im Coaching, spannend und leicht verständlich behandelt. Es ist ein Guide, ein Navigator und ein Wegweiser für alle Trainer, Berater und Coaches, die erkannt haben, wie wichtig neurowissenschaftlich fundierte und innovative Lern- und Lehrformate sind, um sich zukünftig im Aus- und Weiterbildungsmarkt mit hirngerechten Konzepten erfolgreich zu positionieren. Und es ist dein interaktiver Begleiter in einer Welt der zunehmenden Digitalisierung mit vielen Praxisbeispielen für eine direkte Umsetzung, Interaktiven Quizfragen (um dein Wissen zu prüfen) und vielen Audio- und Videodateien für ein multimediales Lernerlebnis. Es ist somit eine unerschöpfliche Fundgrube mit einem reichhaltigen Schatz an Ideen und Möglichkeiten. Besondere Aufmerksamkeit solltest du dem Kapitel Bonus-Package schenken, denn dort findest du in Form von Hörbuchdateien ein Feuerwerk an praktischen Beispielen. Ein Block beschäftigt sich damit, wie du die tollen Erkenntnisse der modernen Gehirnforschung in deine Trainings oder Seminare integrieren kannst. Und ein weiterer Block auf der nächsten Seite beschäftigt sich damit, wie du Schritt für Schritt die modernen Technologien für deine Trainings oder Seminare nutzen kannst. Das eBook, inklusive mehr als fünf Stunden Audio- und Videomaterial, findest du auf www.my-future-learning.com zum Preis von 49,00 Euro. Als Mitglied unserer Akademie, bekommst du es jedoch von uns geschenkt. Nutze diese Chance und mache dich fit für die Zukunft. Und so erhältst du das eBook kostenlos: Gehe auf https://www.my-future-learning.com/. Wähle den Münüpunkt "Shop" und lege das eBook in den Warenkorb. Gebe bei dem Bestellvorgang den Gutscheincode "FLMG" ein und der Preis reduziert sich von 49,00 € auf 0,00 €.
- Livestream Day of Science
Ein absolutes Highlight mit internationalen Wissenschaftlern. Ein absolutes Highlight, das du nicht verpassen darfst, sind unsere Livestream Days of Science. Bei diesem Online-Format, präsentieren wir dir international renommierte Wissenschaftler, mit aktuellen Forschungserkenntnissen, zu einem spannenden und interessanten Thema. Hierzu setzten wir Simultandolmetscher ein, so dass du selbst entscheiden kannst, ob du an diesem Event in deutscher Sprache oder in der Originalsprache teilnehmen möchtest. Ein bis zwei Tage nach dem Event, stellen wir dir eine Aufzeichnung des Livestream Days zur Verfügung. Diese Aufzeichnung kannst du nutzen, um die Lerninhalte daraus noch einmal zu wiederholen und zu vertiefen. Du kannst die Aufzeichnung aber auch nutzen, um zum Beispiel Ausschnitte daraus in deine Trainings, Seminare oder Workshops zu integrieren. Und so kannst du an den "Livestream Days of Science" teilnehmen: Logge dich im Mitgliederbereich auf https://www.afnb-mitglieder.com/ ein und klicke auf den Menüpunkt "Events" Dort findest du alle Veranstaltungen zu denen du dich anmelden kannst. Sobald die Aufzeichnung fertiggestellt ist, informieren wir dich per Email und sie steht dir im Mitgliederbereich unter dem Menüpunkt "Aufzeichnungen" und auch in der APP zur Verfügung.
- Brain Expansion Evening
Erweitere dein Gehirn mit spannenden und interessanten Erkenntnissen aus der Gehirnforschung. Unser Brain Expansion Evening ist ein Online-Format, bei dem wir dir ein spannendes neurowissenschaftliches Thema mit einem renommierten Wissenschaftler präsentieren. Das besondere daran ist, dass das Online-Meeting aus einer bunten Mischung aus Präsentation, Diskussionsrunden und interaktiven Quizfragen besteht. Ein bis zwei Tage nach dem Event, stellen wir dir eine Aufzeichnung des Brain Expansion Evening zur Verfügung. Diese Aufzeichnung kannst du nutzen, um die Lerninhalte daraus noch einmal zu wiederholen und zu vertiefen. Du kannst die Aufzeichnung aber auch nutzen, um zum Beispiel Ausschnitte daraus in deine Trainings, Seminare oder Workshops zu integrieren. Und so kannst du an den "Brain Expansion Evenings" teilnehmen un nutzen: Logge dich im Mitgliederbereich auf https://www.afnb-mitglieder.com/ ein und klicke auf den Menüpunkt "Events" Dort findest du alle Veranstaltungen zu denen du dich anmelden kannst. Sobald die Aufzeichnung fertiggestellt ist, informieren wir dich per Email und sie steht dir im Mitgliederbereich unter dem Menüpunkt "Aufzeichnungen" und auch in der APP zur Verfügung.
- EducationNews
So funktioniert zukunftsorientiertes Lernen und Lehren. Mit unseren EducationNews bieten wir dir eine weitere Möglichkeit für deine eigene Weiterbildung, aber auch für deine Kundenbindung und Kundengewinnung. In den EducationNews findest du viele praktische Informationen über die Zukunft des Lernens und Lehrens. Nutze diese Erkenntnisse, um zum Beispiel deine eigenen Trainings und Schulungskonzepte hirngerechter zu gestalten. Oder nutze die EducationNews als Service für deine Kunden und Interessenten, damit auch diese erfahren, wie hirngerechtes Lernen und Lehren funktioniert. Diesen wichtigen Input für zukunftsorientiertes Lernen und Lehren bekommst du von uns als Word-Dokumente und als Audio Hörbuchdateien. Nutze dieses Wissen für dich und deine Kunden und sichere dir deinen Vorsprung in einer Welt der zunehmenden Digitalisierung. Und so erhältst du die EducationNews: Logge dich im Mitgliederbereich ein. Klicke auf den Menüpunkt "Tools & Service" und wähle den Unterpunkt "EducationNews". aus.
- Expertensuche
Präsentiere dich werbewirksam mit deinem Profil auf unserer Website. Mit unserer Expertensuche bieten wir dir die Möglichkeit, dein Profil werbewirksam auf unserer Website neurobildung.com zu präsentieren. Mit der Website neurobildung.com sprechen wir Personen aus Unternehmen, Organisationen oder Bildungseinrichtungen an, die sich für die Erkenntnisse der Gehirnforschung interessieren. Diese Personen erhalten hier unter anderem wichtige Informationen darüber, warum die modernen Erkenntnisse der Gehirnforschung im Bereich der Aus und Weiterbildung und bei der Persönlichkeitsentwicklung von großer Bedeutung sind. Das Ziel hierbei ist, den Website-Besuchern Handlungsbedarf aufzuzeigen und das Interesse an einem Trainer, Berater oder Coach mit neurowissenschaftlich fundierten Konzepten zu wecken. Erwarte aber bitte nicht, das dadurch jetzt automatisch regelmäßig viele Anfragen bei dir eingehen. Das kann sein, ist aber eher die Ausnahme. Betrachte dein Profil daher in erster Linie als Möglichkeit für deine Aktive Werbung. Zeige zum Beispiel deinen Kunden und Interessenten, dass du in der Expertensuche gelistet bist und von namhaften Unternehmen, wie der AFNB oder der AON empfohlen wirst. Oder kopiere den Link zu deinem Profil und füge ihn zum Beispiel auf deiner eigenen Website, deinem Newsletter, deiner Emailsignatur oder auf deinen Social-Media-Accounts ein, um auf dich aufmerksam zu machen. Sende uns einfach deine Wunschangaben in unserem Onlineformular, das wir dir im Mitgliederbereich unter dem Menüpunkt "Tools & Service" bereitgestellt haben. Hier kannst du uns neben deinen persönlichen und beruflichen Angaben sogar Videos oder Bilder schicken, die wir in deinem Profil zeigen. Wir prüfen dann deine Angaben und veröffentlichen kurzfristig dein Profil auf Neuromedia dot com. Und so erhältst du deine persönliche Profilseite: Logge dich im Mitgliederbereich auf https://www.afnb-mitglieder.com/ ein. Wähle den Menüpunkt "Tools & Service" und dann den Unterpunkt "Expertensuche". Hier findest du ein Eingabeformular, in dem du uns alle deine Wunschangaben mitteilen kannst. Sende uns deine Daten über dieses Formular und wir erstellen kurzfristig dein persönliches Profil.
- Artificial intelligence
Nutze künstliche Intelligenz und moderne Zukunftstechnologien, wie z.B. lebensechte Lernassistenten für deinen Erfolg. Durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz bietet dir die Mediathek fast grenzenlose Möglichkeiten für zukunftsorientiertes Lernen und Lehren. Die zuvor genannten Beispiele sind nur wenige Anwendungsmöglichkeiten, die dir die Inhalte der Mediathek bietet. Es gibt viele weitere Möglichkeiten, wie du die Mediathek für deinen persönlichen und beruflichen Erfolg als Trainer, Berater oder Coach nutzen kannst. Wähle einfach unter der Vielzahl der Möglichkeiten diejenigen aus, die zu dir und deinen Schulungs- und Trainingskonzepten am besten passen. Nutze die Chancen der künstlichen Intelligenz und anderer Zukunftstechnologien und überzeuge deine Auftraggeber durch einzigartige Tools und Methoden. Und so findest du die Mediathek: Logge dich im Mitgliederbereich auf www.afnb-mitglieder.com ein und wähle den Menüpunkt "Mediathek".
- Blended Learning
Kombiniere die Flexibilität des digitalen Lernens mit den interaktiven Vorteilen des Präsenzseminars, um ein effektives und ausgewogenes Bildungserlebnis zu gewährleisten. Blended Learning, also die Kombination aus Online und Präsenzveranstaltung, zählt zu den führenden Trends im Bereich des zukunftsorientierten Lernens und Lehrens. In Kombination mit dem Learning Management System bietet dir dieses Format hervorragende Möglichkeiten, um mehr Zeit für die Entwicklung von Fähigkeiten und Kompetenzen bei deinen Teilnehmer und Teilnehmerinnen zu gewinnen. Häufig bringen Seminarteilnehmer und Teilnehmerinnen unterschiedliche Vorkenntnisse mit. Manche verfügen bereits über sehr viel Vorwissen, und sind dann schnell gelangweilt. Andere hingegen verfügen nur über wenig oder gar kein Vorwissen, und sind dann oft überfordert. Nur für wenige ist der Ablauf wirklich ideal und zufriedenstellend. Diese Situation führt oft dazu, dass wir sehr viel Zeit in die Vermittlung von Grundlagenwissen und die Beantwortung von Standardfragen investieren müssen. Für das eigentlich Wichtige, nämlich die Entwicklung von Fähigkeiten und Kompetenzen, bleibt meist viel zu wenig Zeit. Mit dem Learning Management System hast du die Möglichkeit, Grundlagenwissen und Antworten auf Standardfragen bereits im Vorfeld deinen Teilnehmern und Teilnehmerinnen zur Verfügung zu stellen. Diejenigen, die bereits über viel Vorwissen verfügen, können die Lerninhalte sehr schnell bearbeiten. Und diejenigen, die nur wenig Vorwissen mitbringen, können die Lerninhalte so oft und so lange sie wollen wiederholen. Durch die Kombination aus Online Learning Management System und Präsenzveranstaltung ist sichergestellt, dass alle Teilnehmer und Teilnehmerinnen zu Beginn deines Seminars auf dem gleichen Wissensstand sind und du dich somit voll und ganz auf die Entwicklung von Fähigkeiten und Kompetenzen konzentrieren kannst. Und so findest du das Learning Management System: Gehe auf https://academy.neuromedia24.com/. Wenn dies dein erster Besuch ist, klicke bitte auf registrieren. Wir werden dann deine Registrierung prüfen und dich per Email informieren, wenn du freigeschaltet bis. Bist du bereits registriert dann klicke auf "Anmelden" und logge dich mit deinen Zugangsdaten ein.
- Multimedia Learning
Nutze verschiedene Medienformate wie Videos, Hörbücher, Präsentationsfolien, eBooks und interaktive Elemente, um komplexe Konzepte leichter verständlich zu machen und das Lernengagement zu erhöhen. Um Lernprozesse erfolgreich zu gestalten, ist es erforderlich, dass die Lerninhalte hirngerecht zur Verfügung stehen. Ein wesentlicher Aspekt hierbei ist die Berücksichtigung von unterschiedlichen Lerntypen und Lernmethoden. Für manche ist es ausreichend wenn sie etwas lesen, um den Lerninhalt zu verstehen. Anderen hingegen fällt es leichter zu lernen, wenn sie sich den Lerninhalt in Form eines Hörbuches anhören, oder in Form eines Videos anschauen können. Um diesen Anforderungen für hirngerechtes Lernen gerecht zu werden, eignen sich die Inhalte der Mediathek hervorragend, da dir alle Lerninhalte in den fünf Dateiformaten Video, Audio, Powerpoint, eBook und Textdokumentation zur Verfügung stehen. Ein weiterer Vorteil der multimedial aufbereiteten Dateiformate ist, dass sie auch multisensorisches Lernen ermöglichen. So kannst du zum Beispiel den Text in einem eBook lesen und dir gleichzeitig die Audiodatei des gleichen Themas anhören, da die Inhalte perfekt aufeinander abgestimmt und eins zu eins identisch sind. Es gibt viele wissenschaftliche Studien, die belegen, dass durch multisensorisches Lernen der Lernerfolg enorm gesteigert wird. Mit den Inhalten der Mediathek bist du daher bestens aufgestellt, um unterschiedliche Lerntypen und Lernmethoden zu berücksichtigen und deinen Teilnehmern und Teilnehmerinnen auch multisensorisches Lernen zu ermöglichen. Und so findest du die Mediathek: Logge dich im Mitgliederbereich auf www.afnb-mitglieder.com ein und wähle den Menüpunkt "Mediathek".
- Das Learning Management System
Deine perfekte Lösung, um mehr Zeit zur Entwicklung der Kompetenzen und Fähigkeiten deiner Kunden zu gewinnen und die reine Wissensvermittlung dem LMS zu übertragen. Das integrierte Learning Management System und die multimediale Mediathek sind perfekt aufeinander abgestimmt. In der Kombination bist du bestens aufgestellt, um alle Anforderungen, die an zukunftsorientiertes Lernen und Lehren gestellt werden optimal zu erfüllen. Ein wesentlicher Vorteil besteht darin, dass du das Learning Management System ohne Zusatzkosten nutzen kannst. Alleine dadurch sparst du pro Jahr mehrere Tausend Euro. Du kannst deine eigenen Kurse anlegen und mit eigenen Lerninhalten oder den multimedialen Dateien aus der Mediathek bestücken. Du kannst deine Kursteilnehmer und Teilnehmerinnen anlegen und für jeden einzelnen individuelle Lernpfade einrichten. Du kannst Prüfungen, Tests oder Umfragen in deine Kurse integrieren. Oder viele Prozesse automatisieren, wie zum Beispiel Einladungen, Teilnahmebestätigungen oder das Erstellen von Zertifikaten. Diese und viele weitere Funktionen stehen dir mit dem Learning Management System zur Verfügung. Neben all den Vorteilen, die du bereits kennengelernt hast, gibt es noch einen weiteren, sehr wichtigen Aspekt. Du hast keinerlei Begrenzungen. Du hast keine Begrenzung bei der Anzahl der Kurse, die du anbieten möchtest. Du hast weiterhin keine Begrenzung bei der Anzahl der Teilnehmer und Teilnehmerinnen, die deine Kurse besuchen. Und du hast auch keine Begrenzung beim Speicherplatz für deine Lerninhalte. Diese und viele weitere Vorteile stehen dir mit dem Learning Management System zur Verfügung, mit dem du deinen Teilnehmern und Teilnehmerinnen auf Basis von künstlicher Intelligenz und modernsten Zukunftstechnologien ein einzigartiges und vor allem sehr effektives Lernerlebnis bieten kannst. Und in den folgenden Kurzvideos kannst du dir ausgewählte Anwendungen anschauen, die du mit dem Learning Management System durchführen kannst. Diese ausgewählten Anwendungen sind nur wenige Beispiele von vielen weiteren Möglichkeiten, die dir mit dem Learning Management System zur Verfügung stehen. Wir freuen uns darauf, dich dort wiederzusehen. Bis gleich. Und so findest du das Learning Management System: Gehe auf https://academy.neuromedia24.com/. Wenn dies dein erster Besuch ist, klicke bitte auf registrieren. Wir werden dann deine Registrierung prüfen und dich per Email informieren, wenn du freigeschaltet bis. Bist du bereits registriert dann klicke auf "Anmelden" und logge dich mit deinen Zugangsdaten ein.
- Flexible Learning
Ermögliche deinen Teilnehmern und Teilnehmerinnen, ihr Lernprogramm nach ihrem eigenen Tempo, Zeitplan, Ortswahl und Lernstil zu gestalten. Flexibilität auf allen Ebenen ist eine der wichtigsten Anforderungen an zukunftsorientiertes Lernen und trägt zu deinem Erfolg als Trainer, Berater oder Coach, maßgeblich bei. Mit dem Learning Management System in Verbindung mit der Mediathek verfügst du über nahezu grenzenlose Möglichkeiten, um bei deinen Teilnehmern und Teilnehmerinnen diesen Trend zu gewährleisten. Sei es die Flexibilität unabhängig von Zeit und Raum zu lernen. Oder sei es die Flexibilität das Lerntempo und die Lernintensität selbst zu bestimmen. Oder sei es die Flexibilität die individuellen Ziele und Bedürfnisse der Lernenden stärker zu berücksichtigen. Mit dem Learning Management System bist du für alle Anforderungen, die Teilnehmer und Teilnehmerinnen an zukunftsorientiertes Lernen stellen, bestens vorbereitet. Und so findest du das Learning Management System: Gehe auf https://academy.neuromedia24.com/. Wenn dies dein erster Besuch ist, klicke bitte auf registrieren. Wir werden dann deine Registrierung prüfen und dich per Email informieren, wenn du freigeschaltet bis. Bist du bereits registriert dann klicke auf "Anmelden" und logge dich mit deinen Zugangsdaten ein.
- Social Learning
Fördere die Kooperation und den Wissensaustausch zwischen deinen Teilnehmern und Teilnehmerinnen. Social Learning ist eine Methode, die in sozialen Kontexten stattfindet. Mit Hilfe des Learning Management Systems bietest du deinen Teilnehmern und Teilnehmerinnen die Möglichkeit miteinander zu diskutieren, zusammenzuarbeiten und voneinander zu lernen. So können zum Beispiel deine Teilnehmer und Teilnehmerinnen in Foren oder Diskussionsrunden Fragen stellen und gemeinsam an Problemlösungen arbeiten. Darüber hinaus bietet Social Learning in Verbindung mit dem Learning Management System die Möglichkeit, dass deine Teilnehmer und Teilnehmerinnen ihr Wissen und ihre Erfahrungen miteinander teilen. Außerdem können in einer sozialen Lernumgebung Soft Skills wie Kommunikation, Teamfähigkeit und Konfliktlösung gestärkt werden, was dazu beiträgt, dass deine Teilnehmer und Teilnehmerinnen wichtige Fähigkeiten entwickeln, die sie für den Erfolg in der Arbeitswelt benötigen. Alles in allem bietet dir das Learning Management System hervorragende Rahmenbedingungen, um soziales Lernen zu ermöglichen. Die zuvor genannten Beispiele waren nur wenige, ausgewählte Möglichkeiten und es gibt noch viele weitere Varianten des sozialen Lernens, die du mit dem Learning Management System realisieren kannst. Und so findest du das Learning Management System: Gehe auf https://academy.neuromedia24.com/. Wenn dies dein erster Besuch ist, klicke bitte auf registrieren. Wir werden dann deine Registrierung prüfen und dich per Email informieren, wenn du freigeschaltet bis. Bist du bereits registriert dann klicke auf "Anmelden" und logge dich mit deinen Zugangsdaten ein.
- Adaptive Learning
Ermögliche eine personalisierte Lernerfahrung, die sich dynamisch an die individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten der Lernenden anpasst. Durch die Methode des adaptiven Lernens ermöglichst du deinen Teilnehmern und Teilnehmerinnen eine individuelle und personalisierte Lernerfahrung. Mit dem Learning Management System verfügst du über eine ideale Plattform, um auch diese Form des Lernens und Lehrens perfekt umzusetzen. Um die spezifischen Ziele und Bedürfnisse deiner Teilnehmer und Teilnehmerinnen zu berücksichtigen, kannst du im Learning Management System individuelle Lernpfade anlegen. Darüber hinaus sind Lernende durch adaptives Lernen oft motivierter und engagierter, da sie weder überfordert noch unterfordert sind. Außerdem fördert adaptives Lernen die Selbständigkeit. Da die Lernenden die Kontrolle über ihren Lernfortschritt haben, können Sie eine größere Eigenverantwortung für ihr eigenes Lernen entwickeln. Dies waren nur wenige Anwendungsbeispiele, wie du Adaptives Lernen mit Hilfe des Learning Management Systems erfolgreich umsetzen kannst. Es gibt noch viele weitere Möglichkeiten und zahlreiche Studien haben belegt, das adaptives Lernen die Lernergebnisse enorm verbessert, da es den Lernenden neue Wege eröffnet, um ein tieferes Verständnis für die Lerninhalte zu entwickeln. Und so findest du das Learning Management System: Gehe auf https://academy.neuromedia24.com/. Wenn dies dein erster Besuch ist, klicke bitte auf registrieren. Wir werden dann deine Registrierung prüfen und dich per Email informieren, wenn du freigeschaltet bis. Bist du bereits registriert dann klicke auf "Anmelden" und logge dich mit deinen Zugangsdaten ein.
- Micro Learning
Nutze kleine und leicht konsumierbare Lerneinheiten, die die Aufmerksamkeit aufrecht erhalten und leicht in den Arbeitsalltag integrierbar sind. Wissenschaftliche Studien belegen, dass die Aufmerksamkeit der meisten Menschen nach spätestens zwanzig Minuten stark abfällt. Um hirngerechtes Lernen zu gewährleisten ist es daher notwendig, dass die zu lernenden Inhalte in kleinen, kurzen Lerneinheiten zur Verfügung stehen. Aus diesem Grund ist jedes Thema der Mediathek in kurze und in sich abgeschlossene Kapitel unterteilt. Du kannst somit aus jedem Thema x-beliebige Kapitel abrufen, und sie quasi wie Lernbausteine verwenden und zu deinem eigenen individuellen Seminar zusammenstellen. Darüber hinaus haben kurze Lerneinheiten den Vorteil, dass sie bei deinen Teilnehmern und Teilnehmerinnen auch gut in einen vollen Terminkalender integriert werden können. Mit den für Micro Learning optimierten Inhalten aus der Mediathek bietest du deinen Teilnehmern und Teilnehmerinnen ein außergewöhnliches und zukunftsorientiertes Lernerlebnis. Und so findest du die Mediathek: Logge dich im Mitgliederbereich auf www.afnb-mitglieder.com ein und wähle den Menüpunkt "Mediathek".
- Mobile Learning
Ermögliche deinen Teilnehmern und Teilnehmerinnen das Lernen wann und wo sie möchten - unabhängig von Raum und Zeit. Die traditionelle Form des Lernens, nämlich an bestimmten Orten zu festgelegten Zeiten zu lernen, verliert immer mehr an Bedeutung. Stattdessen gibt es einen eindeutigen Trend, dass Menschen Lernen möchten, wann und wo sie möchten - unabhängig von Zeit und Raum, wodurch sie wesentlich flexibler und unabhängiger sind. Um diesem Trend gerecht zu werden, eignen sich die multimedialen Dateiformate der Mediathek ebenfalls hervorragend. So kannst du zum Beispiel wenn du mit der Bahn unterwegs bist, dir die Lerninhalte auf deinem Laptop oder Tablet als Video anschauen. Wenn du mit dem Auto fährst, kannst du dir die Lerninhalte in Form von Audiodateien anhören. Und wenn du zum Beispiel gemütlich in einem Café sitzt, dann kannst du die Lerninhalte im eBook oder der Textdokumentation lesen. Durch die multimedialen Lerninhalte ermöglichst du deinen Teilnehmern und Teilnehmerinnen ein Zeit und Raumunabhängiges Lernen, und bietest ihnen somit ein Höchstmaß an Unabhängigkeit und Flexibilität. Und so findest du die Mediathek: Logge dich im Mitgliederbereich auf www.afnb-mitglieder.com ein und wähle den Menüpunkt "Mediathek".
- Können subjektive Gedanken objektive Realität werden?
Wünsche und motivationale Ziele beginnen als geistige Vorstellung eines erwünschten Zukunftszustandes im Bewusstsein eines Individuums. Können subjektive Gedanken objektive Realität werden? Einführung Wünsche und motivationale Ziele beginnen als geistige Vorstellung eines erwünschten Zukunftszustandes im Bewusstsein eines Individuums. Willentlich initiierte Handlungen transferieren diese geistige Vorstellung in eine materielle Manifestation. Es muss einen Mechanismus geben, der Willensimpuls genannt wird, der zwischen subjektiver und objektiver Realität vermittelt. Jedoch stoßen wir bei genauerer Betrachtung auf theoretische Hindernisse. Die Annahme von zwei exklusiven Realitätsarten, subjektiv und objektiv, lässt eigentlich keine Beeinflussung von subjektiven Impulsen auf objektive Gegebenheiten zu. Zudem ist das Verhältnis von Geist und Materie in aktuellen Theorien als zwei sich ausschließende Substanzen definiert. Diese Probleme deuten darauf hin, dass entweder keine willentliche Einflussnahme möglich ist oder unser Realitätsmodell bzw. Geist-Materie-Vorstellung unvollständig ist. Wenn wir von der Existenz und Wirksamkeit eines freien Willens ausgehen, müssen wir aktuelle Theorien modifizieren und erweitern. Die Neukonzeption muss die Existenz dualer Realitäten hinterfragen und die Geist-Materie-Unvereinbarkeit adressieren und erweitern, um den freien Willen integrieren zu können. Die Theorie der dualen Realitäten und ihr Widerspruch zur Existenz eines freien Willensimpulses wird als erstes betrachtet. Realitätsdualismus: Subjektive vs. objektive Realität Zwei Arten von Realitäten lassen sich beschreiben: die subjektive und die objektive Realität. Subjektive Realität existiert nur in der individuellen Vorstellung, während objektive Realität unabhängig vom Individuum und seinem Erleben existiert. Subjektive und objektive Realität unterscheiden sich durch ihre messtheoretischen Zugänge und das Ausmaß an Autonomie im Sinne von selbststeuerbar bzw. Determiniertheit durch Naturgesetze. Messtheoretischer Zugang zur subjektiven vs. objektiven Realität Eine Realität kann subjektiv oder objektiv gemessen werden. Subjektive Realität ist eine geistige Repräsentation der objektiven materiellen Welt und enthält individuelle Anteile, da Wahrnehmung konstruktiv-interpretativ ist. Objektive Realität wird durch motivfreies, passives Registrieren und Bestätigung durch andere Messungen definiert. Das Beispiel eines brennenden Hauses zeigt, dass objektive Fakten aus einer Dritten-Person-Perspektive gewonnen werden, während subjektive Erfahrungen aus der Ich-Perspektive stammen. Objektive Einschätzungen erfordern das Ausschalten von Motiven bei der Bestimmung der Faktenlage. Die Objektivität einer Situation basiert meist auf der Beobachtung mehrerer Individuen und dem Konsens ihrer möglichst motivfreien Wahrnehmungen. Die Personen innerhalb oder außerhalb des brennenden Hauses unterscheiden sich darin, dass letztere besser in der Lage sind, motivfrei die Situation zu betrachten. Im Alltag begegnen wir beiden Realitätsarten, wobei die objektive Realität als Repräsentant der Wirklichkeit angenommen wird, unter der Bedingung einer motivfreien Messung. Allerdings ist eine motivfreie Messung wahrscheinlich nur ein theoretischer Idealzustand und tatsächlich nicht vollständig erreichbar. Subjektive und objektive Realität sind durch die Art der Realitätsmessung voneinander zu unterscheiden: aktive, motivabhängige Konstruktion versus passives, motivloses Registrieren. Die Voraussetzung für wiederholte Messungen mit denselben Ergebnissen unter gleichen Bedingungen (direkte Replikation) ist die regelhafte Beschaffenheit der objektiven Welt. Dieses Prinzip der Determiniertheit wird im Folgenden erläutert. Determiniertheit der objektiven Realität Die objektive Realität ist durch deterministische Naturgesetze geprägt, die kausale und wahrscheinlichkeitsbedingte Regeln beinhalten. Klassische und relativistische Physik sowie Quantenphysik determinieren das Leben der Individuen in dieser Realität, wodurch keine Autonomie möglich ist. Genauigkeit von Vorhersagen in naturwissenschaftlichen Experimenten zeigt das Fehlen von Autonomie innerhalb der objektiven Realität. Technologische Innovationen in Energieerzeugung, Mobilität und Nachrichtentransfer basieren auf dieser regelhaften Struktur des Universums. Kausale Geschlossenheit gilt auch für Chemie, Biologie und Neurowissenschaften, die auf physikalischen Ursprüngen beruhen. Erklärungslücken werden auf unentdeckte Naturgesetze und Mängel in Datenerhebung und -verarbeitung zurückgeführt, gelten aber als prinzipiell beschreibbar und kausal determiniert. Menschen können in dieser Realität nicht autonom handeln oder Einfluss auf objektive Phänomene nehmen. Genuine Zufälligkeit in Quantentheorie durchbricht die Determiniertheit nicht, da es sich um echten, ontischen Zufall handelt, der nicht autonom beeinflusst werden kann. Autonome Handlungen basierend auf Willensimpulsen sind subjektive Phänomene ohne Einfluss auf objektive Realität. Erweiterung des Realitätsdualismus: Subjektiv, Objektiv und Sobjektiv Der strikte Dualismus zwischen subjektiver und objektiver Realität wird in Frage gestellt und eine Erweiterung in Form von "sobjektiven" Realitäten vorgeschlagen. Die Unvereinbarkeit der beiden Realitätsformen liegt in der Trennung aktiver, motivabhängiger, realitätskonstruierender Messungen (subjektiv) und passiver, motivunabhängiger, realitätsregistrierender Messungen (objektiv). Diese Dichotomie ist jedoch eine idealisierte Vereinfachung und beide Messarten sollten als Endpunkte eines Kontinuums betrachtet werden. Die Existenz einer objektiven Realität basiert auf der Annahme von passiv registrierenden Messungen. Naturwissenschaften streben danach, aktiv-konstruierende Einflüsse auszuschließen, um eine objektive Realitätsbeschreibung zu ermöglichen. Damit wird eine aktive, willentliche Einflussnahme auf die Realitätsgestaltung, die zentral ist für die motivationspsychologische Beschreibung der Wirkung von Intentionen theoretisch ausgeschlossen. Jedoch ist dieser Vorgang selbst aktiv realitätskonstruierend, da er eine passiv registrierende Messung etablieren will. Die Stabilität der naturwissenschaftlichen Realitätsbeschreibung beruht vermutlich daher weniger auf einer a priori objektiven Realität, sondern auf einer global geteilten und motivierten Vorstellung von Realität. Realitäten sind daher bedingt durch Überzeugungen und motivgeleitete Wahrnehmungen. Entlang dieser Annahme entsteht ein Realitätskontinuum, wobei subjektive und objektive Realität die extremen Endpunkte darstellen und unterschiedliche Mischungen dazwischen existieren. Sobjektive Realitäten ermöglichen Individuen, aktiv, spontan und autonom auf Realitätswerdung Einfluss zu nehmen und sind nicht nur deterministisch oder zufällig bestimmt. Die historische Entwicklung führte zu einer exklusiv dualistischen Realitätsbeschreibung, die jedoch hier durch die Einführung von sobjektiven Realitäten theoretisch und empirisch erweitert werden soll. Die Entstehung des Realitätsdualismus Die Idee eines Dualismus, der die Welt in geistige und materielle Realität teilt, geht auf Rene Descartes zurück, aber hat ihre Wurzeln in früheren philosophischen Ideen. Descartes' Dualismus trennt die geistige (res cogitans) von der materiellen Realität (res extensa), die nebeneinander existieren und über das Gehirn interagieren. Trotz dieser Annahme bleibt die Verbindungsstelle zwischen beiden Realitäten unklar. Die Entwicklung der Idee des Dualismus begann mit Francis Bacon, der die empirische Überprüfung von Realitätsannahmen einführte. Anschließend stellte Galileo fest, dass mathematische Regularitäten diese objektive Welt beschreiben. Newton baute auf dieser Idee auf, betonte jedoch, dass physikalische Gesetze nicht die letzten Ursachen für Naturphänomene sind. Diese neue Form der Naturbeschreibung führte zu einem Dualismus zwischen Geist und Materie, der eine unüberbrückbare Lücke zwischen beiden Bereichen offenbarte. Die meisten Vertreter der heutigen Naturwissenschaften reduzieren alle geistigen Operationen auf materielle Gehirnprozesse, was zu einem Weltbild führt, das kausale Geschlossenheit aller Phänomene suggeriert. Ein zentrales Argument gegen diesen Dualismus ist die Frage des freien Willens, der in einer deterministischen Realität nicht existieren kann. Um den freien Willen zu bewahren, könnte man die Annahme treffen, dass es eine Realität gibt, die den traditionellen Dualismus transzendiert – eine "sobjektive" Realität, in der geistige Überzeugungen von individuellen Wesen durch Wollen real werden können. Diese Realität kann jedoch nicht nach den klassischen Kriterien der Naturwissenschaft als objektiv bewiesen werden. Die Objektivierungshysterie der Naturwissenschaften könnte sich als dogmatische Vorgehensweise entpuppen, die uns eine objektive Realität vorgaukelt, die so real wie sie scheint, gar nicht ist. Es könnte genügen zu zeigen, dass etwas mehr als bloß subjektiv ist, um es als real zu definieren. Dies würde eine Neubewertung der axiomatischen Annahmen über Dualismus und Realität erfordern. Die Entstehung des Realitätsdualismus Der Realitätsdualismus geht auf René Descartes zurück, der geistige (res cogitans) von materieller Realität (res extensa) unterschied. Diese unvereinbaren Substanzen interagieren über das Gehirn. Francis Bacon entwickelte einige Jahrzehnte zuvor die Idee der empirischen Überprüfung von Realitätsannahmen, wodurch die objektive Realitätsbeschreibung und die naturwissenschaftlich-empirische Methode der Objektivierung begründet wurden. Galileo sah die Welt als wohlgeordnete Maschine, die mathematischen Gesetzen folgt. Newton verfeinerte diesen Ansatz, aber behauptete nicht, dass die physikalischen Gesetze die letzten Ursachen für Naturphänomene seien. Ab Galileo dominierte die Ansicht, dass die Natur mathematisch beschreibbaren mechanischen Regularitäten folgt und keine Intervention durch geistige Impulse benötigt. Dies führte zu einem Dualismus zwischen Geist und Materie. Die naturwissenschaftliche Sichtweise, die bis heute vorherrscht, reduziert geistige Operationen auf materielle Gehirnprozesse und schließt autonome, spontane und willentliche Einflussnahme auf physikalische Prozesse aus. Diese Ansicht ermöglichte große Fortschritte in Technik und Medizin, hat aber auch Kollateralschäden für das Leben des Individuums und die Umwelt verursacht. Ein solcher Kollateralschaden ist der freie Wille, der von Vertretern der Naturwissenschaften als subjektives Phänomen und objektiv nicht real angesehen wird. Der Dualismus geht von zwei Realitätsarten aus: einer subjektiven Realität der konstruierten Vorstellung und einer objektiven Realität der passiv registrierbaren Tatsachen. Eine alternative Annahme wäre die Existenz einer Realität, die den traditionellen Dualismus transzendiert und ein Zwischending zwischen subjektiver und objektiver Realität darstellt. Diese sogenannte sobjektive Realität würde es ermöglichen, dass bestimmte geistige Überzeugungen von Individuen durch Wollen real werden können. Allerdings kann diese Realität nicht nach den klassischen Kriterien der Naturwissenschaft als objektiv bewiesen werden. Man könnte argumentieren, dass absolute Objektivierung kein notwendiges Kriterium für eine echte Realität sein muss. Die Objektivierungshysterie der Naturwissenschaften könnte sich als dogmatische Vorgehensweise entpuppen, die eine pseudo-objektive Realität vorgaukelt. Die deterministische Form dieser Realität mit ihrer kausalen Geschlossenheit ist möglicherweise nur eine Folge einer axiomatischen Annahme, die auf dem Dualismus basiert. Freier Wille und Dualismus: Verbindungen erforschen Das "Problem des freien Willens" wird auf eine Dualität zurückgeführt, die als unvereinbar betrachtet wird. Das Argument der kausalen Geschlossenheit sowie die logische Unvereinbarkeit von Geist und Materie können gegen die Existenz des freien Willens angeführt werden: Wie kann ein Wille, der auf einer rein geistigen Ebene entsteht, eine davon unabhängige und unvereinbare materielle Realität beeinflussen? Geistige und materielle Substanzen sind unterschiedlich definiert und es fehlt ihnen ein verbindendes Element, das einen Transfer zwischen ihnen ermöglicht. In der Philosophie wurde diese Problematik intensiv diskutiert und als "Hard Problem of Consciousness" (Chalmers, 1995) und "Problem of Free Will" (Shariff et al, 2008) bekannt. Eine mögliche Lösung müsste eine Schnittstelle vorschlagen, die aus einer untrennbaren Verbindung von geistigen und materiellen Elementen besteht, um den Übergang zwischen beiden zu ermöglichen. Tatsächlich gibt es bereits solche Theorien, wie den dualen Aspekt-Monismus von Wolfgang Pauli und Carl Gustav Jung. Darüber hinaus geht der willentliche Impuls von einem autonomen Individuum spontan und nicht determiniert aus, beginnt in der Subjektivität der Person und überträgt sich dann auf die objektive Realität. Dieser Übergang vom Subjektiven zum Objektiven ist aus mess- und informationstheoretischer Sicht problematisch, da etwas Subjektives seinen Charakter verliert, sobald es sich objektiv manifestiert. Eine Lösung liegt in einer Zwischenrealität, die den dualistischen Gegensatz von Subjektivität und Objektivität überbrückt. Eine mess- und informationstheoretische Begründung wird im Folgenden näher erläutert und anschließend theoretisch auf die Vereinbarkeit von Geist und Materie angewendet. Subjektivität und Objektivität aus mess- und informationstheoretischer Perspektive Die bisherigen Argumente, mit denen versucht wurde, den unvereinbaren Gegensatz von freiem Willen und dualer Realitätsauffassung zu begründen, können überzeugend anhand mess- und informationstheoretischer Überlegungen formalisiert werden. Dazu müssen wir uns mit den Merkmalen der subjektiven und objektiven Realität auseinandersetzen und sie messtheoretisch erfassen. Objektivität setzt voraus, dass Messungen grundsätzlich passiv und motivfrei sein können. Diese Annahme wirkt sich auf die Möglichkeit einer willentlichen Einflussnahme und damit auf die Existenz des freien Willens aus. Die Zusammenhänge können formal abgeleitet werden, wobei mathematische Gleichungen verwendet werden. Durch genaue Analyse dieser Gleichungen lassen sich wertvolle Hinweise für die ebenfalls skizzierten Lösungsansätze ableiten. Merkmale der objektiven Realität Die objektive Realität bezieht sich auf die Dinge, die unabhängig von Erfahrungen existieren. Objektivität zeigt sich in der Möglichkeit, diese Realität durch Messungen zu bestätigen und zu kommunizieren. Der zentrale Aspekt der objektiven Realität ist die mess- oder beobachtungsunabhängige Existenz. Stabilität der Messergebnisse bei verschiedenen oder wiederholten Messungen ist ein Indikator für Objektivität. Der Königsweg zur Überprüfung einer objektiven Tatsache ist die direkte Replikation, also die unabhängige Wiederholung eines Messvorgangs unter gleichen Bedingungen. Bei Übereinstimmung mehrerer identischer Messungen und ihrer Ergebnisse spricht man von intersubjektiver Übereinstimmung. Die so erfasste Realität besitzt allerdings nur eine schwache Objektivität, da die wahre physikalische Grundlage durch das Prozedere der Übereinstimmung nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden kann. Objektive Realität ist durch ihre naturgesetzliche Ordnung und kausale Determiniertheit gekennzeichnet. Alle objektiven Dinge sind durch Naturgesetze miteinander verbunden, die ihre kausalen Wechselbeziehungen beschreiben. Die kausale Geschlossenheit verhindert, dass den Elementen und Vorgängen der objektiven Realität Bedeutung, Sinn oder Zielhaftigkeit zugeordnet werden können. Die Quantentheorie hat das klassisch-physikalische objektive Weltbild erweitert und ein Zufallsprinzip bei der Messung klassischer Zustände der objektiven Realität eingeführt. Die Vereinbarkeit der quantenmechanischen Erkenntnisse mit dem klassisch-physikalischen objektiven und deterministischen Weltbild bleibt jedoch weitgehend erhalten. Der Messvorgang erfolgt bei der objektiven Realität durch „Extraspektion“, bei der eine Messung von außen auf einem zu messenden System ausgeführt wird. Eine objektive Messung beeinflusst den Messgegenstand nicht und verzerrt das Ergebnis nicht. Die Trennung zwischen Messinstrument und Messgegenstand wird als "Non-Invasivität" einer Messung bezeichnet. Dies ermöglicht eine durch Wiederholung erreichbare Bestätigung und damit Objektivitätsüberprüfung. Messinstrumente registrieren passiv die unabhängig von ihnen existierende Realität und haben keinen eigenen Anteil am Messergebnis. Die Formel MI ≠ MO beschreibt die notwendige Separation von Messinstrument (MI) und Messobjekt (MO). Objektive Messungen ermöglichen eine passive Dokumentation von Gewichten, räumlichen Abständen und Geschwindigkeiten, wodurch unsere alltäglichen Messungen zuverlässige und objektive Ergebnisse liefern. Die Möglichkeit, passiv zu registrieren, ist eine Folge der erfahrungsunabhängigen Existenz einer Realität. Objektivität wird dadurch belegt, dass unterschiedliche, aber gleichartige Messungen unter gleichen Bedingungen immer das gleiche Resultat aufzeichnen. Die Merkmale der subjektiven Realität Subjektive Realität entsteht aus individuellen Erfahrungen und manifestiert sich in der Qualität des Erlebens. Diese Erlebensqualitäten, auch "Qualia" genannt, unterscheiden sich von quantitativen Messungen der objektiven Realität. Das Erleben hängt von den Motiven und Zielen des Individuums ab, die den Erfahrungen ihre individuelle Bedeutung verleihen. Subjektive Realität entwickelt sich entlang von Motivrelevanz und Zielabhängigkeit, die im Selbst begründet sind. Diese Realität besitzt eine maximale Einzigartigkeit und Individualität, die nicht direkt an andere Personen kommuniziert oder von Außenstehenden bestätigt werden kann. Die Nicht-Bestätigbarkeit führt dazu, dass man das subjektive Erleben nie in seiner Gültigkeit überprüfen kann. Subjektives Erleben ist immer eine konstruierte Form der Realität und daher durch einen aktiven Beitrag des jeweiligen Individuums bei der Wahrnehmung angereichert. Die Welt der subjektiven Erfahrungen entsteht aus dem Bezug zum eigenen Selbst, seinen Zielen und deren Sinn- und Bedeutungszuschreibungen bei der Wahrnehmung. Dies vollzieht sich messtheoretisch durch Introspektion. Bei einer rein subjektiven Messung verschmelzen das Messinstrument (MI) und das Messobjekt (MO) zu einer untrennbaren Einheit, sodass MI = MO gilt. Der Konstruktionscharakter des subjektiven Erlebens führt dazu, dass objektiv gleiche Gegebenheiten je nach Individuum unterschiedlich erlebt werden können. Diese Unterschiede sind in der Autonomie und der Nicht-Bestätigbarkeit der Qualia begründet. Kommunikation über subjektive Erfahrungen ist schwierig, daher werden objektive Messungen verwendet, um Konflikte und Widersprüche zu vermeiden. Um den motivationalen Impuls, der vom Individuum ausgeht und Einfluss auf die Umgebung ausübt, zu verstehen und formal beschreiben zu können, müssen Konzepte aus der Informationstheorie betrachtet werden. Die pragmatische Information Im Bereich der Informationstheorie gibt es unterschiedliche Definitionen für das Konstrukt "Information". Claude Shannon ist bekannt für die Quantifizierung der übertragenen Information bei einer Nachricht, wobei die kleinste Einheit das "Bit" ist. Allerdings erfasst diese Beschreibung nicht die Bedeutung und Wirkung von Informationen, die im Alltag relevant sind. Ernst von Weizsäcker führte daher eine Erweiterung des Informationsbegriffs ein, die die Wirkung (Pragmatik) von Informationen miteinschließt. In seiner Konzeption dienen Nachrichten in der Kommunikation dazu, beim Empfänger eine Veränderung zum Zwecke der Handlungsgenerierung zu erzielen. Die Definition der pragmatischen Information muss daher zwei Elemente enthalten: Eine Komponente, die das Absichtselement beschreibt (Erstmaligkeit, E), und eine weitere Komponente, die die Übertragung der Absicht vom Sender zum Empfänger formalisiert (Bestätigung, B). Erstmaligkeit umfasst den Teil einer Information, der vom Sender individuell und autonom erzeugt wird und für den Empfänger neuartig ist. Bestätigung hingegen ist der Informationsanteil, der von Sender und Empfänger im Vorhinein geteilt wird und die gemeinsame Basis ihrer Kommunikation bildet. B ist allgemeingültig, intersubjektiv übereinstimmend und zeitlich stabil. Bei der Kommunikation gibt es eine Wechselwirkung zwischen Erstmaligkeit und Bestätigung. Zu viel Erstmaligkeit kann zu Missverständnissen führen, während zu viel Bestätigung Redundanz erzeugt. Eine gelungene Kommunikation zeichnet sich durch ein ausgewogenes Verhältnis von E und B aus. Die subjektive Realität und die pragmatische Information in Beziehung zueinander Subjektive Realität und pragmatische Information sind eng miteinander verknüpft. Die subjektive Realität stellt den individuellen Erfahrungshintergrund und die Bedeutungszuschreibung bei der Interpretation von Informationen dar (= Erstmaligkeit). In der Kommunikation von Informationen ist es von zentraler Bedeutung, dass die subjektive Realität von Sender und Empfänger in ausreichendem Maße übereinstimmt. Die Bestätigung (B) stellt dabei die gemeinsame Basis dar, auf der Kommunikation erfolgreich verlaufen kann. Gleichzeitig ist es wichtig, Raum für Erstmaligkeit (E) zu lassen, um individuelle Perspektiven und Erfahrungen zu teilen und somit die eigene subjektive Realität und die der anderen zu erweitern. Pragmatische Information kann als Brücke zwischen subjektiver Realität und objektiver Realität betrachtet werden. Indem wir unsere subjektive Realität in Form von Information kommunizieren, tragen wir dazu bei, ein gemeinsames Verständnis der Welt und eine gemeinschaftliche Realität zu schaffen. Fazit Subjektive Realität und pragmatische Information sind zwei zentrale Konzepte, die uns dabei helfen, die Vielschichtigkeit unserer Erfahrungen und Kommunikationsprozesse besser zu verstehen. Die subjektive Realität bezieht sich auf die individuellen, qualitativen Aspekte unseres Erlebens, während pragmatische Information den Austausch von Bedeutungen und Absichten in der Kommunikation beschreibt. Ein ausgewogenes Verhältnis von Erstmaligkeit und Bestätigung ermöglicht eine erfolgreiche Kommunikation, die zur Erweiterung und Veränderung unserer subjektiven Realität beiträgt. In diesem Sinne ist das Verständnis der Zusammenhänge zwischen subjektiver Realität und pragmatischer Information von grundlegender Bedeutung für unser soziales Miteinander und unsere individuelle Entwicklung. Die Beziehung zwischen Erstmaligkeit und Bestätigung Die pragmatische Information, wie sie von von Weizsäcker beschrieben wird, beinhaltet zwei Schlüsselelemente, Erstmaligkeit (E) und Bestätigung (B), die multiplikativ und komplementär miteinander verknüpft sind. Dieses Konzept kann sowohl in der Kommunikation als auch in der Messung angewendet werden und bietet interessante Einblicke in die Unterschiede zwischen subjektiver und objektiver Realität. Diese Beziehung wird durch die folgende Formel zum Ausdruck gebracht: Ipragmatisch = E ○ B. Sie bedeutet, dass pragmatische Information sich aus dem multiplikativen und komplementären Produkt von Erstmaligkeit und Bestätigung zusammensetzt. In der Kommunikation ist die Erstmaligkeit das neue Element in einer Nachricht, während die Bestätigung das bekannte Element darstellt. Eine ideale Kommunikation enthält sowohl Neues als auch Bekanntes in einem ausgewogenen Verhältnis. Dies kann jedoch problematisch sein, wenn entweder die Erstmaligkeit oder die Bestätigung zu stark überwiegt oder extreme Werte annimmt, wodurch die pragmatische Information reduziert wird und weniger Wirkung beim Empfänger erzeugt. Dr. Walter von Lucadou hat das Konzept der pragmatischen Information auf die Messtheorie angewendet, indem er den Empfänger aus der Kommunikationssituation durch die materielle Umgebung ersetzt. Dieser Informationsaustausch zwischen Individuum und Umgebung wird als Messung bezeichnet. Willentliche Beeinflussung der materiellen Umgebung wäre demnach der Austausch von pragmatischer Information im Rahmen einer Messung. Subjektive Wahrnehmung entsteht, wenn das Selbst seine eigene Realität durch motivationale Faktoren konstruiert. Diese Konstruktion ist durch eine maximale Erstmaligkeit geprägt (E max) , die nicht bestätigt werden kann (B = 0). Objektive Messung hingegen ist durch passives Registrieren gekennzeichnet und erlaubt eine maximale Bestätigung (B max) ohne erstmalige, individuelle Beiträge (E = 0). Die Quantenphysik hat jedoch gezeigt, dass die Annahme einer messunabhängigen Realität nicht korrekt ist. Dies hat das objektive Weltbild der Physik erschüttert, aber nicht vollständig zerstört. Die Rolle der Messung bei der Realitätsentstehung und die Erhaltung der Objektivität sind weiterhin Gegenstand der wissenschaftlichen Untersuchung und Diskussion. Abbildung 1: Ausmaß der pragmatischen Information in Abhängigkeit von E und B Zusammenfassend kann man sagen, dass die pragmatische Information und ihre beiden Elemente, Erstmaligkeit und Bestätigung, sowohl in der Kommunikation als auch in der Messung eine wichtige Rolle spielen. Sie bieten ein Verständnis für die Unterschiede zwischen subjektiver und objektiver Realität und zeigen, wie Individuen sowohl ihre eigene Realität konstruieren als auch die objektive Realität wahrnehmen und beeinflussen können. Die Anwendung der pragmatischen Information auf die Messtheorie liefert ein interessantes Modell für das Verständnis von Realitätskonstruktionen und deren Beeinflussung durch individuelle Motivationen und Absichten. Messung als pragmatischer Informationsprozess Von Weizsäckers Konzept der pragmatischen Information beschreibt den Willensimpuls zwischen Sender und Empfänger in Kommunikationskontexten. Um den Einfluss von subjektivem Wollen auf objektive Realität ähnlich zu beschreiben, ersetzen wir den Empfänger durch die materielle Umgebung. Dieser Informationsaustausch zwischen Individuum und Umgebung ist als Messung bekannt. Dr. Walter von Lucadou erweiterte das Konzept der pragmatischen Information in seinem Modell der pragmatischen Information (MPI), um parapsychologische Phänomene wie Telepathie und Psychokinese zu erklären. Das MPI basiert auf einer erweiterten Quantentheorie und fokussiert makroskopische Verschränkungskorrelationen zwischen Geist und Materie bei bewussten Beobachtungen. Subjektive Messung, also aktive Realitätskonstruktion (MI = MO), und objektive Messung, also passives Registrieren (MI ≠ MO), wurden formalisiert. Subjektive Wahrnehmung kreiert eine individuelle Realität, die als pragmatische Information mit maximalem Erstmaligkeitsanteil beschrieben werden kann. Dies führt zu einer Nicht-Kommunizierbarkeit von Qualia, einem charakteristischen Merkmal von Subjektivität. Objektive Realität wird als messunabhängig angesehen, und ihre Erfassung erfolgt durch passives Registrieren (MI ≠ MO). Objektive Messungen sind durch maximale Bestätigbarkeit gekennzeichnet, die aufgrund der Annahme einer messunabhängigen Grundlage und regelhafter Naturgesetze erreicht wird. Quantenphysik zeigte im 20. Jahrhundert, dass die Annahme einer messunabhängigen Realität nicht korrekt ist, und erschütterte das objektive Weltbild der Physik. Dennoch wurde das objektive Weltbild nicht vollständig zerstört. Die Rolle der Messung bei der Realitätsentstehung und die Rettung der Objektivität sind wichtige Erkenntnisse der Quantenphysik. Messung in der Quantenphysik und (zufällige) Objektivität Die Quantenphysik entstand 1900 durch Max Plancks Entdeckung der Quantisierung von Strahlungsenergie. Sie beschreibt das Verhalten von Photonen, Elektronen und anderen Kleinstphänomenen. Die Kopenhagener Deutung, unterstützt von Bohr, Heisenberg und Jordan, besagt, dass erst der Akt der Messung Realität erzeugt. Realität beginnt, wenn das Messinstrument ein Ergebnis anzeigt. Ein Elektron befindet sich vor einer Messung in einer Superposition. Die Wellengleichung, entdeckt von Erwin Schrödinger, beschreibt alle möglichen Ortszustände eines Elektrons. Durch Messung findet man das Elektron an einem der potentiellen Orte. Vor der Messung gibt es laut Kopenhagener Deutung keine Realität, sie wird erst durch Messung etabliert. Daher ist Messung in der Quantenphysik keine passive Registrierung, sondern das Erzeugen einer Realität aus vorher unbestimmten Möglichkeiten. Das Doppelspaltexperiment zeigt die erstaunliche Tatsache der Superposition und des Welle-Teilchen-Dualismus. Elektronen erzeugen ein Interferenzmuster, das auf ihre Wellennatur hindeutet. Führt man eine Messung durch, verschwindet das Interferenzmuster und das Elektron wird an einem der Spalte entdeckt. Realität entsteht also erst durch den Akt der Messung. Dies kommt einer subjektiven Realitätskonstruktion durch Messung sehr nahe. Die Objektivität von Messungen bleibt jedoch trotz konstruierender Messung erhalten, da jedes Messergebnis im Quantenkontext rein zufällig entsteht. Die Wahrscheinlichkeit, das Elektron an Spalt 1 oder 2 zu entdecken, ist jeweils 50%. Die Wahrscheinlichkeiten können nach Max Born aus der Wellengleichung errechnet werden. Die Quantenphysik hat unsere Vorstellung von objektiver Realität erschüttert – es gibt keine a priori Realität vor der Messung. Objektivität bei der Messung wird folglich nicht durch Trennung von MI und MO erreicht, da sie nicht möglich ist, sondern durch ontischen Quantenzufall, der willentliche Konstruktion bei der Messung verhindert. Kausale Geschlossenheit bleibt erhalten, ergänzt durch Unbestimmtheit und Berechenbarkeit von Wahrscheinlichkeiten. Es gibt alternative Interpretationen wie die Viele-Welten-Theorie von Hugh Everett oder die Theorie der verborgenen Parameter von David Bohm und Louis de Broglie. Allerdings bleibt die ontische Zufallsabhängigkeit des Messergebnisses erhalten. Das Messproblem in der Quantenphysik bleibt ungelöst. Das aus den Quantenformalismen abgeleitete und empirisch gut dokumentierte ontische Zufallsprinzip ist die theoretische Begründung für die Objektivität der physikalischen Realität und den Erhalt von Bmax in der physikalischen Forschung. Alle Ereignisse innerhalb dieser objektiven Realität entfalten sich in der Zeit entlang von Naturgesetzen und echtem Zufall. Eine Erweiterung des Realitätsdualismus Subjektiv-Objektiv: Die sobjektive Realität Der Realitätsdualismus Subjektiv-Objektiv besagt, dass es eine objektive Realität und eine subjektive Realität gibt. In der objektiven Realität sind Phänomene kausal determiniert, während in der subjektiven Realität freie Willensimpulse entstehen können. Die pragmatische Information offenbart jedoch, dass in beiden Realitäten die Existenz eines freien Willens nicht zulässig ist, da in beiden die pragmatische Information Null ist. Um den freien Willen in unser Realitätsverständnis zu integrieren, müssten wir den Realitätsdualismus überwinden. Eine Realität, in der freie Willensimpulse Einfluss auf die materielle Umwelt nehmen können, benötigt eine pragmatische Information größer Null. Diese sogenannte "sobjektive Realität" liegt zwischen der subjektiven und objektiven Realität und kann autonome Wirkung entfalten sowie der Umwelt mitgeteilt werden. Sobjektive Realität kann nicht vollständig objektiv nachgewiesen werden, ist aber auch nicht vollständig subjektiv. Sie stellt eine Art Kontinuum dar, in dem Phänomene existieren, die auf willentlichen Impulsen basieren und gewollte Realitätskonstruktionen darstellen. Sobjektive Realitätsaspekte sind weder individuell noch allgemein gültig, sondern „weitestgehend“ gültig. Die Unus-Mundus-Theorie von Wolfgang Pauli und Carl Gustav Jung bietet ein Modell, in dem eine Vorrealität die Grundlage für subjektive und objektive Realität bildet. In diesem Modell kann das objektive Sein und dessen subjektives Erleben durch gewollte Realitätskonstruktionen erzeugt werden, deren realitätsbildende Wirkung aber nie vollständig bewiesen, jedoch teilweise bestätigt werden kann. Der ontische Zufall kann in Abwesenheit eines wollenden Impulses diese Rolle übernehmen. Das Unus Mundus Modell der Realität von Pauli und Jung Das Unus Mundus Modell der Realität wurde entwickelt, um die Wechselwirkung von Geist und Materie zu beschreiben. Es konzentriert sich auf den psychophysischen Parallelismus und erklärt, wie geistige Impulse die materielle Welt verändern können. Es gibt zwei Hauptprobleme, die ein reiner Realitätsdualismus nicht lösen kann: 1) Die Entstehung von bewussten Erlebnisinhalten (Qualia) aus der materiellen Substanz des Gehirns und 2) die Wirkungsrichtung von Geist auf das Gehirn oder Materie. Diese Probleme werden von Philosophen wie Thomas Nagel, Joseph Levine und David Chalmers betont. Wolfgang Pauli, ein Quantenphysiker, und Carl Gustav Jung, ein Arzt und Psychotherapeut, entwickelten ein Modell, das diese Erklärungslücken schließt. Sie nannten es das Unus Mundus Modell (UMM) der Realität. Im UMM gehen sie davon aus, dass bewusstes Erleben (Geist) und materielle Umwelt (Materie) beide aus einer gemeinsamen Ursache, der sogenannten Unus Mundus, hervorgehen. Die Unus Mundus ist eine Form von Realität, die vor dem bewussten Erleben und vor der klassischen materiellen Realität existiert und dieser zugrunde liegt. Die Unus Mundus beinhaltet Vorformen von bewussten Erlebnisinhalten und vormaterielle Zustände. Diese bilden Möglichkeitsräume, sogenannte Potentialitäten, und werden als Potentialraum oder Preality bezeichnet. Im UMM werden zwei Arten von Prozessen unterschieden, die die Wechselwirkung von subjektivem Erleben und objektiv-materieller Realität beschreiben: strukturelle und induzierte Korrelation. Strukturelle Korrelation bezieht sich auf das passiv registrierende Bewusstsein, bei dem der Quantenzufall entscheidet, welche potenziellen Realitäten real werden. Dies entspricht dem Realitätsdualismus und liefert eine objektive Realität, die kausal geschlossen ist. Induzierte Korrelation hingegen beschreibt einen wollenden Einfluss eines Individuums, der in seinem bewussten Geist seinen Ausgang nimmt und die Entstehung einer bestimmten objektiven Realität erzeugen möchte. Der subjektive Willensimpuls überträgt sich dabei über die Unus Mundus in die objektive Realität. Da die Unus Mundus aus kombinierten Elementen mit vorgeistigen und vormateriellen Anteilen besteht, kann der geistig induzierte Willensimpuls an diese anknüpfen und die materiellen Aspekte beeinflussen. Die induzierte Korrelation ist eine willentliche Realitätskonstruktion und erreicht nicht den vollen Umfang von Objektivität aufgrund der reduzierten Bestätigbarkeit. Diese Realitäten werden daher als sobjektive Realitäten bezeichnet. Nach Pauli und Jung sind die Resultate einer induzierten Korrelation volatil und verschwinden im Quantenzufallsrauschen, sobald der willentliche Einfluss nachlässt. Sie sind jedoch für das Individuum, das sie erzeugt hat, von Bedeutung und können unter bestimmten Umständen auch für andere wahrnehmbar sein. Diese sobjektiven Realitäten können sich manifestieren, wenn genügend Personen auf eine gemeinsame Potentialität ausgerichtet sind, wie es beispielsweise in Gruppenphänomenen oder kulturellen Trends zu beobachten ist. Das Unus Mundus Modell bietet einen erweiterten Rahmen für das Verständnis von Geist-Materie-Interaktionen. Es zeigt auf, dass die physische und mentale Welt nicht voneinander getrennt sind, sondern ineinander verwoben und aus einer gemeinsamen Quelle entspringen. Dieses Modell öffnet Möglichkeiten für eine integrative Forschung in den Bereichen Philosophie, Psychologie und Physik und erlaubt es, bisher unerklärte Phänomene wie Synchronizität, Intuition und Kreativität besser zu verstehen. Die Theorie hat allerdings auch ihre Kritiker, die argumentieren, dass die Unus Mundus schwer fassbar und schwer zu erforschen ist, da sie jenseits der konventionellen physikalischen und psychologischen Realitäten liegt. Trotz dieser Kritik bietet das Unus Mundus Modell einen fruchtbaren Boden für Diskussionen und weitere Forschung, die das Verständnis von Geist und Materie vertiefen und erweitern können. Abbildung 2: Die Unus Mundus Theorie Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Unus Mundus Modell der Realität von Pauli und Jung ein bedeutender Beitrag zur Debatte über das Verhältnis von Geist und Materie ist. Es bietet eine alternative Perspektive auf die klassischen Dualismen und ermöglicht neue Einblicke in die Natur der Realität, indem es zeigt, dass Geist und Materie untrennbar miteinander verbunden sind und aus einer gemeinsamen Quelle, der Unus Mundus, hervorgehen. Während das Modell weiterhin diskutiert und erforscht wird, bleibt es ein faszinierendes und vielversprechendes Konzept für die Erforschung der Geheimnisse des menschlichen Geistes und der materiellen Welt, in der wir leben. Induzierte Korrelation als selbsterfüllende Prophezeiung Induzierte Korrelation in Pauli und Jungs Unus Mundus Modell (UMM) zeigt Parallelen zur selbsterfüllenden Prophezeihung. Eine induzierte Korrelation entsteht, wenn eine motivgeleitete, bewusste Wahrnehmung eines Individuums auf eine mögliche zukünftige Realität gerichtet ist, wodurch die Wahrscheinlichkeit erhöht wird, dass diese Realität eintritt. Emotionen und Überzeugungen spielen dabei eine zentrale Rolle bei der Realitätskonstruktion. Willentliche Impulse entstehen in Situationen, die für eine Person von Motivrelevanz gekennzeichnet sind. Diese Impulse sind motiv-geleitete Etablierungen von emotional repräsentierten Erwartungen bezüglich zukünftiger Realitäten. Die induzierte Korrelation beginnt mit einem willentlichen Impuls im Bewusstsein eines Individuums, der eine Aufforderung an den Potentialraum formuliert, eine bestimmte Realität wahrscheinlicher als der Zufall werden zu lassen. Emotionale Transgression bezeichnet den Kommunikationsprozess zwischen dem bewussten Selbst und dem unbewussten Potentialraum. Dabei ist die emotionale Überzeugung, die in einer sprachlichen Kodierung enthalten ist, das einzige Element, das die Grenze zum Unbewussten überschreiten kann. Diese emotionale Erwartung beeinflusst anschließend die Realitätskonstruktion. Es gibt zwei grundsätzliche emotionale Tendenzen bei Erwartungen über zukünftige Verläufe: Optimistische und pessimistische. Optimistische Erwartungen sind von Hoffnung geprägt, wohingegen pessimistische Erwartungen von Ängsten dominiert werden. Die in den Emotionen kodierten impliziten Überzeugungen aktivieren dann die entsprechenden Potentialitäten in der Unus Mundus und machen sie wahrscheinlicher. Das Unus Mundus Modell von Pauli und Jung legt nahe, dass bei willentlichen Impulsen verschiedene Aspekte zu beachten sind. Zum einen geht die Theorie davon aus, dass der Willensimpuls, der in der subjektiven Realität des Bewusstseins einer Person initiiert wird, sich nicht direkt in eine objektive Realisierung umsetzen lässt. Stattdessen kann sich der Willensimpuls nur über das Unbewusste materiell realisieren lassen. Das bedeutet, dass das Unbewusste in angemessener Form mit einbezogen werden muss. Diese Einbeziehung besteht in der Beachtung der emotionalen Transgression, die besagt, dass man die unbewussten Potentialitäten emotional adressieren muss. Dies geschieht bei motiv-relevanten Beobachtungen, in denen willentliche Impulse allein auftreten, automatisch. Daher ist es wichtig, genau zu analysieren, welche emotionale Überzeugung dem aktuellen Willensimpuls zugrunde liegt und diesen im Falle einer pessimistisch-ängstlichen Haltung zu korrigieren. Außerdem vollzieht sich der Transfer von der geistigen in die materielle Welt über die pragmatische Information, die besagt, dass willentlich induzierte Realitätskonstruktionen nur reduziert objektiv sind, also sogenannte sobjektive Realitäten darstellen. Die Komplementaritätsbeziehung von E und B in der Formel der pragmatischen Information zeigt, dass eine Objektivierung und Maximierung von B zu einem E von Null führt, wodurch der Einfluss des willentlichen Impulses verschwindet und der Quantenzufall dominiert. Daher sollte man Abstand davon nehmen, den Erfolg der eigenen Intention beim willentlichen Handeln zu dokumentieren, da dies die Effektivität zerstört und man seine Autonomie verliert, sich stattdessen vom Zufall abhängig macht. Die motivationspsychologischen Konsequenzen des Unus Mundus Modells von Pauli und Jung stimmen mit vielen Erkenntnissen aus der Praxis überein. Dennoch handelt es sich bisher nur um theoretische Darstellungen, die teilweise zirkulär wirkende Argumentationen enthalten. Um diese Theorien weiter zu untermauern, werden nun ausgewählte empirische Befunde vorgestellt und interpretiert. Empirische Belege für induzierte Korrelationen: Mikro-Psychokinese Induzierte Korrelationen im Unus Mundus Modell (UMM) betreffen die Veränderung von Quantenwahrscheinlichkeiten durch motivgeleitete, bewusste Beobachtungen. In der Parapsychologie wird dies als Mikro-Psychokinese (Mikro-Pk) bezeichnet. Untersuchungen dazu begannen mit Joseph Rhine in den 1940er Jahren und wurden in den 1970er Jahren von Helmut Schmidt durch quantenbasierte Zufallsgeneratoren (QRNGs) fortgesetzt. Ein typischer Versuchsaufbau nutzte QRNGs, um eine Zahlenkodierung zu erzeugen, die dann zu sensorischen Ereignissen führte, welche die Versuchsperson bewusst wahrnahm. Die Aufgabe bestand darin, die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten bestimmter Ereignisse intentionell zu beeinflussen. Frühe Befunde zeigten, dass Versuchspersonen die Wahrscheinlichkeit für intentionskongruente Ausgänge beeinflussen konnten. Weitere Forschungen bestätigten intentionale Einflüsse auf den Quantenzufall, jedoch zeigten sich bei direkten Replikationsversuchen auch Nullbefunde. Einige Forscher argumentieren, dass Mikro-Pk-Effekte einer Objektivierung durch direkte Replikation entzogen scheinen. In einer Arbeitsgruppe an der LMU München wurden empirische Befunde zu induzierten Korrelationen untersucht, wobei die Rolle des Unbewussten, die emotionale Transgression und die Möglichkeit indirekter Bestätigung betrachtet wurden. Die vorgeschlagene Lösung des Dilemmas der Nicht-Objektivierbarkeit besteht darin, eine kontinuierliche Auffassung von Subjektivität versus Objektivität anzunehmen. Induzierte Korrelationen könnten mit reduzierter Objektivität nachgewiesen werden, die zwar nicht den maximalen Standards des naturwissenschaftlichen Nachweises entspricht, aber immer noch einen ausreichend hohen Bestätigungsgrad besitzt. Induzierte Korrelation bei Rauchern In dieser Studie wurden Raucher und Nichtraucher mittels eines Mikro-Pk Experiments verglichen. Den Teilnehmern wurden über einen QRNG Bilder mit Zigaretten oder neutrale Bilder gezeigt, um zu untersuchen, ob das Wollen von Rauchern Einfluss auf die Realität hat. Es wurde festgestellt, dass Raucher weniger Raucherbilder als erwartet sahen, während bei Nichtrauchern ein reiner Quantenzufall beobachtet wurde. Dieses Ergebnis deutete darauf hin, dass das Wollen der Raucher eine Realitätskonstruktion aus den möglichen Quantenpotentialitäten bewirken kann. In einer Replikationsstudie zeigte sich jedoch bei den Rauchern ein Nullbefund, was darauf hindeutet, dass die Ergebnisse der ersten Studie nur per Zufall zustande kamen. Um diese widersprüchlichen Interpretationen gegeneinander zu prüfen, wurden 10.000 Simulationen durchgeführt, die mögliche Effektverläufe über die beiden Studien hinweg künstlich erzeugten. Es zeigte sich, dass ein so ungewöhnlicher Effektverlauf per Zufall in weniger als 5% der Fälle auftreten kann. Dies bedeutet, dass man einen durch direkte Replikation nicht objektivierbaren Effekt der induzierten Korrelation bei Rauchern durch eine reduzierte Objektivität belegen kann. Das Ergebnis des willentlichen Impulses von Rauchern auf eine mit ihren emotionalen Überzeugungen korrespondierende Realitätswerdung lässt auf eine Realitätsform schließen, die zwischen einer rein subjektiven und einer vollkommen objektiven Realität liegt und die man daher als sobjektiv-real bezeichnen kann. Mit dieser Erkenntnis wird der Realitätsdualismus erweitert, indem neben einer Realitätsentwicklung, die (quasi)-deterministisch seit dem Urknall unser Sein bestimmt, auch ein individuelles und autonomes Wollen Realität entstehen lassen kann. Induzierte Korrelationen und die Rolle der Objektivität bei der Datenerhebung Eine Studienreihe untersuchte die Möglichkeit, eine positive Realität mit Hilfe einer induzierten Korrelation zu erzeugen und die Auswirkungen des Objektivitätsgrads der Datenerhebung auf die Nachweisbarkeit eines solchen Effekts. Probanden wurden auf positive und negative Bilder unter subliminalen und neutralen Bedingungen geprimt, um eine induzierte Korrelation in der Priming-Bedingung zu erzeugen. Die Ergebnisse der ersten Studie zeigten vorläufige Evidenz für eine induzierte Korrelation in der Priming-Bedingung, jedoch nicht in der Kontrollbedingung. Die Teilnehmer sahen mehr positive Bilder als per Zufall erwartet. Zwei nachfolgende Studien ergaben jedoch keine Abweichung vom Zufall in allen Bedingungen. Was die Nicht-Objektivierbarkeit des Phänomens unterstreicht. Um den Einfluss der Bestätigungsmaximierung auf induzierte Korrelationen zu überprüfen, wurde eine weitere Studie durchgeführt. Hier wurden neben objektiven Daten auch subjektive Erinnerungsdaten verwendet, um die Anzahl der gesehenen positiven Bilder zu erfassen. Es zeigte sich, dass die Verfügbarkeit von objektiven Daten dazu führte, dass der Quantenzufall die Realitätsgestaltung determinierte und kein Einfluss des Willens der Teilnehmer auftrat. Interessanterweise zeigten die subjektiven Daten eine gute Schätzung für die objektive Anzahl der gesehenen positiven Bilder. In der Teilgruppe, in der nur subjektive Daten zur Verfügung standen, da die objektiven Daten gelöscht wurden, zeigte sich sehr starke Evidenz für den Effekt einer induzierten Korrelation. Die Ergebnisse dieser Studien machen deutlich, dass der Wunsch nach einer positiven Realität unterstützt durch unbewusste Aktivierungen eine solche Realität wahrscheinlicher macht. Das Unus Mundus Modell erklärt, dass eine kausale Einwirkung durch einen bewusst initiierten Willensimpuls in der subjektiven Realität auf eine objektive materielle Realität über einen unbewussten Potentialraum erfolgt. Willensakte werden daher als aktive Realitätskonstruktionen durch motiv-geleitete Beobachtung verstanden. Solche Impulse können aber nicht durch Objektivierung final bestätigt werden. Die empirischen Befunde und theoretischen Ausführungen haben motivationspsychologische Implikationen für absichtsvolles Handeln. Eine Absicht sollte vorab auf ihre zugrundeliegende emotionale Überzeugung hin analysiert werden, um das Unbewusste mit einzubeziehen. Sobald eine gewünschte Realität erzeugt wurde, sollte die Effektivität der Absicht nicht objektiviert werden, um deren Wirksamkeit nicht zu zerstören. Sollten unerwünschte Absichten vorherrschen, sollte der Erfolg dieser Absichten objektiviert werden, um die Wirksamkeit des motivationalen Impulses zu zerstören. Die Organisation der Unus Mundus ist eine kollektive Realitätsebene, auf der individuelle Einflüsse reduziert werden müssen, um eine realitätskonstruierende Wirksamkeit zu erreichen. Motivationspsychologische Konsequenzen des Unus Mundus Modells, des Willensimpulses (induzierte Korrelation) und ihrer reduzierten Objektivierbarkeit Die Motivationspsychologie untersucht, wie bewusste Absichten in Handlungen übergehen und Handlungsziele erreicht werden. Traditionelle Theorien implizieren einen kausalen Mechanismus zwischen geistigen und materiellen Phänomenen, was jedoch nicht logisch konsistent ist, da sie den Transfer von subjektiven in objektive Realitäten ignorieren. Das Unus Mundus Modell bietet eine alternative Perspektive, die die Verbindung zwischen subjektiver und objektiver Realität ermöglicht. Nach diesem Modell wirkt ein bewusst initiierter Willensimpuls in der subjektiven Realität eines Individuums auf eine objektive materielle Realität durch einen unbewussten Potentialraum, der mit Quantenrealitäten gefüllt ist. Motiv-geleitete Messung ersetzt absichtsvolles Handeln und ermöglicht die Realisierung von möglichen Realitäten im Potentialraum. Hier sind einige Empfehlungen für absichtsvolles Handeln basierend auf dem Unus Mundus Modell: Analysieren Sie Ihre Absicht im Hinblick auf die zugrundeliegende emotionale Überzeugung. Emotionale Erwartungen beeinflussen, welche unbewussten Potenziale angesprochen werden. Vermeiden Sie die Verifizierung der Effektivität Ihrer Absicht, um ihre Wirksamkeit zu erhalten. Glauben Sie an die Wirkung Ihrer Absicht, ohne sie objektiv zu quantifizieren. Objektivieren Sie den ungewünschten Erfolg einer unerwünschten Absicht, um deren Wirksamkeit zu zerstören. Nutzen Sie die kollektive Natur der Unus Mundus, indem Sie sich mit anderen Individuen verbinden, die ähnliche Absichten haben. Beachten Sie jedoch das Objektivierungsverbot und schützen Sie sich vor gegenläufigen Absichtsträgern. Beziehen Sie bei spirituellen oder religiösen Überzeugungen nichtmenschliche Entitäten in Ihren Willensimpuls mit ein. Das Verständnis dieser Empfehlungen setzt die Kenntnis der theoretischen Grundlagen und empirischen Befunde voraus. Durch deren Verinnerlichung kann das Unus Mundus Modell dazu beitragen, absichtsvolles Handeln effektiver zu gestalten. (Un)Vereinbarkeit von Spiritualität/Religion und Naturwissenschaften Die Vereinbarkeit von Spiritualität bzw. Religion mit dem naturwissenschaftlichen Weltbild ist ein interessanter metaphysischer Aspekt im Zusammenhang mit dem Unus Mundus Modell. Viele spirituelle und religiöse Strömungen gehen von wollenden Entitäten aus, die Realität erschaffen und mitgestalten. Dies steht im Gegensatz zur kausaldeterminierten, objektiven physikalischen Realität der Naturwissenschaften. In der naturwissenschaftlichen Beschreibung gibt es keinen Raum für autonome, willentliche Impulse. Naturgesetze, einschließlich der Quantenphysik, würden ihren Status verlieren, wenn solche willentlichen Einflüsse existierten. Somit sind spirituelle oder religiöse Auffassungen von permanent einflussnehmenden Entitäten unvereinbar mit dem naturwissenschaftlichen Realitätsbild. Die empirischen Befunde zum Unus Mundus Modell lassen jedoch eine alternative Interpretation der physikalischen Datenlage zu. Unsere Experimente zeigen, dass eine kausal geschlossene, objektive physikalische Realität eine Funktion der Objektivität der Messung ist. Bei einer reduziert objektiven und durch individuelle Überzeugungen verzerrten Messung zeigt sich Evidenz für ein realitätsgestaltendes Wollen. Es stellt sich die Frage, ob die kausale Geschlossenheit und der berechenbare Quantenzufall nicht durch eine passive Registrierung als objektiv real bestätigt werden, sondern die Fokussierung auf objektive Bestätigung diese als objektiv real suggeriert. Die Art der messtheoretischen Betrachtung erzeugt möglicherweise das Weltbild und seine empirischen Beweise. Bei weniger objektiver, aber empirisch überzeugender Betrachtung zeigen sich Einflüsse eines wollenden Geistes. Spiritualität/Religion und Naturwissenschaft beruhen möglicherweise auf unterschiedlichen Vorannahmen, die durch den angewandten Messvorgang gemacht werden und könnten somit miteinander vereinbar sein.
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- Denken für die Krise
In den letzten Jahren ist unser Leben durch große Krisen nachhaltig verändert worden. Wenn man 15 Jahre zurückblickt, hätten viele von uns weder die Kreditkrise, noch die Eurokrise, den Brexit, die Corona-Pandemie oder den Ukrainekrieg erwartet. Selbst wenn es deutlich Anzeichen gibt, erwarten wir oft, dass unser Leben weiter seinen gewohnten Gang geht. Wir sind dann von der Dynamik von Krisen oft völlig überrascht. Bei unserem Livestream Day Of Science fragen wir uns, wie unsere Gehirne mit solchen Herausforderungen umgehen. Wo sind unsere Schwachstellen? Und wo können wir lernen uns zu verbessern? Inhaltsverzeichnis 1. Warum wir so häufig auf Routinen angewiesen sind 2. Das menschliche Verhalten in Krisensituationen 3. Prognosen und Entscheidungen 4. Wahrscheinlichkeiten Denken an die Krise Stellen Sie sich einmal vor, Sie sind in einer fremden Stadt unterwegs. Plötzlich verspüren Sie Hunger, es wird Zeit etwas zu essen. Sie sehen ein Restaurant, gehen hinein und setzen sich an einen Tisch. Nach kurzer Zeit kommt eine Kellnerin und bringt Ihnen die Speisekarte. Die Gerichte sind Ihnen vielleicht nicht vertraut, aber Sie schaffen es trotzdem sich etwas Vielversprechendes auszusuchen. Sie halten nach der Kellnerin Ausschau, geben ihr ein Zeichen, sie kommt zurück und Sie bestellen Ihr Essen. Kurze Zeit später wird es an Ihren Tisch gebracht. Sie nehmen das Besteck, das bereitliegt, und essen den Teller leer. Dann kommt die Kellnerin zurück, räumt ab, Sie bestellen die Rechnung, bezahlen und gehen ihrer Wege. 1. Warum wir so häufig auf Routinen angewiesen sind Diese ganzen Details bei dem Restaurantbesuch folgen einem festen Skript, dabei ist es fast egal in welches Land Sie reisen. Auch in einem fremden Land bringt man nicht zuerst das Essen und dann die Speisekarte. Das Skript, dem wir alle in solchen Situationen folgen, haben wir von klein auf gelernt. Wenn wir in ein Restaurant gehen sind wir nicht etwa unsicher, was uns erwartet, sondern völlig routiniert. Wir müssen nicht wenn wir ins Restaurant kommen ganz intensiv darüber nachdenken, wie man mit so einer Situation umgeht. Wir haben eine Routine, und die hat sich seit unserer Kindheit immer mehr ausdifferenziert. Routinen helfen uns mit vielen Alltagsituationen, die immer wieder dem gleichen Schema folgen, sicher umzugehen, ohne unsere ganze Aufmerksamkeit zu absorbieren. Selbst für kompliziertere Situationen in Restaurants haben wir feste Routinen ausgebildet. Als wir das erste Mal zu einem Galadinner eingeladen waren, waren wir vielleicht überwältigt von dem vielen Besteck das vor uns lag, von den vielen Gläsern und Tellern. Inzwischen wissen wir, dass man das Besteck von außen nach innen benutzt und dass der Brotteller zur Linken der unsere ist und die Gläser zur Rechten. Wir haben für unzählige Alltagssituationen solche Routinen ausgebildet. Am eindrucksvollsten kann man dies beim Autofahren beobachten. Denken Sie an das erste Mal zurück als sie mit dem Fahrlehrer in ein Auto eingestiegen sind. Der Lehrer hat Ihnen alles erklärt, die Fußpedale, das Lenkrad, den Blinker, den Scheibenwischer, die Spiegel und die Handbremse. Trotz der wortreichen Erklärung des Fahrlehrers waren wir nicht gleich dazu in der Lage, seine Instruktionen in Handlungen umzusetzen. Es gab viel zu viele einzelne Dinge zu beachten. Wenn wir darüber nachgedacht haben welches Pedal welches ist, hatten wir schon wieder vergessen auf welcher Seite der Blinkhebel war. Der Grund für diese Überlastung ist, dass wir alle Details zunächst im Arbeitsgedächtnis behalten müssen, was aber nur eine eng begrenzte Speicherkapazität hat. Wenn wir die Details nicht sofort abrufen konnten, war unsere Aufmerksamkeit überlastet und wir mussten die einzelnen Schritte einzeln mühsam einstudieren. Mit ein wenig Erfahrung kehrte sich dies völlig um. Plötzlich fiel uns die Koordination und die Bedienung der ganzen Elemente sehr leicht. Als erfahrener Autofahrer können wir sogar ein angeregtes Gespräch mit dem Beifahrer haben, und trotzdem das Fahrzeug in Standardsituationen mühelos durch den Verkehr bewegen. Das Erlernen solcher neuen Routinen bis zu dem Punkt, wo sie keine Aufmerksamkeit mehr erfordern, nennt man auch „Automatisierung“. Die Automatisierung hat im Gehirn ihre Entsprechung. Wenn wir neue Handlungen zum ersten Mal ausführen sind vor allem Netzwerke des Neokortex daran beteiligt, die neuen Handlungsschritte zu koordinieren und umzusetzen. Mit der Zeit übernehmen aber Schleifen in den sogenannten Basalganglien, einer subkortikalen Hirnregion, mehr und mehr die Routinearbeiten, umso mehr je länger wir sie geübt haben. Wenn die Routinen erstmal automatisiert sind, können wir sie ganz mühelos abrufen. Allerdings funktionieren die Routinen nur in vergleichbaren Standardsituationen, wie die, in denen sie entstanden sind. Sobald im Straßenverkehr etwas Ungewöhnliches passiert, wenn uns etwa ein Geisterfahrer auf unserer Fahrbahnseite entgegenkommt, dann müssen wir das Gespräch mit dem Beifahrer abrupt unterbrechen und uns der Notsituation zuwenden. Wir haben keine Routinen, um diese Situation zu bewältigen. Wenn uns jeden Tag Geisterfahrer entgegenkommen würden, könnten wir auch mit dieser Situation mühelos umgehen. Wir können uns also auch auf Ausnahmesituationen vorbereiten, um im Notfall auch dafür schnell Routinen abrufen zu können. Solche Routinen haben viele Vorteile, aber es gibt auch ein paar Nachteile. Zum einen sind sie sehr starr. Wenn wir also unser Verhalten anpassen oder abändern müssen, dann müssen wir die entsprechenden Routinen erst mühsam umtrainieren. Besonders beeindruckend kann man dies in einem Video von Destin Sandlin, einem amerikanischen Wissenschaftsjournalisten vom Youtube Kanal „Smarter Every Day“, sehen (https://www.youtube.com/watch?v=MFzDaBzBlL0). Darin nimmt er sich der Fertigkeit des Radfahrens an. Wir alle können mühelos Fahrrad fahren und haben unsere Aufmerksamkeit dabei für andere Dinge frei, etwa uns mit Freunden zu unterhalten. Auf manchen Jahrmärkten gibt es jedoch umgebaute Fahrräder, die diese Routinen schnell umwerfen. Diese Umkehrfahrräder lenken nach rechts, wenn man den Lenker nach Links dreht, und umgekehrt. Auf dem Jahrmarkt gibt es Stände, wo man gegen eine kleine Teilnahmegebühr versuchen kann, mit so einem Fahrrad ein paar Meter zu fahren, um bei Erfolg einen Preis zu gewinnen. Die meisten Erwachsenen scheitern sehr schnell, als wären sie noch nie in ihrem Leben Fahrrad gefahren. Dabei ist alles offen erklärt, es gibt keine versteckten Geheimnisse. Alle Teilnehmer wissen, dass die Lenkrichtung umgedreht ist, und trotzdem können sie sich auch bei größter Konzentration nicht auf dem Fahrrad halten. Die alten, eingespielten Routinen sind im Weg. Destin Sandlin hatte sich in den Kopf gesetzt, dieses umgekehrte Fahrrad zu beherrschen und hat dafür hartnäckig trainiert. Er brauchte dafür 8 Monate regelmäßiges Training. Danach konnte er jedoch nur das Umkehrfahrrad fahren, und scheiterte bei normalen Rädern. Sein Sohn hingegen, der bereits Radfahren konnte, konnte innerhalb von zwei Wochen umlernen. Ein beeindruckender Beleg für die hohe Plastizität von kindlichen Gehirnen. Neben ihrer mangelnden Flexibilität haben Routinen noch einen weiteren Nachteil. Wir sollten nicht zu viel darüber nachdenken, wie wir etwas machen. Es ist nicht ratsam bei Tempo 200 auf der Autobahn sich plötzlich die Frage zu stellen, welches Pedal eigentlich genau was ist, oder wie man am besten einem Hindernis ausweicht. Denn wenn diese Routinen erstmal in den Basalganglien eingeschliffen sind, werden sie durch bewusste Aufmerksamkeit, also durch den Versuch darüber nachzudenken, gestört, und wir müssen den komplizierten Prozess wieder mit unseren überforderten neokortikalen Regionen abwickeln. Das ist übrigens die Grundlage für einen klassischen unfairen Trick beim Hochleistungssport. Fragen Sie ihren Gegner beim Tennis einmal, wie genau er seine fantastische Angabe macht. Diese ist im Verlauf des Trainings mühsam automatisiert worden. Wenn er jetzt darüber nachdenkt, stört er den Ablauf und die Angabe wird weit weniger beeindrucken. Dasselbe passiert auch virtuosen Profimusikern, wenn sie auf der Bühne mitten im Konzert darüber nachdenken, wie sie eigentlich genau die superschnellen Passagen spielen. Nachdenken ist in solchen Fällen also eher störend. Im Arbeitsleben begegnen uns solche Routinen an vielen Stellen. Nehmen wir das Beispiel eines Tischlers. Noch vor hundert Jahren begann jemand am Anfang seines Lebens als Lehrling dieses Handwerk Schritt für Schritt zu lernen. Er lernte die Funktion aller Werkzeuge und übte seine Handfertigkeit mühsam ein. Nachdem er einmal das Handwerk beherrschte, hat er für den Rest seines Berufslebens weitgehend dieselben Routinen und Fertigkeiten benutzt. Es gab natürlich kleine Änderungen, aber die Grundlage des Handwerks hat sich im Verlauf eines Berufslebens wenig geändert. Es gibt aber viele Berufe, die ganz anders gestaltet sind. Nehmen wir zum Beispiel die Notaufnahme eines Krankenhauses. Die Probleme jedes Patienten sind ganz unterschiedlich gestaltet. Erst ein Herzinfarkt, dann eine Vergiftung, als nächstes ein Unfall. Manchmal sind die Patienten jung und gesund, dann wieder alt und krank. Wie schafft man es in diesem schier unbeherrschbaren Durcheinander trotzdem allen zu helfen? Die Antwort sind wieder Routinen. Aber hier sind die Routinen komplexer. In der Notfallmedizin gibt es komplexe Schablonen, nach denen die Fälle behandelt werden. Und in einem OP hat jeder eine spezifische, genau definierte Aufgabe, und die anderen Kollegen können sich darauf verlassen, dass diese Aufgabe genau umgesetzt wird. Wenn bei einem Notfall der behandelnde Arzt erst anfangen müsste, sich aus seiner Kenntnis des menschlichen Körpers abzuleiten, was jetzt zu tun wäre, würden einige Patienten sicherlich sterben, bevor der erste Schritt getan wäre. Schablonen helfen uns in komplexen Situationen schnell und adäquat zu handeln. Allerdings muss man aufpassen. Die Handlungen können nur so gut sein, wie die Routinen. Wenn man sich also etwas Falsches angewöhnt, dann sind wir auch mit Routinen ineffizient. Es ist gut, wenn wir uns im Arbeitsleben auf Routinen verlassen können. Wir merken oft gar nicht, wie die Erfahrung und die Routinen uns den Arbeitsalltag erleichtern, denn wir werden uns der automatisierten Schritte ja nicht bewusst. Als wir das erste Mal etwa ein neues Projekt starten wollten, waren so viele Details zu berücksichtigen. Je häufiger man dies macht, desto routinierter werden die Abläufe, und umso mehr Zeit bleibt uns, unsere bewussten Gedanken den wichtigeren, strategischen Aufgaben zuzuwenden. Bisweilen müssen Routinen natürlich trotzdem geändert werden, das ist die Basis jeder Innovation bis hin zum Change-Management. Allerdings sollte man bei jeder Änderung vorsichtig damit umgehen, dass man die Mitarbeiter ihrer Routinen beraubt. Nehmen wir ein vertrautes Beispiel, Updates in unserer Office-Software. Wir kommen morgens zu Arbeit, wollen zunächst einen wichtigen Brief an den Chef schreiben und anschließend eine Abrechnung in einer Tabellenkalkulation durchführen. Die IT hat jedoch nachts eine neue Softwareversion eingespielt. Natürlich ist es wichtig bei der Software mit der Zeit zu gehen, und Innovationen zu nutzen. Rechtschreibkorrekturen und Diktierfunktionen haben sich im Laufe der Jahre erheblich verbessert. Allerdings werden bei vielen Updates nicht nur sinnvolle Änderungen eingeführt, sondern die gesamte Benutzeroberfläche wird neu gestaltet, für den frischen „Look“. Und bisweilen ist nichts mehr, wie es war. Man muss also, anstatt sich auf den Inhalt des Briefes an den Chef zu konzentrieren, darüber nachdenken, wie man etwas auf der Benutzeroberfläche findet, weil es an einer anderen Stelle als bisher im Menu auftaucht. Es ist wie beim Autofahren, als würde man die Position der einzelnen Fußpedale vertauschen. Dies ist nicht nur mühsam, sondern birgt auch erhebliches Fehlerpotenzial. Wenn auf der Arbeit unsere Aufmerksamkeit bei der Software liegt, steht sie für die wirklich wichtigen Fragen nicht mehr zu Verfügung. Die Folge: Der Brief an den Chef findet vielleicht nicht den richtigen Ton, und in der Tabellenkalkulation hat man sich bei der Formel vertippt, weil man gedanklich mit der Benutzeroberfläche beschäftigt war. Es empfiehlt sich also eine gewisse „Achtsamkeit“ auf Routinen, und man sollte vermeiden sie ohne Not zu verändern. So hilfreich und wertvoll Routinen auch sind, leider stehen sie uns nicht in allen Bereichen des Lebens zu Verfügung. Es stellt sich also die Frage: Wie gehen wir mit neuen Situationen um, für die wir keine vorgefertigten, eingespielten Handlungs-muster haben? Das Gehirn hat ein spezielles Netzwerk im sogenannten anterioren cingulären Kortex, das in solchen Situationen eingreift und unser Verhalten organisiert. Wir müssen dann in den Modus des Problemlösens fallen und nach einer Lösung für die neue Situation suchen. Das ist jedoch sehr mühsam und kann uns bisweilen überfordern. 2. Das menschliche Verhalten in Krisensituationen Nehmen wir zum Beispiel die großen internationalen Krisen der letzten 15 Jahre. Wir hatten seit ca. 2007 zunächst eine globale Kreditkrise, dann ab 2009 über eine lange Zeit die Eurokrise. Bald danach begann im Jahr 2015 infolge des Syrienkonfliktes die europäische Migrationskrise, 2016 dann das Brexit Referendum mit anschließendem Austritt Großbritanniens aus der EU. Das allein wäre schon viel zu verarbeiten, es folgten jedoch noch die COVID-19 Pandemie, die politischen Unruhen in den USA und dann 2022 der Ukraine Krieg. Was solche Krisen auszeichnet, ist dass wir für sie in den meisten Fällen keine vor-gefertigten Handlungsroutinen haben, denn jede Situation ist hochkomplex und immer wieder neu. Die Menschheit hat natürlich schon vorher Wirtschaftskrisen, Währungskrisen, Pandemien und Kriege überstanden. Und doch ist jede Krise wieder anders, und heute haben wir auch andere Bewältigungsmethoden als früher. Bei der weltweiten Grippe von 1918 gab es noch keine Impfstoffe, keine Computer und keine Videokonferenzen. Jede Krise ist also auch ein Einzelfall. Aufgrund der vielen jüngsten Krisen könnte man den Eindruck bekommen, dass sich die Welt immer schneller verändert, und inzwischen sogar so sehr, dass es uns gar nicht möglich ist, kognitiv mitzuhalten. In einem faszinierenden Buch namens „Future Shock“ schilderte der US-Amerikaner Alvin Toffler diese zunehmende Geschwindigkeit, die uns überfordert. Wir leiden unter einem „Information Overload“, einer Überlastung durch zu viele Informationen. Im Informationszeitalter würden die Menschen laut Toffler vor allem von zuhause arbeiten, alte Industriezweige mit ungeschulten Arbeitern würden überflüssig, und das Wissen, das wir im Rahmen unserer Ausbildung erlernt haben ist schnell überholt. Das ist eine treffende Darstellung unserer modernen Welt. Allerdings gibt es einen Haken. Das Buch erschien bereits 1970. Also, vor über 50 Jahren fühlten sich Menschen durch die Dynamik der Veränderungen in der Welt bereits überfordert. Vielleicht ist unsere derzeitige Hochgeschwindigkeits-Welt also historisch gesehen gar nicht so einmalig? Trotzdem kann man viel daraus lernen, wie wir Menschen mit Krisen umgehen. Nehmen wir das Beispiel der COVID-19 Pandemie. Warum hat es so lange gedauert, bis die westlichen Industrieländer auf die Entwicklung reagiert haben, selbst als in Norditalien, quasi vor unserer eigenen Haustür, bedrohlich vorgeführt wurde, welche Gefahren damit verbunden waren? Eine gängige Erklärung ist, dass wir schon häufiger Warnsignale erlebt haben, ohne dass eine Bedrohung sich dann später für uns als relevant herausgestellt hat. Nehmen wir zum Beispiel die Krankheit Ebola, wo eine Ansteckung wesentlich gefährlicher ist als mit dem Coronavirus. Es gab in der Vergangenheit zahlreiche Ausbrüche, die es in den internationalen Medien auf die Schlagzeilen geschafft haben, die allerdings immer wieder eingedämmt wurden und meistens auf Zentralafrika beschränkt blieben. Auch bei den Coronaviren gab es in der Vergangenheit mit SARS und MERS-Erkrankungswellen in Asien, die uns trotz ihrer Ausbreitungsgeschwindigkeit nicht erreicht haben. Warum sollte es also dieses Mal anders sein? Hier sehen wir ein Phänomen, das man aus der Medizin von Intensivstationen kennt, die sogenannte „Alarmblindheit“. Wenn Patienten mit vielen lebenserhaltenden Geräten versorgt werden, die alle ihre eigenen Warntöne haben, dann besteht der Stationsalltag im Reagieren auf diese Alarme. Wenn jedoch der ganze Arbeitstag immer wieder mit solchen Signalen gefüllt ist, verlieren sie ihre Dringlichkeit, das Personal „habituiert“, es gewöhnt sich an die Ausnahmesituation. Habituation ist ein ganz grundlegender biologischer Lernprozess, eine abnehmende Reaktionsbereitschaft auf wiederholt erlebte Reize, vor allem wenn sie sich im Nachhinein als bedeutungslos herausgestellt haben. Ähnlich könnte es also auch mit den Pandemien sein, wenn über Jahre hinweg immer wieder bedrohliche Nachrichten in den Medien zu hören waren, über Ebola, SARS und MERS, diese Erkrankungen uns in unserem Alltag dann aber doch nicht erreicht haben. Interessanterweise scheint diese Habituation viele Menschen betroffen zu haben. Die Warnsignale wurden auch von vielen Ministerien nicht wahrgenommen, die eine langjährige Erfahrung haben sollten. Wir stehen also vor einem Dilemma. Wenn wir uns bei jedem Zeitungsbericht über Ebola, SARS oder MERS gleich in Isolation begeben hätten, wäre dies sicherlich eine Überreaktion gewesen. Andererseits wissen wir, dass Menschen bei Katastrophen auch oft zu spät reagieren und ihr Leben dabei ernsthaft in Gefahr bringen. Dies ist vielfach untersucht worden, und zwar am Beispiel von realen Katastrophensituationen. Es scheint zwei, entgegengesetzte Handlungs-tendenzen zu geben, wenn Menschen sich plötzlich einer Bedrohung ausgesetzt sehen. Die einen tun nichts, sie sind wie versteinert, sie leugnen die Situation vielleicht, man sagt auch sie „frieren ein“. Dies geht etwa aus Berichten zum Einschlag der Flugzeuge im World Trade Center in New York hervor. Viele Menschen sind einfach an ihren Schreibtischen sitzen geblieben und waren tatenlos, vermutlich weil sie schockiert waren oder über ihre Einschätzung der unerwarteten Katastrophe nachgedacht haben. Andere hingegen, haben gleich die Flucht ergriffen und sich auf den Weg aus dem Gebäude gemacht. In diesem Fall war das sicherlich eine sinnvolle Strategie. Auch wenn eine Tsunamiwelle auf einen zurollt, oder im Flugzeug Rauch aufsteigt, kann die schnelle Flucht eine sinnvolle Handlung sein. In diesem Fall führt die wahrgenommene Gefahr zu einer schnellen Auslösung einer Handlungsroutine, typischerweise der Flucht. In vielen Fällen ist jedoch dieser Handlungsimpuls sehr schädlich. Man denke an das tödliche Gedränge bei der Loveparade 2010 in Duisburg. Wären alle Menschen ruhig an ihren Plätzen geblieben, wäre es hierzu gar nicht gekommen. Ähnliches konnte man auch zu Beginn der COVID-19 Pandemie beobachten, als Menschen massenweise Waren horteten. Ein australischer Mann kaufte in einem Supermarkt für 10.000 Dollar Waren ein, wie etwa Toilettenpapier, und wollte diese dann nach ein paar Tagen zurückgeben. Sicherlich war das keine angepasste Reaktion. Wir scheinen also in einem Dilemma gefangen zu sein, zwischen den Optionen „zu viel nachdenken, zu wenig handeln“ und „zu wenig nachdenken, zu viel handeln“. Wenn Menschen eine Bedrohung ignorieren und weiter wie gewohnt ihrem Alltag nachgehen, spricht man auch von einer Normalitätstendenz, engl. „Normalcy Bias“. Wir können gar nicht glauben, dass in unserem Leben fundamentale Änderungen anstehen, etwa wenn Krieg unsere Existenz bedroht. 3. Prognosen und Entscheidungen Wir sehen also, dass unser Umgang mit Krisen auch immer etwas damit zu tun hat, welche Einschätzungen wir von komplexen Vorgängen in unserer Welt haben. Denn ein gutes Weltverständnis ist die Basis für die Vorhersage krisenhafter Ereignisse. Gerade bei komplexen Problemen ist die Klärung des „Richtig“ und „Falsch“ aber besonders schwierig. Die meisten Experten hatten zum Beispiel für den Sommer 2020 eine dramatische Fortsetzung der Pandemie vorhergesagt, allerdings waren die Fallzahlen in dem Zeitraum eher moderat und stiegen erst zum Herbst wieder dramatisch an. Auch der Krieg in der Ukraine kam für viele Menschen, auch für Politiker, überraschend, und das trotz der vielfältigen Warnsignale und öffentlichen Ankündigungen seitens des russischen Präsidenten. Man hielt die Drohungen nur für Rhetorik und Bluff, glaubte aber nicht, dass er die über 70-jährige Nachkriegsordnung stören würde. Wir sehen solche Prognosen sind auch für Profis schwierig, wie soll dann erst ein Laie eine gute Prognose abgeben? Man sieht hier, dass die meisten Modelle, die wir von komplexen Weltgeschehen haben, extrem vereinfacht und unterspezifiziert sind. Das hält Menschen trotzdem nicht davon ab, starke Meinungen dazu zu haben, ob „das mit dem Virus bald vorbei ist“, oder „Putin nur blufft“. Woher will man das so genau wissen, wenn schon die Experten keine zuverlässigen Prognosen geben können? Wir Menschen tun uns sehr schwer damit, komplexe Systeme und Prozesse zu verstehen und vorherzusagen. Im Fall sogenannter „chaotischer“ Prozesse weisen Mathematiker schon lange darauf hin, dass eine Vorhersage prinzipiell unmöglich ist. Aber auch in einfacheren Systemen, die nicht chaotisch sind, sind Verständnis und Vorhersagen sehr schwierig. Darauf hat unter anderem der deutsche Psychologe Dietrich Dörner in seinem Buch „Die Logik des Misslingens“ eindrucksvoll hingewiesen. Bereits in den 1970er und 1980er Jahren gab es ein breites Verständnis für die Grenzen unseres Denkens, wenn wir es mit realen komplexen Systemen zu tun haben. Vor allem der deutsche Kybernetiker Frederic Vester wies in seinen Vorträgen und Büchern auf die Notwendigkeit von „vernetztem Denken“ hin. Aber was bedeutet das genau? Das Gegenteil dazu ist „lineares Denken“. Damit meint man, dass man, wenn man eine Handlung plant das Denken meistens auf einen einzelnen Ursache-Wirkungszusammenhang fokussiert. Andere Nebeneffekte der Situation werden dabei ignoriert. Ein klassisches Beispiel findet sich in der Entwicklungshilfe. Wenn in einer Wüstenregion Wassermangel herrscht, ist der erste Impuls dem zu begegnen, indem man vor Ort Brunnen bohrt, womit die lokale Versorgung zunächst verbessert wird. Wenn dies jedoch im Umfeld bekannt wird, kann es zu Wanderbewegungen führen, so dass noch mehr Menschen zu versorgen sind. Es kann also die Versorgung hinterher, trotz der neuen Brunnen, schlechter sein als vorher. Das Problem hier ist das Denken in einfachen, linearen Ursache-Wirkungszusammenhängen. Dabei werden Nebenwirkungen und Fernwirkungen ignoriert. Daraus sollte natürlich nicht folgen, dass wir keine Entwicklungshilfe betreiben, sondern dass wir die komplexeren Auswirkungen unserer Handlungen mit berücksichtigen sollten. Doch gerade das ist sehr schwierig, wenn Vorhersagen in komplexen Systemen bisweilen nur begrenzt möglich sind. Besonders problematisch ist, dass wir oft blind sein können für wichtige Faktoren, die ein Geschehen beeinflussen. Der amerikanische Verteidigungsminister Donald Rumsfeld kommentierte in einer etwas kryptischen Aussage die unerwarteten Schwierigkeiten seiner Kriegsführung: „[…]wir wissen alle, es gibt die known knowns, also Dinge, wo wir wissen, dass wir sie wissen. Es gibt auch die known unknowns, das heißt also Dinge von denen wir wissen, dass wir sie nicht wissen. Aber es gibt auch unknown unknowns – das sind die, wo wir nicht wissen, dass wir sie nicht wissen. Und wenn man sich die Geschichte unseres Landes und anderer freier Staaten anschaut, ist es diese letzte Kategorie, die am schwierigsten ist.“ Was Rumsfeld mit den kryptisch klingenden unknown unknowns meint sind Fakten, die für unsere Handlungen relevant wären, die wir aber nicht wissen und die wir auch gar nicht im Blick hatten. Rumsfelds Aussagen wurden im Zusammenhang mit der US-amerikanischen Kriegsführung nach den Angriffen auf das World Trade Center getätigt. Damals gab es eine amerikanische Doktrin, eine Variante der Dominosteintheorie. Demnach war die Einschätzung, dass wenn es einem gelänge im mittleren Osten einem einzelnen Staat die Demokratie zu bringen, die anderen Staaten alle folgen würden. Das waren die erwarteten Wirkungen der Kriege. Allerdings stellte sich heraus, dass man viele Aspekte falsch eingeschätzt hatte. Besonders im Irak kämpften zahlreiche Splittergruppen um die Macht, und die Zeit nach dem Irakkrieg war von schweren Unruhen und Plünderungen geprägt. Und auch in Afghanistan sind die Demokratisierungsversuche erfolglos geblieben. Kein Wunder also, dass Donald Rumsfeld auf die unknown unknowns hinwies. Es gibt aber einen Haken. Die obige Rede erfolgte am 12. Februar 2002, das war also nach dem Afghanistankrieg, aber bereits vor dem Irakkrieg, der erst 2003 begann. Rumsfelds Wissen um die unknown unknowns, hat ihn also nicht davon abgehalten, bei einem weiteren Krieg in viele unerwartete und komplexe Nebenwirkungen zu geraten. Wir sehen, dass die Wissens-Handlungslücke sehr groß sein kann. Die oben beschriebenen unknown unknowns beziehen sich vor allem auf die Auswirkungen unserer Handlungen, wenn sich also Konsequenzen einstellen, die wir gar nicht erwartet haben. Es gibt aber auch in der anderen Richtung eine Blindheit, die auf zu einfaches, lineares Denken zurückgeht, wenn wir versuchen retrospektiv die Ursachen für bestimmte Ereignisse zu analysieren. Wenn wir zum obigen Beispiel der COVID-19 Pandemie zurückkehren, kann man im Nachhinein viele frühe Hinweise finden, die eine globale Ausweitung für wahrscheinlich machen. Schließlich verbreitet sich der Virus mit der Atemluft und ist hochgradig ansteckend. Warum hat man dann nicht früher reagiert? Hier zeigt sich eine wichtige kognitive Verzerrung, der sogenannte „hindsight bias“, auch Rückschaufehler genannt. Dabei wird im Rückblick nach einem Ereignis die Vorhersagbarkeit dieses Ereignisses überschätzt. Dabei kann uns im Nachhinein auch das Gedächtnis einen Streich spielen, indem es uns glauben lässt, wir hätten den Ausgang bereits vorher klar prognostiziert. Ein klassischer Anwendungsfall, wo der hindsight bias untersucht wird, sind Wahlen. So kann man Studienteilnehmer vor einer Wahl bitten, vorherzusagen, welchen Stimmenanteil eine bestimmte Partei bekommen wird. Eine Weile nach der Wahl fragt man die Probanden, sich an ihre damalige Prognose zu erinnern. Es stellt sich heraus, dass die erinnerte Vorhersage in der Regel in Richtung des tatsächlichen Outcomes verzerrt ist. Hatte jemand vor der Wahl 20% vorhergesagt, es waren dann aber 40%, gibt er an 30% vorhergesagt zu haben. Diese Differenz von 10% ist der Rückschaufehler. Einen ähnlichen Effekt kann man auch bei der COVID-19 Pandemie finden. Wenn wir also heute, im Nachhinein auf die Frühphase der Pandemie schauen, tun wir dies vor dem Hintergrund unseres heutigen Wissens über den Virus. Anfang 2020 hingegen, also zu Beginn der Pandemie, war hingegen noch nicht sehr viel bekannt und man hatte keine Erfahrung mit dem Ausbreitungsrisiko. Wir ignorieren in solchen Fällen auch oft, dass es viele vergleichbare Situationen und Hinweise gegeben hat, ohne, dass sie uns direkt betroffen haben. Wir haben oben bereits über Ebola, SARS und MERS gesprochen, die sich in Europa dann nicht ausgebreitet haben. Wir sehen hier wieder, wie schwierig es ist, bereits vor den Ereignissen, klare Prognosen abzugeben. Es kommt bei unserer Ursachensuche noch ein weiterer Effekt hinzu, und der hat wieder mit linearem Denken zu tun. Wir machen in der Regel auch bei komplexen Konstellationen für die Wirkungen einzelne Ursachen verantwortlich. In realen komplexen Systemen sind es jedoch meistens Bedingungsgefüge, die einen Effekt herbeiführen. Nehmen wir das Beispiel eines Waldbrandes. Ein Mann hat aus einem fahrenden Auto eine brennende Zigarette in einen Wald geworfen, wodurch ein Waldbrand entfacht wurde. Wir denken dann vermutlich, die klare Ursache für den Brand sei die verantwortungslose Handlung des Autofahrers. Allerdings ignorieren wir damit den Rest des Bedingungsgefüges. Denn eine brennende Zigarette wird nur einen trockenen, aber keinen feuchten, Waldboden entfachen. Die Handlung löste also nur im Zusammenhang mit einer Trockenperiode einen Brand aus. Es gibt jetzt also schon zwei Ursachen, die Zigarette und den trockenen Wald, und beide für sich allein genommen führen nicht zum Brand. In der Kausaltheorie gibt es eine Denkschablone mit Hilfe derer man solche komplexen Bedingungsgefüge untersuchen kann, die sogenannte „INUS-Bedingung“ des australischen Philosophen John Mackie. Auf den ersten Blick erscheint diese INUS-Analyse etwas kompliziert, aber man kann es schnell erfassen. Nehmen wir zunächst den „IN“ Teil der Analyse, es steht für insufficient but necessary, nicht hinreichend, aber notwendig auf Deutsch. Das klingt kompliziert, aber wenn wir es auf den Waldbrand übertragen wird es deutlich. Der trockene Waldboden und die brennende Zigarette ergeben nur zusammen die Wirkung des Waldbrandes, sie sind also einzeln beide nicht hinreichend, um den Brand auszulösen. Sie sind aber in diesem speziellen Wirkungsgefüge notwendig, weder ohne Zigarette noch ohne Trockenheit wäre der Brand entstanden. „IN“ sagt uns quasi: Beide Aspekte sind notwendig, damit eine Wirkung zustande kommt. Wenden wir uns dem zweiten Teil der INUS-Analyse, dem „US“ zu. Das steht für unnecessary but sufficient, also nicht notwendig aber hinreichend. Was Mackie damit berücksichtigen will, ist dass der Waldbrand ja auch anders als durch die Zigarette und den trockenen Waldboden hätte zustande kommen können. Es hätte ja auch ein Brandstifter mit Kerosin den Wald anstecken können, auch wenn der Boden weniger trocken gewesen wäre. Wir haben also bereits zwei Bedingungsgefüge, entweder Zigarette plus Trockenheit oder Brandstifter plus Kerosin. Jede einzelne dieser Bedingungen ist hinreichend, um den Brand auszulösen. Aber keine einzelne ist notwendig, denn es könnte ja entweder auf die eine oder die andere Weise zustande kommen. Kurz gesagt lehrt uns die INUS-Analyse, dass Wirkungen auf völlig verschiedene Weise zustande kommen können, aber dass in jedem Fall mehrere spezifische Bedingungen erfüllt sein müssen. Die INUS-Analyse zwingt uns zum systemischen Denken, indem sie uns klar macht, dass an einer Wirkung immer mehrere Faktoren beteiligt sind. Sie gibt einen Rahmen für ein Verständnis von „Multikausalität“. 4. Wahrscheinlichkeiten Ein verwandter Aspekt, der uns den Umgang mit Krisen erschwert, ist dass es Menschen sehr schwer fällt in Wahrscheinlichkeiten zu denken. Wir haben bereits gesehen, dass Vorhersagen in komplexen Systemen oft schwierig oder unmöglich sind. Oft ist das Beste, was wir bekommen können, eine Wahrscheinlichkeitsaussage. Prinzipiell sind solche Wahrscheinlichkeiten allerdings immer mit Vorsicht zu genießen. Denn eine Wahrscheinlichkeit ist eine mathematisch-statistische Größe, die wir nur erhalten können, wenn wir entweder ein gutes probabilistisches Modell eines Systems haben (wie etwa in der physikalischen Chemie) oder wenn wir über viele vergleichbare Fälle eine Statistik geführt haben. Im Konzept der Wahrscheinlichkeit ist enthalten, dass wir etwas in der Regel nicht mit absoluter Sicherheit sagen können. Die Gründe für diese Unsicherheiten sind vielfältig. So kann etwa ein Physiker nicht genau vorhersagen, wann ein einzelnes Uran-238 Atom zerfallen wird, er kann nur eine Wahrscheinlichkeit in Form einer Halbwertszeit angeben. Diese Art von Unsicherheit ist möglicherweise in der Natur fest verankert, denn man kann auch mit noch so viel Kenntnis über ein einzelnes Atom die letzte Unsicherheit nicht beseitigen. Mit solchen Unsicherheiten haben wir es jedoch in unserem Alltag eher selten zu tun. Viel häufiger spiegelt eine Wahrscheinlichkeit wieder, dass wir über ein System nicht genug wissen. Wir können sagen, dass ein 55 bis 59-jähriger Mann eine ca. 0.1% Wahrscheinlichkeit hat an Darmkrebs zu erkranken. Allerdings wenn jemand zu einer Vorsorgeuntersuchung geht, und diese negativ ist, reduziert sich dieses Risiko erheblich. Denn durch die Untersuchung erfahren wir etwas über den Körper des Mannes und dadurch können wir die Wahrscheinlichkeiten ganz anders einschätzen. Wir sehen, Wahrscheinlichkeiten haben auch etwas mit unserem Unwissen zu tun. Menschen tun sich im Umgang mit solchen Wahrscheinlichkeiten sehr schwer. Dies belegten Daniel Kahneman und Amos Tversky bereits in den 1970er Jahren durch zahlreiche Studien. So halten wir Ereignisse für viel wahrscheinlicher, wenn wir sie uns gut vorstellen können (die sogenannte „Verfügbarkeitsheuristik“). Wenn also jemand in den Medien viele Filmsequenzen von COVID-19 Intensivstationen gesehen hat, sollte er danach eine Erkrankung für wahrscheinlicher halten, als hätte er die Aufnahmen nicht gesehen. Es gibt zahlreiche Denkfehler im Umgang mit Wahrscheinlichkeiten. Nehmen wir ein Beispiel, dass sich eines Klischees bedient. Häufig stellt man sich Heavy-Metal Fans als langhaarig vor, auch wenn es natürlich viele Ausnahmen gibt. Ist es jetzt wahrscheinlicher, dass ein Mensch Heavy-Metal Fan ist, egal welcher Haarlänge, oder dass er ein Heavy-Metal Fan mit langen Haaren ist? Der erste Impuls ist hier oft zu sagen, dass der Prototyp, den man sich vorstellt, wahrscheinlicher ist, das ist jedoch falsch. Es gibt ja auch Heavy-Metal Fans mit kurzen Haaren, und deshalb ist die Wahrscheinlichkeit eines langhaarigen Fans kleiner, als die eines Fans egal welcher Haarlänge. Diese und ähnliche statistische Denkfehler sind ausführlich auch in der populärwissenschaftlichen Literatur beschrieben worden. Im Zusammenhang mit Wahrscheinlichkeiten stellt sich jedoch nicht nur die Frage: Wie wahrscheinlich ist etwas? Sondern auch: Was sollen wir tun? Nehmen wir an, jemand habe die Entwicklung der Pandemie mathematisch modelliert, und gefunden, dass es zu 80% wahrscheinlich ist, dass die Infektionszahlen immer weiter zurückgehen werden und dass der Virus immer weniger gefährlich wird. Was ist aber mit der umgekehrten Wahrscheinlichkeit von 20%, dass die Infektionszahlen steigen oder dass der Virus gefährlicher wird (oder beides)? Wir neigen in solchen Situationen dazu, uns allein auf das wahrscheinlichste Szenario zu fokussieren, obwohl wir wissen sollten, dass wir auch einen „Plan B“ brauchen, falls dann doch der unwahrscheinlichere Verlauf eintritt. Beim Katastrophenschutz haben wir uns ja längst daran gewöhnt, dass wir auch für unwahrscheinliche Fälle Vorkehrungen treffen müssen. An der Hochwasserkatastrophe 2021 an der Ahr kann man viele dieser Faktoren am Werk sehen. Es gab zwar in den Tagen vor der Flut deutliche Prognosen, allerdings waren diese wie immer Wahrscheinlichkeitsaussagen, die mit großen Unsicherheiten behaftet waren. Hinterher wird natürlich klar, dass ein Aufruf zur Evakuierung der Ortschaften viele Todesfälle hätte verhindern können. Allerdings ist es im Nachhinein immer leicht zu behaupten, man habe den Ausgang im Vorfeld bereits wissen können, da greift der oben beschriebene Rückschaufehler zu. Wenn so viel Unsicherheit besteht, könnte die sehr drastische Maßnahme einer Räumung der Ortschaft sich im Nachhinein als falscher Alarm herausstellen. In vielen Fällen gab es ähnliche Vorhersagen im Vorfeld und es kam nicht zur Katastrophe. Es bedarf also immer einer Risikoabwägung. Der Wetterexperte Bernhard Mühr erklärte Anfang 2022 gegenüber der Welt: „Wir haben eine Warnflut, in der die eigentlichen extremen Warnungen leider untergehen können“. Niemand im Krisenstab scheint die Dringlichkeit erkannt zu haben, weder der Landrat, der mit seinem Hund noch Gassi ging. Ein Mitglied des Krisenstabes meinte das Ausmaß der Schäden erst erkannt zu haben, als er nach Hause ging. Die dringlichen Informationen aus dem Gebiet liefen bei den Betreffenden nicht zusammen. Mit mehr Vorbereitung und Vorplanung, hätte das sicherlich verbessert werden können. Dabei spielt aber auch die Schwierigkeit der Prognose eine Rolle, denn vorherzusagen ob bei dieser Wetterlage eine ganz bestimmte Brücke durch fortgespülten Schutt blockiert wird, ist sehr schwierig. Genau deshalb muss man also auch dann für eine Katastrophe gewappnet sein, wenn man sich nicht 100% sicher ist, dass sie eintreten wird. Die hier genannten kognitiven Faktoren betreffen aber nicht nur unseren Umgang mit Katastrophen. Wir können viele dieser Phänomene auch in unserem Arbeitsalltag beobachten. Wir sehen die Alarmblindheit, wenn die IT-Abteilung den Mitarbeitern immer wieder Hinweise auf mögliche Hackerangriffe verschickt, ohne dass diese bisher in ernster Form eingetreten sind. Die Folge: Man überliest die ständigen Emails, nimmt die Sicherheitsvorschriften nicht mehr so ernst, und setzt sich somit erst recht der Gefahr aus. Wir sehen lineares Denken, wenn wir eine jüngst eingestellte Führungskraft für die unbefriedigende Performance ihrer Abteilung verantwortlich machen, wobei jedoch in Wahrheit das von einer anderen Abteilung entwickelte Produkt am Markt nicht attraktiv ist und jede andere Führungskraft noch schlechte performt hätte. Wir sehen den nachlässigen Umgang mit dem nützlichen Routinewissen der Mitarbeiter, wenn die IT eine neue Softwareversion einführt, durch die alle Gewohnheiten erstmal neu gelernt werden müssen, und die Fehlerrate in der Lernphase sprunghaft ansteigt. Man sieht die Verfügbarkeitsheuristik, wenn man es sich selbst so gut in seiner Vorstellung ausmalen kann, dass die Kunden demnächst alle Roboter zuhause haben wollen oder ihren Kühlschrank ins Internet anschließen möchten. Wir sehen die Normalitätstendenz, wenn trotz deutlicher Signale, dass die Kunden Flachbildschirme wollen, man weiter vermeintlich hochwertige, aber eigentlich veraltete Röhrenbildschirme im Angebot hat. Und auch bei der deutschen Automobilindustrie hat man aus der Ferne den Eindruck, dass sie angesichts der Entwicklung am Automarkt in Richtung Elektromobilität und autonomes Fahren „einfriere“ und business as usual mache. Daraus leitet man eine gefühlte Wahrscheinlichkeit ab, dass es mit der deutschen Autoindustrie sicherlich bergab gehe. Aber vielleicht greift hier auch das Problem des mangelnden Wissens über diesen komplexen Industriezweig, denn deutsche Autobauer sind bei einigen dieser Zukunftstechniken weltweit führend. Ob so oder so, es lohnt sich auf jeden Fall auf die nächste Krise gut vorbereitet zu sein.
- Neurosystemische Ansätze in Beratung und Coaching
Handelt Neurobiologie von „Tatsachen“? Oder handelt sie nicht eher von Interpretationen von Tatsachen, die wiederum von theoretischen Konstrukten abhängen, d.h. von metaphysischen Vorentscheidungen, Vorannahmen, die z.T. gerade auch von Psychotherapeuten stammen, wenn es um den Bereich des Seelischen geht? Dies führt zu der hier notwendig werdenden Frage: Welche Art von Neurobiologie ist überhaupt geeignet, als Herausforderung für Psychotherapie zu fungieren? Inhaltsverzeichnis 1. System-Neurobiologie und das Bio-Psycho-Soziale Modell 2. Systemtheoretische Grundlagen sowie trainings- bzw. beratungsrelevante Theorien sozialer Systeme 3. Neurosystemische Modelle in der Praxis: Das Neurosystemische Panorama Literatur- & Quellenverzeichnis Neurosystemische Ansätze in Beratung und Coaching Aber: handelt Neurobiologie denn überhaupt von „Tatsachen“? Oder handelt sie nicht eher von Interpretationen von Tatsachen, die wiederum von theoretischen Konstrukten abhängen, d.h. von metaphysischen Vorentscheidungen, Vorannahmen, die z.T. gerade auch von Psychotherapeuten stammen, wenn es um den Bereich des Seelischen geht? Dies führt zu der hier notwendig werdenden Frage: Welche Art von Neurobiologie ist überhaupt geeignet, als Herausforderung für Psychotherapie zu fungieren? [...] es handelt sich bei der Art von Neurobiologie, die hier als Partner auftreten kann - dies sei hier im Vorgriff gesagt - um nicht-reduktionistische System-Neurobiologie; d.h. eine rein molekulare Neurobiologie scheidet als Dialogpartner von vorne herein aus, da es wohl nicht möglich ist, mit der Betrachtung von GABA- und Acetylcholin-Molekülen allein die „Geheimnisse der Seele“ zu ergründen. Prof. Dr. med. Dr. phil. Hinderk M. Emrich: Neurowissenschaften als Herausforderung für die Psychotherapie. Vortrag am 23. April 2001, im Rahmen der 51. Lindauer Psychotherapiewochen 2001 1. System-Neurobiologie und das Bio-Psycho-Soziale Modell Mit dem Postulat einer nicht-reduktionistischen System-Neurobiologie und der gleichzeitigen Zurückweisung einer rein biologischen oder biologistischen Neurobiologie als möglichen Partner der Psychotherapien, formuliert Emrich programmatisch, was auch für die Übertragung neurowissenschaftliche Erkenntnisse ins Coaching, in die Beratung und ins Training Gültigkeit haben muss. Dies hat mehrere Gründe: Erstens streben wir fundierten Praxistransfer an, was auch eine hinlängliche wissenschaftstheoretische Redlichkeit beinhaltet. So müssen wir anerkennen, dass seit jeher psychologische Konstrukte mit neurobiologischen Konstrukten sich mischen, wenn wir von so etwas wie dem "Motivationssystem" sprechen. Schließlich ist Motivation keine biologische, sondern eine psychologische Kategorie, während die Ebene des neuronalen Korrelats der Domäne der Biologie zugehört. In ganz ähnlicher Weise überschreiten wir die Grenze vom biologischen ins soziale System, wenn wir etwa von einem „Bindungshormon Oxytocin“ sprechen und seine zentralnervösen Wirkungen auf Situationen in der Familie, im Arbeitsleben oder in anderen gesellschaftlichen Bezügen übertragen. Da wir bei diesem Unterfangen ständig im Grenzbereich zum Kategorienfehler operieren, decouvriert sich erkenntnistheoretische Naivität allzu leicht selbst, wenn diese Grenzüberschreitungen beim Praxistransfer nicht mitreflektiert und als epistemologisches Caveat an der sprachlichen Oberfläche markiert werden. Beispiele gibt es zuhauf. In der Summe tragen Sie dazu bei, dass Transferansätze wie Neurodidaktik oder Neuroleadership oft als "alter Wein in neuen Schläuchen "wahrgenommen werden. So erzeugt die Ersetzung von "Motivation" durch "Dopaminproduktion" keinen Mehrwert, der zu neuen Erkenntnissen oder gar neuen Handlungsoptionen führt. Ebenso unzulässig ist die Generalisierung von einzelnen Studienergebnissen – wie etwa den Befund, dass das subkortikale, mesolimbische Motivationssystem insbesondere auf Erwartungswert-Abweichungen, also auf positive oder negative Überraschungen reagiert, auf komplexe soziale Zusammenhänge wie das Entlohnungs- und Anreizsystem eines Unternehmens (Hütter & Marsch, 2014). Hier ist die reale menschliche Motivation multikausal überdeterminiert, so dass nicht nur völlig gegenteilige Aspekte wie das Bedürfnis nach Transparenz, Fairness, Vorhersagbarkeit mit einer Rolle spielen, sondern, dass jeweils auf Sicht entschieden werden muss: Man stellt Hypothesen auf, handelt vorläufig, beobachtet sorgsam, wie das soziale System eines Teams, einer Abteilung, oder des Gesamtunternehmens reagiert und passt dann nach guter systemischer, man könnte auch sagen: „agiler“ Manier das Anreizsystem wieder an. Wer dagegen aus wissenschaftlichen Befunden, die ja immer, da sie kontrolliert sein müssen, bestimmte Einzelaspekte herausgreifen und unter künstlichen Laborbedingungen gewonnen werden, direkte Handlungsempfehlungen für die Praxis ableitet, handelt meist nicht nur naiv, sondern produziert im besten Fall unhaltbare, im schlimmsten Fall schädliche Pseudoevidenzen (Hütter & van Kempen 2014, Hütter 2015). Nicht ohne Grund stoßen alle, die sich darum bemühen, agile Vorgehensmodelle in Unternehmen zum Leben zu erwecken, auf ähnliche Probleme. Ganz prominent rangieren dabei da Hang zu einer unzulässigen Komplexitätsreduktion, zum Schwarz-Weiß-Denken in Kategorien von “richtig und falsch”, “gut und schlecht” und zu monokausalen Wenn-Dann-Konstrukten an den vordersten Stellen. Hier kann eine systemtheoretisch fundierte Herangehensweise an den Praxistransfer aus den Neurowissenschaften nicht nur das eigene Renommee als Profi schützen, sondern auch die Verträglichkeit und Nützlichkeit unserer Arbeit in Training, Beratung und Coaching deutlich erhöhen. Zweitens, und das ist noch wichtiger als der eigene Ruf: neurowissenschaftliche Erkenntnisse werden erst dann so richtig nützlich, wenn wir uns daran gewöhnen, grundsätzlich an alle drei Systemebenen zu denken: die biologische, die psychische und die soziale Ebene. Eine Monokultur der Biologie führt leicht in plumpen Biologismus und redet dem "Mythos Determinismus" (Falkenburg 2012) nicht selten das Wort. Eine Monokultur des psychischen fördert den bei Mitarbeitenden und Führungskräften oft gleichermaßen unbeliebten "Psychokram", der durch mangelnde Anknüpfung an die hard facts der biologischen und sozialen (z.B. der rechtlichen, ökonomischen und gesellschaftlichen) Ebene gefühlig bis esoterisch wirken kann. Schließlich führt eine Monokultur des Systemischen leicht in eine Überbewertung organisationaler Veränderungen. So herrscht in Teilen der Beraterszene die Illusion, es müsse z.B. nur die veraltete Kulturtechnik des Managements durch neue, holokratische Strukturen ersetzt werden, um Unternehmungen zukunftsfähig zu machen. Diese Perspektive blendet die Gewordenheit psychischer Dispositionen – z.B. eine hohe Risikoaversion und eine geringe Unsicherheitstoleranz vieler Mitarbeiter:innen – weitgehend aus. Einige Protagonisten der Szene gehen sogar so weit, Konzepte wie "Personalentwicklung" oder “Mindset” als anmaßend und unanständig zu betrachten, da sie suggerieren, dass Menschen verändert müssten bzw. dass es an ihren Einstellungen liege, wenn Veränderung im Unternehmen nicht gelingt. Ein Mindestmaß an Realitätskontakt lässt es indes hinlänglich plausibel erscheinen, dass Veränderung – von der individuellen Weiterentwicklung bis hin zur digitalen Transformation von Unternehmen – am besten dann gelingt, wenn neben der Ebene der organisationalen Struktur auch die psychologische und die biologische Ebene gleichermaßen Berücksichtigung finden. Die folgenden Kapitel dieses Skripts wollen eine solche integrative Sichtweise vermitteln, die alle drei Systemebenen berücksichtigt: das biologische System, das psychische System und die sozialen Systeme. Eine wesentliche theoretische Grundlage bildet dabei das biopsychosoziale Modell Des amerikanischen Internisten, Psychiaters und Psychoanalytikers G.L. Engel. Das biopsychosoziale Modell Engel entwickelte sein biopsychosoziales Modell in der zweiten Hälfte des 20 Jahrhunderts als eine Alternative zu den klassischen medizinischen Krankheitsmodellen. Die damalige Zeit war geprägt von einer sich verschärfenden Kontroverse zwischen einem psychologisch, insbesondere behavioristisch ausgerichteten Lager, welches psychische Erkrankungen als Resultate von Lernprozessen betrachtete und einer biomedizinischen Strömung, die genetische und biochemische Faktoren in der Ätiopathogenese und Behandlung von Störungen in den Vordergrund stellte. Engel wurde bewusst, dass beide Schulen die möglichen Behandlungspotenziale durch einseitig verkürzte Blickwinkel nicht zur Gänze auszuschöpfen in der Lage waren. Das von ihm postulierte biopsychosoziale Modell betonte demgegenüber insbesondere die Interdependenz und das Fließgleichgewicht der Wechselwirkungen zwischen den drei Ebenen, welche ständig die jeweils andere Ebene positiv oder negativ beeinflussen können. In diesem Sinne ist das biopsychosoziale Modell an unser heutiges Systemverständnis gut anschlussfähig. Wir haben drei voneinander abgegrenzte Systeme, die jeweils ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten aufweisen, die sich aber gegenseitig beeinflussen. Diese Überlegungen lassen sich nahtlos aus dem medizinischen Bereich ins Coaching, in die Beratung und in die Organisationsentwicklung übertragen. Wie stark die drei Systeme aufeinander einwirken, sollen einige Befunde aus der Forschung verdeutlichen (einen guten Überblick geben Egle et al. (2020). Die Schnittstelle zwischen Biologie und Psychologie ist inzwischen gerade im Bereich der Psychoneuroimmunologie sehr gut erforscht. Insbesondere entzündliche Prozesse führen, z.B. über das sogenannte Zytokin-induzierte Sickness Behavior mit Unwohlsein Fatigue, amotivationalen Zuständen etc. zu depressiven Zuständen. Für einen Teil der manifesten Depressionen geht man heute von einer Verursachung durch unterschwellige inflammatorische Prozesse im Gehirn aus. Die Schnittstelle zwischen Psychologie und Biologie beschreibt zahlreiche gut dokumentierte Auswirkungen psychologischer Faktoren auf die körperliche Gesundheit. Prominent wird dabei das Stresslevel von Menschen, insbesondere über längere Zeiträume untersucht. Insbesondere der „allostatic load“, also die kumulative Last der Lebenszeiten, in denen ein Organismus aus der Homöostase zwischen Anspannung und Entspannung ausgelenkt war, ist zu einem wichtigen prädiktiven Faktor nicht nur der seelischen, sondern auch der körperlichen Gesundheit avanciert. So prädiziert in einer Metaanalyse von sechs prospektiven Längsschnittstudien (mittlere Verlaufsbeobachtung ca. 14 Jahre, annähernd 120.000 Proband:innen) ein um 27% erhöhtes relatives Risiko für das erstmalige Auftreten einer koronaren Herzkrankheit bei hohem im Vergleich zu niedrigem subjektiven Stresserleben (Richardson et al. 2012). Bei Personen mit vorbestehenden arteriosklerotischen Veränderungen erhöht starker Ärger das Risiko eines Myokardinfaktes in der folgenden Stunde um das Fünffache (Mostofsky et al. 2014). Langfristiger wirkt sich die allostatische Last beispielsweise über die Verkürzung der leukozytären Telomerlänge auf das biologische Alter aus (Mathur et al. 2016). Die Schnittstelle zwischen Biologie und der sozialen Sphäre betrifft beispielsweise die Auswirkungen von Erkrankungen auf das soziales Funktionsniveau in der Familie und im beruflichen Leben. So führen körperliche und seelische Erkrankungen oft in die Arbeitslosigkeit, Schmerzerkrankungen führen bisweilen durch die Immobilisierung zur Reduktion sozialer Kontakte und Krebserkrankungen führen bei 26 und 53% Betroffenen zu einem mindestens vorübergehenden Verlust der Arbeitsstelle (Mehnert 2011). Die Schnittstelle zwischen der sozialen Sphäre und der Biologie nimmt die Rückwirkungen der sozioökonomischen Lebensbedingungen von Menschen auf Körper und Gesundheit in den Blick. So ist beispielsweise Arbeitslosigkeit mit einem 63% erhöhten relativen Sterblichkeitsrisiko verbunden (Roelfs et al. 2011). Tragfähige Bindungsbeziehungen und gute soziale Unterstützung wirken bei diversen Erkrankungen protektiv (Garcy & Vagerö 2012) und im Krankheitsfall um bis zu 50% lebensverlängernd (Holt-Lunstad et al. 2010), während schlechte soziale Bindung die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten eines Herzinfarktes und das Versterben an einer kardiovaskulären Ursache erhöht (Barth et al. 2010). Die Schnittstelle zwischen Psychologie und dem sozialen Umfeld verweist unter anderem auf die gravierenden Auswirkungen des psychischen Wohlergehens bzw. psychischer Störungen auf das soziale Funktionsniveau und die Möglichkeit zur Teilhabe an sozioökonomischen Prozessen. So führen psychische Erkrankungen häufig zur Isolation, Abbrüchen in der Schullaufbahn und Einbrüchen in der beruflichen Leistungsfähigkeit. Die Schnittstelle zwischen sozialem Umfeld und psychischem Wohlergehen ist für uns als Trainer:innen, Berater:innen und Coaches besonders oft relevant. Gerade in Krisenzeiten und angesichts einer drohenden Rezession nehmen die Existenzängste zu. Besonders ein subjektiv empfundener niedriger sozioökonomischer Status geht mit chronischem Stresserleben einher (Baum et al 1999). Dieses erhöht die Vulnerabilität für eine Reihe von psychischen und somatischen Erkrankungen. Stress im Arbeitsumfeld erhöht, wie eine Metaanalyse zeigte (Madsen et al. 2017), in den veröffentlichten Studien das relative Risiko für eine Erstmanifestation einer klinischen Depression um 77%. Angesichts der jüngsten Kriegsereignisse in Europa seit zudem darauf verwiesen, dass Fluchtschicksale das Risiko für psychische Störungen bis hin zum Suizid deutlich steigern können (Patel et al 2017). Angesichts der hochgradigen Verwobenheit dieser drei Ebenen, in einem ständig in Bewegung befindlichen Mobile gegenseitiger Beeinflussungen erscheint es geradezu naiv, wie isoliert, man möchte sagen wie “un-systemisch”, wohlgemeinte Maßnahmen zur Steigerung der Gesundheit und Leistungsfähigkeit in Unternehmen oft konzipiert sind. So steht etwa die Rückenschule (biologisches System, das in Unternehmen in den Zuständigkeitsbereich des betrieblichen Gesundheitsmanagements fällt) beziehungslos neben dem Seminar zur Stressbewältigung, zur Persönlichkeitsentwicklung oder zur Verbesserung der Kommunikation, und diese alle wiederum bleiben ohne jegliche Querverbindungen zur Prozessorganisation im Unternehmen, etwa zur SCRUM-Einführung im Projektbereich. So als würde beispielsweise das völlig veränderte Anforderungsprofil und die Notwendigkeit zur Übernahme von mehr Verantwortung in agilen Frameworks nicht zurückwirken auf die psychische Befindlichkeit und das körperliche Belastungsniveau – so als würde der Bewegungsmangel im Homeoffice, zumindest das Wegfallen einer täglichen Ortsveränderung nicht über den Hippocampus auf kognitive und psychische Funktionen zurückwirken und die gerade im agilen Umfeld erforderliche Flexibilität im Denken und Handeln beeinflussen. All diese hier nur angedeuteten Zusammenhänge sind freilich nicht als monokausale Notwendigkeiten, sondern immer nur als Möglichkeiten in einem filigranen systemischen Bedingungsgefüge zu verstehen. Wir müssen jedoch auf dieser Grundlage Hypothesen bilden und diese beobachtend und explorativ auf dem Schirm haben, um wirklich wirksam Lern- und Veränderungsprozesse in Unternehmen begleiten zu können. Dazu braucht es eine gewisse intellektuelle Tiefe und auch einen einigermaßen umfassend ausgebildeten systemtheoretischen Horizont. Dieser soll im folgenden Kapitel skizziert werden, um darauf aufbauend im letzten großen Abschnitt des Skripts ein neurosystemisches Model vorzustellen, das im Coaching, im Training und im Changemanagement zum Einsatz kommt. 2. Systemtheoretische Grundlagen sowie trainings- bzw. beratungsrelevante Theorien sozialer Systeme Achtung! Dieses Kapitel enthält immer wieder Bezüge zu den Neurowissenschaften, aber auch Grundlagen der Systemtheorie, die für alle möglichen Arten von Systemen - einschließlich der sozialen Systeme wie Familie, Team, Unternehmen, Gesellschaft gelten. Mit der Systemtheorie auf “Du und Du” zu stehen, hat sich nicht nur für die Beratungspraxis als wichtig erwiesen - es steigert vor allem auch Nutzen und Niveau bei der Anwendung neurowissenschaftlicher Befunde ganz erheblich! Unter dem Titel "Weiterbildungsszene Deutschland" veröffentlicht der managerSeminare Verlag fast jährlich Honorarentwicklungen, Stimmungsbilder und auch Methodenstudien zu den in unserer Branche häufig zur Anwendung kommenden praktischen Tools, aber auch den zugrundeliegenden Theorien. Dabei zeigt sich schon im Jahr 2014 (Quelle) ein Kopf-an-Kopf-Rennen neurowissenschaftlicher Erkenntnisse mit den in Train the Trainer und Train the Coach Ausbildungen weitaus länger etablierten konstruktivistisch- systemtheoretischen Inhalten und Methoden. Dennoch hat das Gros der Kolleg:innen nur einen schemenhaften Überblick über systemtheoretische Fundamente. Dies ist gerade für Anwenderinnen und Anwender der Neurowissenschaften in unserer Branche besonders bedauerlich. Denn seit den Macy Konferenzen (1946-1953), denen wir, salopp gesprochen, von der Digitalisierung bis hin zu heutigen Biotech-Anwendungen die Hälfte der heutigen Welt verdanken, sind die Neurowissenschaften, die Kybernetik und die verschiedenen Systemtheorien auf’s Engste miteinander verwoben. Diese Verbindung wurde umso stärker, als die Neurobiologen Francisco Varela & Umberto Maturana 1980 mit ihrem Buch "Der Baum der Erkenntnis" den neurobiologischen Konstruktivismus und ihr Konzept der autopoietischen Systeme zum prägenden Einflussfaktor der Systemtheorie machten. Da in der systemtheoretischen Szene Deutschlands eine gewisse Luhmann-Monokultur vorherrscht, die in deutlichem Gegensatz zur Luhmann-Rezeption in anderen Teilen der Welt und auch in den aktuellen Gesellschaftswissenschaften steht, soll hier ein breites Spektrum an praxisrelevanten systemtheoretischen Konzepten dargestellt werden. So ergeben sich übertragbare Ideen, die bei einer Blickfeldverengung auf Luhmann nicht entstünden. Vor allem aber werden so Zusammenhänge deutlich, die die Anverwandlung systemtheoretischer Konzepte für die eigene Arbeit und auch ihre Integration in die eigenen neurowissenschaftlichen Reflexionen deutlich erleichtern können. Geschichte und Köpfe der Systemtheorie Ursprünge eines systemischen Denkens lassen sich in der Geschichte weit zurückverfolgen und vermutlich - mit etwas gutem Willen – schon bei antiken Philosophen auffinden. Zu den unmittelbareren Vorläufern sind die Feldtheorie von Kurt Lewin (1890-1947) und die Gestaltpsychologie Jean Piagets (1896-1980) zu rechnen. Konstitutive Beiträge lieferten die beiden Begründer des Strukturfunktionalismus, der polnische Mathematiker und Anthropologe Bronislaw Malinowski (* 1884 in Krakau, Polen, + 1942 in New Haven, USA) und der britische Psychologe, Ökonom und Sozialanthropologie Alfred Radcliffe-Brown (* 1881 in Birmingham, + 1955 in London). Malinowski, bekannt geworden durch sein 1922 erschienenes Hauptwerk „Argonauts of the Western Pacific“. An Account of Native Enterprise and Adventure in the Archipelagoes of Melanesian New Guinea gilt er als Vater der Feldforschung. Er entwickelte das Konzept der teilnehmenden Beobachtung und ist insofern ein Vorläufer des Ethnologen Clifford Geertz (1926-2006). Schon Malinowski unterscheidet zwischen einem Beobachter erster und zweiter Ordnung, also, angewandt auf unsere Welt, einem Coach, der das Verhalten eines Klienten beobachtet und einem Supervisor, der den Beobachter beobachtet. Mit Alfred Radcliffe-Brown (The Andaman Islanders, 1922) rücken wir bereits sehr nahe an unseren neurobiologischen Interessenschwerpunkt heran. Schließlich war er es, der selbstregulierende biologische Systeme wie den menschlichen Körper mit seinen Organen als Vorlage für Funktionsmechanismen einer Gesellschaft heranzog. In seiner strukturfunktionalistischen Theorie wurden insbesondere gesellschaftliche Strukturen wie Rituale, Institutionen und "Entscheidungsorgane” als konstitutiv für die Funktionsfähigkeit und Stabilität Organisationen und Gesellschaften angesehen. In seinem Fokus auf Institutionen und "Organe" weist der Strukturfunktionalismus einen deutlichen Unterschied zur Denkungsart heutiger Systemtheorien auf, die weniger in dinglichen Elementen als in Prozessen denken. Während also Malinowski und Radcliffe-Browns Gedankenwelt das Augenmerk noch verstärkt auf die Beziehungen zwischen dem Ganzen und seinen Teilen legt und noch optimal mit den “Organigrammen” als “Anordnungsschema” der “Organe” einer “Organisation” kompatibel ist, verweist die Weiterentwicklung des Strukturfunktionalismus in Richtung Systemfunktionalismus, schon auf den heute weitaus gängigeren (aber in der Praxis immer noch sehr unzulänglich nachvollzogenen) Prozessblick. An der Schwelle zwischen den beiden Paradigmen steht ein großer Name: Der US-amerikanische Soziologe und Ökonom Talcott Parsons (* 1902 in Colorado Springs, + 1979 in München). Mit seinem in den 50er Jahren des 20 Jahrhunderts entwickelten AGIL-Schema legte er die Grundlagen für einen das Zeitalter der Digitalisierung prägenden Zugang zur Arbeitsorganisation, nämlich den unterschiedlichen agilen Frameworks wie sie am prominentesten (aber bei weitem nicht erschöpfend) im SCRUM-Modell ihren Niederschlag finden. Im AGIL Schema ist bezeichnenderweise eben nicht mehr von Institutionen und “Organen”, sondern von Funktionen die Rede, die ein System erfüllen muss, um überlebensfähig zu sein. Damit ist das AGIL-Modell ein Meilenstein auf dem Weg zur modernen Theorie sozialer Systeme. Nicht auszudenken, welche Erfolge möglich wären, wenn Beratende sich dessen bewusst wären und das Instrumentarium des systemischen Denkens auf die Entwicklung agilitätsfreundlicher Ökosysteme zur Anwendung brächten! Schon vor der Definition des AGIL-Schemas (The Social System, 1951) wurde Parsons mit seiner voluntaristischen Handlungstheorie bekannt (The Structure of Social Action: A Study in Social Theory with Special Reference to a Group of Recent European Writers. 1937), deren Grundzüge im AGILen Bezugsrahmen noch deutlich erkennbar sind. Im Gegensatz zu Malinowski und Radcliffe-Brown sind nicht die Institutionen (“Organe”), sondern Handlungen Elemente des sozialen Systems. Damit ist - wie später noch radikaler bei Luhmann, Schon bei Talcott Parsons der Schwerpunkt von den Entitäten auf die Operationen eines Systems verschoben. Man kann sich vielleicht aus heutiger Perspektive überhaupt nicht mehr vorstellen, welche revolutionäre Sprengkraft hinter diesen Perspektivenwechsel steckt. Wer nicht mehr primär an Individuen oder Institutionen, sondern an Operationen denkt, ist in der Lage, Abläufe sozusagen ohne Ansicht der Person bzw. ohne Schuldzuweisung an versagende Individuen oder dysfunktionale Abteilungen zu denken. Der Blick wird frei auf die Prozesse, die im Zwischenraum zwischen den Stühlen stattfinden und oft die ungeschriebenen, aber nicht minder ergebniswirksamen Abläufe ausmachen. Daher rührt es, das auch heute noch die Einführung agiler Frameworks einen radikalen Shift in althergebrachten Denkgewohnheiten erfordert und dass das Scheitern vieler Transformationsprozesse durch das Fehlen genau dieses erfolgsentscheidenden Perspektivenwechsels gut erklärbar ist. Man benutzt das Vokabular aus dem agilen Begriffsraum die Zauberworte, deren Bedeutung man nicht versteht und wundert sich, dass der Zauber allzu schnell wieder verpufft. Das AGIL-Schema nach Talcott Parsons Das AGIL-Schema beschreibt vier Untersysteme eines übergeordneten Handlungssystems. Sie müssen die folgenden Funktionen erfüllen, damit das System überlebensfähig bleibt: · Adaptation (Anpassung): meint die Fähigkeit eines Systems, auf sich verändernde Umweltbedingungen - also beispielsweise auf neue Marktanforderungen, die Situation steigender Energiepreise etc - zu reagieren und sich entsprechend anzupassen. Es ist ein Verhaltenssystem und beruht auf Bedürfnissen, die befriedigt bzw. in Ausgleich gebraucht werden müssen. Ein makrostrukturelles Adaptation-System ist das Wirtschaftssystem. · Goal-Attainment (Zielverfolgung): meint die Fähigkeit eines Systems, sich immer wieder Ziele zu setzen, die Zielerreichung zu monitoren und wichtige Ziele zu erreichen oder anzupassen. Es handelt sich um ein persönliches System, das auf Motiven beruht. Ein makroskopisches Goal-Attainment-System ist das politische System. · Integration (Inklusion): meint die Fähigkeit eines Systems Zusammenhalt (Kohäsion) herzustellen und Integration zu ermöglichen. Die Integrationsfunktion konstituiert ein soziales System, das sich auf sozialen Rollen gründet. Ein makroskopisches Integrations-System ist das Gemeinwesen. · Latency / Latent Pattern Maintenance (Aufrechterhaltung): meint die Fähigkeit eines Systems, konstitutive Strukturen, Wertschöpfungsmuster etc. aufrecht zu erhalten. Latency bezieht sich auf ein kulturelles System, das auf Wertvorstellungen, Symbolen und Normen beruht. Ein makroskopisches Latency-System ist die Kultur einer Gesellschaft (oder - eine Größenordnung kleiner: einer Organisation). Entlang der Kette A-G-I-L nehmen die Neues ermöglichenden Kräfte ab und die Ordnung stiftenden Kräfte zu. Im übergeordneten Handlungssystem bilden die einzelnen Buchstaben Subsysteme mit jeweils eigenen Funktionen: Das AGIL-Schmema ist anhand der Dimensionen aktiv-passiv sowie instrumental-konsumatorisch untergliedert. Aktive Handlungstreiber sind die Funktionen der Anpassung und Zielerreichung (AG). Eher passiv-bewahrende Funktionen sind die Integration und die Latenz gegenüber Veränderungen (IL). Instrumental, also kein Selbstzweck, sondern Hilfsmittel zur Erfüllung anderer Zwecke sind die gegensätzlichen Funktionen der Anpassung und der (gegenüber der Anpassung zögerlichen) Latenz (AL). Konsumatorisch, also direkt Nutzen und Mehrwert stiftend, sind die Funktionen der Zielerreichung und der Integration (GI). Parsons hat damit Fundamente gebaut, ohne die nicht nur das agile Gedankengut undenkbar wäre, sondern auf denen auch unsere moderne Theorie sozialer Systeme in ganz wesentlichen Teilen aufbaut. Dabei nahm er insbesondere auch online bei der allgemeinen Systemtheorie des österreichischen Biologen Ludwig von Bertalanffy (* 1909 in Atzgersdorf, Österreich, + 1972 in Buffalo, USA, General System Theory. In Biologia Generalis 1/1949. S. 114 -129) teil. Als Pionier der allgemeinen Systemtheorie ist es seine geistige Leistung, Analogien in der grundsätzlichen Funktionsweise physikalischer, biologischer und soziale Systeme erkannt und diese in einem umfassenden Theoriegebäude vereint zu haben. Als Prinzipien, die von einer Klasse von Systemen auf andere übertragbar sind, identifizierte er Komplexität, Gleichgewicht, Rückkopplung und Selbstorganisation. Der humanistische Ansatz in der Systemtheorie. Selbstorganisation gehört freilich zu einem jener bis heute noch meist unverstandenen Schlagworte, die bisweilen – zum Schaden von Menschen und Projekten – mit "Selbstläufer "verwechselt werden. Was Selbstorganisation genauer bedeutet, erfahren wir von dem britischen Psychiater und Kybernetiker William Ross Ashby (* 1903 in London, + 1972 in Westons). In seiner berühmten Publikation „Design for a Brain. The Origin of Adaptive Behavior“ aus dem Jahr 1952 legt Ashby Grundzüge seiner Theorie nieder. Er entwickelt die wissenschaftlichen Grundlagen für das Prinzip der Homöostase als Aufrechterhaltung eines Gleichgewichtszustandes in einem dynamischen System durch einen internen Regelungsprozess, der der Selbstorganisation des Systems nach den Prinzipien der Komplexität, Selbstreferenz, Redundanz und Autonomie zugrunde liegt. Dabei besagt Ashby’s Law (Law of Requisite Variety), für das er einer breiten Öffentlichkeit auch heute noch bekannt ist, dass die Fähigkeit eines Systems, Störungen auszugleichen mit der Handlungsvarietät des Systems zunimmt. In anderen Worten: je mehr Wahlmöglichkeiten sich ein System (zum Beispiel ein Unternehmen) schafft, umso besser kann es mit Störungen (zum Beispiel der Rezession) umgehen und desto eher hat es Einfluss auf angrenzenden Systeme (zum Beispiel den Markt und den Wettbewerb). Ashby's Ableitung des Selbstorganisationsprinzips aus der Sphäre der Biologie (“Design for a Brain”) zeigt, wie wichtig die Analyse lebender Systeme für die Entwicklung einer allgemeinen Systemtheorie war und welchen zentralen Beitrag zum Verstehen von Systemen unsere Beschäftigung mit den Neurowissenschaften leisten kann. Dieser Zusammenhang tritt noch deutlicher anhand des Beitrags der chilenischen Neurobiologen Francisco Varela (* 1946 in Santiago de Chile, + 2001 in Paris) und Umberto Maturana (* 14. September 1928 in Santiago de Chile; † 6. Mai 2021 in Santiago de Chile) zutage. In ihrem 1980 erschienenen Buch "Der Baum der Erkenntnis" treiben sie das Selbstorganisationsprinzip mit ihrem Autopoiesis-Konzept sozusagen auf die Spitze. Das griechische Wort Auto-Poiesis bedeutet wörtlich übersetzt Selbsterzeugung und bezeichnet die Fähigkeit von Systemen, sich durch eine geringe Anzahl von wiederholten Operationen selbst hervorzubringen und in ihrer Funktionsfähigkeit aufrechtzuerhalten. “Die Erfahrung von jedem Ding ‚da draußen‘ wird auf eine spezifische Weise durch die menschliche Struktur konfiguriert, welche ‚das Ding‘, das in der Beschreibung entsteht, erst möglich macht. Diese Zirkularität (…) sagt uns, dass jeder Akt des Erkennens eine Welt hervorbringt.“ Niklas Luhmann hat diesen Gedanken dahingehend weiter radikalisiert, dass er allen Gebilden, die nicht in der Lage sind, sich dergestalt selbst zu erzeugen und aufrechtzuerhalten den Systemcharakter abspricht. Demnach fallen nach Luhmann menschengemachte "Computersysteme" oder andere technische Systeme nicht unter den eigentlichen Systembegriff. Varela und Maturana sind zudem die Begründer des neurobiologischen Konstruktivismus, der für einen zentralen Aspekt dessen, was wir heute unter systemisch-konstruktivistischem Denken verstehen. Insbesondere mit Verweis auf die wenigen Millionen sensorischen Neuronen, die unser Gehirn mit der Außenwelt verbinden und auf die noch geringere Anzahl an motorischen Neuronen, mit der wir handelnd in die Welt hineinwirken, zeigen sie auf den riesigen “Wulst an Interneuronen”, die um den Faktor 100.000 überwiegen und letztlich eine Art von neuronalen Selbstgesprächen führen. Die Rede ist von der Selbstreferentialität des neuronalen Systems, das alle äußere Weltwahrnehmung letztlich als kontingente Konstruktion aufscheinen lässt. Dabei gerät auch der epistemologische Status des forschenden Beobachters als Ausgangspunkt der empirischen Forschung in Zweifel. Schließlich müssen blinde Flecken entstehen, wenn Gehirne zu beobachten vermeinen und damit - ganz im Sinne von George Spencer Brown’s (* 1923 in Grimsby, UK, + 2016 in Market Lavington, UK) Re-entry - die Interpunktionen, die sich aus dem Beobachtungssystem ins beobachtete System hineinkopieren (Brown’s Beobachterdilemma, das aus dem Prinzip der Unterscheidung hervorgeht, Laws of Form, 1969). Systemgrenzen spielen von der Biologie (Zellmembran) bis hin zum Großkonzern (Coroprate Identity) eine entscheidende, systemkonstituierende Rolle. Ganz im Sinne eines radikalen Konstruktivismus wird so auch der wissenschaftliche Diskurs von einer objektiven Tatsachenfeststellung zu einer Konstruktion, die immer auch anders hätte erfolgen können. Dementsprechend zurückhaltend verhalten sich die Vertreter der konstruktivistischen Richtung auch gegenüber den direkten Einwirkungsmöglichkeiten auf die Welt. Systeme sind nach dieser Auffassung eben nicht “manageable”, keinem “Engineering” zugänglich, sondern verhalten sich eben autopoietisch, das heißt: operational geschlossen nach eigenen inneren Gesetzen. Veränderung ist dabei allenfalls im Modus des Setzens von Störimpulsen möglich. Es sind diese von den System-Umwelten ausgehenden Störungen (“Perturbation”), die die innere Stabilität des Systems auslenken, möglicherweise sklerotisierte Strukturen wieder gängig machen und somit eine autonome Neuroganisation des Systems anregen können. Weitere wichtige Vertreter des radikalen Konstruktivismus sind Ernst von Glasersfeld (* 1917 in München, + 2010 in Leverett, USA, “Der radikale Konstruktivismus. Ideen, Ergebnisse, Probleme, 1996”) Heinz von Foerster (* 1911 in Wien, + 2002 in Pescadero, USA, “Observing Systems”, 1981) und natürlich Paul Watzlawick (* 1921 in Villach, Österreich, + 2007 in Palo Alto, USA 1976, “Wie wirklich ist die Wirklichkeit?“). Von Glasersfeld führt das auch heute noch für die Beratung extrem wichtige Konzept der Viabilität, also der “Gangbarkeit”, “Brauchbarkeit”, man könnte auch sagen, der “Lebensdienlichkeit” in die systemische Welt ein. Sie ersetzt den Anspruch auf einen ontologischen Wahrheitsanspruch, wendet sich jedoch nicht gegen die Möglichkeit einer Falsifikation im Sinne des bedeutenden Wissenschaftstheoretikers Karl Popper (*1902 in Wien, 1994 in London, “Falsifikationismus”). Das Konzept der Viabilität findet sich - angewandt auf die Lebensfähigkeit von Organisationen - auch in Stafford Beer’s (*1926 in London, +2002 in Toronto) Viable System Model, mit dem er die Managementkybernetik begründete und damit unter anderem eine theoretische Grundlage für das heute einflussreiche St. Galler Modell Fredmund Maliks (*1944, Lustenau, Österreich) legte. Heinz von Foerster, von dem der berühmte Satz stammt, “Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners”, gilt als Sokrates des kybernetischen Denkens. Während die klassische Kybernetik nach Norbert Wiener (* 1894 in Columbia, USA, + 1964 in Stockholm, Schweden) als Erforschung der Mechanismen von Steuerung und Regelung in technischen, aber auch in biologischen Systemen Beobachtung erster Ordnung ist, führt von Förster in seiner Übertragung der Kybernetik in die sozialen Systeme den Beobachter 2. Ordnung ein, der wiederum den Beobachter und den Akt des Beobachtens beobachtet. Diese “Kybernetik 2. Ordnung” ist eine wesentliche Voraussetzung für die Luhmann’sche Systemtheorie. Paul Watzlawick schließlich ist der wohl bekannteste Vertreter der Palo-Alto-Gruppe, die am dortigen Mental Resarch Institute (MRI) forschten und - über die Psychotherapie großen Einfluss auf die systemische Beratungsszene auch in Europa nahm. Dazu trugen neben fachwissenschaftlichen Publikationen (z.B. Pragmatics of human communication. A study of international patterns, pathologies, and paradoxes, mit J. Beavin Bavelas, D. D. Jackson, 1967) in besonderem Maße populäre Bücher wie die berühmte Anleitung zum Unglücklichsein, 1983 bei. Inspiriert durch die Arbeiten des Anthropologen Gregory Bateson (*1904 in Grantchester, UK, + 1980 in San Francisco) forschte die Palo Alto Gruppe zunächst an Schizophrenie und schließlich - über die systemische Familientherapie - an Kommunikation im allgemeinen. Dabei kann der fortwirkende Einfluss von Bateson nicht hoch genug eingeschätzt werden. Ihm verdanken wir viele Konzepte, die heute aus der Kommunikationspsychologie nicht mehr wegzudenken sind: von den (ursprünglich als schizophrenogen gedachten) Doppelbindungen (double bind communication) über das Konzept der Metakommunikation bis hin zu der an Bertrand Russel und Alfred North Whiteheads angelehnten logischen Stufen des Lernens. Die Palo-Alto Gruppe hat das, was wir heute unter systemischem Coaching und systemischer Beratung verstehen, ganz wesentlich beeinflusst. Durch den engen Kontakt Paul Watzlawicks prägte die Arbeit am MRI ganz wesentlich das Mailänder Modell der systemischen Familientherapie von Mara Selvini Palazzoli (1916 - 1999). Palazzoli war unter anderem bekannt für ihre Arbeit mit paradoxen Interventionen, zum Beispiel in Form von Problemverschreibungen. In Mailand entstand auch, in Weiterentwicklung der Idee des Beobachters höherer Ordnung die Zwei-Kammer-Methode, in der Therapeut:in und Patient:in von Co-Therapierenden durch eine Einwegscheibe oder per Videoübertragung beobachtet werden, so dass das Therapieteam dann nach einer präfinalen Abstimmung eine möglichst passende Abschlussintervention entwickeln kann. Dank einer Weiterentwicklung durch den norwegischen Sozialpsychiater Tom Andersen entstand die heute in Seminaren weit verbreitete Methode des Reflecting Team, in der Coach und Klient:in / Fallgeber:in am Ende den Reflexionen der “Co’s” lauschen und dann ihre Reaktionen in einen weiteren Reflexionsprozess einfließen lassen. Ebenso einflussreich wie die Mailänder Schule wirkte die US-amerikanische systemische Familientherapie über Virginia Satir (*1916 in Neillsville, Wisconsin, + 1988 in Kalifornien) auf das Geschehen in Europa ein. So gelten Satir’s Familienskulpturen und Familienkonstruktionen als Vorläufer der systemischen Aufstellungsarbeit und Satir’s Parts Party als Vorläufer der Teilearbeit, wie sie beispielsweise mit dem Konzept des „Inneren Teams“ durch den Hamburger Psychologen Friedemann Schulz von Thun aufgegriffen wurde. Da die in der Öffentlichkeit sehr bekannte “systemische Familienaufstellung” nach Bert Hellinger aufgrund ihrer phänomenologischen Orientierung und ihres direktiven Habitus inkompatibel mit dem konstruktivistischen Grundverständnis der heutigen Systemtheorie ist, wird die systemische Aufstellugnsarbeit in Deutschland insbesondere mit den Namen Insa Sparrer und Matthias Varga von Kibéd verbunden. Weitere Einflüsse auf die deutsche “systemische Szene” gehen von der Schule von Milwaukee in Form der lösungsfokussierten Kurzzeittherapie nach Insoo Kim Berg und Steve de Shazer aus. Sie sind inspiriert vom Gedanken des Sprachphilosophen Ludwig Wittgenstein, dass Problem und Lösung zwei unterschiedlichen Welten angehören. Ferner nutzen sie die vom Hypnotherapeuten Milton H. Erickson stammende Konzeption der Therapie als Lösungsprozess vom Problem (“Die Lösung ist die Lösung”). Als prominente Methoden der lösungsfokussierten Kurzzeittherapie haben auch die Skalenfragen und die Wunderfrage aus Milwaukee unsere Seminarräume erreicht. Einen, wenn nicht den wichtigsten Brückenkopf der systemischen Szene in Deutschland bildet die Heidelberger Schule um den erst unlängst verstorbenen Helm Stierlin (*1926 in Mannheim, + 2021). In enger Zusammenarbeit mit der Palo Alto Gruppe und der Mailänder Schule verbreitete und entwickelten sie systemisch-konstruktivistische, hypnosystemisch-lösungsorientierte und narrativ- dekonstruktionistische Arbeitsweisen (Michel Foucault, *1926-1984) weiter und verbreiteten sie über den therapeutischen Kontext hinaus im systemischen Coaching und in der systemischen Organisationsberatung. Bekannte Vertreter der Heidelberger Schule sind neben Helm Stierlin Gunthard Weber, Fritz B. Simon, Gunther Schmidt, Jochen Schweitzer, Arnold Retzer und Hans Rudi Fischer. Einflussreiche Gründungen aus dem Heidelberger Systemiker-Kreis sind die Internationale Gesellschaft für systemische Therapie (IGST), der Carl Auer Verlag, Simon, Weber and Friends und das Wittener Institut für Familienunternehmen der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Witten/Herdecke. Während die Heidelberger Schule insgesamt stärker auf die praktischen systemischen Methoden und Modelle im systemischen Coaching und in der systemischen Organisationsberatung einwirkt, sind zwei weitere Denkschulen als Metatheorien und als Folie für das Verständnis einer künftig sich fortentwickelnden Neurosystemik unabdingbar: 1. Die Theorie sozialer Systeme nach Niklas Luhmann 2. Die Synergetik von Hermann Haken in deren Tradition auch 3. die personenzentrierte Systemtheorie nach Jürgen Kriz anzusiedeln ist. 1. Die Theorie sozialer Systeme nach Niklas Luhmann Über Luhman (*1927 in Lüneburg, + 1998 in Oerlinghausen) ist viel gesagt und geschrieben worden. Die meisten Leser:innen dieses Skripts werden in ihren Trainer- und Coach-Ausbildungen intensiv mit dem Luhmann’schen Gedankengut in Kontakt gekommen sein. Deshalb hier nur ein kurzer Abriss wesentlicher Landmarken seiner sperrigen und oft doch so nützlichen Theorie. Wer Luhmann-Lücken hat oder auf vergnügliche Weise tiefer in die Thematik einsteigen will, dem sei das Buch “Luhmann leicht gemacht” von Margot Berghaus empfohlen. Hier die wichtigsten Kernpunkte: Nach Luhmann hat jedes System eine konstitutive Operationsform: 1. Biologische Systeme operieren durch Leben 2. Psychische Systeme operieren durch Bewusstseinsprozesse (Wahrnehmen, Denken, Fühlen, Wollen, Aufmerksamkeit) 3. Soziale Systeme: operieren durch Kommunikation Bewusstsein und Leben sind nicht Teil sozialer Systeme, sondern ermöglichende Umwelt. Auch Menschen kommen in den sozialen Systemen Luhmanns nicht - beziehungsweise nur in der nachträglichen Beobachtung, vor. Die radikale Position Luhmanns lautet also: Menschen kommunizieren nicht, nur Kommunikation kommuniziert. Auch sind Menschen selbst keine Systeme – sie haben an den oben genannten Systemen Anteil. So besteht Kommunikation auch nicht aus Handlungen von Personen, sondern lässt sich nur aus der Beobachterperspektive nachträglich dergestalt beschreiben. Hierin unterscheidet sich Luhmann radikal von Talcott Parsons’ intentionaler Handlungstheorie, die Luhmanns Theorie sozialer Systeme den Weg bereitet hatte: Ein soziales System kommt zustande, wenn immer ein autopoietischer Kommunikationszusammenhang entsteht und sich durch Einschränkung der geeigneten Kommunikation gegen eine Umwelt abgrenzt. Soziale Systeme bestehen demnach nicht aus Menschen, auch nicht aus Handlungen, sondern aus Kommunikationen. Während die drei Makrosysteme ebenso wie die gesellschaftlichen Untersysteme sich jeweils in operativer Geschlossenheit autopoietisch selbst organisieren, bilden Sie füreinander Umwelten, die sich gegenseitig anregen und in einen Prozess der Co-Evolution eintreten können. Systeme bringen, wie schon von Foerster feststellte, emergente Eigenschaften hervor, die sich nicht als einfache Summenwirkung der Teile erklären lassen. Besonders bedeutsam für Coaching und Organisationsberatung ist das Luhmann’sche Kommunikationsmodell. In scharfer Abgrenzung zum allseits bekannten informationstheoretischen Sender-Empfänger-Modell der Kommunikation (Claude Elwood Shannon, * 1916 in Petoskey, USA, + 2001 in Medford, USA und Warren Weaver, * 1894 in Reedsburg, USA, + 1978 in New Milford, USA; The Mathematical Theory of Communication, 1949) findet Kommunikation nicht als Übermittlung einer Nachricht über einen Kanal statt. Vielmehr beruht Kommunikation auf einer dreifachen Selektion: · Die Selektion der Information verweist auf die Tatsache, dass nur ein geringer Teil dessen, was potenziell Information sein könnte, auch als Information selektiert wird. Alles, woran der Autor dieses Skripts gerade nicht denkt, tritt nicht einmal als mögliche Information auf den Plan. · Die Selektion der Mitteilung bezeichnet den Selektionsschritt, in dem aus den vorhandenen Informationen etwas für die Mitteilung ausgewählt werden muss. Nicht alles, was der Autor gerade im Kopf hat, kann und will er sagen. Doch selbst wenn: noch ist keine Kommunikation zustande gekommen, auch wenn noch so viel gesagt oder geschrieben wurde. Nach Luhmann käme Kommunikation also zum Beispiel nur im Akt des Lesens dieses Skripts oder des Anhörens des zugehörigen Vertrages zustande, und auch nur dann, wenn der Inhalt als Kommunikationsangebot angenommen wird. Das nennt Luhmann · die Selektion des Verstehens. Dabei meint Verstehen noch nicht einmal das Verstehen des Inhaltes, sondern einfach das Verstehen und Annehmen der Tatsache, dass jemand etwas kommunizieren will. Luhmann denkt Kommunikation also vom Ergebnis her. Kommunikation ist nach Luhmann nicht dann erfolgreich, wenn jemand überzeugt ist, sondern einfach, wenn sie Anschlusskommunikation erzeugt. Erfolg entsteht, wenn aus der Kommunikation etwas erfolgt. Denn Kommunikation ist im sozialen System das, was Leben im biologischen und Liquidität im wirtschaftlichen System ist. Ohne Anschlusskommunikation stirbt die Kommunikation und mit ihr das soziale System. Insgesamt ist der Erfolg von Kommunikation unwahrscheinlich, da jeder Selektionsschritt auch anders hätte ausfallen können. Woher weiß ich, dass jemand die relevante Information ausgewählt oder mitgeteilt hat? Keiner der Beteiligten weiß es. Das erscheint suboptimal, doch genau diese “doppelte Kontingenz” bewirkt auch, dass alle Beteiligten im gleichen Boot sitzen. Wir können einander also entweder alle vertrauen oder alle misstrauen. Vertrauen aber, so Luhmann reduziert die Komplexität und damit auch die Transaktionskosten. Gerade durch ihre konsequente Hinlenkung des Augenmerks auf die Kommunikationsprozesse und die Kommunikationsmedien, ist die Luhmann’sche Theorie sozialer Systeme im Coaching und in der Organisationsberatung nach wie vor von hohem praktischen Nutzwert. Dennoch ist zu bedenken, dass sie Trainer Trainings und Coach Trainings leider oft bei Luhmann stehenbleiben und die Weiterentwicklung in der Systemtheorie kaum mitvollziehen. Eine wesentliche Weiterentwicklung ist die Synergetik und ihre Übertragung auf die Analyse komplexer, dynamischer Sozialsysteme. 2. Die Synergetik von Hermann Haken und die Personenzentrierte Systemtheorie nach Jürgen Kriz Die Synergetik wurde von Hermann Haken (*1927 in Leipzig) ursprünglich im Zusammenhang mit dem Laserlicht als Beispiel für Wechselwirkungen in einem komplexen, dynamischen Nichtgleichgewichtssystem entwickelt. Inzwischen wird sie auf Selbstorganisationsphänomene in so unterschiedlichen Disziplinen wie der Physik, Chemie, Biologie, Psychologie und Soziologie angewandt. Wichtige und heute in der Beratungspraxis gängige Konzepte, die der Synergetik entstammen, ist die Komplexitätsreduktion durch einige wenige Ordnungsparameter, das Versklavungsprinzip, und die Theorie der Phasenübergänge zwischen zwei Ordnungsmustern. Wer den Praxiswert dieser Begriffswelt erleben möchte, sei auf das sehr lesenswerte next practice-Buch von Peter Kruse (1955-2015) verwiesen. Von zunehmender Wichtigkeit wird - gerade angesichts der stagnationsfördernden Luhmann-Fixierung in der systemischen Beratungsszene - die auf der Synergetik fußende Personenzentrierte Systemtheorie von Jürgen Kriz (*1944 in Ehrhorn, Subjekt und Lebenswelt, 2017). Neben vielen praxisrelevanten und erfrischend neuen Aspekten, deren Darstellung hier den Rahmen sprengen würde, hat dieser Ansatz zwei Vorzüge, die ihn für die Praxis besonders vielversprechend machen: 1. Die Wiedereinführung des Menschen als Agenten systemischer Prozesse. Nach einer langen Luhmann’schen Winterpause kann Beratung wieder näher an die Lebenswelt unserer Klient:innen rücken. 2. Der Ansatz integriert ganzheitlich die nicht-linearen Interaktionen, nicht nur der üblicherweise berücksichtigten psychischen und interpersonellen Prozesse, sondern explizit auch der somatischen und kulturellen Einflüsse. 3. Außerdem berücksichtigt er systematisch die Komplementarität subjektiver und objektiver Befunde. Schließlich sind die sprachlichen Selbstbeschreibungen von Klient:innen durch die kulturelle Gewordenheit der Sprache geprägt, wodurch Denken und Selbstoffenbarung immer ein Stück weit durch kulturgeprägte Stereotypen (“wie spricht man über Gefühle”) verfälscht werden. Damit ist die Personenzentrierte Systemtheorie nicht nur mit dem eingangs als grundlegend beschriebenen Bio-Psycho-Sozialen Modell kompatibel, sie ist eine beratungstaugliche Weiterentwicklung dieses Denkens, die es um eine subjektive und objektive Perspektive sowie um das Konzept vielfacher Wechselwirkungen mit hohen Emergenzpotenzialen erweitert. 3. Neurosystemische Modelle in der Praxis: Das Neurosystemische Panorama Anhand des Neurosystemischen Panoramas® erfahren Sie in diesem Kapitel, wie Neurowissenschaften und Systemtheorie im Coaching, in der Beratung und Supervision oder in der Begleitung von Transformationsprozessen genutzt werden können. Die Beispiele stammen aus unserem Buch Klinkhammer, M., Hütter, F., Stoess, D., Wuest, L. (2018). Change happens - Veränderungen gehirngerecht gestalten - inkl. Arbeitshilfen online. 2., Auflage. Freiburg im Breisgau: Haufe-Lexware. Grafiken, Tabellen und Teile des Texts sind wörtlich aus dem publizierten Text übernommen und mit Seitenangaben zitiert. Verwendung der Grafiken mit freundlicher Genehmigung des Verlages. Das Neurosystemische Panorama® Mit dem Neurosystemischen Panorama® stellen wir Ihnen ein Beobachtungs- und Analysewerkzeug zur Verfügung. Mit seiner Hilfe können Sie mit einer einheitlichen Struktur auf nicht-triviale biologische, psychische und soziale Systeme und deren Gesamtkonzept einer „Überlebenseinheit“ schauen. Sie können deren wechselseitiges Zusammenwirken herausarbeiten, das die jeweiligen Freiheitsgrade der anderen Systeme einschränkt, aber auch gleichzeitig ihr Weiterbestehen erst möglich macht. Denn ein System und seine Umwelten bilden eine „Überlebenseinheit“. Das Modell dient der Exploration des „Ist“ mit dem Ziel, auf Basis einer intensiven Beobachtung sowie der gelungenen Umwandlung von Irritationen in Informationen sukzessive wieder ein Gefühl der Kohärenz sowie das notwendige Vertrauen in die eigene Handlungsfähigkeit und denkbare Schritte für das weitere Vorgehen zu entwickeln (S.398 f.). Ziel des Modells ist es, gemeinsam mit den Kunden Informationen über das von ihm definierte System und dessen Umwelten zu erheben und diese anders als bisher einzuordnen. „Verstehen“ findet immer erst mal nur vor dem Hintergrund der eigenen, in der Vergangenheit subjektiv realitätsnah gezeichneten Landkarte der Kunden statt. Durch den strukturierten Beratungsprozess werden genau diese inneren Abbilder der Kundenrealität gemeinsam unter die Lupe genommen. Wir fragen, irritieren, überraschen, stören und verstören sogar manchmal. Wir prüfen die Antifragilität des Gesamtsystems. Aufmerksam und behutsam, denn wir wissen, dass manche Teile der „System-Umwelt-Überlebenseinheit“, insbesondere psychische Systeme, sehr fragil sein können (vgl. Taleb, 2013) (S.398). Ein System und seine relevanten Umwelten, an die es sich selbst anzubinden sucht, schränken wechselseitig ihre jeweiligen Freiheitsgrade ein. Das ist der Preis, den ein System für die Irritationen zahlt, die es als Feedback oder Feedforward von den für sie relevanten Umwelten erhält. Auf diese Irritationen, Störungen, Überraschungen oder „Challenges“ ist es zur Sicherung des eigenen Überlebens angewiesen. Einige Systeme scheuen Irritationen, schotten sich ab, beobachten weder sich selbst noch ihre Umwelten. Andere Systeme, sogenannte antifragile Systeme (Taleb, 2013) suchen nach Irritationen, um von ihnen zu profitieren. Selbstreguliert, also nach seinen eigenen Bewertungs- und Verarbeitungsmechanismen, wandelt ein System diese Irritationen in Informationen um. Informationen, die – wie Bateson ausführt – zu einem späteren Zeitpunkt einen Unterschied machen: entweder einen Unterschied in der sinnstiftenden Selbstkonstruktion der eigenen Systemidentität oder einen Unterschied in der sinnmachenden internen Selbstorganisation oder der Anbindung des Systems – oder aber auch in allen dreien. Durch wechselseitig vor- und rückwärts aufeinander wirkende, zeitgleich stattfindende Selbstkonstruktion, Selbstanbindung, Selbstorganisation und Selbstregulation sucht ein System sein Überleben zu sichern. Das alles haben wir im Neurosystemischen Panorama® zur Analyse biologischer, psychischer und sozialer Systeme nachzubilden versucht (S. 401). Die vier Dimensionen des Basismodells sind - wie unschwer erkennbar ist - vom der vier psychischen Grundbedürfnisse nach Seymour Epstein (Grawe 2004, S. 189) inspiriert. Das Neurosystemische Panorama® fokussiert vier Dimensionen der Entstehung und Aufrechterhaltung von Systemen: · Selbstkonstruktion: Wie und wozu konstruiert sich das System im Unterschied zu anderen System-Umweltdifferenzen? Wie hält es grenzbewahrend Unterschiede aufrecht? · Selbstanbindung: Welche inneren und äußeren Umwelten wählt es für die Aufrechterhaltung seiner Existenz? Was sind die passenden Beziehungsformen und Beziehungsqualitäten? · Selbstorganisation: Wie organisiert es sich im Innern, um basierend auf einer ihm eigenen Struktur automatisiert und energieeffizient Aktivität an Aktivität anschließen zu können? · Selbstregulation: Was sind die impliziten oder expliziten Voraussetzungen, die die Impulsgeber ursprünglich bei der Initiierung des Systems als Maß gebend für seine Tauglichkeit erachtet haben? Impulsgeber für ein lebendes (Kommunikations-)System können z.B. sein: Unternehmensgründer, Eltern, Projektsponsoren oder Stichwortgeber für eine zeitlich befristete, lebhafte Diskussion über „demokratische Unternehmen“ im Bahnabteil. Darüber hinaus gilt es zu erforschen, wie das System gegenwärtig auf Irritationen aus dem eigenen Innern bzw. aus den inneren und äußeren Umwelten achtet. Und anhand welcher gegenwärtigen Maßstäbe es diese Irritationen bewertet und zu systemintern relevanten Informationen verarbeitet, dabei berücksichtigend, dass die gegenwärtige Situation als Teil eines übergreifenden Musters, beginnend mit der Systeminitiierung und in die Zukunft verweisend, zu verstehen ist (Baumeister, Tierney, 2014)? Systeme erzeugen einerseits Systemstabilität durch eine ihnen eigene Operation der Aufrechterhaltung von Grenzen und Beziehungen, sowie durch selbst entwickelte Regeln und Programme. Genauso aber erzeugen sie andererseits Systemdynamik durch prinzipielle Systemoffenheit dank der systemeigenen Selbstregulationskompetenz, sich irritieren, verstören und stressen zu lassen. Neurosystemische Modelle neigen dazu, fraktale Strukturen zu entwickelt. Einige wenige Ordnungsparameter - wie hier die vier Dimensionen der Selbstkonstruktion (entsprechend dem Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung und Selbstwertschutz bei Grawe), der Selbstanbindung (entsprechend dem Bindungsbedürfnis), der Selbstorganisation (entsprechend dem Bedürfnis nach Orientierung und Kontrolle) und der Selbstregulation (entsprechend dem Bedürfnis nach Lustgewinnung und Unlustvermeidung) reduzieren Komplexität und schaffen Ordnungsmuster in der Beobachtung von Systemen. Setzen wir diese Ordnungsmuster auf unterschiedlichen Systemebenen ein - zum Beispiel auf der Ebene der (Neuro-)Biologie (z.B. mit Bezug auf die gesundheitlichen Auswirkungen von Veränderungen), auf der Ebene der individuellen psychischen Folgen (psychisches System), auf der Ebene von Teams und Projekten (Interaktionssysteme im Sinne von Parsons) oder der gesamten Organisation (soziale Systeme im Sinne von Luhmann), so ergeben sich über die Ebenen hinweg jeweils selbstähnliche Muster. Der rekursive Prozess der wiederholten Anwendung der vier Ordnungsparameter lässt zudem Beziehungen zwischen den Ebenen erkennen (“Wie spiegeln sich neuronale Prozesse im ‘social brain’ der Gesamtorganisation”...). In den folgenden Abschnitten finden Sie für die oben erläuterten Grundprinzipien jeweils die Ausprägung auf den beschriebenen Ebenen. Wir haben hierzu Fragenkataloge entwickelt, die Sie bei der Anwendung unterstützen sollen. Der biologische Systemaspekt Anwendungsperspektiven dieses Rasters ergeben sich aus den folgenden Fragen: Reflexionsfragen zum biodynamischen Aspekt Wesentliche Fragen zu Körper- und Ich-Repräsentationen: · Wie stark spüre ich meine Grenzen? / Spüre ich in meinem Körper eine Tendenz zur „Abgrenzung“ (Überlastungszeichen) – oder zur „Grenzöffnung “ (Stimulanz)? · Wie stark greift die Veränderung auf meinen Körper durch? / Wo will ich mich schützen? / Wo mir ganz bewusst etwas zumuten? · Wie schaffe ich es, den Durchlässigkeitsgrad meiner Grenzen situationsflexibel einzustellen? Wesentliche Fragen zum Social Brain: · Wie stark bin ich, wie stark sind wir, im Change-Prozess auf Resonanz von Kollegen, Führungskräften, Mitarbeitern angewiesen? · Wie schütze ich mich vor den Fallen des Social Brains (Denkfehler wie z.B. in-group bias, Ähnlichkeitspräferenz etc.)? · Wo möchte ich, wo möchten wir „reifer“ werden, um zu einer ausgewogenen Balance zwischen „Verantwortung “ und „Selbstverantwortung “ zu gelangen? Wesentliche Fragen zu den exekutiven Funktionen: · Für welche Aufgaben verfüge ich über mir bereits bekannte ggf. automatisierte Lösungsstrategien, für welche nicht? (Identifikation unbewusster Kompetenz) Für welche Aufgaben, zu denen ich bisher keine Vorerfahrungen habe, kann ich mir Lösungsstrategien aus anderen bewältigten Projekten ableiten (Ressourcen- transfer)? / Was kann ich von anderen Personen lernen (Wissenstransfer)? · Wo versuche ich Einfluss auf Unbeeinflussbares zu nehmen? / Wo unterschätze ich eigene Einflussmöglichkeiten? · Wie achte ich während des Change auf mich und sorge immer wieder für · Ruhepausen, um Stress abzubauen und geistige Kraft wiederzugewinnen? Wesentliche Fragen zu den Bewertungsfunktionen und körperlichen Intuitionssignalen: Wie bewerte ich die Veränderung in meinem emotionalen Gedächtnis und in meinem Körpergedächtnis? · Auf Basis meiner Vergangenheit: Welche ggf. mir bislang unbewussten positiven und negativen Erfahrungen beeinflussen meine Reaktionen auf das aktuelle Thema? · Im Hier und Jetzt: Was spüre ich angenehm/unangenehm in meinem Körper als Resonanzboden, wenn ich mir den Ablauf der anstehenden Veränderungen vorstelle? · Mit Blick auf die Zukunft: Welche aus der Vergangenheit verkörperten Bewertungen (somatische Marker) möchte ich in die Zukunft mitnehmen? / Welche möchte ich verabschieden? Der psychische Systemaspekt Die Anwendung der vier Systemaspekte im psychischen System ergibt das folgende Muster: Die folgenden Fragen zeigen, wie die Aspekte dabei helfen können, die individuelle psychische Verarbeitung von Veränderung oder eines im Coaching angestrebten Vorhabens zu explorieren und dabei die Landkarten der Beteiligten um neue Möglichkeiten zu erweitern. Reflexionsfragen zum psychodynamischen Aspekt Fragen zum psychischen Selbst-Konstrukt: · Wer bin ich heute? Wer will ich mit dem Change-Prozess werden? Wie will ich in Zukunft meine „Einzigartigkeit“ pflegen, ohne überheblich zu wirken? Wie will ich in Zukunft meine „Zugehörigkeit “ (Profession, Identität, etc.) betonen, ohne mich in der Masse zu verlieren? · Wo trage ich im Change-Prozess aktiv Risiken durch Übernahme von Rollen und Funktionen und wo lasse ich Dinge auch einfach mal ohne mich geschehen? Fragen zur Bindung: · Zu wem (Personen, Teams, Organisationen) baue ich Beziehungen auf, wo ab? · Wie „nah“ will ich im Change-Prozess zu wem gehen, ohne mich zu verlieren? · Wie „distanziert“ will ich im Change-Prozess bleiben, ohne kontaktlos zu wirken? Welche Bindung habe ich zu Andersartigen, um ein ausreichendes Maß an Diversität in Netzwerken und Kooperationen zu haben? · Was ist zukünftig die für die Beziehungspflege passende Mischung zwischen persönlichem und virtuellem Kontakt? Fragen zur Selbstwirksamkeitserwartung: · Welches Maß an Orientierung von außen und welches Maß an Eigenregie brauche ich in diesem Veränderungsprozess? · Wieviel „Sicherheit und Berechenbarkeit “ ist mir wichtig, ohne „stur und starr“ zu wirken? Wie „frei und flexibel“ will ich sein, ohne „unzuverlässig und willkürlich“ zu wirken? · Wie gewinne und erhalte ich die innere Stabilität und Flexibilität über: o fest stehende und sich entwickelnde Werte und Prinzipien, o gleiche oder beständig sich verändernde Denk-, Gefühls- und Verhaltensmuster, • mein „inneres Team“ und seine Entwicklung, o meine Rückbindung an oder Emanzipation von meinem kulturellen, gesellschaftlichen, natürlichen und technischen Umfeld? · Wo im Veränderungsprozess nutzen mir meine bisherigen Selbstwirksamkeitsstrategien für wirkungsvolle Einflussnahme? Wo stehe ich mir damit selbst im Weg? Fragen zur Selbststeuerung: · Was spricht mich an, was irritiert mich am und im Veränderungsprozess bezüglich meiner Kriterien für Gelingen oder Misslingen, wie immer ich beides für mich definiere? · Wie steuere ich mich selbst im Prozess? o mit Blick auf die Vergangenheit: Wo will ich zum Gelingen aktiv beitragen und bereits erworbene Fähigkeiten nutzen? Was will ich aufgrund meiner Vorerfahrungen vermeiden bzw. vorsichtig angehen? Wo möchte ich an meiner Impulskontrolle arbeiten, um der Anziehungskraft automatisierter Aktionen zu widerstehen? o im Hier und Jetzt: Wie „Lust suchend“ will ich sein, ohne wählerisch zu wirken? Wie „Unlust vermeidend“ will ich mich zeigen, ohne desinteressiert zu wirken? o mit Blick auf die Zukunft: Was bin ich bereit für zukünftiges Gelingen zu investieren oder zu riskieren? Und worauf bin ich bereit, in weiser Vorausschau zu verzichten, um anschlussfähig zu bleiben? Wie gehe ich mit Unsicherheit und Ambivalenzen um. Der teamdynamische Systemaspekt Die nächste hochgradig praxisrelevante Systemebene ist die Ebene des Interaktionssystems in Teams, Projekten etc. Praxisrelevante Fragen für die Teamanalyse und zur Anregung zu Entwicklungsprozessen finden Sie in den folgenden Fragen: Reflexionsfragen für den teamdynamischen Aspekt Wesentliche Fragen zur Teamidentität: · Über welche gemeinsamen Ziele und Aufgaben im und nach dem Change definieren wir unsere Identität als Team? / Was macht uns dabei einzigartig in und zugehörig zur Organisation? · Zu welchem Beitrag verpflichtet sich jeder (zugehörig), auch wenn er bei der Veränderung droht zu verlieren statt zu gewinnen (einzigartig)? Wesentliche Fragen zur Anbindung des Teams: · Wer sind die für unseren co-kreativen Entwicklungsprozess relevanten Umwelten (Teammitglieder, interne und externe Kunden etc.)? · Welchen Wert legen wir bei der Auswahl unserer Teammitglieder und Schnittstellen- partner auf Ähnlichkeit bzw. auf Diversität? · Wie gestalten wir situations- und kontextbezogen unsere Beziehungen vor dem Hintergrund der neuen Rahmenbedingungen (Reorganisation, Ein-/Austritt von Teammitgliedern etc.)? Wesentliche Fragen zur selbstorganisierten Teamstruktur: · Welches Maß an innerer Komplexität ist historisch gewachsen? Wo müssen wir im Hin- blick auf den Change bewusst mehr Komplexität zulassen, wo Komplexität reduzieren? Wie organisieren wir uns selbst im Inneren über: o Rollen: Was erwarten wir von wem inhaltlich und teambezogen? Was heißt das für unsere Werte und Normen im Team? o Regeln: Welche geschriebenen und ungeschriebenen Richtlinien sehen wir für uns und unser Umfeld als handlungsweisend an? o Personen: Wem von uns schreiben wir angesichts von Kontext & Situation für uns passende Kommunikations- und Handlungskompetenz zu? o Teamkultur: Wie halten wir uns gegenseitig für ein gelingendes Miteinander ver- antwortlich, lassen uns in unserem System Raum und Zeit zur persönlichen Bedürf- nisbefriedigung, darauf vertrauend, dass dies auch förderlich für das Team ist? · Wie bleiben wir flexibel? Wesentliche Fragen zur Selbststeuerung des Teams: · Wovon lassen wir uns als Team irritieren, z.B. von Bedürfnisäußerungen einzelner Teammitglieder, Anforderungen der Organisation, von Kunden, Markt und Gesetz? Wie entwickeln wir eine „kollektive Achtsamkeit“ im Team, um das, was an uns heran- getragen wird oder sich als „window of opportunity “ auftut, aufmerksam zu bearbeiten? Wie steuern wir uns als Team und im Team im Veränderungsprozess? o mit Blick auf die Vergangenheit: Was nehmen wir dazu aus der Vergangenheit als Kompetenz mit? o im Hier und Jetzt: Was gibt uns im Hier und Jetzt Halt? o mit Blick auf die Zukunft: Welche unterschiedlichen Szenarien sind für uns denkbar? / An welchen Signalen erkennen wir Veränderungen, wie machen wir uns als Team zukunftssicher? · Wie ermöglichen wir uns und anderen Lernen? Organisatorische Systemaspekt Unsere Wanderung durch die für Coaching, Beratung und Transformation entscheidenden Systemebenen endet mit der organisationalen Perspektive. Die folgenden Fragen können Sie hierzu stellen, wenn Sie die Organisationsebene analysieren: Reflexionsfragen für den organisatorischen Aspekt Fragen zur Organisationsidentität: · Wozu sind wir da? (primäre Aufgabe) / Worin drückt sich Scheitern aus? (primäres Risiko) / Worin sehen wir unser „Alleinstellungsmerkmal “? / Was teilen wir mit anderen als Überlappungen? / Wo grenzen wir uns klar ab? · Welche Konfliktmanagementsysteme und Entscheidungsarchitekturen geben wir uns? Fragen zur Anbindung: · Wer sind die für unsere Organisation relevanten Kunden, Share- und Stakeholder etc.? / Wie „fest“ wollen wir unsere Beziehungen zu ihnen knüpfen, ohne „vereinnahmt“ zu werden? / Wie „lose“ wollen wir unsere Beziehungen gestalten, ohne „austauschbar “ zu werden? · Wie handeln wir unsere Beziehungen aus vor dem Hintergrund der eventuell neuen Rahmenbedingungen (Kultur, Gesetze, Markt etc.)? · Wie bleiben wir auch dauerhaft attraktiv für diese und weitere Umwelt Wesentliche Fragen zur Selbstorganisation: · Welches Maß an innerer Komplexität brauchen wir? / Was können wir verkraften? / Wie „geregelt und bestandssichernd “ wollen wir arbeiten, ohne „rigide und innovationsfeindlich “ zu werden? / Wie „regellos und Alternativen suchend“ wollen wir arbeiten, ohne „beliebig und chaotisch “ zu werden? · Wie organisieren wir uns selbst im Innern in Bezug auf unsere: o Kommunikationswege: Welche Verantwortungen und Befugnisse verorten wir an welchem Platz in unserer Organisation? o Programme: Welche impliziten und expliziten Richtlinien sehen wir für uns und unser Umfeld als handlungsweisend an? o Personen: Wem schreiben wir die für unsere Organisation geeignete Kommunikations- und Handlungskompetenz zu? o Kultur: Wie reflektieren und kommentieren wir unser Tun im Veränderungsprozess? · Wie ermöglichen wir individuelles und organisationales Lernen? Wesentliche Fragen zur Selbststeuerung: · Wovon lassen wir uns als Organisation irritieren? Wovon nicht? · Wie bauen wir Selbststeuerungsfähigkeit im System auf, um die Veränderung, das Problem, die Krise oder die Katastrophe erfolgreich zu bewältigen? o mit Blick auf die Vergangenheit: Was nehmen wir bezüglich unserer Risikobewer- tungen aus der Vergangenheit als Kompetenz mit? / Wovon verabschieden wir uns? o im Hier und Jetzt: Was üben wir im Hier und Jetzt neu ein, um die für uns passende Mischung zwischen Sensibilität, Anpassungsfähigkeit und Standhaftigkeit zu finden? o mit Blick auf die Zukunft: Welche Szenarien, welche Chancen und Risiken sind möglich? / Woran würden wir sie frühzeitig erkennen? / Wie stellen wir uns bereits heute voraus- schauend auf sie ein? / Wie gehen wir mit dem grundsätzlich Unvorhersehbaren um? Sicher ist Ihnen nicht entgangen, dass alle Aspekte auf allen Systemebenen jeweils polar angelegt sind. So ist es etwas im psychischen System weder gut noch schlecht, das Selbstkonstrukt eher nach Einzigartigkeit („Meine USP’s, meine Leistungen“) oder nach Zugehörigkeit („Mein Team, meine Familie“) zu organisieren. Die aktuelle Positionierung zwischen den Polen ist jedoch in unterschiedlichen Situationen gegebenenfalls unterschiedlich nützlich oder problemerzeugend. Daher lohnen sie der Reflexion, da sich so neue Handlungsmöglichkeiten auftun. Das COR-ESSENTIALS® Modell: Dimensionen • In Kontakt sein und wahrnehmen • Sinn geben und vertrauen • Abgrenzen und entscheiden • Experimentieren und anpassen • Struktur geben und Routinen entwickeln • Bilanzieren und reflektieren • Bewusst werden und kommunizieren Schließlich ist das auch das große WHY und der befreiende Aspekt der Beschäftigung mit der Systemtheorie: Sie schützt uns, dort wo wir aus einer rein biologischen Perspektive leicht in einen Determinismus zu rutschen drohen, vor der Problemhypnose durch die normative Kraft des Faktischen und erlaubt es uns, unsere Welt und unseren Möglichkeitsraum multiperspektivisch zu denken und so neu konzipieren zu lernen. Dafür – und wegen ihres hohen praktischen Nutzwertes - lohnt sich die neurosystemische Perspektive allemal. Literatur- und Quellenverzeichnis Egle, Ulrich Tiber; Heim, Christine; Strauß, Bernhard; Känel, Roland von (Hg.) (2020): Psychosomatik - neurobiologisch fundiert und evidenzbasiert. Ein Lehr- und Handbuch. W. Kohlhammer GmbH. 1. Auflage. Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer (Medizin). Online verfügbar unter https://eref.thieme.de/ebooks/cs_13534154 Hütter, F., Marsch V. (2014). Mythos Hirnforschung. Training aktuell (06/14), 29–31. Hütter, F., van Kempen, A. (2014). Aber bitte mit System. Training aktuell (10/14), 18-21. Hütter, F. (2015). Wir Als-Ob-Philosophen. Praxis Kommunikation (01/15), 74–75. Hütter, F. (2015). Vom Teil zum Ganzen. Praxis Kommunikation (02/15), 73–74. Falkenburg, Brigitte (2012): Mythos Determinismus. Wieviel erklärt uns die Hirnforschung? Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg. Egle, Ulrich Tiber; Heim, Christine; Strauß, Bernhard; Känel, Roland von (Hg.) (2020): Psychosomatik - neurobiologisch fundiert und evidenzbasiert. Ein Lehr- und Handbuch. W. Kohlhammer GmbH. 1. Auflage. Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer (Medizin). Der Klassiker: Engel GL (1977) The need for a new medical model: a challenge for biomedicine. Science 196: 129–136. Maturana, Humberto R.; Varela, Francisco J. (2018): Der Baum der Erkenntnis. Die biologischen Wurzeln des menschlichen Erkennens. 7. Auflage. Frankfurt am Main, Fischer Taschenbuch (Fischer-Taschenbuch, 17855). Berghaus, Margot (2022): Luhmann leicht gemacht. Eine Einführung in die Systemtheorie. 4., überarbeitete und ergänzte Auflage. Köln, Wien: Böhlau Verlag (utb-studi-e-book Sozialwissenschaften, 2360). Luhmann: Ökologische Kommunikation. 1. Auflage. Westdeutscher Verlag: Opladen 1986, S. 269. Kruse, Peter (2020): next practice. Erfolgreiches Management von Instabilität. Veränderung durch Vernetzung. 1. Aufl. Offenbach: Gabal Verlag GmbH (Dein Business). Klinkhammer, M., Hütter, F., Stoess, D., Wuest, L. (2018). Change happens - Veränderungen gehirngerecht gestalten - inkl. Arbeitshilfen online. 2., Auflage. Freiburg im Breisgau: Haufe-Lexware.
- Lernen im Schlaf - Traum oder Wirklichkeit?
Das Erlernen neuer Informationen im Schlaf war bis vor wenigen Jahren ausschließlich Charakteren in Science-Fiction Romanen vorbehalten. Neueste Befunde aus der Schlafforschung zeigen nun auf, dass, unter bestimmten Voraussetzungen, tatsächlich komplett neue Gedächtnisspuren im Schlaf experimentell aufgebaut werden können. Inhaltsverzeichnis 1. Vorwort 2. Definition von Schlaf 3. Schlaf messen und klassifizieren 4. Warum schlafen wir? 5. Gedächtniskonsolidierung 6. Manipulation der Gedächtniskonsolidierung im Schlaf 7. Hypnopädie - Traum oder Wirklichkeit Literatur- und Quellenverzeichnis Lernen im Schlaf Traum oder Wirklichkeit 1. Vorwort Es ist seit langem bekannt, dass Schlaf einen positiven Effekt auf unser Gedächtnis hat. Während wir schlafen werden neue Gedächtnisinhalte vor interferierenden Einflüssen geschützt und mittels einer Kaskade an schlafspezifischen Prozessen konsolidiert. Nach mittlerweile mehr als zwei Jahrzehnten intensiver Bemühungen im Bereich der Schlaf und Gedächtnisforschung, hat man heute eine relativ konkrete Vorstellung wie Gedächtniskonsolidierung im Schlaf stattfindet. Laut einer gängigen Hypothese werden im Schlaf neu eingespeicherte Informationen immer und immer wieder reaktiviert um in der Folge sukzessive in bereits bestehende und stabile Gedächtnisnetzwerke transferiert und integriert zu werden. Seit einigen Jahren ist zudem bekannt, dass man eben diesen Kernprozess der Gedächtnisreaktivierung und somit schlafassoziierte Gedächtniskonsolidierung mittels der experimentellen Darbietung von sog. Kontextreizen im Tiefschlaf experimentell anstoßen kann. Eine Methodik die unter dem Begriff der gezielten Gedächtnisreaktivierung (Target Memory Reactivation, TMR) bekannt und mittlerweile oftmals repliziert worden ist. Mittels TMR lassen sich demnach Gedächtniseinträge fördern, welche zuvor tagsüber eingespeichert wurden. Diese Befunde haben den in vielen Romanen und Filmen skizzierten Traum der Hypnopädie, dem Erlernen komplett neuer Information im Schlaf neu befeuert. Bis vor wenigen Jahren schien Hypnopädie jedoch nur in Science-Fiction Romanen und wissenschaftlich nicht validierten Werbeangeboten möglich zu ein. Kürzlich erschienene Befunde, welche die hochdynamische Veränderung corticaler Aktivität im Schlaf bei der Einspeisung neuer Informationen berücksichtigen, haben nun erste konkrete Hinweise darauf gegeben, dass Lernen im Schlaf keine bloße Science-Fiction ist, sondern unter gewissen Rahmenbedingungen tatsächlich möglich ist. 2. Definition von Schlaf Was eigentlich ist Schlaf ? Welche Merkmale unterscheiden Schlaf von anderen Bewusstseinszuständen wie z.B. Wachheit oder gar einem komatösen Zustand? Veränderung von Bewusstsein und Wahrnehmung Während wir schlafen erfahren wir eine Veränderung bis hin zu einem kompletten Verlust unseres Bewusstseins. Je nach Schlaftiefe, sind wir uns selbst nicht bewusst darüber, dass wir momentan schlafen. Zudem kommt es zu einer erheblichen Reduktion der bewussten Wahrnehmung von Dingen, die um uns herum passieren sowie zu einer Verminderung der Antwortbereitschaft unseres Gehirns auf Umgebungsreize. Dennoch schaltet unser Gehirn im Schlaf nicht komplett ab. Vielmehr zeichnet unser Gehirn auch während wir schlummern periodisch Umgebungsinformationen mit auf. So können wir beispielsweise selbst in tieferen Schlafstadien noch zwischen einer uns bekannten und einer uns unbekannten Stimme differenzieren. Reduktion des Muskeltonus Ein weiteres, wesentliches Merkmal von Schlaf ist ein stark herabgesetzter Muskeltonus und daraus resultierende körperlicher Inaktivität. Im Schlaf, insbesondere im sogenannten REM Schlaf, erschlaffen große Teile unserer Willkürmuskulatur nahezu vollständig. Wir sind also zeitweise wie gelähmt. Unwillkürliche Muskeln wie der Herzmuskel oder die Atemmuskulatur sind von der Lähmung selbstredend unbetroffen. Die Atonie im REM Schlaf verhindert, dass wir geträumte Bewegungen nicht ausagieren. Üblicherweise bleibt die Muskellähmung komplett unbemerkt, da diese erst nach dem Einschlafen eintritt und beim Erwachen unmittelbar aufgehoben ist. Ab und an kann es jedoch zu einer sog. Schlafparalyse kommen. Dabei tritt die Lähmung bereits während des Einschlafens auf oder hält nach dem Erwachen für einige Zeit an. Dies ist für den Betroffenen in der Regel eine äußerst unangenehme Erfahrung. In sehr seltenen Fällen kann die Lähmung der willkürlichen Muskulatur im Schlaf aussetzen. Je nach Ausprägung spricht man hierbei von einer REM-Schlaf Verhaltensstörung. Schlaf ist schnell reversibel und wiederkehrend Schlaf kann auf natürliche Weise quasi unmittelbar unterbrochen werden. Die meisten von uns nutzen diese Eigenschaft jeden Morgen, um sich mittels eines Weckers aus ihrem Schlaf reißen zu lassen. Die Lautstärke eines akustischen Reizes, welche mindestens benötigt wird, um eine schlafende Person aufzuwecken, verändert sich über die Nacht hinweg mehrmals. Sie ist abhängig vom Schlafstadium, bzw. der Schlaftiefe, in der sich eine Person derzeit befindet. Schlaf ist zudem wiederkehrend. Wir Menschen sind tagsüber wach und schlafen in der Nacht. Unser Wach- / Schlafverhalten folgt einem zirkadianen Rhythmus (24-Stunden Rhythmus). Der Taktgeber unseres Aktivitäts- / Inaktivitätszyklus liegt im Nucleus suprachiasmaticus im Hypothalamus. Tatsächlich ist die Periodendauer unseres zirkadianen Rhythmus nicht exakt (also wie der Name sagt, eben nur in etwa) 24 Stunden lang, sondern etwas länger. Unter absolut konstanten Bedingungen (dauerhafte Dunkelheit, gleichbleibende Temperatur, …) wiederholt sich unser Wach- / Schlafverhalten in etwa alle 24.25 Stunden. Unter Realbedingungen erfährt unser innerer Rhythmus allerdings täglich eine Art Feinabstimmung, so dass er genau 24 Stunden beträgt. Einer der stärksten und zuverlässigsten Zeitgeber für diese Adjustierung ist das Tageslicht (bzw. die Sonne). 3. Schlaf messen und klassifizieren Polysomnographie Schlaf lässt sich objektiv mittels verschiedener physiologischer Parameter sowie subjektiv mittels Selbstbeurteilung erfassen. Der Goldstandard in wissenschaftlichen und klinischen Schlaflaboren zur Quantifizierung von Schlaf ist die sogenannte Polysomnographie. Bei einer Polysomnographie werden parallel verschiedene physiologischer Parameter erfasst. Fester Bestandteil einer jeden Polysomnographie ist die Elektroenzephalographie (EEG, Messung der elektrischen Aktivität des Gehirns), die Elektromyographie (EMG, Messung des Muskeltonus) sowie die Elektrookulographie (EOG, Messung der horizontalen und vertikalen Augenbewegung). Ferner werden, insbesondere zur diagnostischen Abklärung verschiedener Schlafstörungen, oftmals der Atemfluss und die Atemanstrengung, der Puls und die Sauerstoffsättigung im Blut sowie die Körperlage während des Schlafes aufgezeichnet. Schlafstadien Bis ins 19.Jahrhundert haben sich Ärzte, Physiologen, Psychologen, Biologen und andere Naturwissenschaftler hauptsächlich auf die äußere Beobachtung des Schlafverhaltens einer Person beschränkt. So hat beispielsweise bereits Ernst Kohlschütter 1863 feststellen können, dass über die Nacht hinweg unterschiedliche Schalldruckpegel nötig sind, um eine Person zu erwecken. Seit der Verfügbarkeit der ersten EEG-Systeme in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, konnte Schlaf auf eine ganze andere, neue Art untersucht werden. Loomis und Kollegen konnten bereits 1935 feststellen, dass sich elektrische Potentiale im Gehirn während des Schlafes immer wieder verändern und dass bestimmte „Muster“ immer wieder auftreten. Dies bestätigte die Ergebnisse von Kohlschütter, dass Schlaf kein gleichbleibender physiologischer Zustand, sondern vielmehr in unterschiedliche Stadien unterteilbar ist. Im Jahr 1953 gelang den beiden Forschern Eugene Aserinsky und Nathaniel Kleitman die bahnbrechende Entdeckung zweier völlig unterschiedlicher Arten von Augenbewegungen im Schlaf. Phasen mit sehr schnellen Augenbewegungen, sog. “rapid eye movements” (REM) und Phasen ohne solche Augenbewegungen, genannt “non-rapid eye movement“ (NREM). Dies grobe Unterteilung des Schlafs in NREM und REM-Phasen hat bis heute bestand, wobei NREM Schlaf heute in weitere Substadien unterteilt wird. Seit 2007 wird Schlaf international nach dem “AASM Manual for the Scoring of Sleep and Associated Events” der Amerikanischen Akademie für Schlafmedizin (AASM) klassifiziert. Gemäß dieses Regelwerks wird Schlaf in die Stadien Wach, N1, N2, N3 (“Tiefschlaf ”) und REM unterteilt, wobei diese Einteilung in 30 Sekunden Einheiten vorgenommen wird und im Wesentlichen auf der spektralen Zusammensetzung des EEG-Signals beruht. So wird für Stadium N2 beispielsweise gefordert, dass sog. Schlafspindeln vorliegen müssen und für Stadium N3, dass mehr als 20% einer 30s-Epoche von sogenannter slow‑wave activity (SWA) dominiert ist. Schlafspindeln und deren zeitliche Interaktion mit langsamen Tiefschlafwellen, den Grundbausteinen der SWA, scheinen eine wesentliche Rolle bei der Konsolidierung neuer Gedächtnisspuren im Schlaf zu spielen. 4. Warum schlafen wir? Jeder Mensch verbringt ein Drittel seines Lebens im Schlaf. Ein Zustand, in welchem er unbewusst und wie oben erwähnt teilweise nahezu vollständig paralysiert ist. Augenscheinlich stellen wir im Land der Träume ein leichtes Opfer dar, verdienen kein Geld, pflanzen uns nicht fort und kümmern uns nicht um unseren Nachwuchs oder unser soziales Umfeld. Warum also hat ein solcher Zustand die Evolution überlebt? Warum also schlafen wir überhaupt? „It is against the logic of natural selection to sacrifice such important activities unless sleep serves equally or more important functions”. Tatsächlich scheint Schlaf universell zu sein. Alle Lebewesen, die seit jeher hinsichtlich der Frage ob und wie sie schlafen untersucht wurden, weisen irgendeine Form von Schlaf auf. Ferner gibt es unzählige Berichte, dass chronischer Schlafmangel mit negativen gesundheitlichen Konsequenzen assoziiert ist. So gibt es Berichte, dass zu wenig Schlaf u.a. kognitive Fähigkeiten beeinträchtigt, unsere Stimmung trübt sowie unsere Immunantwort schwächt. In einer bis heute sehr einflussreichen Serie an Studien, hat die Gruppe um Allan Rechtschaffen zudem in Tierversuchen zeigen können, dass eine bestimmte Art der totalen Schlafdeprivation über mehrere Wochen bei Ratten sogar zum Tode führen kann. Geht man davon aus, dass Schlaf eine Art universales Verhaltensmuster darstellt und dass man nicht auf Schlaf ohne gesundheitsschädliche Konsequenzen verzichten kann, liegt die Schlussfolgerung nahe, dass Schlaf eine essenzielle Funktionen bedienen muss. Obwohl sich Wissenschaftler verschiedenster Forschungsrichtungen bis heute uneins über die Frage nach der Kernfunktion von Schlaf sind, gibt es mittlerweile gute Hinweise darauf, dass im Schlaf eine ganze Reihe an Prozessen ablaufen, welche äußerst positive (evtl. sogar wesentliche) Auswirkungen auf das Funktionieren unseres Organismus haben. Ein solcher Prozess, welcher im Folgenden genauer beleuchtet werden soll, ist die Transformation neuer, labiler Gedächtnisspuren in stabile Gedächtniseinträge. 5. Gedächtniskonsolidierung Unser Gedächtnis erlaubt es uns neue Informationen aufzunehmen und abgespeicherte Erinnerungen abzurufen. Unser Gedächtnis bestimmt somit maßgeblich unser Verhalten sowie unsere Identität. Ohne Gedächtnis könnten wir uns nicht an Veränderungen der Umwelt anpassen und wären ohne jeglichen Bezug zur (eigenen) Vergangenheit, d.h. wir wären stets im Dasein gefangen. Entsprechend der Bedeutung des Gedächtnissystems auf unser Ich, gibt es wenig überraschend unzählige Lehrbücher, welche detailliert verschiedene psychologische, elektrophysiologische, molekulare und strukturelle Aspekte der Gedächtnisbildung beleuchten. Wir wollen uns hier einem spezifischen, aber sehr wesentlichen Teilaspekt für ein funktionierendes und plastisches Gedächtnissystem widmen: dem Konzept der Gedächtniskonsolidierung (auf Systemebene). Gedächtnissysteme Ähnlich wie Schlaf stellt auch unser Gedächtnissystem keine Entität dar, sondern besteht aus einer Reihe an Subsystemen, welche wiederum prozessorientiert bestimmten Gehirnstrukturen zugeordnet werden können. Nach einer gängigen Taxonomie wird das Gedächtnissystem in zwei übergeordnete Systeme untergliedert. Das deklarative Gedächtnissystem und das nicht-deklarative Gedächtnissystem, wobei diese Unterscheidung hauptsächlich darauf basiert, ob der mediale Temporallappen (im Speziellen der Hippocampus) am Gedächtnisprozess beteiligt ist. Das deklarative Subsystem basiert auf einem intakten Hippocampus und wird daher auch als hippocampus-abhängiges Gedächtnissystem bezeichnet. Es umfasst semantische (Faktenwissen) und episodische Inhalte (inkludiert z.B. die zeitliche Abfolge von Ereignissen). Solche Inhalte können in der Regel relativ schnell eingespeichert und bewusst abgerufen werden. Das non-deklarative System umfasst verschiedene, unbewusste Lernkapazitäten, wie z.B. prozedurale Fähigkeiten (Fahrrad fahren, Tennis spielen etc.), Priming, konditionierte Reaktionen und Reflexe. Solche Inhalte werden oftmals sukzessive über Zeit / Wiederholungen erlernt und galten lange Zeit als komplett unabhängig von Strukturen im medialen Temporallappen. Neuere Befunde deuten allerdings darauf hin, dass, zumindest während früher Phasen des Erlernens neuer Fähigkeiten, hippocampale Bereiche involviert sein können. Schlaf scheint im Besonderen für deklarative, also für hippocampus-abhängige Gedächtnisinhalte eine wichtige Rolle zu spielen. Nichtsdestotrotz gibt es durchaus auch eine Vielzahl von Studien, die aufzeigen, dass auch prozedurale Fähigkeiten von Schlaf profitieren können. Und zwar Insbesondere dann, wenn der Hippocampus bei den ersten Trainings involviert ist. Dieses Manuskript fokussiert vornehmlich auf die Rolle von Schlaf in der Förderung deklarativer Inhalte. Gedächtnisprozesse Ein vollständiger Gedächtnisprozess besteht aus den drei Teilprozessen Enkodieren (das Erlernen neuer Informationen), Konsolidieren (das Festigen neuer Informationen) und letztlich dem Gedächtnisabruf. Die Enkodierung neuer Informationen basiert auf einer komplexen Kaskade molekularer, biochemischer, zellulärer und systemischer Veränderungen von Neuronen(-gruppen). Ein Teilmechanismus von Lernen ist die aktivitätsabhängige synaptische Veränderung durch Langzeitpotenzierung. Der Abruf einer Gedächtnisspur basiert u.a. auf der Aktivierung der abzurufenden Gedächtnisspur (Erinnerung). Kann diese ausreichend spezifisch aktiviert werden, kann auf die Erinnerung zugegriffen werden. Eine Aktivierung kann z.B. durch (un-)bewusste Hinweisreize ausgelöst werden. Unter Konsolidierung werden eine Reihe an Prozessen verstanden, welche der Enkodierung nachfolgen, um frische Gedächtnisspuren in stabile und langfristig abrufbare Gedächtniseinträge zu überführen. Konsolidierung - Wie alles begann Der Begriff der Konsolidierung geht auf den Göttinger Professor Georg Müller und seinen Student Alfons Pilzecker, welche im Jahr 1900 im Beitrag “Lehre vom Gedächtnis” die Ergebnisse ihrer Forschungsarbeiten zwischen 1892 und 1900 beschrieben. Müller und Pilzecker stellten über mehrere Versuchsreihen fest, dass die Abrufleistung einer zuvor erlernten Wortpaarliste A durch nachfolgendes Lernen einer weiteren, neuen Wortpaarliste B beeinträchtigt wird, obwohl der eigentliche Lernvorgang von Liste A äußerlich komplett abgeschlossen schien. Diese Ergebnisse waren für die damalige Zeit relativ verblüffend. Das Erlernen von Liste B hat die Erinnerungsleistung von einer zuvor erlernten Liste A durch eine Art rückwirkende Hemmung geschwächt. In einer weiteren Versuchsreihe konnten Müller und Pilzecker nachweisen, dass diese rückwirkende Hemmung umso stärker ist je kürzer das Lernen von Liste B dem Lernvorgang von Liste A folgt. Oder umgekehrt, der Einfluss von nachfolgendem Lernen nimmt mit der Zeit, die zwischen Lernen von Liste A und dem Erlernen von Liste B liegt, ab. Müller und Pilzecker schlussfolgerten, dass “Vorgänge, welche zur Herstellung von Assoziationen einer gelesenen Silbenreihe dienen, auch noch nach dem Lesen der Silbenreihe eine gewisse Zeit hindurch andauerten, ..”. Demnach ist die Formierung einer neuen Gedächtnisspur nicht unmittelbar mit dem Lernprozess abgeschlossen. Müller und Pilzecker beobachteten in vielen ihrer insgesamt 40 Versuchsreihen, dass unmittelbar nach dem Lernen, für etwa 10 Minuten, sog. Perseverationstendenzen verstärkt auftreten. Als Perseverationstendenzen beschrieben sie den Effekt, dass kürzlich eingespeicherte Informationen automatisch immer wieder nach dem Lernen ins Bewusstsein kommen (“nachklingen”) und somit andere fortlaufende Gedankenströme unterbrechen. Müller & Pilzecker argumentierten daher, dass “… diese Perseverationstendenzen im Sinne einer “Konsolidierung” der Silbenassoziationen wirken.”. Das Konzept der Konsolidierung hat bis heute bestand. Tatsächlich wurde der von Müller und Pilzecker geprägte Begriff auch ins Englische (consolidation) übernommen. Heute weiß man, dass eine neu eingespeicherte Gedächtnisspur zunächst sehr fragil ist, d.h. sie ist anfällig durch weitere Informationen “überschrieben” zu werden. Im Umkehrschluss ist eine konsolidierte Gedächtnisspur stabil (nicht so leicht zu zerstören) und existiert über einen längeren Zeitraum (“Langzeitgedächtnis”). Arten der Konsolidierung Heute geht man davon aus, dass Gedächtniskonsolidierung auf mehreren Ebenen und in verschiedenen zeitlichen Dimensionen abläuft. Es werden prinzipiell zwei Arten der Konsolidierung unterschieden: Synaptische Konsolidierung und Systemische Konsolidierung. Synaptische Konsolidierung ist eine vergleichsweise schnelle, auf Zell-Ebene stattfindende Konsolidierung. Hierbei kommt es zu lokalen plastischen Veränderungen. Die synaptischen Verbindungen der an der Speicherung einer Gedächtnisspur beteiligten Neuronengruppen (man spricht hier auch von einem Engramm) werden gestärkt und/oder umstrukturiert (z.B. durch einen Anstieg der synaptischen Verbindungen). Synaptische Konsolidierung resultiert demnach in einer ersten Stabilisierung und führt somit zu einer effizienteren Kommunikation der am Gedächtnisprozess beteiligten Zellen. Diese Prozesse starten mit oder unmittelbar nach dem Enkodieren und benötigen vermutlich nur einige Minuten bis wenige Stunden, bis sie abgeschlossen sind. Durch diese schnelle Art der Konsolidierung werden neue Gedächtnisspuren kurze Zeit nach dem Einspeichern resistent gegenüber Prozesse, welche die Gedächtnisstabilisierung (sowie weitere Konsolidierungsprozesse) schädigen können. Aufbauend auf dieser ersten, schnell stattfindenden synaptischen Konsolidierung, findet eine weitaus langsamere Art der Konsolidierung statt. Eine Konsolidierung auf Systemebene. Hierbei werden neue Gedächtniseinträge sukzessive reorganisiert. Dabei werden neue Gedächtniseinträge von temporären Speicherregionen in einen Langzeitspeicher transferiert und dort in bereits bestehende Gedächtnissysteme integriert. Systemische Konsolidierung dauert vermutlich Tage bis Wochen oder gar Monate/Jahre. Tatsächlich wird heute vermutet, dass die Konsolidierung auf Systemebene eventuell niemals komplett abgeschlossen ist. Dieses Manuskript fokussiert in der Folge vornehmlich auf die Gedächtniskonsolidierung auf Systemebene. Das Stabilitäts-Plastizitäts-Dilemma Wie bereits angemerkt, wird eine frisch eingespeicherte Gedächtnisspur mittels Gedächtniskonsolidierung von einem anfänglich labilen in einen stabilen Zustand überführt. Bis eine neue Spur allerdings konsolidiert wurde, ist diese allerdings sehr anfällig insbesondere durch interferierende Informationen überschrieben zu werden. Daher stellt sich die Frage wie wir uns kontinuierlich neues Wissen angeeignet können, ohne dabei gleichzeitig bestehende Erinnerung zu überschreiben. Unser Gehirn ist ein stark vernetztes und parallel arbeitendes System. Arbeiten im Bereich der künstlichen neuronalen Netze haben aufgezeigt, dass solche Systeme zum einen plastische Veränderungen zulassen müssen, zum anderen aber ein gewisses Ausmaß an Stabilität benötigen, um Wissen erhalten zu können. Dies führt zu einem Stabilitäts-Plastizitäts-Dilemma. Ein zu stabiles System verhindert, dass neue Informationen aufgenommen und in bereits bestehendes Wissen integriert werden können. Zu viel Plastizität hingegen führt sehr rasch zu massivem Vergessen. Ein Ansatz wie unser Gehirn dieses Dilemma zu lösen vermag ist die Idee, dass Gedächtnisbildung in einem 2-Stufen Prozess mittels zweier komplementärer Gedächtnissysteme realisiert wird. Dieser Ansatz wird gemeinhin unter dem Begriff des 2-Prozess Modells der Gedächtniskonsolidierung beschrieben. Das 2-Prozess Modell der Gedächtnisbildung Die Grundidee des 2-Prozess Modells ist folgende. Unser Gedächtnis besteht aus zwei komplementären Gedächtnissystemen. Dem Hippocampus, einem sehr schnell lernenden System, welches Informationen nur temporär speichern kann und dem Neocortex, einem langsam lernenden System, welches Wissen langfristig abspeichern kann. Der Hippocampus stellt demnach eine Art Gedächtnisbuffer dar, der Neocortex den Speicherort unseres langzeitlich abrufbaren Wissens. Beim Enkodieren speichern wir neue Inhalte parallel in beide Systeme ein. Im langsam lernenden neocorticalen System werden zunächst lediglich die einzelnen Module eines Engramms (Module, die den Gedächtniseintrag im Verbund speichern) aktiviert. Die einzelnen Module sind dabei allerdings aufgrund der langsamen Lernrate noch nicht (fest) miteinander verbunden. Im schnell lernenden Hippocampus wird hingegen unmittelbar eine komplette komprimierte Version, der noch unfertigen corticalen Repräsentation kodiert. Der Hippocampus speichert demnach eine Art Abbild der noch nicht miteinander verknüpften corticalen Module der Gedächtnisspur ab. Da die Gedächtnisspur im Neocortex noch nicht komplettiert ist, bzw. die einzelnen Teile nur lose miteinander verknüpft sind, ist die Gedächtnisspur anfänglich stark abhängig von der hippocampalen Repräsentation derselben. Sobald der Lernvorgang abgeschlossen ist wird die komprimierte Gedächtniseintragung im Hippocampus spontan reaktiviert. D.h., jene Neuronengruppen, welche das corticale Abbild abgespeichert haben, werden im Kollektiv immer wieder aktiv. Dieses sog. neuronale Replay führt dazu, dass bei jeder dieser Reaktivierungen auch gleichzeitig die entsprechenden corticalen Module aktiviert werden was wiederum dazu führt, dass die Gedächtnisspur im langsam lernenden Langzeitspeicher sukzessive gestärkt wird (hier kommen dann Prozesse der synaptischen Konsolidierung zum Tragen). Der Hippocampus fungiert also als eine Art Trainer für das langsam lernende System. Über die Zeit hinweg werden die Verbindungen der corticalen Module des Engramms zunehmend gestärkt bis sie letztlich komplett verbunden sind und keinen weiteren Anstoß durch die hippocampalen Reaktivierungen benötigen. Der neocorticale Gedächtniseintrag ist nun unabhängig von der hippocampalen Spur geworden. Wird nun die nur kurzlebige hippocampale Spur überschrieben, kann die Erinnerung aus dem Langzeitgedächtnis abgerufen werden. Ebendiese Reorganisation der Spur von der anfänglichen hippocampalen Abhängigkeit hin zu einer unabhängigen, stabilen und langfristig abrufbaren corticalen Spur wird als Systemkonsolidierung bezeichnet. Aktive Systemkonsolidierung im Schlaf Die Kernmechanismen der Systemkonsolidierung nach dem 2-Prozessmodell sind i) die Reaktivierung hippocampaler Neuronengruppen, welche beim Lernen beteiligt waren und auf diese Weise das langsam-lernende System sukzessive aufbauen und ii) eine sich daraus ergebende, graduelle Transformation der anfänglich hippocampus-abhängigen Spur hin zu einer hippocampus-unabhängigen Gedächtnisrepräsentation. Spannenderweise gibt es mittlerweile viele Studien, welche nahezulegen, dass eben genau diese zwei Prozesse sehr effizient im Schlaf in Form einer aktiven Systemkonsolidierung stattfinden können. Im Gegensatz zu den Gedächtnisprozessen Enkodierung und Abruf, welche hauptsächlich während der Wachheit stattfinden, scheint der Prozess der Konsolidierung, zumindest für bestimmte Gedächtnisspuren, also hauptsächlich, während wir vor uns hin schlummern stattzufinden. Hauptsächlich heißt allerdings nicht exklusiv. Ziemlich sicher finden auch Konsolidierungsprozesse nach dem Lernen während der Wachheit statt. Allerdings gibt es eine Reihe an Rahmenbedingungen, welche Schlaf besonders maßgeschneidert für die Gedächtniskonsolidierung machen. Dazu später mehr. Belege für hippocampale Reaktivierungsprozesse im Schlaf aus Tierstudien Replay Prozesse von hippocampalen Neuronengruppen im Schlaf sind einer der propagierten Kernmechanismen der Hypothese einer aktiv im Schlaf stattfindenden Gedächtniskonsolidierung. Die meisten Studien zu Reaktivierungsphänomenen im Hippocampus basieren auf Tierstudien (zumeist an Ratten und Mäusen), welche Feuerraten von sog. hippocampalen Platzzellen untersucht haben. Hippocampale Platz- oder Ortszellen sind bestimmte Zellen im Hippocampus (oftmals in der CA1 / CA3 Region), welche immer dann vermehrt feuern, wenn sich das Tier an einer bestimmten Stelle in seiner Umgebung befindet. Diese Zellen dienen also als eine Art Orientierungs- oder Navigationssystem . John O’Keefe (zusammen mit dem Ehepaar Moser) 5 hat für seine langjährige Forschungsarbeit zu diesen Zellen 2014 den Nobelpreis für Medizin / Physiologie erhalten. Platzzellen wurden mittlerweile in einer Vielzahl an Spezies, u.a. auch bei Menschen gefunden. 1994 haben Wilson und McNaughton in einer bis heute sehr einflussreichen Studie Spike-Kreuzkorrelationen (ein Maß für die Co-Aktivität von Neuronen) von mehreren Dutzend Zellen aus der CA1 Region des Hippocampus in insgesamt drei Bedingungen untersucht. Während Ratten eine visuell räumliche Aufgabe erlernten sowie im Schlaf vor (Kontrollbedingung) als auch nach dem Lernvorgang. Dabei hat sich gezeigt, dass beim Erlernen der Aufgabe bestimmte Zellkombinationen eine erhöhte Co-Aktivität aufweisen und dass auch ebendiese Zellkombinationen im anschließenden, nicht aber im vorangegangen Schlaf, wiederum in sehr ähnlicher Weise zusammen aktiv sind. Es kommt also im Schlaf, und zwar im speziellen Tiefschlaf, nach dem Erlernen neuer Informationen zu einer Reaktivierung von hippocampalen Entladungsmustern, welche spezifisch am Lernvorgang beteiligt waren. Tatsächlich kommt es nicht nur zu einer Reaktivierung gleichzeitig aktiver Neuronen, vielmehr wird die genaue zeitliche Abfolge der Aktivierungsmuster im Schlaf nachgebildet. Feuern beispielsweise die Neurone A, B, C, D in eben dieser Reihenfolge, wenn eine Ratte einen Gang durchläuft an dessen Ende eine Futterbelohnung wartet, kommt es im anschließenden Schlaf zum Replay genau dieser Aktivitätssequenz (A-B-C-D-A-B-C-D, …). Interessanter Weise wird die Sequenz im Schlaf jedoch um ca. das 20- fache zeitlich komprimiert wiedergespielt. Ein Lernvorgang, der während der Wachheit 20 Minuten dauert, wird im Schlaf in derselben Zeit also 20-mal durchlaufen. Reaktivierungserscheinungen treten im Schlaf bevorzugt während sog. hippocampaler Sharp-Wave ripple Komplexe (SPWRs) auf. SPWRs sind transiente, schnelle Feldpotentiale, welche durch Zellen in der CA3 Region des Hippocampus initiiert werden. Sie bestehen aus einer negativen "sharp wave" Komponente (CA1 stratum radiatum) und kurzen, schnellen bursts von "ripple oscillations" mit einer Frequenz zwischen 150-250Hz. SPWRs treten insbesondere im NREM Schlaf (bzw. zumeist im SWS) sowie in ruhigen Wachphasen auf. SPWRs konnten mittlerweile in verschiedenen Spezies, u.a. auch beim Menschen, nachgewiesen werden und gelten heute als elektrophysiologisches Korrelat für Replay-Phänomene. Girardeau und Kollegen konnten 2009 zeigen, dass SPWRs (und somit hippocampale Reaktivierungen) eine kausale Rolle in der Schlaf-assoziierten Gedächtniskonsolidierung spielen. In ihrer Studie durften Ratten nach dem Erlernen einer visuell-räumlichen Gedächtnisaufgabe schlafen. Während des Schlafs nach dem Lernen wurden SPWRs in Echtzeit detektiert und mittels einer spezifischen Elektrostimulation selektiv unterdrückt. Diese SPWRs Suppression hatte zur Folge, dass im Vergleich zu entsprechenden Kontrollbedingungen, die Konsolidierung gestört wurde und somit die Abrufleistung der Tiere deutlich schlechter war als bei ungestört ablaufender Konsolidierung (keine SPWRs Suppression). Belege für hippocampale Reaktivierungsprozesse im Schlaf aus Studien am Menschen Nebst den angeführten Tierstudien, die es erlauben hippocampale Platzzellaktivität direkt mittels implantierter Tiefenelektroden aufzuzeichnen, werden hippocampale Reaktivierungserscheinungen bei Menschen üblicherweise auf einem höheren Abstraktionsniveau und weitaus weniger invasiv mittels bildgebender Verfahren ((M)EEG, fMRT, PET) erfasst. Exemplarisch sei hier eine wegweisende Studie von Peigneux et al. zu nennen. In dieser Studie wurde die regionale zerebrale Durchblutung als Schätzmaß für neuronale Aktivität mittels Positronen-Emissions-Tomographie (PET) erfasst während Probanden lernten durch eine virtuelle Stadt zu navigieren sowie während die Probanden im Anschluss an die Aufgabe schliefen. Es hat sich gezeigt, dass bei der Durchführung dieser Lernaufgabe während der Wachheit der Hippocampus aktiviert wurde und dass ebenjene Regionen im nachfolgenden Schlaf erneut verstärkt aktiv waren. Ferner konnten Peigneux et al. zeigen, dass die Stärke der hippocampalen Reaktivität im Schlaf positiv mit dem Ausmaß der Leistungsveränderung in der Gedächtnisaufgabe von vor zu nach dem Schlaf korrelierte. Probanden, welche eine besonders deutliche hippocampale Reaktivierung aufzeigten, zeigten auch die stärksten Leistungszuwächse. Gedächtnisreorganisation Der zweite Kernmechanismus der Hypothese einer aktiv im Schlaf stattfindenden Gedächtniskonsolidierung ist, dass neue Gedächtniseinträge im Schlaf einer strukturellen Reorganisation unterzogen werden. Hierbei wird angenommen, dass neue Erinnerungen durch einen hippocampalen-corticalen Informationstransfer graduell vom hippocampalen Gedächtnisbuffersystem in corticale Langzeitgedächtnissysteme transferiert werden. Die Erkenntnis, dass der Hippocampus eine wesentliche Gehirnstruktur für die initiale aber nur temporäre Speicherung einer neuen Gedächtnisspur spielt, stammt insbesondere aus Läsionsstudien. Schädigungen / Resektionen des Hippocampus führen oftmals zu einer graduell verlaufenden retrograden Amnesie. Das heißt, Ereignisse, welche lange vor der Schädigung / Entfernung des Hippocampus stattgefunden haben, können i.d.R. besser erinnert werden als sehr neue Gedächtniseinträge. Dies wird auch als Ribot’s Gesetz bezeichnet. Im Gegenzug konnte gezeigt werden, dass eine Störung des Informationstransfers vom Hippocampus zu extra-hippocampalen (z.B. corticalen) Regionen, bzw. Läsionen im medialen präfrontalen Cortex (mPFC), den langzeitlichen Gedächtnisaufbau verhindern oder gar bereits konsolidierte Gedächtniseinträge zerstören kann. Laut einem Modell von Frankland & Bontempi (2005) übernimmt der mPFC im Verlauf des Konsolidierungsprozesses die Aufgabe des Hippocampus hinsichtlich der Integration der verschiedenen an der Gedächtnisspur beteiligten corticalen Module. Demnach fungiert der mPFC als eine Art Hub, der die mittlerweile untereinander gut verknüpften corticalen Module ansteuern und über reziproke Verbindungen mit sensorischen, motorischen und limbischen Systemen verbinden kann. Der hippocampale-corticale Informationsaustausch während des Schlafs Man nimmt generell an, dass der Informationsfluss zwischen Cortex und Hippocampus während der Wachheit insbesondere in top-down Richtung stattfindet. Das heißt sensorische Eingangsinformationen werden primär von corticalen Arealen in Richtung (CA3-Region) Hippocampus verschaltet. Während der Wachheit liegt ein vergleichsweise hoher Acetylcholin Spiegel (ACh) im Hippocampus vor, welcher den Transfer vom Hippocampus zu extra-hippocampalen Regionen stark inhibiert. Auf diese Weise werden Feedbackschleifen temporär unterdrückt und das (hippocampale) Enkodieren neuer Information kann ohne interferierender Einflüsse bereits gespeicherter (corticaler) Informationen geschehen. Im (Tief-)schlaf ist der ACh-Spiegel dagegen auf ein Minimum reduziert und erlaubt somit einen hippocampalen-corticalen Informationstransfer von der CA3 Region (mittels dort ausgelöster Reaktivierungen) zu anderen Regionen und somit eine Systemkonsolidierung via eines hippocampalen-neocorticalen Dialoges. Sharp-Wave Ripples, Schlafspindeln und Langsame Oszillationen - Konzert der drei Tenöre Derzeit nimmt man an, dass der hippocampale-corticale Informationsaustausch im Schlaf mittels einer zeitlich sehr genau ausgerichteten Interaktion verschiedener elektrophysiologischer Muster realisiert wird. Nebst den bereits beschriebenen hippocampalen SPWRs, scheinen insbesondere Schlafspindeln und langsame Tiefschlafwellen hierbei eine Schlüsselrolle zu spielen. Schlafspindeln sind transiente (0.5-3s) Aktivitätsbursts mit einer Frequenz von ca. 11-16Hz, welche charakteristisch für Schlafstadium N2 sind, durchaus aber auch im Tiefschlaf auftreten. Generiert werden diese Feldpotentiale durch intrinsische Eigenschaften und Interaktionen von GABAergen Neuronen im Nukleus Reticularis des Thalamus und exzitatorischen thalamo-cortikalen Relaiszellen. Schlafspindeln kommt eine Schlüsselrolle in der schlafabhängigen Gedächtniskonsolidierung zu, da sie Langzeitpotenzierung und somit plastische Veränderungen in kortikalen Pyramidalzellen auslösen können. Spannender Weise konnte wiederholt gezeigt werden, dass Schlafspindeln und hippocampale SPWRs in einer sehr hohen zeitlichen Abstimmung auftreten. So treten Schlafspindeln nicht nur zeitlich überlagert mit SPWRs auf, vielmehr gruppieren Schlafspindeln SPWRs in ihre (vermutlich) exzitatorischen Phasen. Man nimmt derzeit somit an, dass Schlafspindeln das Auftreten, bzw. die Stärke von SPWRs (und somit hippocampaler Reaktivierungsprozesse) so takten, dass diese genau dann auftreten, wenn Schlafspindeln plastische Veränderungen in corticalen Neuronen auslösen können. Neben diesen eher mechanistischen / physiologischen Hinweisen, gibt es noch eine große Vielzahl an Studien, welche einen korrelativen Zusammenhang zwischen Schlafspindeln und der Konsolidierung frischer Gedächtnisinhalte im Schlaf nahelegen. So steigt beispielsweise die Auftretenshäufigkeit sowie die Intensität von Schlafspindeln in der Nacht nach dem Lernen von deklarativen Inhalten an, wobei dieser Anstieg positiv mit dem Ausmaß der Gedächtnisverbesserung über Nacht korreliert. Spindel-SPWR-Verschachtelungen scheinen demnach der elektrophysiologische Behälter zu sein, in welchen hippocampale Informationen in corticale Bereiche transferiert werden. Neben Schlafspindeln und hippocampalen SPWRs kommt den sog. langsamen Oszillationen oder Tiefschlafwellen, welche charakteristisch für Schlafstadium N3 sind, eine Kernrolle in der aktiven Systemkonsolidierung zu. Tiefschlafwellen haben beim Menschen eine durchschnittliche Frequenz von 0.8Hz und werden rein cortical generiert. Tiefschlafwellen sind sog. Wanderwellen, die sich von ihrem corticalen Ursprungsort in Richtung anderer Regionen, u.a. bis hin zum Hippocampus, ausbreiten können. Jede langsamen Oszillation besteht aus zwei Phasen. Einer Phase der Hyperpolarisation (“down-state”), in welcher corticale Neurone großteils inaktiv sind und einer Phase der Depolarisation (“up-state”), in welcher eine hohe Rate an corticaler Aktivität vorliegt. Langsamen Oszillationen beeinflussen nicht nur die Aktivität verschiedenster Frequenzbänder im Cortex, vielmehr üben sie über efferente Pfade (z.B. vom Neocortex über den enthorinalen Cortex zum Hippocampus) auch eine top-down Kontrolle auf thalamo-cortikale Schlafspindeln und hippocampale SPWRs aus. So ist die Aktivität von Schlafspindeln und SPWRs während der Hyperpolarisationsphase langsamer Oszillationen stark unterdrückt und während des corticalen “up-states" deutlich erhöht. Tiefschlafwellen dirigieren im Sinne eines Chorleiters den hippocampalen-corticalen Informationsaustausch demnach so, dass dieser genau dann stattfindet, wenn corticale Neurone (insbesondere jene, die am corticalen Engramm beteiligt sind) depolarisiert sind und folglich einen niedriger Schwellenwert für plastische Veränderungen vorliegt. Ähnlich wie die Aktivität von Schlafspindeln steigt auch die Amplitude der langsamen Oszillationen nach dem Lernen einer deklarativen Gedächtnisaufgabe im Vergleich zu einer Kontrollaufgabe an. In einer eigenen Studie konnten wir diese Befunde erweitern und zeigen, dass ein solcher Anstieg positiv mit der Gedächtnisveränderung über Nacht assoziiert ist. Versuchspersonen, welche die stärksten Zuwachsraten in der Amplitude von Tiefschlafwellen von einer Kontrollnacht zur Nacht nach dem Lernen einer Wortpaaraufgabe aufzeigten, zeigten auch den stärksten Leistungszuwachs über Nacht auf. Während dieser Zusammenhang sowohl für die Amplitude des up-states wie auch für jene des down-states gefunden wurde, zeigte sich, dass nur die Länge des up-states, nicht aber jene des down-states positiv mit der Leistungsveränderungen über Nacht korreliert. Das heißt, je länger das Zeitfenster für den hippocampalen-corticalen Informationstransfer geöffnet ist, desto effektiver kann der Konsolidierungsprozess ablaufen. Grafik Neben diesen korrelativen Befunden wurde zudem ein kausaler Effekt von Tiefschlafwellen auf die Gedächtniskonsolidierung im Schlaf berichtet. Zuerst waren es Marshall und Kollegen, die gezeigt haben, dass sich Tiefschlafwellen mittels transkranieller Elektrostimulation experimentell induzieren lassen. Die Elektrostimulation hat dabei nicht nur die Aktivität in den fokussierten langsamen Frequenzbändern erhöht, sondern auch die Aktivität im Frequenzband der Schlafspindeln. Hypothesenkonform hat die Stimulation auf Verhaltensebene eine verbesserte schlafabhängige Gedächtniskonsolidierung herbeigeführt. Ganz ähnliche Befunde konnte Ngo et al. (2013) mittels sog. auditorischer closed-loop Stimulation erzeugen. Dabei wird das EEG der Probanden in Echtzeit analysiert und sobald eine Hyperpolarisationsphase erkannt wird, wird von der Software etwa 0.5s später (und somit während des Vorliegen eines corticalen up-states) ein kurzes Klickgeräusch dargeboten. Auch auf diese Weise lassen sich Tiefschlafwellen (und parallel dazu Schlafspindeln) anstoßen und dadurch die positiven Effekte von Schlaf auf unser Gedächtnis steigern. 6. Manipulation der Gedächtniskonsolidierung im Schlaf Die berichteten Erkenntnisse über die Kernrolle von spontanen Gedächtnisreaktivierungsprozessen im Schlaf für die schlaf-assoziierte Gedächtniskonsolidierung haben vor einigen Jahren die Idee zum Vorschein gebracht, gezielt experimentell Gedächtnisreaktivierungen im Schlaf anzustoßen, um auf diese Weise die Konsolidierung der reaktivierten Inhalte zu fördern. In der Fachliteratur wird diese Manipulation als Target Memory Reactivation (TMR) bezeichnet. Grundlage dieser Idee sind Befunde u.a. aus unserem Labor in welchen gezeigt werden konnte, dass unser Gehirn selbst in tieferen Schlafstadien sensorische Information aufzeichnet und diese detailliert verarbeiten kann. Realisiert wird die experimentelle Induktion von Gedächtnisreaktivierungen im Schlaf mittels sog. Kontextreize. Kontextinformationen Godden und Baddeley konnten 1975 zeigen, dass Versuchspersonen eine bessere Abrufleistung in einer Gedächtnisaufgabe aufweisen, wenn Enkodieren und Abruf im selben Kontext stattgefunden hat. In ihrer Studie lernte eine Gruppe eine Gedächtnisaufgabe an Land, die andere mit Taucherausrüstung unter Wasser. Erfolgte der Abruf der Landgruppe an Land war ihre Abrufleistung besser, als wenn der Gedächtnisabruf unter Wasser stattfand. Bei der Tauchgruppe war genau das Gegenteil der Fall. Erfolgte der Abruf unter Wasser war die Leistung besser, als wenn der Gedächtnistest an Land durchgeführt wurde. Diese Befunde deuten darauf hin, dass wir neben der eigentlich zu enkodierenden Information implizit auch Informationen über den Kontext der Lernsituation mit abspeichern. Ist diese Kontextinformation beim Abruf zugänglich, scheint auch der Zugriff auf die damit verbundene Information erleichtert zu sein. Target Memory Reactivation TMR nutzt den skizzierten Umstand des kontextuellen Gedächtnis aus. Dabei wird bei TMR Protokollen die eigentlich zu erlernende Information gemeinsam mit einem bestimmten Kontextreiz dargeboten. Beispielsweise wird während des Lernens ein bestimmter Duft im Hintergrund präsentiert oder die einzelnen Informationen werden mit Tönen gepaart einstudiert. Im Schlaf nach dem Lernvorgang wird dann der gesetzte Kontextreiz erneut dargeboten. Durch die Darbietung der Kontextinformation soll die damit verknüpfte Gedächtnisspur im Schlaf dann reaktiviert und somit die Konsolidierung derselben verbessert werden. Mittlerweile gibt es tatsächlich eine gute Befundlage, dass TMR prinzipiell funktioniert. Begonnen hat alles mit einer Studie von Rasch und Kollegen aus dem Jahr 2007. In dieser Studie lernten Versuchspersonen vor dem Zubettgehen eine Art Memory-Spiel auswendig. Während des Lernens wurde ihnen gleichzeitig (als Kontextreiz) der Duft einer Rose über einen Olfaktometer dargeboten. Wurde dieser Duft im anschließenden SWS (Tiefschlaf) wieder dargeboten, führte dies zu einer deutlichen Steigerung der Gedächtnisleistung. Interessanter Weise zeigte sich in einer Reihe an Kontrollexperimenten, dass dieser Leistungszuwachs ausschließlich dann beobachtet werden konnte, wenn der Rosenduft, während dem Lernen & während des Tiefschlafs dargeboten wurde. Eine Darbietung des Rosendufts im Tiefschlaf allein, also ohne Darbietung des Dufts während des Lernens war hingegen nicht effektiv. Ebenso war der Effekt spezifisch für eine Darbietung im Tiefschlaf. Eine Darbietung während der Wachheit oder in anderen Schlafstadien hatte keinen Einfluss auf die Gedächtnisleistung der Probanden. Die Verwendung von Gerüchen als Kontextreiz hat den Vorteil, dass olfaktorische Reize im Schlaf kaum Weckreaktionen hervorrufen. Olfaktorische Reize werden nicht über den Thalamus (wie andere sensorische Informationen), sondern direkt an die entsprechenden Zielregionen (u.a. den Hippocampus) geleitet. Allerdings haben Gerüche auch einen entscheidenden Nachteil. Sie sind verhältnismäßig langsam / träge. So kann man in der Regel nur, ein ganzes Set an neu erlernten Informationen mit demselben Kontextreiz verbinden, nicht aber einzelne Gedächtnisspuren. Um der spannenden Frage nachzugehen, ob sich mittels TMR auch tatsächlich die Konsolidierung spezifischer (einzelner) Gedächtniseinträge beeinflussen lassen, haben Rudoy et al. (2009) transiente, akustische Reize mit dem zu lernenden Material gepaart. Dabei lernten Probanden Objekt-Lokationsassoziationen (50 Bilder sind einer bestimmtem Lokation auf einem Schachbrett zugeordnet). Bei der Präsentation eines jeden Bildes über der dazugehörigen Lokation wurde gleichzeitig ein dazugehöriges Geräusch dargeboten. Bei dem Bild einer Katze beispielsweise ein “Miau“- Ton, bei der Darbietung einer Teekanne hingegen ein Pfeifgeräusch etc. In einem anschließenden Mittagsschlaf wurden den Probanden die Geräusche von jeweils der Hälfte dieser Bilder im Schlaf wieder dargeboten um auf diese Weise die Reaktivierung / Konsolidierung dieser Items zu begünstigen. Die Probanden wachten durch die Präsentation der akustischen Reize nicht auf (wurde im EEG kontrolliert). Des Weiteren berichteten die Probanden auf Nachfrage nach dem Schlaf, dass sie die Stimulation nicht bemerkt haben. Wie vorhergesagt, zeigte sich, dass die Stimulation die Gedächtnisleistung für eben jene, im Schlaf wieder dargebotenen Reize, verbessert hat. Diese Befunde haben TMR natürlich schlagartig nicht nur innerhalb der Schlaf- und Gedächtnisforschung, sondern auch in populärwissenschaftlichen Medien zu einem “hot topic” katapultiert hat. Die Möglichkeit in eigentlich im verborgenen stattfindende Prozesse eingreifen zu können hat selbstverständlich den Traum nach der Möglichkeit neue Fähigkeiten im Schlaf zu erlernen befeuert. Bis dato wurde TMR allerdings für eher alltagsfremde Bereiche (wie dem oben erwähnten Memory-Spiel) verwendet. Schreiner und Rasch haben dann schließlich 2015 aufgezeigt, dass TMR sehr wohl auch dafür verwendet werden kann das Erlernen einer neuen Sprache zu fördern. Anstelle des zuvor verwendeten Memory-Spiels haben Schreiner’s Probanden vor dem Zubettgehen Dänisch-Deutsch Vokabeln einstudiert. Alle Teilnehmer waren der deutschen Sprache mächtig, hatten aber keine Dänisch Kenntnisse. Um Kontextreize zu kreieren, welche für die spätere TMR im Schlaf eingesetzt werden konnten, wurden den Teilnehmern die deutschen Wörter visuell dargeboten, die dänische Übersetzung hingegen via Lautsprecher präsentiert. Ähnlich wie bei den zuvor berichteten Studien wurden den Teilnehmern in der Nacht nach dem Lernen, genauer in den NREM Schlafphasen, die zuvor erlernten dänischen Wörter erneut vorgespielt. In Einklang mit vorherigen Studien konnten dadurch die Dänisch Kenntnisse der Probanden, im Vergleich zu einer Nacht ohne TMR, signifikant gesteigert werden. Löst TMR wirklich hippocampales Replay im Schlaf aus? Trotz der mehrfach replizierten Verhaltenseffekte ist es natürlich wichtig festzustellen, ob der TMR-Effekt tatsächlich auf einer Induktion von Gedächtnisreaktivierungen basiert. Und genau dies legen eine Reihe an Befunden nahe. Beispielsweise konnte man in Kernspin Studien zeigen, dass die Darbietung von Kontextreizen im Tiefschlaf eine hippocampale Aktivierung sowie eine erhöhte hippocampale-corticale Konnektivität hervorruft. In EEG-Studien konnte man zudem zeigen, dass die Präsentation von Kontextreizen genau jene elektrophysiologischen Muster aktiviert, welche wir im oberen Teil im Rahmen der Systemkonsolidierung besprochen haben. So konnte u.a. eine Zunahme der Aktivität langsamer Tiefschlafwellen und Schlafspindeln festgestellt werden. Zu guter Letzt konnten Fuentemilla et al. (2013) zeigen, dass TMR nur funktioniert so lange zumindest ein unilateral intakter Hippocampus vorliegt. Patienten mit bilateral geschädigten Hippocampi zeigen keinen TMR-Effekt. Diese Ergebnisse deuten demnach stark darauf hin, dass die erneute Darbietung eines zuvor enkodierten Kontextreizes im Schlaf hippocampale Strukturen (re-) aktiviert und auf diese Weise die Konsolidierung der getriggerten Einträge anstößt. 7. Hypnopädie - Traum oder Wirklichkeit? TMR kommt dem Traum des Lernens im Schlaf sicherlich schon sehr nahe, allerdings lassen sich auf diese Weise nur Gedächtnisinhalte beeinflussen, welche bereits zuvor während der Wachheit erfolgreich enkodiert wurden. “Once upon a time, […] there was a little boy called Reuben […]. [O]ne evening, by an oversight, his father [...] happened to leave the radio turned on […]. While the child was asleep, a broadcast program from London suddenly started to come through; and the next morning, [...] [l]ittle Reuben woke up repeating word for word a long lecture by that curious old writer, […]. The principle of sleep-teaching, or hypnopaedia, had been discovered.” (Huxley, 1932, p.19, ff.) Das Erlernen komplett neuer, komplexer Informationen im Schlaf ist seit je her der Traum vieler Menschen (insbesondere aller Schüler und Studenten). Gibt man die Begriffe “sleep learning” oder “hypnopedia” bei einer Suchmaschine wie Google ein, wird man unzählige Videos und andere Angebote finden, die einem suggerieren, dass es kaum etwas einfacheres gibt als von heute auf morgen z.B. Arabisch zu erlernen. Leider gab es bis vor wenigen Jahren keine wissenschaftlich haltbaren Befunde, dass Hypnopädie in irgendeiner Form möglich ist. Einen ersten fundierten Hinweis darauf, dass zumindest einfache konditionierte Reaktionen im Schlaf erlernt werden können, dass also tatsächlich komplett neue Gedächtnisspuren im Schlaf experimentell aufgebaut werden können, stammt von Arzi und Kollegen aus dem Jahr 2012. Hierbei wurde den teilnehmenden Probanden im Schlaf über einen Olfaktometer zwei verschiedene Gerüche präsentiert. Ein angenehmer Geruch (Shampoo) oder ein sehr unangenehmer Geruch (verrotteter Fisch). Gemessen wurde jeweils, wie tief ein Proband während der Geruchsdarbietung eingeatmet hat (“Sniff-Antwort”). Nicht sehr überraschend weiß man aus Vorstudien, dass man bei einer Geruchsdarbietung eine Sniff-Antwort zeigt und dass diese bei angenehmen Gerüchen stärker ausfällt als bei unangenehmen Gerüchen. Arzi und Kollegen haben die beiden Gerüche dann den Teilnehmern im Rahmen eines Konditionierungsparadigmas während der Nacht dargeboten. Dabei wurde jeweils vor der Geruchsdarbietung ein kurzer Ton abgespielt. Für den angenehmen Geruch Ton A, für den unangenehmen Geruch Ton B. In der Wachheit führt ein solches Protokoll dazu, dass man nach einigen Wiederholungen eine konditionierte Reaktion aufbaut. Ab diesem Zeitpunkt atmet man automatisch bei Darbietung des konditionierten Tones ein, auch wenn in Folge gar kein Geruch dargeboten wird. Es hat sich also eine Gedächtnisspur aufgebaut. Die Hypothese der Autoren war folgende. Wenn neue Informationen im Schlaf erlernt werden können, dann lässt sich eine differenzielle Sniff-Antwort auf angenehme und unangenehme Gerüche im Schlaf konditionieren. Tatsächlich zeigten die Teilnehmer auch im Schlaf eine stärkere Sniff-Antwort auf die angenehmen Gerüche. Weiters und das ist das eigentlich faszinierende, konnten die Teilnehmer im NREM und REM Schlaf erfolgreich konditioniert werden. Nach einigen Wiederholungen zeigten die Probanden im Schlaf auf die alleinige Darbietung von Ton A (ohne Geruchspräsentation) eine stärkere Sniff-Antwort als auf Ton B. Damit haben Arzi und Kollegen den Beweis dafür geliefert, dass Menschen im Schlaf Umgebungsinformationen aufnehmen und daraus komplett neue Gedächtnisspuren formen können. In einer weiteren Studie haben Arzi und Kollegen untersucht, ob die im Schlaf neu aufgebauten Erinnerungen nachfolgendes Verhalten während der Wachheit beeinflussen können. Hierfür haben sie Raucher, welche allesamt gewillt waren, sich das Rauchen zu entwöhnen, mit einem ähnlichen Konditionierungsprotokoll wie in der vorherigen Studie stimuliert. Dieses Mal wurde der Geruch von Zigarettenrauch mit unangenehmen Gerüchen wie verrottetem Fisch oder einer Ammoniumsulfidlösung gepaart. Eine Gruppe erfuhr die Konditionierung während der Wachheit, eine andere Gruppe durchlief das Protokoll, während sie schliefen. Verglichen die Autoren den durchschnittlichen Zigarettenkonsum sieben Tage vor im Vergleich zu nach der Konditionierung, stellte sich heraus, dass Probanden, welche im Schlaf konditioniert wurden eine fast doppelt so starke Reduktion ihres Zigarettenkonsum aufzeigten als Probanden der wachen Kontrollgruppe. Die Ergebnisse von Arzi und Kollegen sind zweifellos beeindruckend. Allerdings ist das Erlernen einer konditionierten Reaktion natürlich nicht mit der Komplexität des Erlernens einer neuen Sprache o.ä. zu vergleichen. Seit einer Studie von Züst und Kollegen aus dem Jahr 2019 kann allerdings neue Hoffnung geschöpft werden, dass auch komplexe Informationen wie Wortpaarassoziationen im Schlaf enkodiert werden können. Züst et al. hatten folgende Hypothese. Wenn die Wortdarbietungen im Schlaf zeitlich genauso getaktet dargeboten werden, dass jeweils das zweite Wort eines Wortpaares auf eine Depolarisationsphase einer langsamen Tiefschlafwelle trifft, in welcher wie beschrieben große Teile des Cortex aktiv sind und das Niveau für plastische Veränderungen vergleichsweise niedrig ist, könnte der Aufbau einer Wortpaar-Assoziation potenziell gelingen. Die Autoren kreierten 40 Wortpaare, welche jeweils aus einem Pseudowort und einer dazugehörigen deutschen “Übersetzung” bestanden, z.B. tofer-Haus. Die deutschen Wörter waren jeweils so gewählt, dass sie entweder deutlich kleiner als ein Schuhkarton waren (wie Euromünze) oder aber deutlich größer (wie Haus). Die einzelnen Wortpaare wurden dann im NREM Schlaf so präsentiert, dass das zweite Wort 1.075s nach dem ersten Wort präsentiert wurde. Die Idee dahinter ist, dass ein akustischer Reiz, hier das erste Wort eines Paares, oftmals eine isolierte langsame Tiefschlafwelle evoziiert, einen sog. K-Komplex. Ein K-Komplex startet wenige 100ms nach der akustischen Stimulation mit einer Hyperpolarisationsphase, welche von einer etwas längeren Depolarisationsphase gefolgt wird. Wartet man beispielsweise 1.075s nach Präsentation des ersten Wortes ab bevor das zweite Wort eines Paares präsentiert wird, hat man demnach eine erhöhte Wahrscheinlichkeit das zweite Wort während einer corticalen Depolarisationsphase darzubieten. Um zu überprüfen ob neue Wortpaarassoziationen im Schlaf aufgebaut werden konnten, wurde den Probanden nach dem Aufstehen jeweils das Pseudowort (z.B. tofer) dargeboten und sie hatten zu entscheiden, ob das dazugehörige deutsche Wort (hier Haus) größer oder kleiner als ein Schuhkarton ist. Können die Probanden diese Entscheidung signifikant besser als Zufallsniveau (50%) treffen, ist dies ein Nachweis dafür, dass implizit im Schlaf neue semantische Assoziationen gebildet wurden. Tatsächlich bestätigten die Studienergebnisse die Hypothesen der Autoren. Insgesamt waren die Studienteilnehmer nach dem Aufstehen in der Lage überzufällig viele Pseudowörter richtigerweise gemäß ihrer zugewiesenen Größe einordnen zu können. Ferner konnten die Autoren aufzeigen, dass richtig eingestufte Wortassoziationen öfter während eines corticalen up-state präsentiert wurden als falsch eingestufte Items. Ob und inwieweit diese Ergebnisse repliziert oder erweitert werden können bleibt abzuwarten. Ebenso bleibt offen, ob die Ausbildung erster Gedächtnisspuren im Schlaf einen Vorteil für nachgeschaltete Lernvorgänge während der Wachheit mit sich bringt. Wir sind gespannt auf die Zukunft! Literatur- und Quellenverzeichnis Kohlschütter, E., Messungen der Festigkeit des Schlafes. 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- Gelingende soziale Interaktionen
Das Potenzial neuronaler Plastizität gezielt nutzen, um effektiver zusammenzuarbeiten. Inhaltsverzeichnis 1. Wieso gelingende soziale Beziehungen wichtig sind 2. Die Macht der Empathie 3. Handeln wir rational? 4. Was passiert im Gehirn, wenn man unter Stress steht? 5. Unsere traumatisierte und resiliente Gesellschaft 6. Der konstruktive Umgang mit Konflikten 7. Fazit Literatur- & Quellenverzeichnis Gelingende soziale Interaktionen Das Potenzial neuronaler Plastizität gezielt nutzen, um effektiver zusammenzuarbeiten Gelingende soziale Interaktionen sind die Basis für produktive Zusammenarbeit. Welche Faktoren tragen zum Gelingen von soziale Interaktionen bei, welche Risiken sollte man kennen? Welche Interventionen kann man nutzen, um Stress zu reduzieren und Konflikte effektiv zu lösen? Erkenntnisse aus psychologischer und neurowissenschaftlicher Forschung bieten hier nützliche Einsichten. Sie zeigen, wie man das Potenzial neuronaler Plastizität gezielt nutzen kann, um harmonische und produktive Zusammenarbeit zu fördern. 1. Wieso gelingende soziale Beziehungen wichtig sind Was macht ein glückliches und gesundes Leben aus? Zu dieser Frage gibt es unzählige Antworten. Vielleicht ist es ein schöner Sonnenuntergang, ein gutes Essen oder ein gemütliches zu Hause. Auf diese Frage gibt es nicht die eine richtige Antwort. Und doch zeigt sich in der Forschung immer wieder, dass ein zentraler Faktor für Glück und Gesundheit gelingende soziale Beziehungen sind. Seit den Anfängen der Menschheit waren Menschen in Gruppen, Gemeinschaften und Gesellschaften organisiert. Durch Kooperation und gemeinsam errungene Fortschritte in Technik, Medizin und Wissenschaft gelingt es der Menschheit, sich erfolgreich an verschiedene Umgebungen anzupassen. Zahlreiche Forscher gehen davon aus, dass moderne Gesellschaften auf Kooperationen und gelingenden sozialen Beziehungen aufbauen. Aus der psychologischen Forschung wissen wir, dass das Gefühl von sozialer Verbundenheit glücklich macht, Stress reguliert und einen wesentlichen Beitrag zur mentalen und physischen Gesundheit leistet. Die positiven Effekte von gelingenden Beziehungen sind nicht nur im privaten Umfeld relevant, sie sind auch am Arbeitsplatz zentral. So zeigen Studien immer wieder, dass Menschen, die sich in ihrem Arbeitsumfeld wohl fühlen, produktiver und gesünder sind (Bogacz und Klimecki, 2017). Der Beitrag von gelingenden sozialen Beziehungen für ein gesundes Leben wird besonders deutlich, wenn man sich eine Metaanalyse von Holt-Lunstad und Kollegen aus dem Jahr 2010 ansieht. Eine Metaanalyse ist eine Analyse, bei der Forscher die Daten aus vielen Studien zusammenfassen, um zu testen, ob Effekte robust sind. Diese Metaanalyse fasste 148 Studien zu den Risikofaktoren für Sterblichkeit zusammen. Sie zeigt, dass gelingende Beziehungen einer der wichtigsten Prädiktoren für ein langes Leben sind. Umgekehrt kann man auch sagen, dass Einsamkeit einer der wichtigsten Risikofaktoren für einen früheren Tod ist. Damit liegt Einsamkeit zusammen mit anderen Risikofaktoren, wie Rauchen und exzessivem Alkoholkonsum ganz vorne und noch vor anderen Risikofaktoren, wie Bewegungsmangel oder Übergewicht. Bedeutsame soziale Beziehungen tragen also nicht nur zu Glück bei, sondern auch zu Gesundheit und damit zu einem längeren Leben. 2. Die Macht der Empathie „Empathie bringt uns zusammen, und zwar in einem ruhigen und friedlichen Zustand.“ Stephen Hawking Eine wesentliche Fähigkeit, die dazu beiträgt, dass Beziehungen zwischen Menschen gelingen, ist Empathie. Empathie ist die Fähigkeit, die Gefühle anderer Personen zu erkennen, ähnliche Gefühle zu empfinden und unsere Handlungen basierend auf dieser Information auszurichten. Diese Fähigkeit, die Gefühle anderer zu verstehen und zu teilen, wird ergänzt durch die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme. Perspektivenübernahme geschieht dann, wenn wir die Gedanken, Absichten und Vorlieben anderer Personen kognitiv verstehen. Aus der neurowissenschaftlichen Forschung wissen wir, dass bei Empathie und Perspektivenübernahme unterschiedliche Gehirnregionen aktiv sind (Klimecki & Singer, 2013). Aus der neurowissenschaftlichen Forschung wissen wir auch, dass bei Empathie zu einem Großteil die gleichen Gehirnregionen aktiviert werden, die auch beim eigenen Erleben dieser Gefühle aktiv sind (Klimecki und Singer, 2013). Konkret sind zum Beispiel sowohl beim direkten Empfinden von Schmerz, als auch bei Empathie für Schmerz, die anteriore Insula und der anteriore mittlere cinguläre Cortex aktiv. Die Insula ist ein Bereich des Gehirns, in dem nicht nur Schmerzsignale, sondern auch Körpersignale, wie zum Beispiel Hitze, Kälte, oder "Bauchgefühle", verarbeitet werden. Bei Empathie werden also die Gehirnareale reaktiviert, in denen körperliche Empfindungen abgespeichert sind - das Gefühl anderer wird quasi durch Simulation nachempfunden. Bei der Perspektivenübernahme hingegen sind kognitive Areale des Gehirns im Bereich der temporalen und frontalen Regionen beteiligt. Diese Regionen sind zentral dafür, dass die Gedanken anderer verstanden werden. Es handelt sich also bei Empathie (emotional) und Perspektivenübernahme (kognitiv) um zwei unterschiedliche Prozesse. Ein Beispiel kann das illustrieren: Ich bin in einem Café mit einer Freundin verabredet. Während ich warte, bekomme ich auf meinem Handy eine sehr witzige Nachricht geschickt. Ich beschließe, diese Nachricht unbedingt sofort mit meiner Freundin zu teilen, denn das wird sie sicher auch lustig finden. Das kann ich aufgrund von Perspektivenübernahme schließen, denn ich kenne ihren Sinn für (schwarzen) Humor. Als meine Freundin das Café betritt, sieht sie traurig aus. Bei ihrem Anblick nimmt auch mein Gesicht unmittelbar einen traurigen Ausdruck an. Parallel dazu werden in meinem Gehirn die Areale aktiv, die aktiv sind, wenn ich selbst traurig bin. Mein Gehirn simuliert bzw. reaktiviert also das Gefühl der Trauer. Das Gefühl der Trauer kann ich in meinem Körper spüren. Es schnürt mir fast die Kehle zu. Diese empathische Reaktion geschieht ganz schnell und automatisch. Natürlich werde ich jetzt nicht zur lustigen Nachricht auf dem Handy greifen und heiter rufen: “Schau mal, was ich eben für eine Nachricht bekommen habe. Ist das nicht irre lustig?“. Stattdessen drücke ich meine Freundin erst mal und frage: “Was ist passiert?“ Empathie ist also das Teilen von Gefühlen anderer Menschen. Empathie kann man für positive und negative Emotionen empfinden. Man kann sich mitfreuen, mittrauern und mitleiden. Wenn man empathisch auf das Leid anderer Menschen reagiert, kann das zu zwei Reaktionen führen: entweder zu empathischem Stress oder zu Mitgefühl (Klimecki und Singer, 2012). Wenn man zu stark mit anderen mitleidet, kann das empathischen Stress auslösen. Empathischer Stress geht einher mit negativen Gefühlen und dem Wunsch, sich aus der Situation zurückzuziehen. Dies ist auch sinnvoll, denn zu viel empathischer Stress kann regelrecht krank machen und zu Burnout führen (Klimecki und Singer, 2013). Dies ist für viele Berufe relevant. Gerade die aktuelle Pandemie hat aufgezeigt, wie sehr emotionale Belastungen an den Kräften des medizinischen Personals zehren. Auch in anderen Berufen gibt es viele Stressoren, die durch empathisches Mitleiden zu Burnout führen können. Vor allem zwischenmenschliche Konflikte lösen Stress aus. Das kann langfristig krank und unglücklich machen. Auf die Effekte von Stress und Konflikten gehe ich später näher ein. Lange Zeit galt die Maxime (und mancherorts gilt sie noch immer), dass man Stress abblocken soll, also das Leid anderer (und auch sein eigenes) am besten gar nicht erst an sich heranlassen sollte. Aus der Forschung weiß man mittlerweile allerdings, dass diese Methode genau das Gegenteil bewirkt. Menschen, die versuchen, Stressoren zu unterdrücken, haben stärkere körperliche Anzeichen von Stress, als Menschen, die Stress akzeptieren. In diesem Sinne ist Mitgefühl eine durchaus vielversprechende Alternative zu herkömmlichen Methoden der Stressregulation. Mitgefühl erlaubt es, mit dem Leid anderer in Kontakt zu sein, es nachzuspüren und auch zu einem gewissen Grad mitzuleiden. Zusätzlich zeichnet sich Mitgefühl (Englisch: "compassion") durch ein Gefühl von Fürsorge und Wohlwollen der leidenden Person gegenüber aus und durch den Wunsch, der leidenden Person zu helfen. Mitgefühl ist nicht unbedingt die erste, automatische Reaktion auf Leid. Es kann allerdings sinnvoll sein, Mitgefühl zu kultivieren, denn es fördert die Ressourcen der mitfühlenden Person und das Hilfeverhalten. Gerade weil Mitgefühl nicht unbedingt die erste spontane Reaktion auf das Leid anderer ist, ist es wichtig zu wissen, dass dieses Gefühl trainierbar ist - auch im Erwachsenenalter. Die Plastizität von Mitgefühl und Mitleid In meinen Studien habe ich gezeigt, dass meditationsbasierte Mitgefühlstrainings von wenigen Tagen zu einem Anstieg an positiven Gefühlen, wie Wärme und Wohlwollen, führen (Klimecki et al., 2013). Diese Effekte sind sogar bei einer Konfrontation mit stressigen Situationen präsent. Mitgefühlstraining führt darüber hinaus auch zu einer Veränderung von Gehirnfunktionen. Konkret kann Mitgefühlstraining die Aktivität von Gehirnarealen stärken, die für positive Gefühle, soziale Bindungen und das Erlernen neuer Fähigkeiten wichtig sind, wie das Striatum und der mittlere orbitofrontale Cortex. Diese Gehirnaktivität ist anders als die Aktivität, die Forscher normalerweise bei empathischem Mitleid beobachten – die anteriore Insula und der anteriore mittlere cinguläre Cortex. Emotionale Reaktionen auf Leid und die damit verbundenen Gehirnaktivitäten sind übrigens nicht nur in eine Richtung veränderbar. So habe ich in einer weiteren Studie gezeigt (Klimecki et al., 2014), dass schon eine Woche Training im empathischen Mitleiden dazu führt, dass Menschen mehr negative Gefühle empfinden, wenn sie mit dem Leid anderer konfrontiert sind. Darüber hinaus zeigt sich auch eine Verallgemeinerung dieser negativen Gefühle auf Alltagssituationen – das Mitleid führt also zu einem allgemeinen Anstieg negativer Gefühle, unabhängig von der Situation. Dies spiegelt sich auch darin wider, dass schon nach einem kurzen Mitleidstraining die Aktivität in Gehirnregionen ansteigt, die charakteristisch für empathisches Mitleid sind – also die Insula und der anteriore cinguläre Cortex. Die starken negativen Gefühle nach dem Mitleidstraining können übrigens durch ein anschließendes Mitgefühlstraining wieder auf das Ausgangsniveau gebracht werden. Wie erwartet erhöht auch hier das Mitgefühlstraining positive Emotionen und damit verbundene Aktivierungen im Striatum und im mittleren orbitofrontalen Cortex. Diese beiden Gehirnregionen sind wichtig für positive Emotionen und ein Gefühl der Verbundenheit. Die wichtigsten Botschaften aus dieser Forschung sind: Erstens, man kann sich auch als Erwachsener verändern. Das gilt sowohl für die Reaktion auf das Leid anderer, als auch für andere Aspekte, wie zum Beispiel die Persönlichkeit (ja, sogar Persönlichkeit lässt sich verändern). Zweitens macht es einen Unterschied, wie man auf das Leid anderer reagiert. Man kann empathisch mitleiden, was mit starken negativen Emotionen einhergeht und mittelfristig das Risiko für Burnout erhöht. Man kann auch Mitgefühl empfinden. Hierbei spürt man mit dem Leid anderer mit und hat zusätzlich Gefühle von Wohlwollen und Fürsorge. Mit den erhöhten Gefühlen von Wohlwollen steigt auch die Aktivität in den dafür relevanten Gehirnregionen. Diese Form von Empathie für Leid stärkt die Resilienz, also die Fähigkeit unbeschadet durch Krisen zu kommen. Mitgefühl hilft aber nicht nur der mitfühlenden Person - es hat auch einen Einfluss auf das Hilfeverhalten. Die Effekte von Mitgefühlstraining auf soziales Verhalten Empathie und Mitgefühl spielen eine zentrale Rolle bei sozialem Verhalten (Klimecki, 2019). So weiß man aus der psychologischen Forschung mittlerweile ganz gut, dass Empathie und Mitgefühl mit Hilfeverhalten zusammenhängen. Wenn man Empathie auslöst, zum Beispiel durch kurze Filme, steigert das altruistisches Verhalten (Klimecki et al., 2016a). Je mehr Empathie ausgelöst wird, desto höher ist übrigens das Hilfeverhalten. Kein Wunder also, dass Organisationen, die auf Spenden angewiesen sind, Werbematerial verwenden, das Empathie auslöst. Auch empathisches Mitleid regt manchmal Hilfeverhalten an (nämlich, dann, wenn man damit sein eigenes Leid lindern kann). Ob man durch ein gezieltes Trainieren von Mitgefühl altruistisches Verhalten steigern kann, haben wir vor einigen Jahren mit einem Computerspiel getestet, bei dem Spieler einer unbekannten Person helfen können (Leiberg et al., 2011). Die Hälfte der Teilnehmer dieser Studie nahm an einem Meditationstraining zu Mitgefühl teil, die andere Hälfte der Teilnehmer an einem Gedächtnistraining. Wir testeten vor und nach dem Training das altruistische Verhalten im Computerspiel. Die Ergebnisse zeigen, dass Mitgefühlstraining, nicht aber Gedächtnistraining, zu einem Anstieg des Hilfeverhaltens führt. Zudem zeigen die Daten, dass das altruistische Verhalten umso mehr ansteigt, je mehr Teilnehmer Mitgefühlsmeditation üben. Diese erste Studie zu den Effekten von Mitgefühlstraining auf Hilfeverhalten wurde mehrfach in anderen Laboren und mit anderen Methoden repliziert. Mittlerweile zeigen Metaanalysen, dass Meditationstraining zu mehr Hilfeverhalten und zu weniger aggressivem Verhalten führt (z.B. Donald et al., 2019). Das ist vielversprechend. Parallel zu den Studien zu Meditationseffekten auf zwischenmenschliches Verhalten gibt es zunehmend Studien, die testen, wie sich Meditationstraining auf Beziehungen zwischen Gruppen auswirkt. Darauf gehe ich später näher ein. Zusammenfassend kann man festhalten, dass verschiedene Reaktionen auf Leid – also Mitgefühl oder Mitleid – starke Auswirkungen auf das eigene Wohlbefinden und das Verhalten gegenüber anderen haben. Um handlungsfähig zu bleiben ist es wichtig, zunächst einmal die eigenen Ressourcen zu stärken. Es ist mit dem Mitgefühl ein wenig so wie mit dem Sauerstoff bei einem Notfall im Flugzeug: um anderen helfen zu können, ist es wichtig, dass man zuerst dafür sorgt, dass die eigene Sauerstoffzufuhr gesichert ist. In diesem Fall ist der Sauerstoff Mitgefühl, da es hilft, Ressourcen zu stärken und Resilienz aufzubauen. Erst im nächsten Schritt kümmert man sich um die Sauerstoffzufuhr anderer (= Hilfeverhalten). Mitleid und Mitgefühl sind also zwei Gefühle, die Handlungen beeinflussen. Sie bilden hierbei allerdings keine Ausnahme. Emotionen sind fast immer ein wesentlicher Motor für Handlungen. 3. Handeln wir rational? “Probleme, bei denen viel auf dem Spiel steht, gehen höchstwahrscheinlich mit starken Emotionen und starken Handlungsimpulsen einher.“ (Daniel Kahneman, 2011) Auch wenn man sich vielleicht wünschen würde, bei wichtigen Entscheidungen rational zu handeln – die Wahrscheinlichkeit hierfür ist gering. Laut Daniel Kahneman (2011) hat das menschliche Gehirn zwei Gangarten, in denen es operiert: zum einen schnell und intuitiv und zum anderen langsam und reflektiert. Das ist auch gut so, denn der schnelle Mechanismus kann in Sekundenschnelle vor Gefahren schützen. Vielleicht ist Ihnen das auch schon passiert: Sie gehen im Wald spazieren und plötzlich schrecken Sie vor etwas zurück. Ihr Körper reagiert mit einer deutlichen schutzsuchenden Bewegung, bevor Sie überhaupt bewusst wahrnehmen können, um was es sich handelt. Erst nachdem Sie sich wegbewegt haben, nehmen Sie wahr, dass dort wo Sie eben noch gestanden haben, eine Schlange ist. Was ist passiert? Der Anblick dessen, was sich später als Schlange herausstellt, ist durch ihren Thalamus geleitet worden. Der Thalamus ist eine Region die tief im Gehirn liegt und die wir Menschen evolutionsbiologisch mit sehr vielen andere Lebewesen teilen. Vom Thalamus wird die Information aus Ihren Augen zum einen an den visuellen Cortex weitergeleitet, also den hinteren Teil des Gehirns, der ganz genau verarbeitet, was die Augen wahrnehmen. Von dort wird die Information zu den frontalen (vorderen) Teilen des Gehirns weitergeleitet. Dort wird das Gesehene bewusst wahrgenommen und interpretiert. Parallel, und viel schneller, ist das Signal, dass es sich hierbei um etwas Gefährliches handeln könnte, vom Thalamus an die benachbarte Amygdala geleitet worden, und von dort aus an Ihre Muskeln und Ihre inneren Organe. Dieses schnelle Signal führt dazu, dass das Stresshormon Cortisol ausgeschüttet wird. Energie wird aus dem Verdauungstrakt abgezogen und in die Muskeln gelenkt (zum Wegrennen). Die Pupillen werden erweitert (für besseres Sehen) und die Atmung wird schneller (für eine bessere Sauerstoffzufuhr). Bevor also die bewusste Wahrnehmung der Schlange überhaupt in den vorderen Teilen des Gehirns stattfinden konnte, hat Ihr Körper Sie in Sicherheit gebracht. Das Gehirn ist also optimiert darauf, relevante Ereignisse mithilfe des Thalamus und der Amygdala schnell und effizient zu verarbeiten. Ist das nicht wunderbar? Übrigens verarbeitet die Amygdala nicht nur unangenehme und potenziell gefährliche Ereignisse mit hoher Priorität, sondern auch Ereignisse, die angenehm sind (Sander et al., 2003). Vielleicht kennen Sie solche oder so ähnliche schnelle Reaktionen Ihres Körpers auch beim Autofahren, oder wenn Sie sich vor herabfallenden Gegenständen (bei mir oft aus dem Küchenschrank) wegducken. Diese schnellen, emotionalen Reaktionen sind nicht nur bei physischen Gefahren präsent, dieses System ist fester Bestandteil des menschlichen Gehirns. Das bedeutet, dass das Warnsystem des Gehirns auch in sozialen Situationen aktiviert werden kann. Es kann also sein, dass Sie ein Meeting betreten und instinktiv (d.h. basierend auf dem schnellen Verarbeitungsweg) eine Abwehr- oder Angriffshaltung einnehmen. Dieser instinktive Weg ist nicht immer falsch. Er basiert auf den gespeicherten Erfahrungen und der schnellen Integration von körperlichen Signalen. Manchmal ist es jedoch wichtig, die erste, instinktive Handlung zu korrigieren. Nicht immer wird es sich im Wald oder im Meeting um eine Schlange handeln und nicht immer ist Angriff oder Abwehr in sozialen Situationen die beste Wahl. 4. Was passiert im Gehirn, wenn man unter Stress steht? Aus neurowissenschaftlicher Forschung weiß man also, dass Stress nützlich ist, um schnelle körperliche Reaktionen in Gang zu setzten. Problematisch wird es jedoch, wenn das Stresssystem auf Dauer aktiviert ist, oder in den falschen (sozialen) Situationen zu starken Reaktionen von Angriff, Flucht, oder Abwehr führt. Unter den täglichen Stressoren sind zwischenmenschliche Probleme das häufigste Problem. Was ja auch Sinn ergibt, denn gelingende Beziehungen zu anderen Menschen sind zentral für ein glückliches, gesundes und langes Leben. Die Arbeitswelt bildet im Bezug auf Stress keine Ausnahme: Der größte Stressor am Arbeitsplatz sind zwischenmenschliche Konflikte. Solche Konflikte führen nicht nur zu einer schlechteren Arbeitsleistung, sie sind oft die Ursache für psychische und körperliche Krankheiten. Mit hoher Wahrscheinlichkeit fallen Ihnen Beispiele in der Arbeitswelt ein, bei denen es zu (eigentlich unnötigen) Konflikten kommt. Ich möchte Sie bitten, sich einen dieser zwischenmenschlichen Konflikte am Arbeitsplatz kurz konkret vorzustellen. Wer sind die beteiligten Personen? Was für Gefühle sind vorhanden? Welches Verhalten ist präsent? Taucht dieser Stressor immer wieder auf? Kehren wir zurück zur Wissenschaft. Was passiert im Gehirn, wenn man dauerhaft gestresst ist? Ein 2009 erschienener Übersichtsartikel der US-amerikanischen Neurowissenschaftlerin Amy Arnsten von der Yale Universität gibt hier wertvolle Einblicke. Arnsten beschreibt hierin, wie selbst milder chronischer Stress zu einem schnellen und dramatischen Rückgang an kognitiven Fähigkeiten im präfrontalen Cortex führt. Der präfrontale Cortex ist so wichtig, weil er zentrale Funktionen der Handlungssteuerung hat. Konkret sind unter Stress präfrontale Gehirnfunktionen eingeschränkt, die Emotionen regulieren, unangemessene Handlungen unterdrücken, und die Aufmerksamkeit lenken. Anstelle kontrollierter, bedachter Handlungen, springt nun das von der Amygdala gesteuerte schnelle System für Angriff, Abwehr und Flucht an. Dieses System beruht auf emotionalen Gewohnheiten und erlernten Assoziationen. Nicht nur im privaten Umfeld, auch am Arbeitsplatz kann sich das zum Beispiel in unkontrollierten Wutausbrüchen mit Schreien und Heulen äußern, in abfälligen Kommentaren („Du bist nicht gut genug.“) oder in Burnout, Rückzug oder Kündigungen. Habe ich alles schon erlebt (und Sie vielleicht auch?). Die Auswirkung des präfrontalen Cortex auf Racheverhalten Arnstens Übersichtsartikel basiert größtenteils auf Einsichten aus Tierstudien. Vor ein paar Jahren habe ich Studien durchgeführt, um besser zu verstehen, wie Gehirnfunktionen und Sozialverhalten bei Menschen zusammen hängen (Klimecki et al., 2016b; 2018). Dieses Mal wollte ich im Labor jedoch nicht Hilfeverhalten testen, sondern untersuchen, wie sich die Provokation von Wut auf das (anti)soziale Verhalten von Menschen auswirkt. Ich wollte im Labor Einsichten über Konfliktverhalten und deren neuronale Grundlagen gewinnen. Um die Gehirnaktivität von Probanden zu messen, arbeite ich mit funktioneller Magnetresonanztomografie. Während dieser Messung liegen Probanden in einem engen Scanner. Da ist es schwierig, Alltagskonflikte am Arbeitsplatz zu verwenden. Also konzipierte ich ein Computerspiel, bei dem es um die Verteilung von Geld zwischen Mitspielern geht. In einer Runde des Spiels werden alle Probanden mit einem fairen und einem unfairen Spieler konfrontiert. Der faire Spieler wählt stets Verteilungen, bei denen der Gewinn aller Mitspieler (also auch des Probanden) maximiert wird. Der unfaire Spieler wählt immer Verteilungen, bei denen der Proband möglichst wenig oder gar nichts bekommt. Zudem sendet der faire Spieler dem Probanden nette Botschaften, während der unfaire Spieler unfreundliche Botschaften sendet. Diese Manipulation löst bei den Probanden zuverlässig Wut aus. Sie führt auch dazu, dass Probanden sich in der nächsten Runde des Spiels am unfairen Spieler rächen, indem sie unfaire Geldverteilungen und fiese Botschaften wählen. Zwei Resultate aus diesen Studien sind wichtig. Erstens zeigt sich, dass Probanden, die im Alltag mehr Mitgefühl und Perspektivenübernahme praktizieren und weniger empathischen Stress durch Mitleid empfinden, den unfairen Spieler weniger bestrafen. Zweitens zeigt sich auf der Ebene der Gehirnaktivität, dass die Probanden, die während der Provokation durch den unfairen Spieler eine höhere Aktivität im dorsolateralen präfrontalen Cortex haben, den unfairen Spieler später weniger bestrafen. Mit anderen Worten: wenn die Region im präfrontalen Cortex, die für Emotionsregulation relevant ist, während der Provokationsphase aktiver ist, rächen sich Menschen später weniger. Es lohnt sich also, die Aktivität der präfrontalen Cortex durch Stressreduktion so gut wie möglich zu erhalten. Wie beeinflusst Stress das Sozialverhalten? Mich hat auch interessiert, wie sich Stress auf das (un)soziale Verhalten von Menschen auswirkt. Um dies zu testen, habe ich mit meinem Team Probanden in das Labor eingeladen und sie das oben beschriebene Spiel mit dem fairen und unfairen anderen Mitspieler spielen lassen (Deza-Araujo et al., 2021). Vor dem Spiel wurde die Hälfte der Probanden von uns kurz gestresst, die andere Hälfte nicht. Konkret sah das so aus, dass die gestressten Probanden eine Hand in kaltes Wasser tauchten, während wir sie filmten und ein streng drein schauender Experimentator sie beobachtete. Wir sagten den Probanden, dass wir den Film später einem Evaluationskomitee vorlegen würden. (Erst nach dem Experiment haben wir die Probanden darüber aufgeklärt, dass wir die Filmaufnahme natürlich umgehend gelöscht hatten.) Diese Prozedur mit kaltem Wasser, Filmaufnahme und strengem Experimentator dauert drei Minuten, wobei Probanden die Hand aus dem Wasser nehmen können, wann sie wollen. Aus der Forschung weiß man nämlich, dass allein schon von anderen beobachtet zu werden, ein sehr starker sozialer Stressor ist. Wie Sie vielleicht schon gehört haben, haben die meisten Menschen mehr Angst davor, einen öffentlichen Vortrag zu geben, als zu sterben. Doch zurück zum Experiment: die nicht gestressten Probanden wurden gebeten, ihre Hand drei Minuten lang in lauwarmes Wasser zu halten. Sie wurden nicht gefilmt und niemand war während dieser drei Minuten im Raum anwesend. Um den Effekt der Stressmanipulation zu messen, haben wir anhand von regelmäßigen Speichelproben die Cortisolwerte der Probanden erhoben. Cortisol ist das Stresshormon, das wesentlich für die schnellen körperlichen Reaktionen bei Flucht und Angriff verantwortlich ist. Wie erwartet zeigen Probanden in der Stressbedingung erhöhte Cortisolwerte im Vergleich zu den nicht gestressten Probanden. Im Anschluss an diese Manipulation spielten alle Probanden das oben beschriebene Computerspiel, bei dem es um die Verteilung von Geld mit fairen und unfairen Mitspielern geht. Wie erwartet, bestraften die gestressten Probanden den unfairen Spieler im Vergleich zu den nicht gestressten Probanden viel stärker. Dabei sagte der durch den Stressor hervorgerufene Anstieg an Cortisolwerten im Speichel vorher, wie stark Probanden später den unfairen Spieler bestraften. Je mehr Cortisol durch den Stressor ausgeschüttet wurde, desto stärker fiel die Bestrafung aus! Bezogen auf soziale Interaktionen außerhalb des Labors bedeuten diese Ergebnisse, dass auch Stressoren, die nichts mit einer konkreten sozialen Interaktion zu tun haben, das spätere Sozialverhalten beeinflussen können. Es kann also sein, dass ein Mitarbeiter, der nach einem Vortrag gestresst ist, anschließend einem ungeliebten Kollegen so richtig eins reinwürgt. Umgekehrt wird ein Mitarbeiter, der den Vortrag gelassen nimmt, das schwierige Verhalten seiner Kollegen wahrscheinlich milde weglächeln. Schlafentzug ist auch Stress Ein möglichst stressfreies Umfeld zu gestalten, kann sich also für Firmen lohnen. Nicht zuletzt in dem Wissen, dass Menschen für gewöhnlich ohnehin (zu) vielen Stressoren ausgesetzt sind. Nehmen wir einmal das Beispiel von jungen Eltern. Eine Freundin von mir hat als Mantra eine Postkarte, auf der steht: “Kleinkinder haben ist wie ein Festival: Lärm, Schlafentzug und ständig kotzt einer.“ Weil ich diese Form von massivem Schlafentzug als junge Mutter aus erster Hand kenne, haben wir getestet, welche Effekte Schlafentzug auf das Cortisollevel von Paaren hat, wenn diese sich streiten (Cernadas Curotto et al., 2021). Paare, die an unserer Studie teilgenommen haben, wurden zufällig einer von zwei Gruppen zugeteilt: entweder der Gruppe mit einer Nacht komplettem Schlafentzug, oder der Gruppe, die ganz normal eine Nacht zu Hause schlafen durfte. Am nächsten Morgen gaben wir den Paaren ein Frühstück, nahmen regelmäßig Speichelproben, um die Cortisolwerte zu messen, erfassten die Stimmung, und ließen die Paare im Labor streiten. Aus früheren Forschungsarbeiten weiß man nämlich, dass Streiten im Labor fast so gut wie zu Hause funktioniert. Auch in unseren Studien scheinen Paare nach ein paar Minuten zu vergessen, dass sie im Labor sind und streiten sich recht ungehemmt über sehr persönliche Themen. In diesem Experiment fanden wir heraus, dass die Paare, die unter Schlafentzug litten, eine höhere Cortisolreaktion auf den Streit zeigen, als die Paare, die normal geschlafen hatten. Je größer dieser Cortisolanstieg war, desto unzufriedener waren Paare mit Schlafentzug tendenziell mit dem Streitgespräch. Zudem berichteten Paare, die nicht geschlafen hatten, weniger positive Emotionen als Paare, die normal geschlafen hatten. Positive Emotionen sind für soziale Interaktionen, aber auch für Gesundheit und Kreativität ganz zentral. Dazu folgt später mehr. Zusammengefasst zeigt sich, dass auch nur eine schlaflose Nacht dazu führt, dass Stressreaktionen ansteigen, die Zufriedenheit mit Streitgesprächen sinkt und positive Emotionen abnehmen. Aus praktischen und vor allem ethischen Gründen haben wir in dieser Studie mit nur einer Nacht komplettem Schlafentzug gearbeitet. Junge Eltern wissen aus eigener Erfahrung, wie viel heftiger die Folgen von realem Schlafentzug über Wochen, Monate, oder gar Jahre sein können. Stress lass nach… Wenn man also optimale Grundlagen dafür schaffen möchte, dass soziale Interaktionen, sei es Verhandlungen, oder auch Partnerschaften, so richtig in die Hose gehen, scheint es durchaus sinnvoll sein, andere maximal zu stressen und dem anderen so wenig Schlaf wie möglich zu gönnen. Ich habe sogar Manager getroffen, die solche Maßnahmen gezielt vor Verhandlungen einsetzten, um andere zu zermürben. Aber mal im Ernst: würden Sie mit jemandem, der Sie absichtlich stresst, gerne dauerhaft zusammen arbeiten oder gar zusammen leben wollen? Ich jedenfalls nicht. Umgekehrt haben Sie vielleicht auch schon einmal das Potenzial dessen erlebt, was möglich ist, wenn Stress abgebaut wird und andere Ihren Schlaf achten. Ein guter Freund von mir, der ein international angesehener Mediator ist, macht es sich zur obersten Priorität, dass die Parteien nach Möglichkeit ausgeschlafen zur ersten Sitzung kommen. Er wählt die Orte für die Mediationen so aus, dass ein möglichst stressfreies äußeres Umfeld geschaffen wird, zum Beispiel durch ein ruhiges Hotel inmitten der Natur. Zusätzlich nutzt er seine freundliche und ruhige Präsenz, um eine Atmosphäre des Vertrauens und der Zuversicht zu schaffen. Denn was für die äußere Umgebung gilt, gilt auch für die Kommunikation. Aus der Forschung wissen wir, dass „blaming and shaming“ (also Schuldzuweisungen und die Beschämung anderer) dazu beitragen, dass Konflikte eskalieren (Halperin, 2016). Das ist auch nicht weiter verwunderlich, denn Schuldzuweisungen und die Botschaft, dass jemand ein schlechter Mensch ist, führen im Gehirn zu Stress, was wiederum den Reflex für Angriff oder Flucht auslöst. Wie viel produktiver ist es da, wenn man Gefühle von Zusammenhalt, Optimismus, und Hoffnung verbreitet? Zum Beispiel in dem man vermittelt, wie sehr man das Gegenüber im Grundsatz und wegen konkreter Stärken schätzt und dann konkrete eigene Bedürfnisse anspricht. Laut psychologischer Forschung sind Botschaften, die Hoffnung, positive Emotionen und Gefühle von Zugehörigkeit stärken, beste Voraussetzungen für gelingende soziale Interaktionen. Stressoren gibt es nämlich schon genug in der Welt. 5. Unsere traumatisierte und resiliente Gesellschaft Mein Blick auf die Welt (und damit meine ich vor allem auf andere Menschen, die ich nicht kenne, zum Beispiel die Teilnehmer meiner Kurse) hat sich vor ein paar Jahren grundlegend gewandelt. Nämlich als ich verstanden habe, dass wir in einer durch und durch traumatisierten Gesellschaft leben. Trauma wird definiert als Erfahrung, die so belastend ist, dass sich Betroffene hilflos, verängstigt, überwältigt oder zutiefst unsicher fühlen. Trauma ist keine exotische Erfahrung, die nur wenige Menschen machen, es ist weit verbreitet. Ein Übersichtsartikel aus den USA zeigt, dass ca. 90 % der US-Bevölkerung traumatisiert sind (Kilpatrick et al., 2013). Manche Forscher (und dazu gehöre ich auch) gehen sogar davon aus, dass eigentlich alle Menschen traumatisiert sind und die meisten sogar mehrfach. Nehmen wir als Beispiel für traumatische Erfahrungen die Covid-19 Pandemie. Diese Pandemie stellt jeden Menschen auf diesem Planeten ständig vor neue Herausforderungen. Diese Herausforderungen zeigen sich zum Beispiel als Einsamkeit oder Krankheit, als Verlust von geliebten Menschen, als Spaltung der Gesellschaft, als Einschränkungen im sozialen und öffentlichen Leben, oder in der Bedrohung von wirtschaftlichen Existenzen. Nicht bei allen Menschen, die von einem Ereignis überwältigt (d.h. traumatisiert) sind, hat dies spürbare Auswirkungen auf den Alltag. Das ist eigentlich ein erstaunlich gutes Zeichen und deutet darauf hin, dass Menschen ziemlich robust sind. Es wird davon ausgegangen, dass ca. 8-20 % der traumatisierten Menschen posttraumatische Belastungsstörung entwickeln (Kilpatrick et al., 2013). Posttraumatische Belastungsstörungen zeichnen sich durch wiederkehrende Erinnerungen und Angstträume, durch vermeidendes Verhalten und eine emotionale Stumpfheit gegenüber der anderen Menschen und der Umgebung aus. Besonders häufige Zeichen von posttraumatischen Belastungsstörungen sind Schlafstörungen, Reizbarkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, erhöhte Wachsamkeit oder ausgeprägte Schreckhaftigkeit. Dies alles sind Symptome von zu viel Stress im Körper (und zu wenig Aktivität des präfrontalen Cortex). Die Auslöser von traumatischen Erfahrungen können vielfältig sein. Es muss sich dabei nicht unbedingt um Naturkatastrophen, schwere Unfälle, Pandemien, oder ernsthafte physische, sexuelle, oder psychische Gewalt handeln. Auch Formen der Diskriminierung und der strukturellen Unterdrückung können traumatisch sein. Konkret bedeutet das, dass auch Diskriminierungen, fehlende Integration und noch so “kleine“ unangemessene Kommentare traumatisch sein können. Die kanadische Psychotherapeutin und Professorin Monnica Williams zeigte in ihren Studien, dass die Anhäufung von diskriminierenden Stressfaktoren (dazu gehören z.B. intergenerationelle Traumata und Mikroaggressionen) zur Entwicklung von post-traumatischen Belastungsstörungen führen können (Williams et al., 2021). Im Englischen gibt es dafür einen Ausdruck “Death by a thousand paper cuts“. Ein einzelner Papierschnitt mag nicht schlimm sein, aber wenn die Papierschnitte sich häufen, kann dies bedrohlich werden. Beziehen wir die Erkenntnis, dass wir wahrscheinlich alle mehrfach traumatisiert sind (ich zähle jedenfalls dazu), auf Konflikte am Arbeitsplatz. Der Traumaexperte Thomas Hübl sagte neulich sinngemäß: wenn am Arbeitsplatz Konflikte aufbrechen, dann sind das nicht einfach nur Konflikte am Arbeitsplatz. Man kann sich das vielmehr so vorstellen, dass jeder seine Lunchbox an Traumata mitbringt und dann haben alle zusammen Lunch (also Konflikte). Trotz des theoretischen Wissens um die enorme Verbreitung von Traumata, geht es mir jedes Mal unter die Haut, wenn ich ganz konkret erfahre, wie traumatisiert Menschen sind, denen ich begegne. Die Statistiken zu kennen und die konkrete Verletztheit meines Gegenübers zu spüren, haben mich tief bewegt. Das hat bei mir dazu geführt, dass ich mir bei jeder Person und Gruppe, mit der ich arbeite, vergegenwärtige, dass dort wahrscheinlich ganz viele (unbewusste) Traumata sind. Das motiviert mich, besonders achtsam und sorgfältig mit meinem Gegenüber umzugehen und nach bester Möglichkeit, eine Atmosphäre der Sicherheit zu schaffen. Zu einer solchen Atmosphäre gehört die Reduktion von Stressoren, sowie das gezielte Fördern von Empathie, Mitgefühl und positiven Emotionen, wie Freude, Zugehörigkeit und Zufriedenheit. 6. Der konstruktive Umgang mit Konflikten “Frieden ist nicht die Abwesenheit von Konflikten, sondern die Fähigkeit, Konflikte mit friedlichen Mitteln zu bewältigen“ Ronald Reagan(1982) Wenn es darum geht, gelingende soziale Interaktionen zu fördern, stehen zahlreiche Interventionen zur Verfügung. Ratgeber zu dem Thema gibt es jedenfalls viele. Die wenigsten der empfohlenen Interventionen sind allerdings wissenschaftlich getestet. Selbst bei den getesteten Interventionen ist die Datenlage oft erschreckend dünn. Meist beruhen die Strategien, die zur Lösung von Konflikten zur Anwendung kommen, auf Erfahrungen. Das ist im Kontext von internationalen Konflikten, bei denen die Vereinten Nationen einschreiten, nicht anders, als bei Streitigkeiten in der Geschäftswelt. Erfahrungen sind unglaublich wertvoll. Gleichzeitig zeigt sich in der Praxis, dass die Empfehlungen nicht immer so funktionieren, wie man sich das erhoffen würde. Was nötig ist, sind rigorose wissenschaftliche Studien, die testen, wann welche Interventionen sinnvoll sind. Um dazu beizutragen, diese Lücke zu schließen, untersuche ich mit meinem Team seit 2015 den kausalen Einfluss von Interventionen auf soziale Interaktionen. Um Aussagen über die Wirkung und die Wirkmechanismen zu treffen, nutzen wir die gleichen strengen Versuchsanordnungen, die in der medizinischen Forschung beim Testen und Zulassen von Medikamenten zur Anwendung kommen. Schließlich können - auch unbewaffnete - Konflikte verheerende Auswirkungen auf die psychische und körperliche Gesundheit und Unversehrtheit haben. Wieso es sich lohnt, sich (gemeinsam) eine rosige Zukunft auszumalen Eine der ersten Interventionen, die wir getestet haben, ist das Denken an die Zukunft. Die historische Grundlage hierfür geht zurück auf die Vereinbarungen von Camp-David, die unter Präsident Jimmy Carter zwischen dem ägyptischen Präsidenten Sadat und dem israelischen Ministerpräsidenten Begin im Jahr 1978 geschlossen wurden. Die Tatsache, dass Camp-David ein recht informeller Ort in der Natur ist, hat wahrscheinlich auch einen wesentlichen Beitrag zur Stressreduktion geleistet. Berichte besagen jedenfalls, dass Jimmy Carter nach mehrtägigen Verhandlungen ohne Einigung dazu überging, Enkelkinder in die Diskussion einzuführen. Gemeinsam überlegten die drei Präsidenten also, was für eine Welt sie sich für ihre Enkelkinder wünschen. Dies gilt als Wendepunkt in den Verhandlungen. Später an diesem Tag unterzeichneten Begin, Sadat und Carter das Abkommen von Camp-David, in dem der seit 1948 andauernde Kriegszustand zwischen Ägypten und Israel für beendet erklärt wurde. Für diese historische Einigung erhielten Sadat und Begin später den Friedensnobelpreis. Was war passiert? Es scheint, dass Jimmy Carter durch die Erwähnung von Enkelkindern den Fokus von der Gegenwart auf die Zukunft verschoben hat... Mein Team und ich wollten wissen, ob das Denken an die Zukunft tatsächlich eine einfache und wirkungsvolle Maßnahme sein kann, um prosoziales Verhalten zu fördern. Um das zu testen, führten wir ein Experiment durch, bei dem die Teilnehmer zufällig einer von zwei Bedingungen zugeordnet wurden (Cernadas Curotto et al., 2022). Die Hälfte der Teilnehmer wurde darum gebeten, eine Minute lang an die Zukunft zu denken. Die andere Hälfte der Teilnehmer wurde darum gebeten, eine Minute lang Tiere aufzuzählen. Anschließend spielten alle Teilnehmer ein Computerspiel mit Schatzsuche. Uns Forscher interessierte jedoch weniger, wie viele Schätze die Teilnehmer in der knappen Zeit erreichten. Wir erfassten, wie oft Teilnehmer anderen, unbekannten Spielern halfen. Tatsächlich zeigte dieses Experiment, dass Teilnehmer, die vorher für nur eine Minute an die Zukunft gedacht hatten, anderen mehr halfen, als Teilnehmer, die zuvor an Tiere gedacht hatten. An die Zukunft zu denken, um prosoziales Verhalten zu steigern, bewährt sich also auch im Labor. Dies ist eine einfache und wirkungsvolle Methode, die man einsetzen kann, um den Fokus von Stressoren abzuziehen und auf die Zukunft zu richten. Dabei empfiehlt es sich, die Gedanken möglichst auf positive Aspekte in der Zukunft zu legen – laden Sie andere ruhig ein, sich die bestmögliche Zukunft auszumalen. Unsere Forschung zeigt nämlich auch, dass gerade positive zukunftsorientierte Gedanken mit prosozialem Verhalten zusammen hängen (Cernadas Curotto et al., 2022). Überhaupt erweist es sich als sinnvoll, positive Emotionen so stark wie möglich zu fördern. Positive Emotionen fördern die Resilienz, Kreativität, Zusammenhalt, Problemlösung, Gesundheit, Erfolg und, und, und. Meine US-amerikanische Kollegin Barbara Fredrickson drückte es bei einer Konferenz in Kalifornien neulich so aus: Alle Emotionen sind wichtig, aber positive Emotionen sind besonders wichtig. Kann Meditationstraining dazu beitragen, unsere sozialen Beziehungen zu stärken? Wie oben erwähnt, gibt es mittlerweile Meta-Analysen, die belegen, dass Meditationstraining prosoziales Verhalten fördert, aggressives Verhalten senkt, und Resilienz stärkt. Darüber hinaus belegen Studien, dass Meditationstraining Stress senkt – nicht umsonst heißt eines der bekanntesten Meditationsprogramme "Mindfulness Based Stress Reduction", kurz MBSR. Meine Forschung hat belegt, dass selbst kurzes Meditationstraining positive Emotionen und damit einhergehende Aktivitäten im Gehirn fördert und das sogar bei stressigen Ereignissen. Die positiven Effekte von Meditation auf Resilienz sind mittlerweile auch durch eine Metaanalyse nachgewiesen worden. Wie aber sieht es mit den Effekten von Meditation bei zwischenmenschlichen Konflikten oder gar Gruppenkonflikten aus? In diesem Bereich ist die Datenlage tatsächlich noch recht dünn. Erste Studien sind allerdings vielversprechend. Sie zeigen, dass Meditationstraining dazu beitragen kann, das Verhältnis zwischen Israelis und Palästinensern zu verbessern und implizite Vorurteile gegenüber anderen Gruppen abzubauen. Lange Zeit fehlte es allerdings an streng kontrollierten Studien, die kausale Aussagen erlauben. Um diese Lücke zu füllen, habe ich zusammen mit meiner Doktorandin Patricia Cernadas Curotto die Auswirkungen von Meditationstraining auf verschiedene Konflikte untersucht. Wir haben getestet, wie sich Meditationstraining auf zwischenmenschliche Konflikte (vor allem am Arbeitsplatz) auswirkt, wie sich Meditationstraining auf Paarbeziehungen auswirkt und wie sich Meditationstraining auf den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern auswirkt. Unsere Ergebnisse zeigen, dass einige Wochen Mitgefühlstraining mithilfe von Meditation sowohl im zwischenmenschlichen Bereich, als auch bei Gruppenkonflikten dazu beitragen, die Beziehungen zu anderen zu verbessern. Und das, obwohl es in keinem unserer Trainings um die Konflikte ging. Die Effekte des Meditationstrainings auf schwierige Beziehungen beruhen allein auf dem Transfer des Gelernten. Dies unterstreicht das Potenzial von Meditationstrainings, unsere Gesellschaft nachhaltig zu verändern. Meditationstraining ist allerdings nicht jedermanns Sache und auch keine Lösung für alle Probleme. Deswegen haben wir auch andere Interventionen, wie zum Beispiel Mediation, untersucht. Welchen Effekt hat Mediation? Obwohl Mediation seit geraumer Zeit genutzt wird, gab es bis vor kurzem noch keine Studien zum kausalen Einfluss von Mediation auf Konflikte, oder gar auf Veränderungen in neuronaler Aktivität. Um auch diese wichtige Lücke in der Forschung zu schließen, untersuchten mein Doktorand François Bogacz, der selbst ein erfahrener Mediator ist, und ich, den Einfluss von Mediation auf Konflikte (Bogacz et al., 2020). Wir wollten mit unserer Forschung zum ersten Mal die kausalen Effekte dieser Intervention bei echten zwischenmenschlichen Konflikten testen. Wir überlegten zunächst, Konflikte im Arbeitsumfeld zu testen. Schnell sahen wir hiervon jedoch aus ethischen Gründen ab (wegen der Abhängigkeit zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern). Aus der Literatur wussten wir, dass Paarkonflikte auch im Labor funktionierten. Also luden wir Paare ein, sich im Labor über einen ungelösten Konflikt zu streiten. Und wieder schienen die Paare, die an unseren Studien teilnahmen, nach einigen Minuten völlig zu vergessen, dass sie im Labor waren und stritten sich zum Teil heftig über sehr private Themen. Die teilnehmenden Paare wurden zufällig einer von zwei Bedingungen zugeordnet: einem Streit mit Mediator und einem Streit ohne Mediator. Beim Streit ohne Mediator hatten wir noch eine stumme dritte Person im Raum. So kontrollierten wir nicht nur für die Anzahl von anwesenden Personen (das Paar plus eine weitere Person), sondern konnten auch bei einer heftigen Eskalation eingreifen. Dies war auch einmal nötig (wie erwartet in der Bedingung ohne Mediation). Was also waren die Effekte von Mediation? Die Ergebnisse unserer Studie zeigen, dass Mediation im Vergleich zur Kontrollbedingung zu mehr Einigungen führte. Zudem führte Mediation zu einer höheren Zufriedenheit mit dem Inhalt und dem Verlauf des Streitgesprächs. Als Nächstes stellten wir uns die Frage, ob Mediation darüber hinaus auch einen Einfluss auf Gehirnfunktionen haben kann. Kann es sein, dass Paare, die sich mit Mediator streiten, nach dem Streit beim Anblick ihres Partners mehr Aktivität in Gehirnarealen zeigen, die mit positiven Emotionen, wie Liebe zusammenhängen? Dieser Frage gingen meine Studenten Halima Rafi, François Bogacz und ich nach, indem wir abermals Paare zum Streiten mit oder ohne Mediator ins Labor einluden (Rafi et al., 2020). Dieses Mal erfassten wir mittels funktioneller Magnetresonanztomografie vor und nach dem Streit die Aktivität des Gehirns, während Versuchspersonen Fotos vom ihrem Partner sahen. Auch in dieser Studie zeigte sich, dass Mediation die Lösung von Konflikten verbessert und die Zufriedenheit mit dem Inhalt und dem Verlauf des Konfliktgesprächs im Vergleich zur Kontrollgruppe erhöht. Bezogen auf die Gehirnaktivität bestätigt unsere Studie, dass beim Sehen des romantischen Partners vor dem Streit erhöhte Aktivierungen in einem Netzwerk beobachtet werden, das schon aus früheren Studien zu romantischer Liebe bekannt ist. Dieses Netzwerk umfasst unter anderem das Striatum, den orbitofrontalen Cortex, die Insula, den Thalamus und die Amygdala. Über beide Bedingungen hinweg (also mit und ohne Mediator) führte der Konflikt dazu, dass neuronale Aktivierungen in diesem Netzwerk zurückgingen. Dies war vor allem im Striatum, der Insula, und dem Thalamus der Fall. Über beide Gruppen hinweg zeigte sich zudem, dass Studienteilnehmer, die zufriedener mit der Konfliktlösung waren, beim Betrachten des Partners auch nach dem Konflikt noch eine erhöhte Aktivität im nucleus accumbens zeigten. Der nucleus accumbens ist eine Region des Striatums (das kennen wir schon aus den Studien zu Mitgefühlsmeditation), die für positive Emotionen und Belohnung zentral ist. Zudem hatten Teilnehmer in der Mediationsbedingung bei der Betrachtung ihres Partners eine tendenziell höhere Aktivität im nucleus accumbens als Teilnehmer, die sich ohne Mediator gestritten hatten. Diese Studie liefert einen ersten Hinweis darauf, dass Mediation dadurch wirken kann, dass sie die Aktivität in Gehirnarealen stärkt, die mit positiven Emotionen zusammenhängen. Es sind noch viele weitere Studien nötig, um die kausalen Effekte von Interventionen besser zu verstehen. Die oben beschriebenen Studien geben erste wertvolle Hinweise darauf, dass ein gezieltes Stärken von positiven Emotionen (und der damit verbundenen neuronalen Aktivität) ein effizienter Weg sein kann, um Konflikte konstruktiver zu lösen. Dies kann durch Denken an die Zukunft, Mediation, oder Meditation geschehen. Kooperation und Inklusion gezielt zu fördern, ist in der heutigen Gesellschaft besonders wichtig. Denn wir leben in einer Welt, die nicht nur von Stress und Konflikten geprägt ist, sondern auch von Vielfalt und sozialem Fortschritt. Um in der Praxis umzusetzen, was wissenschaftliche Studien zeigen, gebe ich Trainings für Führungskräfte und Teams. In diesen Trainings erlebe ich immer wieder das enorme Potenzial, die Kraft, die Freude und die Energie, die in Menschen und in sozialen Beziehungen stecken. Wenn diese Energie freigesetzt wird, trägt das wesentlich dazu bei, dass Systeme inklusiver, kreativer und produktiver werden. 7. Fazit Fassen wir also noch einmal die wichtigsten Punkte zusammen. Soziale Beziehungen sind nicht nur wichtig, sie sind überlebenswichtig. Wenn sie gelingen, tragen soziale Beziehungen zu einem gesunden, langen, und glücklichen Leben bei. Am Arbeitsplatz trägt ein sicheres, positives soziales Umfeld dazu bei, die Zufriedenheit, Gesundheit und Produktivität von Mitarbeitern zu fördern. Die Fähigkeit, die Gefühle und Gedanken anderer zu verstehen (Empathie und Perspektivenübernahme) trägt entscheidend zum Gelingen von sozialen Beziehungen bei. Bei der Konfrontation mit schwierigen Situationen fördert Mitgefühl Hilfeverhalten, Resilienz, wohlwollende Emotionen und die damit verbundene Gehirnaktivität. Das Stärken von einem Gefühl der Sicherheit und von positiven Gefühlen ist wichtig, weil wir in einer gestressten und traumatisierten Gesellschaft leben. Stress und Traumata bewirken einen Rückgang in Funktionen, die vom präfrontalen Cortex gesteuert werden, wie Emotionsregulation. Präfrontale Funktionen sind wichtig zur Regulation von Sozialverhalten, auch zur Kontrolle von aggressivem Verhalten. Das Schaffen von sicheren, positiven Umgebungen trägt zu einer Förderung von gelingenden sozialen Beziehungen bei. Einige Interventionen können nachweislich dabei helfen: - Kurzfristig kann man an eine (rosige) Zukunft denken - Mittelfristig kann man mithilfe von Meditationstrainings Mitgefühl kultivieren. Diese Trainings können soziale Beziehungen selbst bei bestehenden zwischenmenschlichen Beziehungen und Gruppenkonflikten verbessern. Alternativ kann man sich einen Mediator zur Hilfe holen – das fördert nicht nur produktive Lösungen von Streit, sondern auch Gehirnaktivitäten, die mit positiven Gefühlen zusammen hängen. Literatur- und Quellenverzeichnis Arnsten (2009). Stress signalling pathways that impair prefrontal cortex structure and function. Nature reviews neuroscience. Bogacz & Klimecki (2017). How do emotions impact conflicts? A neuroscientific perspective. In: Approaches to Conflict: Theoretical, Interpersonal, and Discursive Dynamics. Bogacz et al. (2020). Mediators have a beneficial impact on conflict resolution in romantic couples. Humanities & Social Sciences Communications. Cernadas Curotto et al. (2021). Quarreling after a sleepless night: preliminary evidence of the impact of sleep deprivation on interpersonal conflict. Affective Science. Cernadas Curotto et al. (2022). Back to the future: a way to increase prosocial behaviour. Under consideration. Deza-Araujo et al. (2021) Increased cortisol after the socially evaluated cold-pressor task predicts later punishment in healthy males. preprint doi: https://psyarxiv.com/4d6g3/ Donald et al. (2019). Does your mindfulness benefit others? A systematic review and meta-analysis of the link between mindfulness and prosocial behaviour. British journal of psychology. Halperin (2016). Emotions in conflict: Inhibitors and facilitators of peace making. Holt-Lundstad et al. (2010). Social Relationships and Mortality Risk: A Meta-analytic Review. PLoS One. Kahneman (2011). Schnelles Denken, Langsames Denken. Kilpatrick et al. (2013). National estimates of exposure to traumatic events and PTSD prevalence using DSM‐IV and DSM‐5 criteria. Journal of traumatic stress. Klimecki (2019). The role of empathy and compassion in conflict resolution. Emotion Review. Klimecki et al. (2013). Functional neural plasticity and associated changes in positive affect after compassion training. Cerebral Cortex. Klimecki et al. (2014). Differential Pattern of Functional Brain Plasticity after Compassion and Empathy Training. Social, Cognitive and Affective Neuroscience. Klimecki et al. (2016a). Empathy promotes altruistic behavior in economic interactions. Scientific Reports. Klimecki et al. (2016b). The impact of emotions and empathy-related traits on punishment behavior: Introduction and Validation of the Inequality Game. PLoS One. Klimecki et al. (2018). Distinct brain areas involved in anger versus punishment during social interactions. Scientific Reports. Klimecki & Singer (2012). Empathic distress fatigue rather than compassion fatigue? Integrating findings from empathy research in psychology and social neuroscience. In Pathological altruism. Klimecki & Singer (2013). Empathy from the perspective of social neuroscience. In: Handbook of Human Affective Neuroscience. Leiberg et al. (2011). Short-term compassion training increases prosocial behavior in a newly developed prosocial game. PLoS One. Rafi et al. (2020) Impact of Couple Conflict and Mediation on How Romantic Partners Are Seen. Cortex. Sander et al. (2003). The human amygdala: an evolved system for relevance detection. Reviews in the Neurosciences. Williams et al. (2021). Posttraumatic stress disorder and racial trauma. PTSD Research Quarterly.
- Emotionen: der Schlüssel zum Unbewussten
Wie wir mit unseren Emotionen unseren unbewussten Potentialraum nutzen können. Inhaltsverzeichnis 1. Einführung 2. Emotionen an der Schnittstelle zwischen Unbewusstem und Bewusstsein 3. Intuition und Emotion 4. Der Potentialraum - Jenseits von Raum und Zeit 5. Fazit Literatur- & Quellenverzeichnis Emotionen der Schlüssel zum Unbewussten Wie wir mit unseren Emotionen unseren unbewusstsen Potentialraum nutzen können 1. Einführung Die zunehmende Komplexität unserer technischen und sozialen Umwelt stellt an unsere bewusste, rationale Informationsverarbeitung immer höhere Anforderungen. Komplexe Situationen, die durch eine Vielzahl von sich bedingenden und gegenseitig beeinflussenden und untereinander vernetzten Faktoren gekennzeichnet sind, die sich häufig auch noch dynamisch und unvorhersehbar verändern, überfordern unsere auf begrenzten Ressourcen basierenden bewussten, rational-kognitive Prozesse. Stellen Sie sich vor, wie kompliziert mittlerweile ein Computerkauf geworden ist oder manche soziale Interaktion im beruflichen und privaten Kontext. Um unter komplexen Bedingungen richtige Entscheidungen treffen zu können, benötigen wir eine möglichst umfassende und valide Informationsgrundlage. Diese liefert uns nicht unser bewusstes Informationsverarbeitungssystem, sondern unser Unbewusstes. In der vorliegenden Arbeit werden wir argumentieren, dass in uns ein Informationsreservoir schlummert, das aufgrund von früheren Erfahrungen eine enorme Expertise zur Verfügung stellen kann, welche wir oft ungenutzt lassen. Diese Informationsquelle kann man durch Zugang zu seinen Emotionen erschließen und mit angemessener Emotionsregulation auch für seine Zwecke steuern. Die Emotionen bilden das Bindeglied zwischen diesem unbewussten Potentialraum, der uns zielführende Möglichkeiten aufzeigt, und den bewussten Entscheidungsprozessen in unserem Selbst. Darüber hinaus werden wir sehen, dass der unbewusste Potentialraum möglicherweise auch Informationen enthält, die nicht nur auf unseren vergangenen Erfahrungen beruhen, sondern auch auf Erfahrungen über zukünftige Ereignisse, die noch gar nicht eingetreten sind, uns aber betreffen. Außerdem erscheint der unbewusste Potentialraum transindividuell oder kollektiv und enthält somit auch Informationen über die Erfahrungen anderer in unserer sozialen Umgebung, die wir für uns nutzbar machen können. Im ersten Teil dieser Arbeit wird das Konzept der „Emotion“ genauer erläutert und ihre Verortung an der Schnittstelle zwischen unseren unbewussten und dem bewussten Informationsverarbeitungsprozessen dargestellt.Im zweiten Teil werden wir anhand klassischer Theorien zur Intuition beschreiben, welche Rolle die Emotionen darin spielen und wie man sie gewinnbringend einsetzen kann, um gute intuitive Entscheidungen treffen zu können, und wie man förderliche Realitäten mit diesen erzeugen kann. Im dritten Teil werden wir zeigen, dass mit Hilfe der Emotionen auch zukünftige, völlig zufällige Ereignisse vorhergesehen werden können und dadurch auch negative Konsequenzen vermieden werden können. Außerdem können wir mit den Emotionen auch zufällige Ereignisse beeinflussen und Realitäten entstehen lassen, die unserer inneren emotionalen Haltung entsprechen. 2. Emotionen an der Schnittstelle zwischen Unbewusstem und Bewusstsein Um Emotionen als Bindeglied zwischen dem unbewussten Potentialraum und den bewussten Entscheidungsinstanzen unserer Psyche verstehen zu können, muss im Folgenden der psychologische Begriff der Emotion ausführlich dargestellt werden. Wir beginnen zuerst mit einer Beschreibung des Phänomens „Emotion“ und erläutern danach ihre spezifische Funktion an der Grenze zum Unbewussten zusammen mit ihren Auslösemechanismen. Phänomenologische Beschreibung der Emotionen In der Emotionspsychologie gibt es eine Vielzahl von teils sehr unterschiedlichen Definitionen für das psychologische Konzept der Emotion (vgl. Kleinginna & Kleinginna, 1981). Es lassen sich über die verschiedenen Autoren aber einige wesentliche phänomenologische Gemeinsamkeiten in Bezug auf die Emotionen identifizieren. Emotionen können demnach anhand mehrerer Charakteristika beschrieben werden: Emotionen sind, phänomenologisch betrachtet, spezifische, qualitative und disjunkte Zustände wie z.B. Freude, Trauer, Ärger, Angst, Überraschung, Ekel und weiteren ähnlichen Zuständen. Disjunkt bedeutet, dass verschiedene solcher Zustände nicht zeitgleich auftreten können, sondern bestenfalls im schnellen Wechsel, der eine Mischung im Erleben suggeriert. Emotionen sind aktuelle Zustände von zeitlich kurzer Dauer (meist wenige Sekunden) und sie unterscheiden sich darin von emotionalen Dispositionen. Letztere sind dauerhafte Wesensmerkmale von Personen, die jemanden dazu prädisponieren, mit einer bestimmten emotionalen Reaktion über Situationen hinweg zu reagieren (z.B. Ängstlichkeit, Aggressivität). Emotionen sind „objektgerichtet“. Das bedeutet jede Emotion hat ein bestimmtes Thema. Bei Angst ist dies das Vorhandsein einer Bedrohung. Man hat Angst vor etwas. Bei Ärger ist dies die Blockade einer Zielhandlung. Man ärgert sich über ein Hindernis bei der Zielerreichung. Dieses Merkmal ist das bedeutendste, da Emotionen Hinweise darauf liefern mit welchem aktuellen Thema sich das Individuum gerade auseinandersetzt. Deshalb interessieren sich Psycholog:innen so sehr für Emotionen, weil sie Indizien liefern für die motivationalen Ursachen, die eine Person beschäftigen. Emotionen unterscheiden sich nach Qualität und Intensität. Angst und Langeweile sind beide qualitativ betrachtet negative Emotionen mit hoher bzw. niedriger Intensität. Außerdem zeichnen sich Personen in einem emotionalen Zustand durch ein charakteristisches Erleben, eine bestimmte physiologische Veränderung und eine emotionsspezifische Verhaltenstendenz aus. In der Emotionspsychologie wurde versucht, diese Definitionskriterien auf einige wenige Dimensionen zu reduzieren. In einem sehr frühen dimensionalen Ansatz postulierte Wundt (1910) drei Dimensionen anhand derer sich alle Emotionen in einer Art dreidimensionalen Raum einordnen lassen. Ähnliche Versuche stammen von Osgood et al. (1957) und Traxel und Heide (1961). Die aktuell am häufigsten verwendeten Dimensionen, auf die man sich in der Emotionspsychologie geeinigt hat, sind die Valenzdimension mit den Endpolen angenehm/positiv und unangenehm/negativ und die Arousaldimension (auch Erregungsdimension genannt) mit den Endpolen hoch erregend/hoch intensiv und gering erregend/gering intensiv. Jede Emotion kann anhand von Valenz und Arousal charakterisiert werden. Angst wäre demnach in diesem Schema extrem negativ und hoch erregend. Freude hingegen wäre extrem positiv und hoch erregend. Beide Dimensionen geben einen bestimmten Erlebensaspekt einer Emotion wieder. Die Valenzdimension ist bei der Kommunikation zwischen unbewussten Inhalten und bewusster Informationsverarbeitung und damit für intuitives Handeln und Realitätsgestaltung entscheidend. Ein weiteres Klassifikationsschema, welches auch die Grundlage für unser Verstehen der Funktionen von Emotionen bildet und von zentraler Bedeutung für alle weiteren Ausführungen ist, ist der Reaktionstrias von Lazarus (1991) (siehe Abb. 1). Lazarus hat in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Beschreibung der Emotionen anhand von drei Reaktionsformen vorgestellt. Demnach lassen sich drei reaktive Komponenten bei Emotionen unterscheiden: Die subjektive Komponente umfasst das Erleben der jeweiligen Emotion und kann auch als Gefühl bezeichnet werden. Die Art wie sich z.B. Angst subjektiv anfühlt, manifestiert sich in dieser Reaktionskomponente. Es ist die bewusste Wahrnehmung der zugrundliegenden emotionalen Reaktion. Die behaviorale Komponente beschreibt die Verhaltenstendenz, die mit einer bestimmten Emotion einhergeht. Bei Angst z. B. ist es die Fluchttendenz, also die behaviorale Vermeidung einer Bedrohung. Zu dieser Komponente gehört auch die Mimik, die eine im Gesichtsausdruck erkennbare und anderen signalisierte emotional-behaviorale Tendenz umfasst. Die physiologische Komponente schließlich beschreibt die körperlichen Reaktionen, die mit einer bestimmten Emotion auftreten. Sie manifestiert sich u.a. in einer Veränderung der Herzrate, des Blutdrucks und der Atemfrequenz. Anhand der physiologischen Parameter kann man Rückschlüsse auf die Intensität der zugrundeliegenden Emotion ziehen, während die Valenz sich in erster Linie im subjektiven Erleben und evtl. auch in der Verhaltenstendenz erkennen lässt. Emotionen äußern sich immer in diesen drei Reaktionskomponenten, allerdings bisweilen in unterschiedlicher Stärke. Es kann sein, dass eine Emotion sich deutlich im Verhalten manifestiert bei nur minimaler Beteiligung eines subjektiven Erlebens. In diesem Falle würde ein Individuum behavioral auf Grund einer Emotion reagieren (bei Angst z.B. fliehen), obwohl es sich seiner Angst kaum im Erleben bewusst ist. Es würde sich hier um eine primär unbewusste emotionale Reaktion handeln. Abbildung 1. Reaktionstrias von Lazarus Wir haben gesehen, dass Emotionen sich in unterschiedlichen Reaktionsformen ausdrücken. Es stellt sich nun die Frage, welche Funktionen diese einzelnen Komponenten des Reaktionstrias von Lazarus (1991) aus evolutionsbiologischer Sicht haben? Für die behaviorale und die physiologische Komponente ist die evolutionäre Funktion relativ leicht erkennbar. Der subjektiven Komponente eine biologische Funktion zuzuschreiben, fällt dabei ungleich schwerer. Wie wir später sehen werden ist die Fähigkeit zur Intuition eine mögliche Erklärung dafür, warum es das subjektive Erleben überhaupt gibt. Aber zuerst wollen wir uns umfassend dem Thema der Funktionalität von Emotionen zuwenden, bevor wir auf den letztgenannten Aspekt ausführlicher eingehen werden. Emotionen aus funktionalistischer Perspektive Die Frage nach der Funktion von Emotionen hat viele Autoren beschäftigt. Oft wirken emotionale Zustände chaotisch und irrational und scheinen daher keinen individuellen Nutzen zu haben oder eher schädlich zu sein. Wieso also hat die Evolution zur Herausbildung von emotionalen Reaktionen geführt? Die kurze Antwort auf diese Frage lautet: Ohne Emotionen würden Sie jetzt nicht diesen Artikel lesen, sondern wären bereits tot. Sie wären über die nächste rote Ampel gelaufen oder hätten versucht im Tierpark in den Löwenkäfig zu klettern, um mit den Tieren dort zu spielen. In diesen Fällen hat Sie die Emotion „Angst“ davor abgehalten, solchen Unsinn zu machen, in dem sie Ihnen die potenzielle Bedrohung durch affektive Signale vor Augen geführt (oder sogar übertrieben hat) und bei Ihnen die geeigneten Verhaltenstendenzen zur Vermeidung der Bedrohung aktiviert hat. Evolutionspsychologisch betrachtet, stellen Emotionen nach Plutchik (1984) genetisch verankerte Stellungnahmen zur Situation eines Lebewesens in einer aktuellen Situation dar. Sie liefern damit eine schnelle, oft auch unbewusste Einschätzung einer Situation, die sich in der affektiven Qualität des Erlebens auch im Bewusstsein manifestiert, mit dem Ziel Verhaltensweisen zu initiieren, die eine phylogenetisch adäquate Antwort auf die situative Bewertung darstellen. Angst ist das Resultat einer Bedrohungseinschätzung mit der Folge, dass Fluchttendenzen aktiviert werden. Im Falle der roten Ampel ist das eine sinnvolle Strategie und führt zum automatischen Stehenbleiben an der Ampel. In anderen Situationen kann diese phylogenetische Strategie allerdings kontraproduktiv sein. Bei Prüfungsangst wird die Prüfung als Bedrohung erlebt und eine Vermeidungstendenz ausgelöst. Diese führt dazu, dass sich die Person nicht adäquat mit der Aufgabenbearbeitung auseinandersetzen kann, da sie ständig mit der Fluchttendenz kämpfen muss. Emotionen liefern damit Verhaltenstendenzen, die phylogenetisch angemessen sind, aber manchmal in aktuellen Situationen zu Komplikationen führen. Solche Verhaltensdilemmata sind die Ursache dafür, dass gerade negative Emotionen einen so schlechten Ruf haben. Tatsächlich sind sie aber nur ein wenig „old school“ und ihre hilfreichen Signale werden oft gar nicht oder falsch genutzt, aber dazu später mehr. Abbildung 2.: Verhaltenssysteme Emotionen lassen sich nach der funktionalistischen Perspektive in eine Hierarchie von verhaltenssteuernden Systemen einbetten, über die wir verfügen, um Verhalten zu initiieren und zu steuern. Allgemein geht man davon aus, dass Verhalten durch unbewusste, automatische oder bewusste, kontrollierbare psychische Mechanismen gesteuert werden können (siehe Abb. 2). Die am meisten unbewusste und automatische Form der Verhaltensregulation sind die Reflexe, wie z.B. der Patellarsehnenreflex oder auch Stolperreflex genannt. Hier führt eine spezifische Reizkonfiguration (Überdehnung der Patellarsehne) zu einem starren, automatischen Reaktionsmuster (nach vorne Schnellen des Fußes), das sich sehr schnell vollzieht. Der Totstellreflex bei Bedrohung wäre eine emotionsnahe Reflexreaktion. Der Vorteil dieser extrem unbewussten und automatischen Ebene der Verhaltenssteuerung ist, die Schnelligkeit der Reaktion. Ihr Nachteil besteht in der mangelnden Flexibilität, weil nur ein bestimmtes, starres Verhalten gezeigt werden kann unabhängig von evtl. Anforderung der Umwelt. Auf der bewussten Seite verfügen wir über die rationale, kontrollierte Verhaltenssteuerung (System 2). Diese ist dadurch gekennzeichnet, dass eine Reihe von kognitiven Prozessen bei der Analyse der Situation und der Verhaltensauswahl beteiligt sind. Diese Prozesse sind kontrollierbar und auch flexibel veränderbar. Das Verhalten ist in diesem Falle gut analytisch durchdacht und kann auch angepasst werden, bei Entdeckung weiterer relevanter Informationen. Es ist aber sehr langsam. Bei einer emotionsnahen, rationalen Verhaltenssteuerung würde man erst genau die Auslösesituation analysieren, und diese monitoren und damit das Verhalten steuern. Man kann jederzeit die Analyseprozesse verändern und neu adjustieren und damit auch das Verhalten abbrechen und verändern. Der Vorteil dieses Systems bei der Verhaltensteuerung besteht also in der enormen Flexibilität. Es hat allerdings den Nachteil der Langsamkeit. Die Evolution hat uns nun mit der emotionalen Verhaltenssteuerung ein System zur Verfügung gestellt, das sich zwischen der komplett unbewussten, automatischen und der bewusst, kontrollierten Verhaltenssteuerung an der Nahtstelle zwischen dem Unbewussten (System 1) und dem Bewusstsein (System 2) befindet und die Vorteile der beiden alternativen Systeme in sich vereinigt. Emotionen liefern eine schnelle, komprimierte Analyse der Situation (z.B. die Bewertung einer Bedrohung) und auf dessen Grundlage einen Verhaltensimpuls (z.B. die Tendenz Davonzulaufen), der eine Antwort auf die Situationsbewertung darstellt. Der Impuls legt kein starres Verhalten fest (z.B. legt er nicht die genaue Art des Fluchtverhaltens fest), sondern aktiviert nur eine Verhaltensklasse, die sich dann je nach Situation ausgestalten kann. Die Emotionen vereinigen damit die Schnelligkeit der Reflexe mit der weitgehenden Flexibilität des rationalen Systems und stellen daher eine optimale Ergänzung in Bezug auf Geschwindigkeit und Anpassungsfähigkeit bei der Verhaltensteuerung dar. Emotionen erlauben uns schnell, z.T. auch unbewusst, und (teilweise) flexibel auf Umweltreize zu reagieren und fördern so unser Überleben. Ohne Emotionen könnten wir nur entweder schnell und unflexibel oder langsam und flexibel reagieren. Unterschiedliche neurobiologische Wege der Emotionsentstehung Emotionen sind also Bewertungsmechanismen von Situationen, die eine schnelle, flexible Verhaltensantwort hervorrufen und sie befinden sich an der Grenze von unbewussten und bewussten Prozessen. Sie stellen damit den Übergang von unbewusster zu bewusster Informationsverarbeitung bei der Verhaltensteuerung dar. Dieser Grenzbereich ist aber nicht klar umrissen, sondern stellt auch wiederum ein Kontinuum dar. Innerhalb der Emotionen gibt es bewusstere und unbewusstere Wege der Verhaltenssteuerung. Diese wurden von LeDoux (2001) auf neurobiologischer Ebene identifiziert. Bei der „high road“ der Emotionsentstehung wird ein emotionsauslösender Stimulus durch unseren Wahrnehmungsapparat identifiziert und die Aktivitätsmuster werden über den Thalamus, einer zentralen Schaltstelle zur Weiterleitung sensorischer Informationen im Gehirn, in den Cortex zur bewussten Verarbeitung der Situation projiziert. Von dort werden über den Hippocampus, einer Verbindungstelle zu subkortikalen Bereichen, die Amygdala und ähnliche Areale zur Auslösung von behavioralen, endokrinen und physiologischen emotionalen Reaktionen aktiviert. Die so erfolgte Emotionsauslösung ist also über bewusste Prozesse vermittelt. Ein Beispiel für eine Emotionsauslösung über die high road wäre die Entstehung von Angst bei Betrachtung des Symbols für Radioaktivität. Dieses Symbol muss in seiner Bedeutung erst in den kortikalen, assoziativen Arealen identifiziert werden, bevor es die Angstreaktionen über die Amygdala auslösen kann. Es ist immer noch ein schneller und z.T. automatischer Prozess, allerdings mit erheblicher Beteiligung bewusst, kognitiver Prozesse. Bei der „low road“ der Emotionsentstehung wird der Wahrnehmungsinhalt direkt vom Thalamus unter Ausschluss einer kortikalen Beteiligung in die Amygdala projiziert. Es handelt sich hier um eine vollständig unbewusste, emotionale Reaktionsauslösung, die innerhalb der ersten 40 m/sec, als einem minimalen Bruchteil einer Sekunde, entsteht. Öhman und Soares (1994) konnten die low road experimentell nachweisen. Sie zeigten Phobikern (Spinnen- und Schlangen Phobikern) Bilder am Computerbildschirm, in einer Bedingung aber so schnell (30 m/sec) und durch Maskierungsstimuli verdeckt, dass diese nicht bewusst wahrgenommen werden konnten. Diese subliminale Darbietung führte bei den Phobikern zu physiologischen Reaktionen, die nicht bei nicht-phobischen Kontrollpersonen oder auch nicht bei neutralen Bildern auftraten. Diese und andere Studien machen deutlich, dass auch unbewusst wahrgenommene Reize völlig ohne Bewusstseinsbeteiligung, starke emotionale, phobische Reaktionen auslösen können und wir durch emotionale Stimuli teilweise auch fremdgesteuert werden können, ohne dass wir uns der Gründe für unser emotionales Verhalten bewusst sind. Emotionen aus evolutionärer Perspektive In den vorangegangenen Abschnitten wurde deutlich, dass Emotionen aus drei Verhaltensreaktionen bestehen, dem subjektiven Erleben, den behavioralen Tendenzen und den physiologischen Veränderungen. Emotionen leiten unser Verhalten oft unter Ausschluss von bewussten Verarbeitungsprozessen um, um eine schnelle, aber flexible Verhaltensantwort auf Anpassungsprobleme zu ermöglichen. McDougall (1919/2001) ordnet daher die Emotionen den instinktiven Verhaltensreaktionen zu, deren zentraler Motor die emotionalen Aspekte sind. Die Emotion liefert der Instinktreaktion den biologisch angemessenen Impuls, z.B. bei Angst - Fluchtverhalten oder bei Ärger - Angriffsverhalten. Die durch die physiologischen Reaktionen bedingten körperlichen Veränderungen sollen dabei den Verhaltensimpuls unterstützen und in seiner Ausführung optimieren, indem sie u.a. Durchblutung der Muskulatur und Sauerstoffversorgung sicherstellen. Diesen beiden Komponenten des Reaktionstrias von Lazarus (1991) kommt damit eine klar definierbare evolutionäre Funktion des Verhaltens zu. Die Frage welche evolutionäre Funktion das subjektive Erleben, also das Empfinden der Emotion hat, bleibt allerdings rätselhaft. Warum muss man eine Emotion fühlen, wenn die emotionale Verhaltenstendenz allein z.T. auch völlig automatisch schon unser Verhalten in die richtige Richtung lenkt? Das Gefühl der Angst z.B. ist unangenehm und lenkt uns von der Situationswahrnehmung ab, indem sie unsere Sinnesempfindungen blockiert. Das Fluchtverhalten würde doch auch ohne subjektives Erleben eine Vermeidung der Bedrohung bewirken. Welchen Beitrag zur evolutionären Fitness hat also diese Form der Erfahrung? Auch darauf hat McDougall (1919/2001) eine Antwort: Er behauptet, die primäre Funktion des subjektiven Erlebens bestünde darin, das rational, bewusste Selbst eines Individuums darüber zu informieren, welche instinktiven, emotionalen Verhaltenstendenzen im Unbewussten momentan aktiv sind. Es handelt sich hier also um eine interne Signalfunktion, die das Individuum über die Vorgänge in seinem Unbewussten informiert. Hat man einen guten Zugang zu diesem emotionalen Empfinden, kann man dadurch Informationen aus dem Unbewussten abgreifen und diese ggf. für eine Verhaltensmodifikation auf bewusster Ebene nutzen. Im Kern stellt das subjektive Erleben der Emotion -auch als Gefühl bezeichnet- die Grundlage für intuitives Wahrnehmen und intuitive Verhaltensentscheidungen dar. Plutchik (1984) hat diese theoretischen Überlegungen weiter ausgearbeitet und acht Primäremotionen (wie z.B. Angst, Freude, Trauer, Ärger, Überraschung, Ekel, usw.) definiert, die den acht grundlegenden Bedürfnissen eines biologischen Organismus entsprechen (Vermeidung von Bedrohung, Fortpflanzung, Ausscheiden giftiger Substanzen, etc.). Das Vorhandensein der Primäremotionen stellt sicher, dass wir in der Lage sind allen Bedürfnissen gerecht zu werden. Die drei Facetten des Reaktionstrias greifen dabei ineinander, um diese biologischen Anforderungen zu erfüllen. Die evolutionäre Funktion der Emotionen konnte am Beispiel der Eifersucht sehr gut dokumentiert werden (Buss et al., 1992). Eifersucht dient evolutionär dazu, bei Gefahr des Verlustes des Partners an eine Konkurrentin / einen Konkurrenten, Reaktionen einzuleiten, die diese Gefährdung beseitigen. Interessanterweise zeigen sich bei den Situationen, die Eifersucht auslösen, Geschlechtsunterschiede, die wohl nur evolutionsbiologisch erklärt werden können. Bei einer Befragung von Versuchspersonen, was sie eher eifersüchtig machen würde: A) Ihr Partner hat Geschlechtsverkehr mit einer anderen Person Ihres Geschlecht oder B) Ihr Partner hat ein tiefe emotionale Beziehung zu einer anderen Person Ihres Geschlechts, wählten weibliche Befragte mit großer Mehrheit die Option B, während männliche Probanden sich eher für die Option A entschieden. Wie kann man sich das Zustandekommen dieser Geschlechtsunterschiede im Präferenzverhalten erklären? Evolutionär betrachtet, sind Frauen v.a. in Zeiten der Schwangerschaft und Kleinkindbetreuung auf die Versorgung durch die Ressourcen ihres Mannes angewiesen. Wendet er seine Ressourcen aufgrund einer emotionalen Bindung eher einer Geschlechtskonkurrentin zu, stehen diese nicht für die eigene Familie zur Verfügung, was deren Überleben gefährdet. Ein Fremdgehen (Option A) ist dabei weniger dramatisch, weil die Konsequenzen die Konkurrentin selbst betreffen. Bei Männern hingegen ist es wichtig, dass sie ihre Ressourcen dem Fortbestand ihrer eigenen Gene in ihren Kindern widmen. Hat die Partnerin Geschlechtsverkehr mit anderen, besteht die Gefahr, dass man sich unwissentlich um die Gene anderer kümmert, da man sich nicht sicher sein kann, von wem die Kinder der Partnerin tatsächlich stammen. Damit ist Option A eifersuchtsrelevanter für männliche Befragte. Die Geschlechtsunterschiede können eigentlich nur durch die dargestellten biologischen Mechanismen erklärt werden. Sie liefern damit einen indirekten Beleg für die evolutionäre Funktion von Emotionen. Entsprechend werden Verhaltensweisen, die zu einer Sicherung der Bindung an den Partner führen je nach Szenario und Geschlecht unterschiedlich aktiviert. Auch das intuitive Gespür dafür, wann welche Beziehungsgefährdung vorliegt, dürfte geschlechtsabhängig variieren. Frauen reagieren sensibler bei der Detektion emotionaler Untreue, Männer bei sexueller. Mimik - die interpersonale Funktion von Emotionen Eine zentrale Stellung innerhalb der emotionalen Reaktionen stellt aus evolutionärer Sicht das mimische Ausdrucksverhalten dar. Nach Ekman (1993) gehört die Mimik zu der behavioralen Reaktionsform im Reaktionstrias von Lazarus (1991). Es handelt sich hier aber um eine Art indirekte Form des Verhaltens. Die Funktion der Mimik besteht darin, dass sie sozialen Interaktionspartnern deutlich macht, welche emotionale Verhaltenstendenz eine wahrgenommene Person gerade in sich trägt. Dadurch wird die tatsächliche Ausführung einer emotionalen Reaktion im Verhalten unnötig. Dies spart Energie und vermeidet Verletzungen. Wenn zum Beispiel eine Person A durch eine andere Person B in seiner Zielerreichung blockiert fühlt, weil beide die gleiche Nahrungsquelle für sich beanspruchen, dann tritt bei A Ärger auf. Die Verhaltensantwort bei Ärger wäre ein Angriff auf Person B, um die Quelle der Zielblockade zu beseitigen. Alternativ kann Person A aber auch den Ärger in der Mimik seinem Gegenüber signalisieren und Person B dazu bringen, aufgrund eines erwarteten Angriffs freiwillig das Feld zu räumen. So wird durch die ärgerliche Mimik von A der gleiche Erfolg erzielt, nämlich eine Beseitigung der Zielblockade durch B, aber ohne, dass eine Gefahr der Verletzung oder ein erhöhter Energieaufwand nötig war. Mimik ist damit nichts anderes als eine ins Virtuelle verschobene Verhaltensweise, die reale Verhaltensinteraktionen bei sozialen Interaktionen unnötig werden lässt. Ekman konnte zeigen, dass der mimische Ausdruck für die Basisemotionen universell ist, d.h. emotionale mimische Signale also über Kulturen hinweg verstanden werden, wie eine Art Ursprache, und dass der mimische Ausdruck durch automatische, unbewusste Mimikprogramme, die spezifisch sind für jede Emotion, generiert werden. Es gibt also eine unwillkürliche, automatische Tendenz unsere Emotionen im Gesicht auszudrücken, die wir zwar nachfolgend kaschieren, aber nicht vollständig verhindern können. In einer Erweiterung dieser Theorie konnten Brinke et al. (2014) zeigen, dass wir auch über automatische, unbewusste Mimik-Detektionsprogramme verfügen. In zwei Studien sollten Personen, die bei einer Befragung logen oder die Wahrheit sagten, von den Studienteilnehmer:innen identifiziert werden. Die bewusste Entdeckungsleistung der Probanden, wer Lügner oder Nichtlügner sei, war nicht vom Zufall verschieden. In der ersten Studie zeigte sich sogar eine Tendenz, dass man eher auf Lügner hereinfiel und Nichtlügner eher der Lüge beschuldigt wurden, wenn man sie bewusst identifizieren musste. Unser bewusstes Lügen-Erkennungssystem schnitt also sehr schlecht ab. Bei reaktionszeitbasierten Aufgaben, in denen Fotos von den zu beurteilenden Personen zusammen mit Begriffen, wie Betrug, Lüge, Unwahrheit etc. dargeboten wurden, zeigt sich hingegen, dass Bilder von den Lügnern schneller zusammen mit lügenbezogenen Begriffen verarbeitet wurden, als Bilder von Nichtlügnern. Das bedeutet, dass das Unbewusste der Probanden durchaus eine Assoziation zwischen den zu beurteilenden Personen und ihren lügenrelevanten Attributen gebildet hatten und diese auch in einer indirekten Aufgabe zum Ausdruck bringen konnten. Wir sind also unbewusst in der Lage, Lügner korrekt intuitiv zu identifizieren und verfügen daher über automatische Detektionsprogramme, die wir durch entsprechende emotionale Signale uns auch zugänglich machen können. Zusammenfassend kann man also sagen, dass emotionale Reaktionen den Grenzbereich zwischen unbewusster und bewusster Informationsverarbeitung abdecken. Emotionen stellen evolutionär begründete Verhaltenstendenzen zur Bewältigung von Anpassungsproblemen dar. Die behaviorale Reaktion erfolgt nach einer automatischen Bewertung der Umgebungsreize weitgehend unbewusst, schnell und gleichzeitig relativ flexibel. Die physiologischen Veränderungen unterstützen das Verhalten für eine optimale Ausführung. Das subjektive Erleben der Emotion stellt ein Informationssignal aus dem Unbewussten dar, welches uns über die automatischen emotionalen Bewertungen und Handlungstendenzen informiert. Mit Hilfe des emotionalen Erlebens sind wir in der Lage auf eine Informationsbasis zuzugreifen, die unserem rationalen, bewussten Informationsverarbeitungssystem allein nicht zugänglich wäre. Damit wird die Grundlage für intuitive Entscheidungen gelegt. Diesen Aspekt der Emotion wollen wir im zweiten Teil dieser Arbeit genauer betrachten. 3. Intuition und Emotion Das subjektive Erleben ist die Komponente im Reaktionstrias von Lazarus (1991), die sich als einzige vollständig im Bewusstsein manifestiert. Es ist das gefühlsmäßige Wahrnehmen von ansonsten weitgehend unbewussten affektiven Informationsverarbeitungsprozessen von der Bewertung bis zur Verhaltenssteuerung. Man könnte das subjektive Erleben mit einer Boje im Meer vergleichen, welche die unterhalb der Meeresoberfläche befindlichen unbewussten Erfahrungen einer Person mit ihren oberhalb des Wasserspiegels befindlichen bewussten Wahrnehmungen verbindet. In diesem Sinne ist es die Sprache mit dem sich das Unbewusste dem Bewussten verständlich macht und über die auch das Bewusstsein das Unbewusste beeinflussen kann. Emotionen als Vermittler zwischen dem bewussten Selbst und seinem Unbewussten Um die Rolle des subjektiven emotionalen Erlebens als Vermittler zwischen unserem bewussten Selbst und seinen unbewussten Erfahrungen und Erinnerungen verstehen zu können, müssen wir uns als erstes die Eigenschaften unserer unbewussten und bewussten Informationsverarbeitung genauer ansehen. Zwei Informationsverarbeitungssysteme Kahneman (2012) unterscheidet in diesem Zusammenhang zwei hierarchisch angeordnete Systeme, die sich evolutionär nacheinander entwickelt und ausgestaltet haben und die Informationen auf qualitativ unterschiedliche Art repräsentieren und verarbeiten (siehe Abb. 3). Abbildung 3: System 1 und 2 nach Kahneman Das System 1 ist das evolutionär ältere System. Informationen werden in diesem System assoziativ und holistisch repräsentiert. Neue Informationen werden in alte Strukturen integriert und untereinander vernetzt. Es handelt sich hier um eine parallele Verarbeitung von Informationen und auch widersprüchliche Aspekte können nebeneinander bestehen. Die Verarbeitung von Information in diesem System erfolgt ohne Anstrengung und unkontrolliert, sie kann daher auch nicht flexibel gesteuert werden, sondern enkodiert, verknüpft und analysiert Repräsentationen unserer Erfahrungen in automatischer Form. Es handelt sich dabei um einen gigantischen Informationsspeicher, der alle Informationen insbesondere auch die, die von uns nicht bewusst wahrgenommen wird, aufnimmt und für uns dauerhaft verfügbar sein lässt. Die Verarbeitungsgeschwindigkeit ist enorm und beträgt nach Schätzungen bis zu 11Mio Bits/s. Werden wir mit einer neuartigen Situation, einer neuen Aufgabe oder einer unbekannten Person konfrontiert, werden alle Aspekte holistisch verarbeitet und mit alten, ähnlichen Erfahrungen verglichen und Schlussfolgerungen gezogen, welche eine schnelle und umfassende Einschätzung erlauben. Auch subtilste Informationen, die unterhalb der bewussten Wahrnehmungsschwelle verbleiben werden im System 1 genutzt und verarbeitet. Je mehr Vorerfahrungen in einem Bereich existieren und daher je größer die Expertise in einem Kontext ist, umso effizienter ist das Analyseergebnis dieses Systems. Manche Autoren (Pothos & Busemeyer, 2022) vergleichen das System 1 mit einem Quantencomputer, der durch einen parallelen Verarbeitungsmodus in kurzer Zeit eine beinahe unbegrenzte Menge an Information simultan verarbeiten kann. Über den Abgleich mit bereits gespeicherten Erfahrungen werden aktuelle Erfahrungsinhalte eingeordnet und deren weitere Entwicklung in die Zukunft extrapoliert, um Vorhersagen zu ermöglichen. Das System 1 bildet damit einen Potentialraum der Wahrscheinlichkeiten für unterschiedliche zukünftige Entwicklungen von Situationen oder des Verhaltens von Personen zu berechnen erlaubt. Das System 2 ist ein evolutionär später entstandenes Informationsverarbeitungssystem. Es basiert auf bewussten, rationalen Prozessen, die ressourcenabhängig sind und daher über eine nur begrenzte Verarbeitungskapazität verfügen. Die Informationsverarbeitung in diesem System unterliegt der bewussten Kontrolle und verläuft sequenziell, d.h. es kann nur ein Prozess nach dem anderen durchgeführt werden. Schätzungen gehen davon aus, dass in System 1 zwischen 6 bis 8 Inhalte, wie z.B. Wörter oder Zahlen, kurzfristig behalten und prozessiert werden können und die Verarbeitungsgeschwindigkeit bei ungefähr 60 Bits/s liegt. Aufgrund des Verarbeitungsengpasses muss man in diesem System auf Teilmengen der prinzipiell verfügbaren Information fokussieren, kann diese aber besonders detailliert verarbeiten. Neuartige Situationen, Aufgaben oder unbekannte Personen können in System 2 nur ausschnitthaft repräsentiert und beurteilt werden, allerdings mit hoher Detailtreue. Wenn wir auf der Grundlage von diesem System Entscheidungen oder Vorhersagen treffen wollen, handeln wir zwar rational, sind aber gleichzeitig hoch selektiv. Bei überschaubaren oder bekannten Kontexten ist dies die optimale Bearbeitungsstrategie, die allerdings versagen muss, wenn ein höheres Maß an Komplexität, Neuartigkeit und Dynamik in einer Situation dominieren. Für den letzteren Fall wäre das System 2 der ideale Ratgeber. Dieses kann aber aufgrund seiner unbewussten Qualität nicht direkt mit dem sprachlich-rationalen System 2 interagieren. Es verfügt aber über einen indirekten Draht zu unseren bewussten Entscheidungszentren: die emotionalen Signale, die über das subjektive Erleben vermittelt werden. Intuition Abbildung 4: Intuition als emotionales Signal aus dem Unbewussten Von Intuition spricht man, wenn man die Antwort auf eine Fragestellung oder ein Problem kennt, aber man weiß nicht warum (Topolinski, 2011, Zhang et al., 2016). Die aktuelle Intuitionsforschung geht davon aus, dass bei intuitiven Entscheidungen die Informationen und Analyseergebnisse des unbewussten Potentialraums im Systems 1 durch emotionale Signale zugänglich gemacht werden (siehe Abb. 4). Nehmen wir z.B. die Entscheidung für oder gegen den Kauf eines bestimmten Aktienpakets. Der Potentialraum weiß womöglich (bei Vorhandensein einer entsprechenden Expertise), ob ein solcher Kauf empfehlenswert ist oder nicht. Dies kommuniziert das System 1 über ein emotionales Erleben, ein Gefühl, das eine Person mit der potenziellen Investition verbindet. Ist das Gefühl positiv, bedeutet das eine Kaufempfehlung, ist es negativ, indiziert es eine Kaufvermeidung. Emotionen vermitteln also die relevanten Informationen zwischen System 1 und System 2 und üben damit eine interne Signalfunktion aus. Damit dieser intuitive Vorgang reibungslos verläuft und zum gewünschten Zielzustand führt muss man allerdings verschiedene Faktoren beachten, da bei einer fehlerhaften emotionalen Kommunikation einiges schief gehen kann. Der entscheidende Faktor: Emotionale Transgression Die emotionale Transgressionstheorie von Jakob et al. (2021) thematisiert die Prozesse der emotionalen Kommunikation zum Zwecke der intuitiven Entscheidungsfindung innerhalb eines Individuums. In dieser Theorie geht man davon aus, dass die Signalübertragung zwischen System 1 und 2 durch die Emotionen in zwei Richtungen erfolgt. Zum einen muss das Individuum eine Anfrage an den Potentialraum stellen, welche die für eine Entscheidung notwendigen Informationsstrukturen in System 1 abzurufen versucht. Die Anfrage muss als emotionale Nachricht kodiert sein, da nur dieses Element der Nachricht, nicht der semantische Inhalt, das System 1 erreicht, da dieses nur emotionale Inhalte versteht. Im Beispiel mit dem Aktienpaket kann die Anfrage entweder hoffnungsvoll-optimistisch oder ängstlich-resignativ emotional verpackt sein. Die hoffnungsvolle Anfrage würde lauten: Ich freue mich auf den Kauf eines Aktienpakets, das mein Vermögen weiter vermehren wird! Diese Anfrage enthält zwei Teile. Einen semantischen Teil, der die Wahl eines Aktienpakets betrifft, und einen emotionalen Teil, der eine Hoffnung ausdrückt nämlich die Erwartung einer Kapitalvermehrung. Nach der emotionalen Transgressionstheorie wird der emotionale Teil allein nun an den Potentialraum in System 1 transferiert und enthält die Botschaft an System 1 alle die Möglichkeiten rück zu melden, die der Vermögensvermehrung (von der man durch die hoffnungsvolle Anfrage überzeugt ist) dienlich sind. Das System 1 erfüllt also nur emotional kodierte Erwartungen. Entsprechend werden wiederum von System 1 als emotionale Signale an das System 2 alle Handlungsoptionen mit positivem Gefühl belegt, die dieses Ziel erfüllen, also positive Emotionen z. B. beim Kauf eines tatsächlich gewinnbringenden Pakets und negative Emotionen beim möglichen Kauf eines verlustreichen Aktienpakets. Eine ängstlich-resignative Anfrage würde in diesem Kontext so lauten: Lass mich bloß nicht das falsche Aktienpaket wählen! Der emotionale Teil der Anfrage enthält die Angst vor einem Misserfolg und damit die Erwartung eines Scheiterns. In diesem Fall würde das System 1 nur die emotional kodierte Erwartung verstehen, dass man ein falsches Aktienpaket wählt (Angst umfasst ja die Erwartung von Misserfolg). Das System 1 erfüllt nur diese emotional kodierte Erwartung. Entsprechend versteht System 1 dies als den gewünschten Zielzustand. Folglich signalisiert es alle Aktienkaufoptionen mit positivem Gefühl, die zu Verlust führen würden, und mit negativem Gefühl, die einen Gewinn erbringen würden. Die emotionale Interaktion im Sinne der intuitiven Entscheidungsfindung enthält also eine vorwärts Richtung (Anfrage) und eine rückwärts Richtung (Signal) zwischen System 2 und dem unbewussten Potentialraum in System 1. Intuition bedeutet also zum einen, einen guten Zugang zu seinen emotionalen Signalen aus dem Unbewussten zu haben, und zum anderen aber auch, die richtige emotionale Kodierung (implizite Erwartung) bei der Zielanfrage zu verwenden. Dieser zweite Aspekt wird in der aktuellen Intuitionsforschung vernachlässigt. Nur dann liefert unser Bauchgefühl die Hinweise, die eine für uns positive Entscheidungsfindung bewirken. Wir werden die emotionale Transgressionstheorie im Folgenden anhand unterschiedlicher Studien erläutern. Wenden wir uns zuerst Studien zu, die primär die rückwärts Richtung der emotionalen Signalübertragung thematisierten und lassen wir vorerst den Aspekt der Anfrage außer Acht. Betsch et al. (2001) zeigten Versuchspersonen in einem Experiment zur Intuition einen kurzen Videofilm, welcher eine Wiedersehensszene am Ankunftsterminal eines Flughafens wiedergab. Die Probanden hatten die Aufgabe, die Szene genau zu beobachten, weil danach Fragen dazu gestellt würden. Am unteren Rand der Filmdarbietung liefen während der Videopräsentation Aktienkurse erfundener Firmen von links nach rechts über den Bildschirm (ähnlich wie auf manchen Nachrichtenfernsehsendern). Es waren insgesamt fünf Firmen, deren Kurse rauf oder runter gingen über die Zeit. Die Firmen unterschieden sich im kumulativen Kursgewinn am Ende des Clips, den man sich aus den Kursanstiegen oder -abfällen berechnen hätte können. Die Probanden hatten allerdings für die bewusst-rationale Berechnung des kumulativen Kursgewinns von fünf Firmen abgesehen von der Komplexität einer solchen Aufgabe keine kognitive Kapazität verfügbar, da diese durch die Beobachtung des Geschehens im Film gebunden war. Die Aktienverläufe wurden aufgrund der Aufgabenstellung wahrscheinlich nur peripher und damit eher unbewusst vom System 1 verarbeitet, da System 2 eben mit der Beobachtung der Flughafenszene beschäftigt war. Es gab eine sehr gewinnbringende und eine sehr verlustreiche Firma und alles dazwischen. Überraschenderweise für die Versuchspersonen wurden sie danach zu den Aktienkursen der Firmen gefragt. Stellte man die Frage „Welche Firma hatte den besten Aktienkursgewinn?“, so konnte im Mittel die Stichprobe nicht überzufällig gute von schlechten Firmen unterscheiden. Stellt man allerdings die Frage anders, nämlich „Welche Firma magst Du am liebsten?“, so konnte die Mehrheit deutlich die Firma mit dem höchsten Aktienkurs benennen. Die Ergebnisse legen nahe, dass im System 1 alle relevanten Informationen bzgl. der Aktienkursverläufe unbewusst abgespeichert waren und diese über die emotionale Kodierung der Firmen (Mögen oder Nicht-Mögen) zugänglich war. Wenn man die Versuchspersonen nach diesem Gefühl entscheiden ließ, dann konnten Sie die entsprechende Information, die über das emotionale Signal aus System 1 vermittelt wurde, auch nutzen. Eine weitere Studie zur Nutzung emotionaler Signale bei der Entscheidungsfindung stammt von Bechara et al. (2005). Die Autoren führten mit den Versuchspersonen die Iowa Gambling Task durch. Es handelt sich hier um ein Verfahren, bei dem die Probanden frei Karten von einem von vier Stapeln wählen können. Was die Teilnehmer zu Beginn der Studie nicht wussten, war, dass zwei der Stapel „gute“ und die anderen beiden „schlechte“ Kartenstapel waren. Bei den guten waren 9 von 10 Karten mit einem Gewinn von 50$ dotiert und jede 10. Karte mit einem Verlust von 250$. Bei den schlechten waren 9 von 10 mit einem 100$ Gewinn und jede 10. mit einem 1250$ Verlust gekennzeichnet. Die Reihenfolge von Verlusten und Gewinnen war bei allen Stapeln komplett durchgemischt und damit unvorhersagbar. Die Versuchspersonen wählten 100 Mal jeweils eine Karte frei von den vier Stapeln. Dabei wurde auch die emotionale physiologische Reaktion immer vor dem Aufdecken der einzelnen Karte gemessen. Die optimale Strategie in diesem Spiel besteht darin, die guten Stapel zu identifizieren und hauptsächlich von diesen zu ziehen, da man damit den größten Nettogewinn machen würde. Bei einer Befragung zeigte sich, dass die Teilnehmer erst ab dem 80. Kartenzug bewusst sagen konnten, welcher Stapel gut und welcher schlecht sei. Ab dem 50. Durchgang hatten sie, nach ihren Angaben, eine Ahnung darüber. D.h. das System 2 brauchte mindestens 50 Durchgänge, um gute Entscheidungen treffen zu können. Bei der Auswertung der physiologischen Reaktion allerdings zeigte sich, dass die Teilnehmer, bei schlechten Stapeln einen höheren negativen Ausschlag hatten als bei guten und dieser Unterschied in der physiologischen Reaktion bereits ab dem 25. bis 30. Durchgang signifikant war. Das bedeutet, System 1 wusste aufgrund einer effizienteren Informationsverarbeitung bereits viel früher als das Bewusstsein welche Entscheidung gut für den Spieler war und konnte das über körperliche emotionale Signale rückmelden. Diese und viele andere Studien zeigen, dass wir über ein unbewusstes Informationsverarbeitungssystem verfügen, welches relevante Informationen für uns bereithält und die es uns über emotionale Signale mitteilt. Eine Offenheit für solche emotionalen Hinweisreize und den Mut sich auf diese zu verlassen, in Kombination mit einer guten Informationsgrundlage im Potentialraum des System 1 (Expertise) bilden damit eine wichtige Grundlage für angemessene intuitive Entscheidungen. Wenden wir uns nun dem zweiten Aspekt der emotionalen Transgression der „Anfrage“ an den Potentialraum zu. Wie oben erwähnt, muss die Anfrage emotional richtig kodiert sein, um das gewünschte Ziel zu erreichen. Hoffnungsvoll-optimistische Anfragen bewirken eine Erfüllung der erwünschten Ziele entlang der semantischen Formulierung der Nachricht, während ängstlich-pessimistische Anfragen, das Gegenteil der intendierten Zielformulierung bewirken. Im Grunde genommen sind die Anfragen nichts anderes als selbsterfüllende Prophezeiungen, wobei die emotional kodierten impliziten Erwartungen den eigentlich realitätsbildenden Impuls an System 1 darstellen. Wir möchten dies an einem Beispiel aus der Forschung genauer erläutern. Phillips et al. (2001) entdeckten eine Form der selbsterfüllenden Prophezeiung, die sie als den „Baskerville Effekt“ bezeichneten. Dieser besagt im Prinzip, dass die Angst vor dem Tod, diesen auch herbeiführt. Untersucht wurde der Effekt in Kalifornien an weißen und asiatisch stämmigen Probanden. In China, Korea und Japan steht die Zahl 4 für Tod und Unglück. Die Aussprache des Wortes 4 hat auch in den entsprechenden Sprachen große Ähnlichkeit mit der Aussprache des Wortes „Tod“. Die Autoren analysierten die Anzahl der Sterbefälle an den verschiedenen Tagen der Monate. Es zeigte sich eine signifikante Häufung der Todesfälle an den 4. Tagen der Monate nur für asiatisch-stämmige Probanden. Die Autoren erklären diesen Effekt durch Stress, der in Erwartung eines Unglücks an diesen Tagen bei den asiatisch geprägten Personen in erhöhtem Maße auftritt und folglich die Sterbewahrscheinlichkeit erhöht. Die Erklärung gemäß der emotionalen Transgression ist tiefergehender. Sie erklärt das Zustandekommen des Effekts dadurch, dass asiatisch-stämmige Individuen an 4. Tagen eines Monats ängstlich versuchen Unglück zu vermeiden und entsprechende Anfragen an den Potentialraum stellen wie z.B. „Lass mir heute nichts passieren“ oder „Lass mich nicht sterben“. Der Potentialraum versteht nur die in der Angst kodiert Erwartung, dass der Tod nahe sei und kodiert entsprechende Situationen, die dies wahrscheinlich werden lassen mit positiven Emotionssignalen. Diese üben dann eine hohe Anziehungskraft aus mit den entsprechenden dramatischen Konsequenzen. Eine ungünstige Zielanfrage bewirkt damit den Zustand erst, den man eigentlich vermeiden wollte. Solche und ähnliche Studien untermauern die Bedeutung der emotionalen Anfrage an den Potentialraum. Wir sollten uns bemühen, hoffnungsvoll-optimistische Erwartungen an zukünftige Realitäten zu richten, damit diese erwartungskonformen möglichen Realitäten auch bei unseren intuitiven Entscheidungen eine höhere emotionale Attraktivität aufweisen und damit aus den vielen potenziellen Möglichkeiten durch unbewusste Präferenz mit größerer Wahrscheinlichkeit gewählt werden. Unser Wollen und unsere intuitiven Entscheidungen, die primär in unserem bewusst, rationalen System 2 ihren Ausgang nehmen, sind durch emotionale Wechselwirkung untrennbar mit dem Potentialraum (System 1) verbunden. Dieser folgt der Sprache der Emotionen, die sich im subjektiven Erlebensaspekt manifestiert und bei Anfragen die Erwartungen entsprechend einfärbt und bei Rückmeldungen die emotionalen Signale kodiert. Emotionale Intelligenz wäre nach diesem Modell die Fähigkeit, unsere subjektiven emotionalen Erwartungen positiv zu verändern und zu erkennen, wann ein positives Bauchgefühl (Signal aus System 1) auch wirklich etwas Positives für uns bedeutet. 4. Der Potentialraum - Jenseits von Raum und Zeit Der unbewusste Potentialraum in System 1 mit seiner riesigen Informationsmenge und ihrer assoziativen Vernetztheit bildet die wesentliche Grundlage für Intuition, die durch emotionale Transgression auf diese Elemente zugreifen und für ihre Entscheidungen nutzen kann. Die klassische Intuitionsforschung (Topolinski, 2011, Zhang et al., 2016) nimmt an, dass frühere v.a. unbewusste Erfahrungen und Informationsverarbeitungsprozesse (Expertise) zum Aufbau des Potentialraums führen. Die Vorhersage und Empfehlung von möglichen, zukünftigen Realitäten erfolgt nach dieser Sichtweise über die schlussfolgernde Extrapolation ausgehend von vorhandenen Wissenselementen. System 1 wird in klassischen Intuitionstheorien wie ein Computerprogramm zur Wettervorhersage verstanden, welches aus den vergangenen und gegenwärtigen physikalischen Bedingungen und gewissen Algorithmen, die sich in der Vergangenheit bewährt haben, eine Vorhersage macht. In den nächsten Abschnitten werden wir eine Theorie und einige empirische Befunde vorstellen, die zeigen, dass der Potentialraum viel mehr enthält als nur unsere eigenen vergangenen Erfahrungen und Wissensinhalte. Der Potentialraum in der Unus Mundus Theorie Der Physiknobelpreisträger Wolfgang Pauli hat zusammen mit Carl Gustav Jung, dem Begründer der Analytischen Psychologie, ein Modell entworfen, mit dem Ziel eine umfassende Beschreibung der Realität zu bieten. Nach dem Pauli-Jung-Modell (PJM) geht die objektive, materielle Welt und die subjektive, geistig-bewusste Welt aus einer gemeinsamen Grundlage der Unus Mundus hervor. Die Dualität von Geist und Materie oder Subjektivität und Objektivität ist nicht a priori gegeben, sondern entsteht immer wieder durch Messung, d.h. der Bewusstwerdung von Realität, aus der Unus Mundus heraus. Die Unus Mundus erweitert das System 1 von Kahneman (2012) und bildet einen unbewussten Potentialraum in dem alle unsere Erfahrungen, vergangene, gegenwärtige und zukünftige gleichzeitig präsent sind. Dies impliziert, dass alle klassischen Realitäten als physikalische Möglichkeiten oder Potentialitäten in der Unus Mundus physikalisch präexistent und geistig unbewusst sind und dass von den Möglichkeiten manche bei aktiver Bewusstmachung tatsächlich (klassisch) real werden. In der Unus Mundus gibt es keine zeitliche Dimension, sondern alle Potentialitäten, die in ihrer unbewussten Kodierung gleichzeitig vorhanden sind. Anders ausgedrückt, wir erleben unsere zukünftigen, vergangenen und aktuellen Realitäten als Möglichkeiten gleichzeitig in unserem unbewussten Potentialraum (System 1). Oder noch deutlicher ausgedrückt: Unser Unbewusstes kennt unsere Zukunft in ihrer potenziellen Form. Damit erweitert diese Theorie unser bisheriges Verständnis von System 1. Dieses enthält nicht nur vergangene Erfahrungen und sagt mit deren Hilfe die Realität vorher, wie in der aktuellen Intuitionsforschung vermutet, sondern es enthält Erfahrungen, die in der Zukunft liegen und auf die wir schon in der Gegenwart durch unsere Emotionen zugreifen können. Diese Realität, weil sie eine Vorform der Subjektivität und der Objektivität darstellt, bildet eine Daseinsform, die zwischen den beiden Realitätsarten liegt. Sie ist nicht komplett subjektiv, also nicht nur imaginär, aber auch nicht komplett objektiv, also nicht vollständig real. Man ordnet ihr daher das Attribut „sobjektive“ Realität zu (Maier et al., in press). Diese zukünftigen sobjektiven Realitäten können durch emotionale Transgression zugänglich und für intuitive Entscheidungen genutzt werden. Intuition kann damit auch emotional kodiertes Wissen aus der Zukunft nutzen und entsprechend handeln. Außerdem kann die emotionale Transgression durch entsprechende Anfragen an den Potentialraum, klassische, bewusste Realitäten beeinflussen und herbeiführen, die eigentlich objektiv betrachtet völlig zufällig auftreten sollten, wie z.B. einen Würfelwurf oder einen Lottogewinn. Das Wissen über die Zukunft und die antizipatorische Nutzung dieses Wissens und die Beeinflussbarkeit von zufälligen Ereignissen sind dramatische Konsequenzen dieses erweiterten Systems 1, die unsere Alltagsicht der Realität in Frage stellen. Wir werden im Folgenden empirische Studien beschreiben, die die intuitive Vorhersage der Zukunft und die Beeinflussung von zufälligen Realitäten nachweisen konnten. Den Emotionen im Sinne der emotionalen Transgression kommt dabei die entscheidende Rolle zu. Vorhersage der Zukunft - Feeling the Future In den letzten Jahrzehnten wurde eine Reihe von Studien durchgeführt, in denen emotionale physiologische Reaktion vor, während und nach der Darbietung von emotionalen Stimuli erhoben wurden. In einer zusammenfassenden Meta-Analyse von Mossbridge et al. (2012) wurde ein signifikanter Effekt der physiologischen Antizipation von zukünftigen, unvorhersagbaren (weil zufällig ausgewählten) emotionalen Reize nachgewiesen. In einer klassischen Versuchsordnung aus dieser Serie von Studien werden pro Durchgang zufällig ein emotionales oder ein neutrales Bild ausgewählt und auf dem Computerbildschirm dargeboten und zeitgleich die physiologische Reaktion der Versuchsteilnehmer erfasst. Wie erwartet zeigten sich höhere physiologische Reaktion während und nach der Darbietung emotionaler Bilder im Vergleich zu neutralen Bildern. Interessanterweise reagierten die Probenden aber auch schon bis zu vier Sekunden vor(!) der Bildpräsentation mit einer erhöhten physiologischen Reaktion. Eine valenzkonforme physiologische Reaktion erfolgte also schon vor der zufälligen Wahl eines emotionalen Bildes im Vergleich zur Wahl neutraler Bilder. Dies bedeutet, dass unser Unbewusstes (System 1) eine noch nicht festgelegte Bildauswahl bereits mehrere Sekunden vor der Auswahl emotional antizipieren und entsprechend physiologisch reagieren konnte. Dies kann durch klassische Realitätsmodelle nicht erklärt werden, da zufällig ausgewählte Bilder durch keine Form der schlussfolgernden Extrapolation aus vergangenen Erfahrungen abgeleitet werden können. Man muss also ein Realitätsmodell wie das PJM annehmen, indem zukünftige Realitäten dem Unbewussten auch schon vor ihrer Realitätswerdung bekannt und über emotionale Signale zugänglich sind. In einer weiteren Reihe von Versuchen konnten unterschiedliche Forschungsgruppen (Bem, 2011; Maier et al., 2014) zeigen, dass, wenn man den Versuchsteilnehmern die Möglichkeit gab, sich für eine Bilddarbietung zu entscheiden, wobei die jeweilige Verhaltensreaktion der Probanden erst nachträglich zufällig mit einem positiven oder negativen Bild assoziiert wurde, diese überzufällig in der Lage waren, negative Bilder zu vermeiden und positive Bilder aufzusuchen. Dazu musste aber das Unbewusste bereits während der Entscheidung wissen, mit welcher Entscheidungsoption welche Konsequenz verbunden war. Dies war aber während des Entscheidungsvorgangs noch gar nicht festgelegt, sondern wurde erst nach Reaktionswahl durch den Probanden zufällig einer positiven oder negativen Konsequenz zugeordnet. Die Tatsache, dass trotzdem vermehrt negative Bilder vermieden und positive Bilder gewählt wurden, legt den Schluss nahe, dass sie bereits bei der Entscheidungswahl über die zukünftigen Realisationen Bescheid wussten. Bei festgelegtem Zeitpfeil ist das klassisch betrachtet unmöglich, kann aber erklärt werden, wenn man wie im PJM annimmt, dass die zukünftigen Konsequenzen dem Individuum auch schon vorab durch Zugang zum Potentialraum, der auch die Zukunft kennt, bekannt sind. Diese und viele ähnliche Befunde deuten darauf hin, dass unser unbewusster Potentialraum nicht nur intuitive Entscheidungen auf der Grundlage von vergangenen Erfahrungen zu unseren Gunsten treffen kann, sondern auch Erfahrungen enthält, die in unserer Zukunft liegen, die wir aber unbewusst bereits erleben. Emotionale Signale von Realitäten aus der Zukunft können damit genauso wie vergangene Erfahrungen genutzt werden, um zukünftige positive Zustände zu erreichen und negative zu vermeiden. Manche Individuen berichten über Vorahnungen, die sich dann entsprechend zugetragen haben, und einige waren auch schon in der Lage, durch diese Vorahnungen Unglücksfälle oder andere negative Begebenheiten zu vermeiden. Es gibt Studien, die nachgewiesen haben, dass Flugzeuge, an dem Tag, an dem sie abstürzten, oder Züge, zu dem Zeitpunkt wo sie verunglücken, weniger Passagiere aufwiesen als zu vorherigen Kontrollzeiten. Dass dies keine Zufälle sind, sondern durch ein intuitives Wissen über zukünftige Ereignisse und ihre emotionale Wahrnehmung erreicht wurde, erscheint nach dem PJM wahrscheinlich. Es sei noch ein wichtiger Aspekt erwähnt. Die hier beschriebenen Mechanismen kommen durch die Vermittlung einer sobjektiven Realität im Potentialraum zustande. Unsere Forschung konnte zeigen, dass diese Effekte verschwinden, sobald man sie zu objektiveren versucht, da sie die sobjektive Grundlage ihrer Entstehung zerstört (Dechamps et al., 2021). Damit intuitives emotionales Antizipieren klassisch unvorhersagbarer Ereignisse robust auftreten kann, muss man daher jede Form der objektiven Bestätigung dieser Fähigkeit vermeiden (siehe auch Maier et al., in press). Solange wir diese Erfahrungen und ihre Konsequenzen in unserem subjektiven Erleben belassen und nicht objektiv dokumentieren, sind sie auch robust realisierbar. Die Beeinflussung des Zufalls Viele Ereignisse in unserem Leben treten zufällig auf und sie entziehen sich damit unserer Kontrolle. Denken Sie an einen Lottogewinn, einen Würfelwurf beim Brettspiel oder eine zufällige Begegnung, die ihr Leben verändert hat. Manche dieser Situationen haben im positiven wie im negativen Sinne einen schicksalhaften Charakter und wir können nach der klassischen Realitätssicht deren Eintreten weder herbeiführen noch verhindern. Das PJM geht davon aus, dass auch zufällige Ereignisse durch emotionale Grundhaltungen beeinflusst werden können. Alle Ereignisse, die eine mögliche Realisation darstellen, sind in unserem Potentialraum als subjektive Realitäten bereits vorhanden. Eine solche Potentialität kann z.B. das Erleben eines Lottogewinns oder das Scheitern bei diesem Gewinnspiel beinhalten. Beide Realitäten existieren als parallele Ereignisse im Potentialraum nebeneinander und beide erleben wir in unserem Unbewussten. Durch emotionale Erwartungen (hoffnungsvoll-optimistisch oder angstvoll-pessimistisch) können wir Anfragen an den Potentialraum stellen, die ähnlich den oben beschriebenen selbsterfüllenden Prophezeiungen eine emotionskongruente Realisierung bewirken. Positiv-optimistische Überzeugungen zum Verlauf bestimmter zufälliger Ereignisse führen dazu, dass die positive Erwartung eintrifft, negativ-pessimistische Haltungen, also Ängste vor etwas, führen dazu, dass diese Bedrohungserwartungen Realität werden. Die Beeinflussung des Zufalls durch Absichten und Erwartungen wurde in zahlreichen Studien untersucht (für einen Überblick siehe, Bosch et al., 2006). In einigen von diesen Studien wurden alternative Ereignisse durch einen Quantenzufall generiert, der nach der Quantenmechanik einen echten, ontische Zufallsprozess darstellt. Es zeigte sich meta-analytisch ein Effekt der Haltung bzw. Intention der Probanden. Im statistischen Mittel konnte der Zufall in Richtung der Absicht der Versuchsteilnehmer verändert werden. In einer dieser Studien (Dechamps et al., 2021) wählte ohne Zutun der Probanden ein quantenbasierter Zufallsgenerator in jedem Durchgang entweder ein positives oder ein negatives Bild. Die Probanden hatten die Absicht positive Bilder zu sehen und diese Intention wurde in der Experimentalbedingung durch subliminales Priming dieser hoffnungsvollen Haltung verstärkt. Es wurde also in einer Bedingung eine unbewusste positive Erwartungshaltung implementiert. In einer Kontrollbedingung wurde eine neutrale Haltung aktiviert. Die Teilnehmer hatten die Aufgabe in der jeweiligen Erwartungshaltung passiv die Bilddarbietungen zu betrachten. Es zeigte sich in der ersten Studie (Dechamps et al., 2021, Studie 1) ein deutlicher Effekt der positiven Haltung in der Experimentalbedingung. Die Versuchspersonen sahen mehr positive Bilder als per Zufall erwartet, während in der Kontrollbedingung die Bilder völlig zufällig auftraten. Individuen scheinen also bei Vorhandensein einer positiven emotionalen Erwartung in der Lage zu sein, positive zukünftige Ereignisse mit größerer Wahrscheinlichkeit zu generieren als per Zufall erlaubt war. Zufällige Ereignisse sind damit nicht allein schicksalhafte Begebenheiten, denen wir unkontrollierbar ausgeliefert sind, sondern wir können mit Hilfe der richtigen emotionalen Grundhaltung für uns positive Realitäten konstruieren. Individuen sind also in der Lage klassische Realitäten aktiv mitzugestalten. Auf dieselbe Weise können sich aber auch negative Eistellungen immer wieder bestätigen. In einer weiteren Studie erhielten Personen mit klinisch relevanten Ängsten vom Quantenzufallsgenerator Aussagen präsentiert, die überzufällig häufig diese Ängste thematisierten (Jakob et al., 2020). Positive und negative emotionale Haltungen kreieren also gleichermaßen Realitäten, die diesen Erwartungen entsprechen und führen damit zu einer Bestätigung der Einstellung der Betroffenen. Dadurch verfestigen sich die emotionalen Grundmuster und werden zu adaptiven oder maladaptiven individuellen Lebensschicksalen. Um die ängstlich-pessimistische Realitätskonstruktion zu durchbrechen, muss man den betroffenen Individuen ihre dysfunktionale emotionale Überzeugung bewusst machen und durch eine positiv-optimistische Haltung ersetzen. Wie im Falle der Vorhersage zukünftiger Ereignisse konnte die Forschung zur Realitätskonstruktion durch Emotionen außerdem feststellen, dass die Effekte verschwinden, sobald man sie objektiviert (Dechamps et al., 2021, Studie 2 und 3; Maier et al., in press). Dies stellt eine weitere Option bei der Behandlung maladaptiver Überzeugungen dar. Sobald man den Probanden nachweist, dass sie selbst die negativen Realitäten erzeugen, reduziert sich ihr überzufällig häufiges Auftreten. Unser Geist ist gemäß dem PJM mittels der Emotionen in der Lage Realität mit zu konstruieren. Sofern die so erzeugten Realitäten dem Individuum förderlich sind, sollten man sie davon abhalten ihre diesbezüglichen Fähigkeiten sich selbst und anderen zu beweisen. Sie sollten an ihre Fähigkeiten glauben, sie aber nicht in den Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit stellen und damit auf die Ebene der Bestätigung heben. Bei dysfunktionalen Realitätskonstruktion sollte die Bestätigung der Selbstwirksamkeit in diesem Kontext betont und damit deren Effektivität gemindert werden. Gleichzeitig sollte eine emotionale Neuausrichtung eingeübt, diese aber mit Leichtigkeit vollzogen und ohne Bestätigungsdruck angewandt werden. 5. Fazit Emotionen lassen sich an der Schnittstelle zwischen bewusster und unbewusster Informationsverarbeitung lokalisieren. Sie stellen damit ein Bindeglied zwischen einer völlig automatischen und einer bewusst-rationalen Verarbeitung von Informationen und Verhaltenssteuerung dar. Emotionen liefern durch die behaviorale Komponente Verhaltensimpulse, die eine phylogenetische adäquate Antwort auf Anpassungsprobleme darstellen, unser Verhalten aber nicht vollständig determinieren, sondern eine bestimmte Richtung bahnen. Die physiologische Komponente unterstützt den Verhaltensimpuls durch angemessene körperliche Veränderungen. Der sobjektiven Komponente, d.h. dem Erlebensaspekt der Emotion, kommt die Rolle einer Signalübertragung zwischen den unbewussten und den bewussten Bereichen unserer Psyche zu. Emotionale Signale erlauben uns einen Zugang zu unserem unbewussten Potentialraum, einem Informationsspeicher, der über eine gewaltige Menge an entscheidungsrelevanten Informationen verfügt. Diese Informationen basieren auf vergangenen und zukünftigen Erfahrungen und stehen uns alle prinzipiell in der Gegenwart zu Verfügung. Wir können sie mit Hilfe des sobjektiven Erlebens für intuitive Entscheidungen, in komplexen, dynamischen und rational nicht vollständig analysierbaren Situationen und bei der Vorhersage zufälliger Ereignisse nutzen. Emotionen erlauben uns damit, auch zukünftige Ereignisse (berechenbare und zufällige) zu antizipieren und entsprechend zu handeln. Emotionale Überzeugungen und Erwartungshaltungen üben bei der Realitätskonstruktion einen wesentlichen Einfluss aus und sie können auch zufällige, klassisch nicht beeinflussbare Ereignisse in ihrer Auftretenswahrscheinlichkeit modifizieren. Um die Emotionen für den Informationsabruf und die Konstruktion von Realitäten adäquat nutzen zu können, muss man drei Faktoren beachten: 1) Seien Sie offen für Ihre emotionalen Signale, indem sie ihre rationale Verarbeitung zeitweise zurückstellen und auf ihr Bauchgefühl hören, 2) entwickeln sie außerdem eine positiv-optimistische Grundhaltung in Lebensbereichen, in denen sie positive Realitäten herbeiführen wollen und 3) vermeiden Sie eine Bestätigung der Wirksamkeit ihrer positiven Haltung bei der Realitätskonstruktion, da sie ansonsten ihre diesbezügliche Selbstwirksamkeit untergraben. Sollten Sie diese drei Faktoren beachten steht einer glücklichen, erfüllten Lebensführung nichts mehr im Wege. 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- Wie sich das Gehirn auf eine gewünschte Zukunft bahnen lässt
Durch die Arbeit mit inneren Bildern können wir unsere körperliche Gesundheit im Sinne der Selbstheilung verbessern, aber auch unsere Lebensumstände entscheidend verändern. Die geistige Ausrichtung spielt dabei die zentrale Rolle. Inhaltsverzeichnis 1. Vorwort 2. Bahnungseffekte im Allgemeinen 3. Bahnung in der Kommunikation 4. Bahnung für die Gesundheit - der Körper folgt dem Geist 5. Die Bahnung des Gehirns auf eine erwünschte Zukunft Literatur- & Quellenverzeichnis Wie sich das Gehirn auf eine Zukunft bahnen lässt Verändert sich der Geist, verändert sich die Welt 1. Vorwort Durch die Arbeit mit inneren Bildern können wir unsere körperliche Gesundheit im Sinne der Selbstheilung verbessern, aber auch unsere Lebensumstände entscheidend verändern. Die geistige Ausrichtung spielt dabei die zentrale Rolle. Im Folgenden wird Ihnen ein Prozess vorgestellt, bei dem unterschiedliche Aspekte der Aufmerksamkeit trainiert und hintereinander angewendet werden, um diese Ziele effektiv erreichen zu können. Welche Rolle spielt die neurologische Bahnung des Gehirns in unserem Leben? Welchen Effekt erzeugt sie in Bezug auf die Wahrnehmung unserer Mitmenschen und der uns umgebenden Realität? Welchen Einfluss hat sie auf die zwischenmenschliche Kommunikation? Wie lassen sich Bahnungseffekte bewusst erzeugen und welche Rolle spielt der Fokus der Aufmerksamkeit dabei? Wie können wir durch das Generieren innerer Bilder sogar unsere Körperphysiologie verändern und Organfunktionen beeinflussen, die sich üblicherweise unserer bewussten Kontrolle entziehen? Was ist das Geheimnis erfolgreicher Visualisierungstechniken, die helfen, Lebensziele einfacher zu erreichen? Diese Themen behandelt das folgende Skript. 2. Bahnungseffekte im Allgemeinen Unter Bahnung versteht man die bewusste oder unterbewusste Lenkung neurologischer Verarbeitungsprozesse in eine bestimmte Richtung. Durch Aktivierung neuronaler Netzwerke kommt es in der Folge zu entsprechenden kognitiven Prozessen oder reaktiven Verhaltensweisen, mitunter sogar zu körperphysiologischen Veränderungen. Der Begriff der Bahnung wird häufig mit „Priming“ gleichgesetzt, wird jedoch in diesem Skript mehrdeutig verwendet und geht dabei über den Effekt des Primings hinaus. Priming ist dabei zweifelsohne eine Form der Bahnung, dessen Funktionsweise zu Beginn dargestellt wird. 2.1 Priming Priming beschreibt einen Effekt, bei dem kognitive Prozesse wie die Beurteilung oder die subjektive Wahrnehmung einer gegenwärtigen Erfahrung durch eine vorangegangene Erfahrung beeinflusst wird. Am leichtesten lässt sich dieser Effekt anhand eines Beispiels erörtern. Um Priming-Effekte zu erzeugen beziehungsweise zu messen, macht man folgendes Experiment: Man gibt Probanden eine Liste von Wörtern und bittet sie, sich diese einzuprägen. Diese Wort-Liste enthält unter anderem die Wörter „Kuchen“, „Ziege“ und „Hemd“. Wenn man danach in einem zweiten, zeitlich ver-setzten und scheinbar unabhängigen Experiment die Teilnehmer bittet, völlig frei zu den Worten „Süßspeise“, „Tier“ und „Kleidungsstück“ zu assoziieren, werden die obigen Worte signifikant häufiger verwendet als bei Teilnehmern, die nicht davor durch die Wort-Liste gepriemt wurden. Dieser Effekt findet auch dann statt, wenn die Probanden sich bewusst gar nicht mehr an die Worte der Wort-Liste erinnern können. Das Priming lässt sich als eine Art „anglühen“ eines betreffenden neuronalen Netzwerkes verstehen. Neuronen, die auf diese Weise (durch die Wortliste) voraktiviert wurden, sprich noch „glühen“, lassen sich schneller und leichter aktivieren als andere Neuronengruppen. Durch solch eine Bahnung werden gewisse Denkoperationen unterbewusst beeinflusst und auf mehr oder weniger vorhersehbare Weise wahrscheinlicher. Untersuchungen zur obigen Methode der „zwei unabhängigen Experimente“ zeigen, dass auch die Wahrnehmung und Beurteilung anderer Menschen davon beeinflusst werden kann, welche Erfahrung wir unmittelbar vor der jeweiligen Beurteilung machen. Lesen wir etwa die Biografie von Nelson Mandela und seinem erfolgreichen politischen Kampf gegen die Apartheid, beurteilen wir die Rolle von Politikern im Allgemeinen als bedeutsamer und stehen ihr positiver gegenüber, wie nach der Lektüre eines Buches über politische Korruption. Jede Erfahrung, die wir als Menschen machen, bildet sich in Form eines neuronalen Netzwerkes im Gehirn ab. Wird dieses aktiviert, werden andere Netzwerke, die im Sinne des assoziativen Gedächtnisses mit dieser Erfahrung in Verbindung stehen, mitaktiviert. Priming ist ein Prozess, der völlig unwillkürlich funktioniert und man kann sich ihm nicht entziehen. Man kann sich lediglich seiner Auswirkung bewusstwerden, aber unterdrücken lässt er sich nicht. Das Priming führt unwillkürlich zu einer Aktivierung des assoziativen Gedächtnisses. Sobald man irgendeine Information erhält, egal ob akustisch, visuell oder durch einen anderen Sinneskanal, setzt sich das assoziative Gedächtnis in Bewegung und aktiviert sämtliche Inhalte, die im Zusammenhang mit dieser Information in der Vergangenheit in Erfahrung gebracht wurden. Die Aktivierung der assoziierten Inhalte läuft dabei unterhalb der Wahrnehmung ab. Folgendes Beispiel veranschaulicht diesen Effekt gut. Lesen Sie die beiden folgenden Kurzgeschichten und achten Sie auf die inneren Bilder, die dabei in Ihrem Geiste entstehen: Geschichte 1: Anna P. lebt in einer großen Stadt. Sie begibt sich zur Entspannung heute ganz gezielt in den größten und als grüne Oase bekannten Erholungspark. Dort angekommen sucht sie eine ganz bestimmte Bank auf. Lesen Sie nun die 2. Geschichte: Geschichte 2: Anna P. lebt in einer großen Stadt. Sie begibt sich aus beruflichen Gründen heute ganz gezielt in das Finanzzentrum der Stadt. Dort angekommen sucht sie eine ganz bestimmte Bank auf. Die meisten Leser erleben beim Lesen der ersten Geschichte das Auftauchen einer Parkbank, wenn sie das Wort „Bank“ lesen, während dasselbe Wort in der zweiten Geschichte meistens das innere Bild eines Finanzinstituts entstehen lässt. Dasselbe Wort löst also unterschiedliche Assoziationen aus, je nachdem auf welche Weise das Gehirn zuvor geprimt wurde. Hört man die Worte „grüne Oase“, „Entspannung“ und „Erholungspark“, wird das assoziative Gedächtnis augenblicklich auf die Reise geschickt und aktiviert sämtliche Erfahrungen, die im Zusammenhang mit diesen Begriffen bereits gesammelt wurden. Unwillkürlich und unterhalb der Wahrnehmung assoziiert das Gehirn beim Lesen des Wortes „Erholungspark“ womöglich ein paar Bäume, vielleicht einen kleinen Teich mit Schwänen, eine von geschwungenen Wegen durchzogene Wiese und eine dazu passende Sitzbank. Da all diese Dinge, wie eben auch die Sitzbank neurologisch mit „angeglüht“ werden und die betreffenden Neuronen daher bereits erregt sind, erscheint im Geiste augenblicklich eine Sitzbank, sobald man das Wort „Bank“ liest. Diese unterbewusst ablaufenden Denkoperationen sind sehr bedeutungsvoll für das menschliche Denken, da sie eine sehr schnelle Verarbeitung von Inhalten und ein schnelles Erfassen von Sachverhalten ermöglichen. Andererseits können Bahnungseffekte aber auch zu Verzerrungen der Wahrnehmung führen und Fehlurteile begünstigen. Ein Bespiel hierfür ist der sogenannte „Halo-Effekt“, dem ebenfalls eine Bahnung zu Grunde liegt. 2.2 Der Halo-Effekt „Halo“ bedeutet auf Griechisch „Lichthof“ und wird zu Deutsch oft mit „Heiligenschein“ übersetzt. Der Halo-Effekt beschreibt den Umstand, dass ein ganz bestimmtes Merkmal einer Person, eines Gegenstandes oder einer Situation so heraussticht, dass es andere Merkmale überstrahlt und dadurch das eigene Urteilsvermögen trübt. Sehr gut untersucht wurde dieser Bahnungseffekt im Rahmen der subjektiv empfundenen Attraktivität von Menschen, wo gutaussehenden Individuen generell eine höhere Kompetenz zugeschrieben wird, als weniger attraktiven Personen. Im Gegenzug dazu kann etwa eine höchst unangenehme Stimme eines Vortragenden, den wunderbaren Inhalt des Vortrags überstrahlen und das eigene Urteil in eine negative Richtung prägen. Zum Teil lässt sich dieser Effekt mit dem Prozess der kognitiven Leichtigkeit erklären, wo das Erleben von positiven Gefühlen dazu führt, dass man präsentierten Inhalten mehr vertraut und weniger kritisch ist, wohingegen negative Emotionen als kognitive Beanspruchung erlebt werden und das Gegenteil bewirken. Darüber hinaus liegt dem „Halo-Effekt“ aber ein weiterer Effekt zu Grunde, den man den „Primacy-Effekt“ oder „Primär-Effekt“ nennt. Dieser besagt, dass die Reihenfolge, in der Inhalte eines Sachverhaltes präsentiert werden, einen Unterschied in der Bewertung derselben macht. Dies lässt sich anhand eines Beispiels illustrieren. Im folgenden Versuch bittet man Menschen auf einer Skala von 0 bis 10 zu beurteilen, ob sie die folgenden Personen als eher sympathisch oder weniger sympathisch bezeichnen würden: Philipp: intelligent, fleißig, impulsiv, kritisch, eigensinnig, neidisch Michael: neidisch, eigensinnig, kritisch, impulsiv, fleißig, intelligent Die beiden Personen werden den Probanden dieses Versuches in der Regel mit einem gewissen zeitlichen Abstand präsentiert, um die Chance zu verringern, dass die Befragten die Offensichtlichkeit des Versuches erkennen, dass nämlich beiden Personen die exakt selben Charaktermerkmale zugeschrieben werden, allerdings in einer unterschiedlichen Reihenfolge. Die allermeisten der Befragten beurteilen Philipp dabei als signifikant sympathischer als Michael, weil die zuerst genannten Eigenschaften durch den Haloeffekt die danach angeführten Merkmale überstrahlen. Auch hier wird das Gehirn bereits in eine bestimmte Richtung gebahnt und eine Assoziationskette in Gang gesetzt, die das eigene Urteil vorab färbt. Die Funktionsweise des assoziativen Gedächtnisses erlaubt uns also einerseits Sachverhalte sehr schnell zu erfassen und befähigt uns zu raschen Urteilen, andererseits sind diese unbewussten Denkoperationen aber auch die Wurzel vieler Vorurteile. 2.3 Vorurteile – die negativen Auswirkungen von Bahnungseffekten Der Priming-Effekt funktioniert nur dann, wenn bereits neuronale Netzwerke vorliegen, die geprimt werden können. Der Grund dafür ist die Funktionsweise des assoziativen Gedächtnisses. Wenn man sich an die Zeit des 11. Septembers 2001 zurückerinnert, dann waren die Monate und Jahre nach dem Terrorakt von medialen Berichten geprägt, in denen fast täglich Bilder von Terroristen gezeigt wurden. Auf den Bildschirmen der Fernsehgeräte sah man fast ausschließlich Männer aus dem arabischen Raum, deren Stereotyp vor allem durch deren Bärte, schwarze Haare und dunkle Augen auffiel. Vielen Menschen quer durch Europa ist es in der Folge beim Anblick eines ähnlich aussehenden Mannes in der U-Bahn so ergangen, dass sie augenblicklich an einen Terroristen dachten und diesem Menschen wohl eher skeptisch, wenn nicht gar ängstlich oder feindselig gegenüberstanden. Und wie viele Menschen haben ihre innere Reaktion wohl erkannt oder sich zum Teil sogar dafür kritisiert? Die Gehirne jener Menschen, die die Nachrichten regelmäßig verfolgten, wurden so oft auf diese Verbindung zwischen Terroristen und arabisch aussehenden Menschen konditioniert und geprimt, dass diese Assoziationen augenblicklich zu Tage traten. Das Auftreten vorverurteilender Gedanken lässt sich zwar nicht unterdrücken, aber zumindest durch Selbstbeobachtung erkennen und dadurch entschärfen. Durch Selbstreflexion können diese automatisch auftretenden Denkoperationen kritisch hinterfragt und reaktionäre Verhaltensweisen unterdrückt und moduliert werden. Aber dass sie stattfinden, lässt sich nicht verhindern. Bekannterweise lassen sich Vorurteile wiederum dahingehend abbauen, indem neuartige und gegenteilige Erfahrungen mit einem Stereotyp gemacht werden. Diese Erfahrungen verändern abermals die eigene Wahrnehmung, weil jede Erfahrung neue neuro-logische Bahnen legt – in die eine, wie in die andere Richtung. Wäre es folglich denkbar, dass sich Priming-Effekte bewusst erzeugen und nutzen lassen, um die eigene Wahrnehmung und somit auch Urteile gegenüber anderen Menschen oder bestimmten Situationen in eine positive Richtung zu lenken? Kann man das eigene Gehirn auf eine gewünschte Weise bahnen, in dem man bestimmte Geisteshaltungen trainiert und somit Bahnungseffekte konstruktiv einsetzt? Die folgenden drei Kapitel beschreiben praxisnahe Einsatzgebiete und umfassen die Themen „Kommunikation“, „Beeinflussbarkeit der eigenen Körperphysiologie“ und „das Erreichen von Lebenszielen“. 3. Bahnung in der Kommunikation Kommunikation ist in privaten wie in beruflichen Kontexten eines der zentralsten Themen, die unser menschliches Dasein bestimmen. Die Art der Kommunikation entscheidet häufig über das Gelingen oder Misslingen von menschlichen Beziehungen. Darüber hinaus gehören zwischenmenschliche Konflikte nachweislich zu den größten Stressfaktoren im Leben der meisten Menschen. Um Konflikte in der Kommunikation zu reduzieren bzw. die Kommunikation generell effektiver, im Sinne eines gewünschten Outcomes zu gestalten, sollen hier zwei praktische Methoden vorgestellt werden, die das Gehirn sowohl des Senders als auch des Empfängers in eine gewünschte Richtung bahnen können. 3.1 Wie sich das eigene Gehirn auf eine mitfühlende Kommunikation bahnen lässt Aus der buddhistischen Tradition ist seit Jahrtausenden eine mentale Praxis bekannt, die man als Mitgefühls-Training bezeichnet – die Metta-Meditation, oder die Meditation der liebenden Güte. Neurowissenschaftliche Erkenntnisse rund um die Forschungsarbeiten von Tanja Singer haben gezeigt, dass ein Training von Mitgefühl bestimmte Gehirnareale aktiviert, das sowohl die innere Haltung gegenüber Mitmenschen verändert, als auch zu prosozialem Verhalten führt. Wichtig ist an dieser Stelle zu erwähnen, dass Mitgefühl nicht mit Empathie gleichgesetzt werden darf, denn es zeigte sich, dass zwischen beiden Geisteshaltungen entscheidende neurobiologische Unterschiede bestehen. Während Mitgefühl, als der innere Wunsch, dass es anderen wohl ergehen möge, einen positiven Affekt erzeugt und die Kommunikation mit unseren Mitmenschen erleichtern kann, führt das reine Erleben von Empathie (das In-Resonanz-Gehen mit dem Leid anderer) ohne gleichzeitig empfundenes Mitgefühl zu negativem Affekt und erzeugt Stress. Der neurophysiologische Mechanismus, der hinter dem Unterschied zwischen Empathie und Mitgefühl steckt, hat mit der Aktivierung der Schmerzzentren und anderen Gehirnregionen zu tun und lässt sich kurz zusammenfassend so darstellen: Wenn Menschen emotionalen Schmerz empfinden, dann kommt es zu einer Aktivierung in Bereichen des anterioren Gyrus cinguli (ACC) und der anterioren Insula, welche als emotionale Schmerzzentren gesehen werden. Sozialer Ausschluss etwa aktiviert diese beiden Gehirnareale umso stärker, je intensiver die Probanden diesen negativen Stress erleben. Die gleichen Gehirnareale werden interessanter Weise ebenfalls aktiviert, wenn man andere Menschen sieht, die von physischem oder emotionalem Schmerz betroffen sind. Wenn man also im Rahmen empathischer Wahrnehmung andere Menschen leiden sieht, dann leidet auch das eigene Gehirn und „empfindet“ Schmerzen, da es zur Aktivierung dieses Schmerz-Empathie-Netzwerkes kommt. Dies geht mit dem Erleben negativer Emotionen einher und stellt somit eine aversive Erfahrung dar. Wenn einfühlende Resonanz mit dem Leid anderer Menschen wiederholt stark negative Emotionen auslöst, kann dies auf Dauer erheblichen Stress verursachen und sogar zur Entwicklung von Burnout beitragen. Menschen in helfenden, medizinisch-pflegenden Berufen, aber auch im Coaching sind hier im Besonderen gefährdet. Die positive Nachricht der Mitgefühls-Forschung ist jedoch, dass wenn empathisches Erleben mit Mitgefühl kombiniert wird, werden neben den emotionalen Schmerzzentren zusätzliche Gehirnareale aktiviert, die mit positiven Emotionen und prosozialem Verhalten assoziiert sind. Dieses „Mitgefühls-Netzwerk“ umspannt unter anderem den medialen orbitofrontalen Kortex, Teile des Striatums und den anterioren Gyrus cinguli. Gemeinsam formen diese Regionen ein Netzwerk, das mit positiven Emotionen, Zugehörigkeit und Liebe sowie Belohnung in Verbindung gebracht wird. Mitgefühl erzeugt im Gegensatz zur reinen Empathie also einen positiven Affekt und führt zu neuronaler Aktivität, die Stress im Umgang mit Mitmenschen reduziert. Durch ein regelmäßiges Training von Mitgefühl wird das eigene Gehirn auf eine positive und wertschätzende Wahrnehmung der Mitmenschen gebahnt, was konfliktfreiere Kommunikation deutlich erleichtert. Wie sieht solch ein Mitgefühlstraining in der Praxis aus? Durch ein Training des Mitgefühls macht man sich zunächst die Tatsache bewusst, dass jeder Mensch Momente des Leidens erlebt und übt sich in der Haltung, dem Gegenüber wohlwollende Gedanken und Gefühle zu senden. Man vergegenwärtigt sich den Umstand, den der Dalai Lama als eine, alle Menschen verbindende Tatsache beschreibt: Nämlich, dass jeder Mensch den Wunsch in sich trägt, glücklich zu sein und Leid von sich fernzuhalten. Sich diesen Gedanken immer wieder zu vergegenwärtigen, bahnt die Wahrnehmung unserer Mitmenschen bereits in eine mitfühlende Richtung und erzeugt einen spürbar verbindenden Effekt, der das Verständnis für die Erlebniswelt des Gegenübers erhöht. Auf diese Weise kann man gerade im Umgang mit Menschen, die man als sehr herausfordernd erlebt, das eigene Gehirn auf konstruktive Weise bahnen. Zu diesem Zwecke kann man folgende Mitgefühlsübung regelmäßig praktizieren: 3.2 Metta-Meditation Machen Sie sich zunächst bewusst, dass alle Wesen dieser Welt Momente des Leidens erleben. Schenken Sie nun Ihre Aufmerksamkeit zuerst sich selbst und richten Sie folgende Worte im Sinne des Selbstmitgefühls an sich: Möge ich glücklich und zufrieden sein. Möge ich sicher und geborgen sein. Möge ich gesund sein. Möge ich mit Leichtigkeit leben. Spüren Sie, wie sich Ihr Herz dabei öffnet und sich mehr und mehr Wohlwollen in Ihrem Inneren ausbreitet. Denken Sie nun an einen besonderen Menschen, der Ihnen am Herzen liegt, und senden Sie ihm dieselben Wünsche: Mögest du glücklich und zufrieden sein. Mögest du sicher und geborgen sein. Mögest du gesund sein. Mögest du mit Leichtigkeit leben. Sie können nun einen Schritt weitergehen und diese Wünsche einer Person senden, der Sie neutral gegenüberstehen. Wenn Ihnen dies gelingt, dann können Sie versuchen, diese Wünsche einem Menschen zuzusenden, mit dem Sie gerade ein Problem oder einen Konflikt haben. Sie können diese Wünsche noch weiter ausdehnen und schließlich auf die gesamte Menschheit ausweiten: Mögen alle Menschen glücklich und zufrieden sein. Mögen alle Menschen sicher und geborgen sein. Mögen alle Menschen gesund sein. Mögen alle Menschen mit Leichtigkeit leben. Wenn wir diese Geisteshaltung kultivieren und beispielsweise zu Beginn des Tages für etwa fünf bis zehn Minuten praktizieren, bahnen wir das Gehirn auf eine mitfühlende Haltung gegenüber jenen Menschen, die uns am bevorstehenden Tag begegnen werden. Wir trainieren das Gehirn, um destruktive Verhaltensweisen von Mitmenschen, die uns tendenziell irritieren und regelmäßig zu Konflikten führen, als Folge innerer Leidenszustände zu erkennen und erleben durch regelmäßiges Üben eine mitfühlende Haltung als innere Reaktion. Dabei ist es entscheidend, diese Sätze nicht nur innerlich auszusprechen, sondern sie wirklich zu fühlen. Dafür ist es wichtig, Formulierungen zu finden, mit denen man emotional resoniert. Nicht für jeden mag der eine oder andere Wortlaut stimmig sein und sowohl beim eigenen Training des Mitgefühls, als auch bei der Vermittlung dieser Methode gegenüber einem Klienten ist es wichtig, individuell passende Formulierungen zu finden, um das gewünschte Gefühl zu erzeugen. Auf diese Weise können wir die eigene Wahrnehmung auf konstruktive Weise bahnen, um die Kommunikation mit unseren Mitmenschen zu erleichtern. Es gibt aber auch Methoden in der Kommunikation, die helfen, das Denken des Gegenübers zu bahnen und die es erleichtern, gewünschte Resultate in der Kommunikation zu erzeugen. Solch eine Methode ist beispielsweise die, aus der Hypnose-Arbeit bekannte Etablierung des „Yes-Set“. 3.3 Das „Yes-Set“ – Wie sich das Gehirn des Gegenübers bahnen lässt Die Etablierung des Yes-Set kann man als eine Form der Bahnung verstehen, welche ermöglicht, unterbewusste Denkoperationen des Gegenübers zu erzeugen, die dabei helfen, Widerstände zu reduzieren und eigene Botschaften erfolgreicher anzubringen. Weiter oben im Skript wurde bereits auf den Effekt der kognitiven Leichtigkeit eingegangen, der besagt, dass Informationen vom Gehirn umso leichter aufgenommen und akzeptiert werden, je flüssiger sie verarbeitet werden und je angenehmer die dabei empfundenen Emotionen sind. Aus der Arbeit mit dem Unterbewusstsein hat sich gezeigt, dass es sehr effektvoll ist, im Rahmen der Kommunikation drei Dinge zu sagen, die das Gegenüber auf jeden Fall bejahen kann, bevor man eine gewünschte Botschaft anbringt. Das Prinzip ist folgendes: Wenn man drei Dinge hintereinander hört, die man innerlich als wahr bestätigen kann, dann ist man dazu geneigt, die nächstfolgende Information ebenfalls zu glauben. Drei wahre Aussagen erzeugen ein Gefühl von Kohärenz und Vertrauen, was zu innerer Zustimmung und einem positiven Gefühl führt. Durch das Erleben kognitiver Leichtigkeit, „schaltet das Gehirn auf Empfangsmodus“. Ein Beispiel dafür könnte so aussehen: Ein aufgebrachter Kunde richtet sich mit einer Beschwerde an Sie, weil das Geschäft nicht so gelaufen ist, wie er sich das gewünscht hat. Anstatt dem Kunden reflexartig mit Gegenargumenten zu begegnen, bedeutet die Etablierung des Yes-Set, dass man zunächst drei Dinge anspricht, die die Erlebniswelt des Kunden widerspiegeln. Dies könnte etwa so lauten: (1) „Sie sind offenbar enttäuscht, wie das Geschäft verlaufen ist, (2) das verstehe ich, denn ich denke, Sie haben sich erhofft, dass ... (dieses oder jenes) eintritt (3) und wünschen sich, dass es jetzt zu einem guten Ende kommt.“ Nach diesen drei Spiegelungen kommt nun die Botschaft: „Wir werden eine Lösung finden. Ich habe mir folgendes überlegt...“ Durch ein Bestätigen der Erlebniswelt des Gegenübers, lässt sich dessen Gehirn auf Empfangsmodus bahnen und er öffnet sich für Ihre Botschaft. Behauptet man andererseits im ungünstigsten Falle Dinge, die das Erleben des Gegenübers nicht spiegeln und von diesem anders empfunden werden, sinkt die Bereitschaft, nachfolgende Informationen zu akzeptieren, was häufig zu vermeidbaren Konflikten in der Kommunikation führt. Betrachtet man solche Effekte in der Sprachwahl genauer, lässt sich erkennen, dass letztlich alles was im Rahmen von Kommunikation gesagt wird, die Denkoperationen der Beteiligten IMMER in eine bestimmte Richtung bahnt. Wenn man dies verinnerlicht und professionell auf seine Wortwahl achtet, kann man erstaunliche Möglichkeiten von Bahnungseffekten in der Kommunikation erleben. 4. Bahnung für die Gesundheit - der Körper folgt dem Geist Ganz allgemein lässt sich Bahnung als ein Prozess verstehen, bei dem bestimmte Assoziationsketten im Gehirn in Gang gebracht werden, die in konsekutive Denkoperationen münden. Die Auswirkungen dieser kognitiven Prozesse bleiben allerdings nicht auf die Gedankenwelt beschränkt, sondern können direkte Reaktionen des Körpers und somit Veränderungen der Körperphysiologie zur Folge haben. Das Forschungsgebiet der Psychoneuroimmunologie hat mittlerweile belegt, dass sich durch das bewusste Erzeugen mentaler Bilder autonome Körperfunktionen beeinflussen lassen, die sich normalerweise der willentlichen Beeinflussung entziehen. 4.1 Innere Bilder aktivieren innere Organe Die allermeisten Organfunktionen werden vom autonomen Nervensystem (ANS) gesteuert und dieses entzieht sich prinzipiell der willkürlichen Kontrolle. Während das willkürliche Nervensystem die Muskulatur des Rumpfes und der Extremitäten steuert und dabei der willentlichen Kontrolle unterliegt, reguliert das ANS scheinbar unbeeinflussbar und unwillkürlich die Funktionen der inneren Organe. Das ANS ist mit der Aufgabe betraut, den Körper immer an die jeweilige Situation anzupassen, in der er sich gerade befindet. Der Körper muss bekanntlich sehr unterschiedliche Dinge leisten, je nachdem ob man gerade eine Runde joggen geht, oder bei einem ausgedehnten Abendessen sitzt. Um sowohl den Blutdruck, die Herz- und Atemfrequenz, die Aktivität der Verdauungsorgane und der Schweißdrüsen, aber auch die Funktionen des Immunsystems ständig an die gegebenen Situationen anzupassen, besteht das ANS aus den zwei bekannten funktionellen Gegenspielern – dem Sympathikus und dem Parasympathikus. Auch wenn deren Nervenfasern nicht direkt der willentlichen Ansteuerung unterworfen sind, so reagieren sie doch sehr sensibel auf innere, also mentale Bilder und lassen sich dadurch auch bewusst ansteuern. Sie haben bereits selbst die Erfahrung gemacht, dass Sie Ihre Bauchspeicheldrüse oder die Schweiß- und Speicheldrüsen nicht auf Befehl aktivieren können. Über das Erzeugen mentaler Bilder ist dies jedoch möglich. Um es selbst zu erleben, machen Sie hierfür folgende Übung, um sich von der Wirksamkeit innerer Bilder und deren Wirkung auf autonome Zellfunktionen selbst zu überzeugen: 4.2 Die Zitronenübung Schließen Sie für einen Moment Ihre Augen und stellen Sie sich vor, dass Sie eine große, saftig-gelbe Zitrone in einer Ihrer Hände halten. Spüren Sie in die Vorstellung hinein, wie schwer diese Zitrone wiegt, wenn Sie Ihre Hand ganz locker nach oben und nach unten schwenken. Spüren Sie nach, wie sich diese glatte Oberfläche anfühlen würde und welche Temperatur sie hat. Führen Sie jetzt die Zitrone zu Ihrer Nase und riechen Sie daran. Jetzt stellen Sie sich vor, Sie würden in Ihre Küche gehen und diese Zitrone auf ein Schneidbrett legen. Schneiden Sie jetzt mit einem scharfen Küchenmesser die Zitrone in zwei Hälften. Vielleicht können Sie wahrnehmen, wie etwas von dem säurigen Zitronensaft aus den Schnittflächen herausspritzt und auf das Schneidbrett läuft. Jetzt führen Sie beide Hälften mit den feuchten Schnittflächen noch einmal an Ihre Nase und riechen Sie diesen noch viel intensiveren Geruch der Zitronensäure. Jetzt schließen Sie in der Vorstellung Ihre Augen, öffnen Sie den Mund und pressen den gesamten Inhalt beider Hälften in Ihren Mund. Spüren Sie diesen sauren Geschmack und wie sich Ihre Gesichtsmuskulatur vor lauter Säure zu einer Grimmasse verzieht. Konnten Sie spüren, wie es im Bereich der Speicheldrüsen begonnen hat zu kribbeln, beziehungsweise Speichel begonnen hat zu fließen? Wenn solch ein mentales „Bild“ mit allen Sinnen im Geiste erzeugt wird, erleben die meisten Menschen eine deutliche Körperreaktion in Form von Speichelproduktion. Dieses Beispiel ist sehr plakativ und innerlich relativ leicht umsetzbar. Doch auf die gleiche Weise, nämlich durch das Generieren innerer Bilder, lassen sich deutlich mehr Organfunktionen beeinflussen, als allgemein bekannt. Auch wenn die exakten Mechanismen nicht geklärt sind, wie genau der Körper innere Bilder in Zellfunktionen übersetzt, so möchte ich im Folgenden ein Erklärungsmodell ins Feld führen, das als nachvollziehbare Arbeitshypothese dienen soll. Das Gehirn empfängt über die Sinnesorgane stets sämtliche Informationen darüber, was gerade in der dreidimensionalen Realität erlebt wird und zeichnet über die neuronale Verarbeitung ein neurologisches Abbild der gemachten äußeren Erfahrung. Zusätzlich werden die inneren kognitiven und emotionalen Reaktionen darauf verarbeitet. All diese Informationen werden einerseits auf neuronalem Weg über elektrische Impulse und andererseits auf humoralem Weg über das Hormonsystem an die Körperzellen verschiedenster Organsysteme weitergeleitet. Diese Körperzellen reagieren mit entsprechenden Zellfunktionen, um sich an das Erlebte zu adaptieren. Vereinfacht lässt sich sagen, dass der Körper in jeder Sekunde des Lebens abgleicht, ob er an die gerade erlebte Situation angepasst ist oder nicht. Und wenn seine physiologische Funktionsweise nicht den aktuellen Anforderungen entspricht, beginnt er sich anzupassen. Würde er dies nicht tun, würde der Organismus nicht sehr lange überleben. Ein paar Beispiele verdeutlichen dies am besten. Stellen Sie sich vor, Sie begeben sich auf eine Bergtour ins Hochgebirge. Registriert Ihr Körper dabei, dass der Sauerstoffpartialdruck im Blut abfällt, dann beginnen die Nieren vermehrt Erythropoetin zu produzieren, also jenen Botenstoff, der das Knochenmark zur vermehrten Bildung von roten Blutkörperchen anregt, um mehr Sauerstoff transportieren zu können und den aktuellen Sauerstoffbedarf zu decken. Wieder anders verhält sich der Körper, wenn Sie beispielsweise eine Speise zubereiten und gerade Zwiebel in Ihrer Bratpfanne anrösten. Dieser Vorgang wird von Ihren Sinnesorganen an das Gehirn weitergeleitet und Sie riechen den Duft der Zwiebeln und hören das Brutzeln in der Pfanne, während Ihre Gedanken schon um das bevorstehende Mahl kreisen. Zu diesem Zeitpunkt beginnt oft der Magen zu knurren, da er vermehrt Magensäure produziert und die Peristaltik anwirft. Gleichzeitig beginnen Verdauungssäfte in der Bauchspeicheldrüse zu fließen, sodass die Verdauung des Speisebreies augenblicklich beginnen kann, sobald Sie den ersten Bissen machen. Ohne diese Anpassungsreaktion würde der Speisebrei unverdaut in den Dickdarm weiterbefördert werden und dort zu Blähungen und Durchfall führen. Der Körper reagiert also stets auf die Anforderungen des gegenwärtigen Moments und passt seine Zellfunktionen daran an. Der Mensch hat nun die erstaunliche Fähigkeit durch seine Vorstellungskraft, innere Bilder so real werden zu lassen, dass der Körper nicht zwischen Realität und Vorstellung unterscheiden kann. Wenn man die Augen schließt, den Blick nach innen wendet und sich ein Erlebnis mit allen Sinnen vorstellt, dann wird eine innere Erfahrung erzeugt, die messbare Veränderungen der Körperphysiologie, im Sinne einer Anpassungsreaktion zur Folge hat. Aus meiner Erfahrung mit medizinischer Hypnose kann ich berichten, dass sich viele autonome Körperfunktionen auf diese Weise beeinflussen lassen. Wissenschaftlich sehr gut erforscht ist die Beeinflussbarkeit des Verdauungssystems durch die Bauchgerichtete Hypnosetherapie. Gerade bei Menschen mit Reizdarmsyndrom, die an Symptomen wie unregelmäßigem Stuhlgang, Bauchschmerzen, Blähungen und teilweise akut einsetzenden Durchfallattacken leiden, wurden nachweislich deutliche Verbesserungen der Darmfunktionen nachgewiesen. Die in Studien untersuchten Patienten erhielten eine dreimonatige Bauchhypnose-Therapie mit acht bis zwölf, wöchentlich stattfindenden Sitzungen. Während der Sitzungen lernen die Patienten, in einen entspannten Trance-Zustand zu gehen und innere Bilder in sich entstehen zu lassen, die sich direkt auf die Darmtätigkeit auswirken. Neurowissenschaftliche Untersuchungen mittels fMRI konnten dabei zeigen, dass die beim Reizdarmsyndrom bestehende Hypersensibilität der Nervenfasern im Bereich der Darmschleimhaut und die damit einhergehende erhöhte Aktivität der Schmerzzentren durch die Hypnose deutlich reduziert wurden. Aber auch die Stuhlkonsistenz- und Stuhlfrequenz normalisiert sich in den meisten Fällen. Um spezifische Körperfunktionen beeinflussen zu können, spielt einerseits die passende Wahl der inneren Bilder eine entscheidende Rolle, andererseits auch die, auf die Veränderung der betreffenden Funktionen ausgerichteten Suggestionen. So wie das Bild einer Zitrone die Speicheldrüsen aktiviert, dienen wieder andere Bilder dazu, etwa den Blutdruck zu modulieren. Auch die Häufigkeit von Migräneanfallen lässt sich durch die regelmäßige Anwendung von Selbsthypnose durch Autosuggestion verringern. Eine besonders effektive und schnell wirksame Methode den Parasympathikus zu aktivieren und einen generellen Entspannungszustand zu erreichen, ist eine spezielle Atemtechnik, bei der man gleichmäßig und ruhig fünf Sekunden lang ein und fünf Sekunden lang ausatmet. Wenn man gleichzeitig zu diesem verlangsamten Atemzyklus ein emotional positiv besetztes Bild im Geiste erzeugt, lassen sich nachweislich Stress reduzierende Effekte im Körper erzeugen und der Blutdruck senken. Diese Übung lässt sich leicht erlernen und ist im Alltag überall und jederzeit umsetzbar. Sie ist im Coaching wunderbar geeignet, um Klienten eine wirkungsvolle Stressreduktionstechnik anzubieten und sowohl den Blutdruck, als auch die Herzfrequenz zu reduzieren. Machen Sie hierfür folgende Übung: 4.3 Atemübung zur Stressreduktion Setzen Sie sich aufrecht hin und schließen Sie Ihre Augen oder lassen Sie Ihren Blick ins Leere gleiten. Richten Sie nun Ihre Aufmerksamkeit auf Ihre Atmung und lassen Sie diese etwas ruhiger und tiefer werden. Atmen Sie etwa fünf Sekunden lang ein und fünf Sekunden lang aus. Sie können auch ein bisschen länger ausatmen, als Sie einatmen. Achten Sie darauf, dass die Atmung ohne Anstrengung fließt und Sie über die gesamte Länge der Ein und Ausatmung den gleichen Atemfluss aufrechterhalten. Nehmen Sie ganz bewusst wahr, wie Ein und Ausatmung am Wendepunkt ineinander übergehen, und achten Sie darauf, keine Atempause zu machen, sodass ein kontinuierlicher Kreislauf entsteht. Machen Sie das einige Atemzüge oder ein paar Minuten lang, bis Sie spüren, dass Ihr Geist ruhiger wird. Wenn das der Fall ist, denken Sie an etwas, das Ihnen ein schönes und warmes Herzensgefühl vermittelt. Dies kann ein geliebter Mensch sein, zu dem Sie eine besondere Herzensbindung haben, aber auch ein schöner Ort oder ein Haustier, das Ihnen lieb geworden ist. Was immer es ist, es soll eine deutlich spürbare und schöne Emotion in Ihnen auslösen. Wenn sich dieses Gefühl einstellt, dann atmen Sie es in Ihrer Vorstellung durch Ihre Herzgegend oder Ihren Bauchraum ein und aus. Lassen Sie dieses Gefühl wie ein Licht oder eine schöne Farbe sich mehr und mehr in Ihrem Körper ausbreiten. Wenn wir im Alltag unseren Routinetätigkeiten nachgehen, läuft die Atmung meist unregelmäßig und nach einem ungeordneten Muster. Der Herzrhythmus geht dabei seine eigenen Wege und auch der Blutdruck sowie andere oszillierende Systeme wie die Hormonzyklen arbeiten in ihrem eigenen Takt. Diesen Zustand bezeichnet man als Inkohärenz, da die unterschiedlichen Körperrhythmen nicht untereinander koordiniert arbeiten. Durch die oben beschriebene Atemübung wechselt der Körper in den regenerierenden Zustand der Kohärenz, in welchem sich verschiedene biologische Rhythmen aufeinander einschwingen. Während dieser Atemübung lehnt sich der Herzschlag an den Atemrhythmus an und die beiden beginnen, in einem geordne-ten Verhältnis zueinander zu arbeiten. In der Medizin nennt man diese Koppelung von Herzschlag und Atemrhythmus die „respiratorische Sinusarrhythmie“. Sie tritt sonst nur in den Tiefschlafphasen auf, also jenen Momenten, in denen der Körper maximal regeneriert. Geschieht diese Phasenkoppelung in einem Atemzyklus von zehn Sekunden, indem wir fünf Sekunden lang ein- und fünf Sekunden lang ausatmen, beginnt auch der Blutdruck, sich in einem geordneten Verhältnis zum Atem- und Herzrhythmus anzupassen. Schwingen sich all diese Systeme im Körper aufeinander ein, bezeichnet man dies als Kohärenz. Die folgende Abbildung zeigt diesen eindrucksvollen Effekt. Man sieht, wie Herzschlag, Blutdruck und Atmung zunächst in unterschiedlichen Rhythmen und Frequenzen arbeiten. Die vertikal gestrichelte Linie zeigt den Beginn der Atmung im Fünf-Sekunden-Rhythmus an, welche augenblicklich die drei Systeme synchronisiert. (Quelle: Buch „Denke, was dein Herz fühlt“ – Wolf-Dieter Nagl. Grafik zur Verfügung gestellt vom HeartMath Institut) Wenn der Körper in diesen kohärenten Zustand übergeht, kommt es zu einer ausgeprägten Regeneration des Körper-Geist-Systems, die sich in dem optimalen Gasaustausch in den Lungen und der Senkung des Blutdrucks, aber auch der Beruhigung der Gedanken widerspiegelt. Mit der ruhigen Atmung in dieser speziellen Frequenz werden die Körperrhythmen harmonisiert und der Parasympathikus bei jedem Ausatmen aktiviert. 4.4 Der Geist als Fitnesstrainer Es können aber nicht nur autonome Organfunktionen über innere Bilder beeinflusst werden. Es hat sich gezeigt, dass sich sogar Bewegungsabläufe wie Klavierspielen ausschließlich im Geiste erlernen lassen und das Gehirn nur durch mental eingeübte Fingerübungen entsprechende Netzwerke und Synapsen im Gehirn ausbildet. Berühmt geworden ist in diesem Zusammenhang etwa die Studie von Pascual-Leone, bei der Probanden zwei Stunden täglich über fünf Tage lang eine bestimmte Tonfolge am Klavier spielen mussten. Diese Übung umfasste alle fünf Finger und wurde nur mit einer Hand durchgeführt. Die eine Gruppe wurde angeleitet, die Fingerübung tatsächlich, also physisch am Klavier zu spielen, während die andere Gruppe sie lediglich im Geiste durchexerzierte, ohne dabei einen einzigen Finger zu bewegen. Dabei wurde mittels transkranieller Magnet-Stimulations- und Kartierungstechnik die Aktivität jener motorischen Cortexareale untersucht, welche die Beuge- und Streckmuskeln der betreffenden Finger aktivieren. Den Probanden wurde eine Kontrollgruppe gegenübergestellt, die keinerlei Fingerübungen durchführten und deren motorische Cortexareale ebenfalls vor und nach den fünf Tagen vermessen wurden. Die Studie ergab, dass es in beiden Gruppen, also in der mentalen wie auch in der physischen, zur gleichen Größenzunahme jener kortikalen Regionen kam, welche die betreffenden Muskelgruppen repräsentierten. Erstaunlicher Weise führte in der Mentalgruppe allein die Vorstellung der Fingerübung, also das Durchspielen der Tonfolge im Geiste, zu einer deutlichen Verbesserung der Spieltechnik, wenn auch etwas geringer als in der Gruppe jener, die physisch geübt hatten. Erlaubte man der mentalen Trainingsgruppe am Ende der Studie noch zwei Stunden lang auch noch physisch ihre Fingerübungen zu machen, zeigten sie schließlich sogar die gleiche Fingerfertigkeit und Fehlerquote beim Spielen der Tonfolge wie die physische Gruppe. Es gelang ihnen also sehr erfolgreich, ihr Gehirn entsprechend auf die bevorstehende Aufgabe zu bahnen. Diese Ergebnisse sind nicht nur von akademischem Interesse, denn sie können auch bewusst für körperliche Heilungsprozesse eingesetzt werden. In einer 2014 veröffentlichten Studie wurde 18 gesunden Männern zwischen 20 und 30 Jahren für drei Wochen lang ein zirkulärer Unterarmgips angelegt, um die Versorgung einer Unterarmfraktur zu simulieren, die normalerweise mit Muskelschwund und entsprechenden Bewegungseinschränkungen des Handgelenks einhergeht. Es wurden zwei gleichgroße Gruppen zu jeweils neun Probanden gebildet – eine mentale Trainingsgruppe und eine Kontrollgruppe. Die Mentalgruppe erhielt ein 60-minütiges Training, wo sie lernten, sich sämtliche Bewegungen und die damit einhergehenden Empfindungen der nicht eingegipsten Hand einzuprägen und diese dann mental mit der eingegipsten Hand im Geiste durchzuführen. Danach wurden sie aufgefordert, diese Bewegungen täglich für 15 Minuten lang mental zu trainieren, ohne die Muskeln tatsächlich zu bewegen. Die Kontrollgruppe erhielt keine Anweisung. Getestet wurde der Bewegungsumfang des Handgelenks mittels Goniometer vor und nach den drei Wochen Gipsversorgung. Das Ergebnis war, dass nach Gipsabnahme am Ende der Studie die Mentalgruppe eine signifikant geringere Bewegungseinschränkung zeigte als die Kontrollgruppe. Es wird vermutet, dass durch das mentale Training die neuronale Repräsentation der motorischen Abläufe nicht verloren ging. Laut den Studienleitern dürften hier auch die Basalganglien, die unter mentalem Training weiter angesteuert werden eine zentrale Rolle spielen. Noch erstaunlicher war das Ergebnis einer Studie mit 30 Personen, bei der Probanden über zwölf Wochen lang, täglich für Minuten den abduzierenden (spreizenden) Muskel ihres kleinen Fingers trainieren mussten. Auch hier wurde sowohl eine physische als auch eine mentale Trainingsgruppe gebildet und mit einer Kontrollgruppe, die keinerlei Training absolvierte, verglichen. Gemessen wurde die Muskelkraft zu Beginn und am Ende der Studie. Hierbei kam es in der körperlichen Trainingsgruppe zu einem Kräftezuwachs von 53,2% des betreffenden Muskels, was ein durchaus erwartbarer Effekt war. Überraschend war das Ergebnis der Imaginationsgruppe, die ebenfalls einen deutlichen Kraftzuwachs zu verzeichnen hatten, und zwar von 35% - nur durch Vorstellungskraft. Mittels Magnetresonanztomographie wurde die Muskelmasse des Kleinfingerabduktors überprüft, die bei der physischen Gruppe um 8% zunahm, während sie in der Mental- und Kontrollgruppe unverändert blieb. Das geistige Muskeltraining führte somit zwar nicht zu einer Größenzunahme des Muskels, aber immerhin zu einer deutlichen Zunahme der Muskelkraft. EEG-Messungen, deren Elektroden direkt oberhalb des kontralateralen, supplementär motorischen Cortex angebracht wurden, zeigten, dass es sowohl in der physischen wie auch in der mentalen Gruppe zu einer deutlichen Steigerung der Potentialaktivitäten kam. Dieser Befund legt nahe, dass der Kräftezuwachs in der Mentalgruppe durch neuronale Adaptationsprozesse generiert wurde. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Arbeit mit inneren Bildern und der bewusste Einsatz der Vorstellungskraft messbare Spuren in der Körperphysiologie hinterlässt und positive Effekte auf die Gesundheit erzeugen kann. Sehen wir uns nun, wie die geistige Ausrichtung auch hilft, gewünschte Lebensziele leichter zu erreichen. 5. Die Bahnung des Gehirns auf eine erwünschte Zukunft Wohin auch immer der Mensch seine Aufmerksamkeit richtet, sie bestimmt sein Leben – und zwar in die positive wie in die negative Richtung. Die Aufmerksamkeit folgt einem einfachen Prinzip: Sie vermehrt und verstärkt, worauf man sie richtet. Aus diesem Grund ist es hilfreich, den Fokus regelmäßig auf die Innenwelt zu lenken und zu überprüfen, womit man sich jeden Tag mental beschäftigt. Häufig werden im Geiste Worst-Case-Szenarien generiert und viele Menschen beschäftigen sich hauptsächlich mit den Dingen, die sie nicht wollen und abzuwehren versuchen. Erfolgsversprechender ist es allerdings, die wünschenswerten Erfahrungen und Handlungsweisen im Geiste durchzuspielen und die damit assoziierten Netzwerke im Gehirn vermehrt zu aktivieren. Solch eine Geisteshaltung muss allerdings aktiv trainiert werden und vollzieht sich nicht automatisch, da das Gehirn aus evolutionären Gründen eine Negativitätstendenz aufweist. Das bedeutet, dass das Gehirn die natürliche Neigung hat, negative oder bedrohliche Szenarien vermehrt in den Fokus zu nehmen, um durch entsprechendes Gewahrsein möglichen Gefahren zu entgehen. Zu Beginn des Skriptums wurde bereits auf den Priming-Effekt eingegangen, der veranschaulicht, wie Gedankenprozesse sowohl die subjektive Wahrnehmung, als auch die Bewertung der Realität beeinflussen. Durch mentales Training lässt sich dieser Effekt bewusst einsetzen, um das Gehirn auf eine gewünschte Zukunft „vorzubahnen“. Im Geiste eintrainierte Denkoperationen können somit die eigene Wahrnehmung verändern. Ein Beispiel hierfür ist das oben beschriebene Kultivieren einer mitfühlenden Haltung gegenüber seinen Mitmenschen, was zu einer veränderten Wahrnehmung und Bewertung derselben führt. Durch Imagination mit allen Sinnen lassen sich im Geiste aber auch lebhafte „Erfahrungen“ generieren, die zu neuronalen Verknüpfungen führen und neurologische Bahnen legen, die sich im Alltag als konkrete Handlungen abrufen lassen. Sehen wir uns nun an, wie sich das Gehirn konkret auf gewünschte Ereignisse und Lebensumstände bahnen lässt, um das Leben und die Zukunft von innen heraus zu gestalten. 5.1 Den inneren Kompass ausrichten Ob es einem bewusst ist oder nicht: Das Unterbewusstsein hat beim morgendlichen Erwachen bereits ein vages Bild und eine betreffende Einstellung zu dem, vor uns liegenden Tag und diese wirkt sich auf den Verlauf des Tagesgeschehens aus. Wenige Menschen wählen diese Einstellung bewusst. Sie ist somit dem Zufall unterworfen, je nachdem, mit welchem emotionalen Bein man aufsteht. In der Folge wirkt auch der Verlauf des Tages häufig wie eine unwillkürliche Abfolge zufälliger Ereignisse, denen man als Reakteur hinterherläuft, anstatt ihnen als Akteur gestaltend vorauszugehen. Es ist ähnlich wie mit dem Lautstärkeregler einer Stereoanlage. Dieser ist immer auf irgendeine Position eingestellt, ob die Anlage nun läuft oder nicht. So haben auch wir stets eine innere Einstellung zum bevorstehenden Tag, ob bewusst oder unbewusst. Wenn wir diese Einstellung aktiv wählen, in dem wir sie vor Tagesbeginn im Geiste kultivieren, dann können wir sowohl auf das innere Erleben als auch auf den Verlauf des Tages Einfluss nehmen. Die Imaginationskraft des Gehirns ermöglicht es, im Geiste Erfahrungen zu machen und Verhaltensweisen einzuüben, die sich später im Alltagsgeschehen abrufen lassen. Letztlich ist dies nichts anderes als gelebte Neurophysiologie. Denn wir können nur ein Verhalten an den Tag legen, für das es im Gehirn ein entsprechendes Netzwerk gibt. Diese neuronalen Netzwerke bilden sich bekanntlich durch Erfahrungen. Diese lassen sich auch im Geiste machen, denn für das Gehirn macht es nur einen graduellen Unterschied, ob wir Erfahrungen tatsächlich machen oder sie uns nur im Geiste vorstellen. So kann man durch mentales Training sowohl das emotionale Befinden als auch die Qualität der Gedanken sowie entsprechendes Handeln auf den bevorstehenden Tag einstellen und beispielsweise geplante private oder berufliche Gespräche vorab mental durchgehen. Wenn man morgens eine bewusste Entscheidung trifft, untertags genauso zu agieren, wie man es sich vorgenommen hat, dann wird einen das Unterbewusstsein untertags immer wieder an dieses Vorhaben erinnern. Eine sehr effektive Praxis, das eigene Gehirn auf den bevorstehenden Tag zu bahnen, ist die folgende Übung. Man sollte sich dafür etwa fünf bis zehn Minuten am Morgen oder Abend des bevorstehenden Tages Zeit nehmen: 5.2 Einstellung auf den Tag Schließen Sie für einen Moment Ihre Augen und konzentrieren Sie sich auf Ihre Atmung. Lassen Sie auf diese Weise den Geist zur Ruhe kommen. Lassen Sie vor Ihrer inneren Leinwand nun Ihren bevorstehenden Tag auftauchen. Scannen Sie ihn in seiner zeitlichen Abfolge zunächst im Schnelldurchlauf von morgens bis abends durch. Sie wissen, welche Fixpunkte auf Sie warten. Schauen Sie, ob speziell herausfordernde Situationen auftauchen. Überprüfen Sie, welche emotionalen Knöpfe diese Situationen in der Regel bei Ihnen drücken und wie Sie üblicherweise agieren und reagieren. Jetzt stellen Sie sich vor, wie Sie diese Situation gerne erleben möchten und mit welcher inneren Haltung Sie ihr begegnen wollen. Welche Gedanken möchten Sie dort haben? Welche Gefühle wollen Sie in sich tragen? Wie verhalten Sie sich dann? Spüren Sie hinein, wie es sich anfühlt, wenn Sie diese Situation genauso erleben, wie Sie sie gerne erleben möchten. Wenn Ihnen dies gelingt, dann überprüfen Sie noch einmal, was genau dazu geführt hat, diese Situation jetzt auf diese neue Art zu erleben. Beobachten Sie Ihren eigenen Anteil daran. Gehen Sie jetzt diese Situation so oft durch, bis Sie spüren, dass Sie es wirklich erleben und Sie diese Erfahrung verinnerlicht haben. Nun können Sie denselben Vorgang mit anderen Situationen des Tages wiederholen. Kehren Sie danach wieder langsam in diesen Raum zurück und starten Sie Ihren Tag. Treffen Sie abschließend noch für sich die Entscheidung, diesen inneren Plan heute genauso umzusetzen, wie Sie ihn innerlich erlebt haben. Ein zentraler Punkt bei dieser Praxis ist es, die vorgestellten Situationen mit möglichst vielen Sinnen zu durchleben und die damit einhergehende Emotion tatsächlich zu fühlen. Das bloße visuelle Imaginieren reicht nicht aus, um einen nachhaltigen Effekt zu erzeugen. Erst, wenn sich eine betreffende Emotion einstellt, die uns im Sinne eines Biofeedbacks signalisiert, dass dieses mentale Erleben auch im Körper als Erfahrung angekommen ist, kann man davon ausgehen, dass diese Visualisierung als innere Erfahrung abgespeichert wurde. 5.3 Mind over matter? - Wie mächtig ist der Geist? Spannend ist in diesem Zusammenhang, inwieweit mentale Ausrichtung und geistige Fokussierung auch einen Effekt bei der Umsetzung von Lebenszielen erzeugen kann, die nicht ausschließlich vom eigenen Handeln abhängen, also das sogenannte „Manifestieren“ materieller Ziele miteinschließen. Die folgende Betrachtung lässt sich naturgemäß nicht in neurowissenschaftliche Erklärungsmodelle gießen, sondern hat mehr theoretischen und erfahrungsbasierten Charakter, ohne dadurch seine praktische Relevanz im Coaching zu verlieren. Denn die regelmäßigen Erfolgsgeschichten von Menschen, die mit Visionboards arbeiten sind nicht von der Hand zu weisen, weshalb diese auch zu einem weit verbreiteten Coaching-Tool geworden sind. Daher möchte ich diese Technik, die in den Rahmen der mentalen Ausrichtung und Bahnung des eigenen Gehirns sehr gut passt, hier näher beleuchten und eine vertiefende Betrachtung anbieten. Aus meiner Sicht ist es auch hier so, dass reine Visualisierungen nicht denselben Effekt erzeugen, wie wenn die angestrebten Ziele innerlich mit mehreren Sinneskanälen „erlebt“ werden. In den vielen Jahren der Beschäftigung mit diesem Thema und der praktischen Anwendung mentaler Fokussierung haben sich für mich zwei zentrale Elemente der Aufmerksamkeit herauskristallisiert, die wesentlich sein dürften, damit geistige Ausrichtung von Erfolg gekrönt ist. Das Geheimnis besteht darin, ein ideales Gleichgewicht zwischen Fokussierung und Defokussierung der Aufmerksamkeit zu etablieren, sowie eine ausgewogene Balance zwischen dem Setzen eines Impulses und dem Loslassen desselben. Dies betrifft sowohl die Wirkung imaginativer Techniken auf physiologische Prozesse, sprich Organfunktionen, als auch das Erreichen von Lebenszielen. Wenn wir die Elemente der Fokussierung (Ausrichten auf ein Ziel) und der Defokussierung der Aufmerksamkeit (Loslassen des Ziels) in ein Gleichgewicht bringen, lassen sich viele Vorhaben leichter realisieren und dann sind oft erstaunliche Veränderungen möglich. Aus dieser Erkenntnis ist ein Modell für erfolgreiche Visualisierungen entstanden, dessen praktische Anwendung ich hier vorstellen möchte. 5.4 Der Zirkel von Fokussierung und Defokussierung – ein „Schöpfungsakt des Bewusstseins“ Im Zentrum dieses Modells steht wie gesagt das Gleichgewicht von Fokussierung und Defokussierung der Aufmerksamkeit. Aus neurophysiologischer Sicht kann die Aufmerksamkeit einen fixierenden, also konvergenten, auf eine Sache ausgerichteten Fokus-Charakter annehmen oder einen offenen, divergenten, der zwischen vielen Wahrnehmungsobjekten wechselt. Nach den Forschungen von Richard Davidson, einem renommierten Neurowissenschaftler auf dem Gebiet der Meditationsforschung, dürften Teile des parietalen Cortex als eine Art Ruder fungieren, welche die Aufmerksamkeit auf ein jeweiliges Objekt lenken, während der präfrontale Cortex (PFC), und hier vor allem der anteriore cinguläre Cortex (ACC) die Aufmerksamkeit auf diesem Objekt stabilisiert. Ein enger, konvergenter Fokus führt zum Bewusstseinszustand der stabilen Konzentriertheit, während ein divergenter, also offener Fokus im Sinne einer Defokussierung ein Loslassen bedeutet. Wenn wir im Rahmen der Visualisierung diese beiden Elemente der Aufmerksamkeit in abwechselnder Reihenfolge zur Anwendung bringen, dann steht uns ein wirkungsvoller Mechanismus zur Verfügung, um Lebensziele anzusteuern und Lebensumstände auf eine gewünschte Art und Weise zu verändern. Sehen wir uns nun an, wie diese mentale Praxis konkret aussieht. In einem ersten Schritt der Defokussierung richtet man die Aufmerksamkeit nach innen und geht in einen offenen, nicht zielgerichteten Aufmerksamkeitsfokus. In der Meditationsforschung spricht man hierbei von einem offenen Gewahrsein, bei welchem man sämtliche Inhalte, die gerade ins Bewusstsein steigen mit wahrnehmender und annehmender Haltung beobachtet. Dadurch kommen die Gedanken zur Ruhe und Impulse, die aus dem Inneren aufsteigen, werden bewusster. Da die Aufmerksamkeit nicht mehr auf die äußere Welt gerichtet ist, wird das innere Erleben verstärkt. Nun kann man eine offene Frage an das Unterbewusstsein richten, die in etwa so lautet: „Was wünsche ich mir (bezüglich meines Lebenszieles) wirklich?“. Durch den offenen Fokus tauchen oft auch überraschende Antworten aus dem Unterbewusstsein auf, die uns die wahren Wünsche und Vorstellungen des betreffenden Ziels offenbaren. Wenn diese Wünsche klar, sprich bewusst geworden sind, folgt nun der zweite Schritt – die Fokussierung. Im zweiten Schritt geht es darum, die Aufmerksamkeit auf das erwünschte Ziel auszurichten, zu bündeln und sich mit allen Sinnen vorzustellen, wie es sich anfühlt, dieses bereits zu erleben. Auch hier ist die Einbeziehung von so vielen Sinneskanälen wie möglich von Bedeutung, um eine plastische innere Erfahrung zu erzeugen. Dieser Visualisierungsschritt bedarf einer klaren und konzentrierten Ausrichtung und einer stabilen Konzentration, die sich beispielsweise durch Achtsamkeitsmeditation trainieren lässt. Dieser Schritt der konkreten Visualisierung sollte so lange dauern, bis sich ein Gefühl von Freude oder Dankbarkeit einstellt. Das Aufkommen solch eines Gefühls signalisiert wie oben beschrieben als Feedback des Körpers, dass diese Erfahrung verinnerlicht wurde. Nehmen wir als Beispiel für die praktische Umsetzung eines solchen Visualisierungsschrittes den Wunsch nach Veränderung Ihrer Wohnsituation und das Manifestieren Ihrer Traumwohnung. Gehen Sie etwa so vor: 5.5 Fokussierung auf das erwünschte Ziel Stellen Sie sich Ihren gewünschten Wohnraum mit allen möglichen Details vor. Nutzen Sie hierfür alle Sinneskanäle, um in das spürbare Erleben zu kommen, wie es sich anfühlt, dort bereits zu wohnen. Wie groß sind die Räume, die Sie umgeben? Welche Atmosphäre und Temperatur können Sie dort spüren? Welche Geräusche können Sie wahrnehmen und wie fühlt sich der Boden unter Ihren Füßen an? Wie groß sind die Rahmen Ihrer Fenster und wie hell das Licht, das durch sie hereinstrahlt? Was gedenken Sie in den unterschiedlichen Räumen zu tun? Nehmen Sie sich einen Moment, um auch diese Handlungen im Geiste ganz genau durchzuspielen. Bauen Sie eine Art Beziehung zu diesen Räumen auf und verleihen Sie ihnen spürbares Leben, indem Sie sie auf Ihre gewünschte Art und Weise einrichten. Gehen Sie in die Vorstellung hinein, wie es dort riecht und welches Wohlgefühl Sie dort erleben. Danach folgt der letzte Schritt. Dieser besteht wiederum in einer Defokussierung der Aufmerksamkeit, bei der es darum geht, in einem Gefühl des Vertrauens, die imaginierte Vision vollständig loszulassen und nicht mehr daran zu denken. Dabei hilft die Vorstellung, wie bei einem E-Mail auf „absenden“ zu drücken und sie somit vollständig loszulassen. Diesen letzten Schritt betrachte ich aus zweierlei Hinsicht als sehr bedeutsam. Zum einen wird dadurch das Unterbewusstsein auf die Reise geschickt, eine Lösung für das Erreichen des Zieles auszuarbeiten, was häufig zu unerwarteten und oft viel kreativeren Ansätzen führt, als dies der bewusst denkende Verstand sich auszumalen vermag. Dies zeigt sich häufig im Auftreten von sogenannten Geistesblitzen, die umso leichter entstehen, je mehr Offenheit, sprich entspannte Defokussierung im Geiste vorherrscht. Zum anderen öffnet sich durch den „Akt“ des Loslassens die Wahrnehmung für Möglichkeiten, an die erst gar nicht gedacht wurde. Genau an diesem Punkt wird die Limitation von üblichen Visualisierungstechniken offenkundig. Wir Menschen können uns bekanntlich nur Dinge vorstellen, die wir bereits kennen, beziehungsweise lassen sich lediglich Kombinationen von Komponenten einst gemachter Erfahrungen im Geiste zusammensetzen. So können wir uns ein goldenes Pferd mit Flügeln vorstellen, da wir die einzelnen Elemente dieser Vorstellung bereits kennen. Erfahrungen, die allerdings noch nie erlebt wurden, können somit nicht visualisiert werden. Um sich also für Erfahrungen zu öffnen, die gänzlich neuen Charakter besitzen, ist es sinnvoll, den Geist nicht zu stark zu fokussieren und in einem offenen Gewahrsein zu verbleiben. Denn im Zustand der Überfokussierung neigen wir dazu, neuartige Optionen links und rechts des Wegesrandes zu übersehen, da die ausgeprägte Ausrichtung auf ein erdachtes Ziel den Wahrnehmungshorizont verkleinert und beschränkt. Zusammenfassend sind es diese beiden Elemente der Aufmerksamkeit und mentaler Ausrichtung auf erwünschte Lebensumstände, die mir in den Jahren der Anwendung mentaler Fokussierung als zentral erscheinen. Persönlich als auch im Coaching-Setting mit Klienten hat sich diese Form der Visualisierung als sehr hilfreich und wirkungsvoll gezeigt. Nicht nur betreffend die Lebensthemen in der Coaching-Arbeit mit Klienten, sondern auch in der Arbeit mit Patienten im Gesundheitsbereich hat sich eine Balance zwischen Fokussierung und Defokussierung als entscheidend erwiesen. Auch in der Hypnosearbeit, die die Veränderung sowohl psychischer als auch körperlicher Symptome zum Ziel hat, scheint eine klare Ausrichtung des Geistes genauso entscheidend zu sein, wie ein loslassendes Vertrauen in das Erreichen des erwünschten Zieles. Wenn beispielsweise Patienten mit zu starker Fokussierung beziehungsweise Willenskraft an ihr Ziel herangehen, ein psychisches oder körperliches Leiden zu lindern, wird das Veränderungspotenzial des Unterbewusstseins meist begrenzt und die Folge ist eine zu verkrampfte innere Haltung. Andererseits führen ein mangelndes Zielbewusstsein und eine zu schwache Fokussierung dazu, dass Ziele nicht mit dem nötigen Nachdruck verfolgt werden. Das erfolgreiche Umsetzen eines Ziels braucht daher ein gutes Gleichgewicht aus dem Setzen und Loslassen eines Impulses. Dies betrifft sowohl die mentale Ausrichtung im Inneren, als auch das Handeln im Außen. Als Coach und Berater betrachte ich es als wesentliche Aufgabe, die Klienten einerseits im Prozess der Bewusstmachung erwünschter Ziele zu unterstützen, andererseits auf das Vermei-den einer Überfokussierung der Klienten zu achten und hierfür Techniken zu vermitteln, den Geist sowohl zu fokussieren, als auch wieder zu entspannen. Dann sind oftmals Veränderungen möglich, die sowohl Coaches als auch Klienten überraschen. Literatur- und Quellenverzeichnis C., Lamm. Meta-analytic evidence for common and distinct neural networks associated with directly experienced pain and empathy for pain. NeuroImage. 2011, Bd. 54(3), S. 2492–2502. O., Klimecki. Empathic distress fatigue rather than compassion fatigue? 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- Emotionen verstehen
Wie Emotionen entstehen, wie wir sie wahrnehmen und wie wir sie interpretieren. Inhaltsverzeichnis 1. Emotionen sind mehr als ein tierisches Erbe der Evolution 2. Emotionen begleiten uns den ganzen Tag 3. Computer kennen keine Verzweiflung 4. Entscheidungen ohne Emotionen sind nicht möglich 5. Die Refraktärzeit und die Schematheorie der Emotionen 6. Wir verfügen über eine emotionale Alarmdatenbank 7. Emotionen unterliegen keinem festen neuronalem Regelkreis 8. Unsere Emotionen lassen sich manipulieren 9. Im Job ist Emotionsmanagement gefragt 10. Die Natur hat keinen Plan unser Wohlbefinden zu fördern 11. Emotionen sind konservierte Erfahrungen 12. Unsere Emotionen sind oft schlauer als unser Verstand 13. Ratio oder Emotio – Wer trifft die besseren Entscheidungen? Emotionen verstehen Wie Emotionen entstehen, wie wir sie wahrnehmen und wie wir sie interpretieren 1. Emotionen sind mehr als ein tierisches Erbe der Evolution Ein Leben ohne Gefühle ist kaum vorstellbar. Aber was sind Gefühle? Wie entstehen Gefühle? Und vor allem: Wozu sind Gefühle gut? Der Hirnforscher und Nobelpreisträger Eric Kandel sagte einmal: „Der spannendste Forschungszweig unserer Tage ist die Biologie der Emotionen“. Und nach Antonio Damasio, ein Neurowissenschaftler, der vor allem durch seine Arbeiten zur Bewusstseinsforschung bekannt wurde, sind Emotionen sogar die geheimen Regisseure unseres Alltags. Was von diesen Aussagen zu halten ist und welchen Einfluss Emotionen auf unser Leben haben soll heute unser Thema sein. Fest steht: Emotionen sind keinesfalls lediglich ein tierisches Erbe der Evolution, das uns den Weg zu Weisheit und Vernunft verbaut. Vielmehr sind Emotionen sehr nützlich, denn sie fördern richtiges Entscheiden und Verhalten – können es aber auch, wenn man sie fehl interpretiert, verhindern. 2. Emotionen begleiten uns den ganzen Tag Haben Sie schon einmal mitgezählt, wie viele Gefühle Sie im Laufe eines Tages durchlaufen? Sie werden wach und freuen sich darüber, dass die Sonne scheint. Beim Frühstück genießen Sie den Kaffee, den Ihr Partner frisch zubereitet hat. Auf der Fahrt ins Büro ärgern Sie sich über den Stau und Sie geraten in Stress, weil Sie zu spät zu einem Termin kommen werden. Im Büro angekommen erfahren Sie, dass eine wichtige Aufgabe nicht zu Ihrer Zufriedenheit erledigt wurde und reagieren wütend. Dann fällt Ihnen plötzlich ein, dass Sie den Geburtstag eines Kollegen vergessen haben, was Ihnen sehr peinlich ist. Beim Mittagessen erzählt Ihnen Ihr Chef einen neuen Witz und Sie lachen herzhaft darüber. Zurück im Büro erfahren Sie, dass ein wichtiger Geschäftstermin abgesagt wurde, worüber Sie sehr enttäuscht sind. Kurz danach ruft Sie ein guter Freund an, um sich mit Ihnen auf ein Bier nach Feierabend zu treffen, was Sie wieder heiter stimmt. Und so durchleben wir alle Tag für Tag unzählige Emotionen. Emotionen, die Spuren in unserem Gehirn hinterlassen und uns dadurch prägen und unser Verhalten beeinflussen. 3. Computer kennen keine Verzweiflung Aber was geschieht in unserem Gehirn, wenn wir leiden, etwa bei Zuständen von Angst, Trauer, Hass oder Enttäuschung? Und warum können selbst positive Gefühle, wie Liebe, Freude, Lust oder Neugierde etwas Beunruhigendes haben, wenn sie uns beherrschen? Lassen Sie uns daher gemeinsam das Geheimnis der Emotionen entschlüsseln und lassen sie uns gemeinsam erfahren, wie wir unsere emotionalen Reaktionen sinnvoll steuern und kontrollieren können. Und lassen Sie uns gemeinsam herausfinden, wie wir dadurch wichtige Vorraussetzungen für ein soziales Miteinander schaffen können. Unser Gehirn ist die wohl komplexeste Struktur im Universum und es vollbringt unglaubliche Leistungen. Es sehnt sich nach Sternen oder einem saftigen Sauerbraten. Es flachst und flirtet, liebt und leidet. Es knackt Gleichungen und Geldschränke. Es ersinnt Symphonien und Schlachtpläne. Diese und viele Leistungen mehr erbringt unser Gehirn aus unserer Sicht selbstverständlich, würde aber jeden Hochleistungscomputer zur Verzweiflung bringen, wenn dieser nur eine Ahnung davon hätte, was Verzweiflung ist. Beim Schach gewinnt inzwischen auch schon mal ein „elektronisches Gehirn“. Aber kann es den Triumph auskosten? Oder: Kann es auf Rache sinnen, wenn es beim nächsten Mal wieder verliert? Nein. Mehr als 100 Mrd. Gehirnzellen, jede mit bis zu 15.000 anderen verbunden, sind allem überlegen was bislang die Technik hervorgebracht hat. Was der Technik fehlt und uns Menschen so einzigartig macht sind die Emotionen – und die empfindet jeder anders und macht jeden einzelnen zu einem unverwechselbaren Individuum. 4. Entscheidungen ohne Emotionen sind nicht möglich Scheinbar chaotische elektrische Ströme rasen durch ein riesiges Netzwerk von Neuronen. Nehmen auf, was uns unsere 5 Sinne von draußen liefern, leiten weiter, verbinden Zellen, verändern Synapsengewichte und Reizschwellen. Alles, was wir denken, fühlen, lieben oder hassen geht von unserem Gehirn aus. Aber genau diese in der Natur einmalige Fähigkeit – Emotionen zu empfinden – spielt uns in vielen Bereichen unseres Lebens einen Streich oder stellt uns vor scheinbar unlösbare Aufgaben. Stellen Sie sich einmal folgende Situation vor: Sie befinden sich auf einem Luxusdampfer und genießen eine wunderschöne Kreuzfahrt. Doch dann kollidiert das Schiff und sinkt. Sie und 15 andere Passagiere schaffen es in eines der Rettungsbote und glauben, dass sie noch einmal mit dem Leben davon gekommen seien. Doch dann kommt ein heftiger Sturm auf und ihr Rettungsboot droht zu kentern. Ihnen wird klar, dass dieses Rettungsboot nur dann eine Chance hat, wenn 5 Insassen das Boot verlassen. Die Frage ist nur: Welche 5 Insassen wollen Sie opfern, um Ihr eigenes Leben zu retten? Wären es nicht 15 Menschen, sondern 15 Gegenstände von denen Sie 5 über Bord werfen müssten, wäre die Entscheidung sehr einfach: Sie würden Gegenstände auswählen, die entweder kaputt oder nicht mehr neu sind. Aber es sind keine Gegenstände, sondern Menschen. Können Sie in diesem Fall genauso rational handeln und werfen 5 Menschen über Bord die krank oder alt sind? Nehmen wir ein anderes Beispiel: Sie sind Chefarzt einer Klinik und haben Nachtdienst. Plötzlich erhalten Sie einen Anruf und erfahren, dass es auf der Bundesstrasse einen Massenunfall mit 10 lebensgefährlich Verletzten gegeben hat, die mit Rettungswagen auf dem Weg in Ihre Klinik sind. Sie haben aber nur 6 freie Betten, 2 OPs und 2 Assistenzärzte zur Verfügung. Welche Patienten operieren Sie zu erst? Männer oder Frauen? Kinder oder Erwachsene? Alte oder Junge? Und wie würden Sie entscheiden, wenn Sie bei der Einlieferung plötzlich feststellen, dass sich unter den Schwerverletzten Ihr Lebenspartner und Ihre 5-jährigeTochter befinden? Wie auch immer Sie sich in diesen beiden Beispielsituationen entscheiden, eine Entscheidung ohne Emotionen ist nicht möglich. Und das trifft nicht nur auf solche Extremsituationen zu, sondern auf alle Situationen unseres Lebens zu, also auch im Beruf. 5. Die Refraktärzeit und die Schematheorie der Emotionen Auch hierzu ein Beispiel: Sie fahren gut gelaunt in Ihr Büro und freuen sich auf einen Geschäftstermin mit einem Kunden. Im Büro angekommen, erwartet Sie schon Ihr direkter Vorgesetzter um Ihnen mitzuteilen, dass Sie heute alle Termine absagen müssen, um mit ihm gemeinsam an einer wichtigen Krisensitzung teilzunehmen. Ihre spontane Reaktion: „Konnten Sie mir das nicht schon gestern mitteilen? Ich habe heute einen wichtigen Kundentermin!“ Diese Reaktion zeigt, dass Sie nicht bewusst nachgedacht haben, denn Sie haben ja nicht beschlossen verärgert zu reagieren – es ist einfach passiert, weil Ihr automatischer Bewertungsmechanismus die Aussage Ihres Vorgesetzen als rücksichtslose Störung Ihrer eigenen Ziele interpretierte. Ihr Vorgesetzter, dem Ihre Stimme und Ihr Gesichtsausdruck Ihren Ärger vermitteln reagiert nun seinerseits: „Sie haben kein Recht so zu reagieren, schließlich bin ich Ihr Chef!“ Ihr Chef reagiert also ebenfalls mit Verärgerung, so wie Zorn eben häufig Zorn hervorbringt. „Außerdem hätte ich es Ihnen gestern noch gar nicht mitteilen können, weil ich selbst erst vor wenigen Minuten von der Krisensitzung erfahren habe.“ Sie wissen jetzt zwar, dass Ihr Chef nicht rücksichtslos gehandelt hat und, dass es eigentlich keinen Grund gibt, wegen dieser unbeabsichtigten Enttäuschung sauer zu sein, aber werden Sie es schaffen Ihre Wahrnehmung zu korrigieren? Ob Sie es schaffen oder nicht hängt vor allem von der so genannten Refraktärzeit ab. Refraktärzeit ist aus dem lateinischen Begriff refractarius abgeleitet, was soviel bedeutet wie widerspenstig oder halsstarrig. In der Neurowissenschaft beschreibt die Refraktärzeit den Zeitraum, in dem eine Gehirnzelle nach Auslösung eines Aktionspotentials nicht in der Lage ist auf einen erneuten Reiz zu reagieren. Innerhalb dieser Zeit versucht sich Ihr Ärger selbst zu rechtfertigen, oder Sie unterliegen der Versuchung das letzte Wort zu haben. Erst wenn Ihre Neuronen wieder in der Lage sind neue Reize, also neue Informationen, zu verarbeiten, wird es Ihnen möglich sein Ihre Wahrnehmung zu korrigieren. Sie können nun Ihre erste Interpretation, nach der Ihr Chef rücksichtslos und gedankenlos gehandelt hat, verwerfen, und Ihr Ärger wird verfliegen. Es gibt aber auch Gründe, weswegen sich Ihre Refraktärzeit länger hinzieht und Sie dazu veranlassen, dass sich Ihr Ärger trotz korrigierter Information nicht verflüchtigt. Ein Grund könnte darin bestehen, dass schon länger Unmut gegen Ihren Vorgesetzten in Ihnen brodelt, oder Sie stehen unter einem hohen Erfolgsdruck und lassen nun Ihre Frustration an Ihrem Vorgesetzen aus. Ein anderer Grund könnte sein, dass Sie eine andere, sehr emotionsgeladene Situation Ihres Lebens in die gegenwärtige Situation einfließen lassen. Sie importieren quasi ein emotionales Schema oder Drehbuch. Die Theorie emotionaler Schemata, auch Schematheorie der Emotionen genannt, erklärt, wie sich Gefühlsreaktionen im Laufe der Persönlichkeitsentwicklung durch Selektion Abstraktion Generalisierung Integration und Bedeutungsverleihung in gewissen Schemata widerspiegeln. Es entwickeln sich also individuell unterschiedliche Verhaltensmuster im Hinblick auf bestimmte Emotionen, wie z.B. Neid Angst Mitgefühl Wut oder Hass 6. Wir verfügen über eine emotionale Alarmdatenbank Was bedeutet dies aus neurowissenschaftlicher Sicht? Einer der bekanntesten Hirnforscher im Bereich der Emotionen ist Joseph LeDoux. Joseph LeDoux (* 1949) ist ein US-amerikanischer Psychologe und Neurowissenschaftler. Sein Hauptforschungsgebiet ist die Emotionspsychologie insbesondere die nicht-pathologische Angst. Er ist Professor am Center for Neural Science an der New York University. Seine Arbeit über Emotionen begann bereits Mitte der siebziger Jahre. Nach LeDoux lösen emotionale Reize zwei Prozesse im Zentralnervensystem aus, die beide ihren Ursprung im Thalamus haben und danach jeweils entlang einer eigenständigen Route verlaufen. Emotionaler Prozess Für das emotionale Prozessieren ist hauptsächlich die Amygdala zuständig. Das emotionale Prozessieren ist der schnelle Abgleich des Reizes mit groben Reizmustern zur Kategorisierung als gefährlich/ungefährlich. Diesen Weg nennt LeDoux "Quick and Dirty". Er dient zur Vorbereitungschneller Reaktionen (z.B. Flucht) und ist fehleranfällig. Die Kategorisierung findet nicht auf Grundlage angeborener sondern erlernter Reizmuster statt. Die Amygdala übernimmt also Reizmuster erfahrungsbedingt. Sie ist somit unser emotionales Gedächtnis. Kognitiver Prozess Den zweiten Prozess nennt LeDoux kognitives Prozessieren. Er dient zur Kontrolle der beim emotionalen Prozessieren gewonnenen Information und ist zeitaufwendiger. Dieser Prozess beginnt am Thalamus und verläuft über den Präfrontalen Cortex, sowie auf einer Nebenroute über den Hippocampus. Was bedeutet dies nun für die Praxis: Wenn wir z.B. lernen uns vor etwas zu fürchten, also ein emotionaler Auslöser etabliert wird, werden zwischen bestimmten Zellgruppen unseres Gehirns neue Verknüpfungen gebildet. Einen solchen Lernvorgang bezeichnet man als Konditionierung. Das Resultat des Lernvorgangs ist dann ein konditioniertes Netz. LeDoux bezeichnet ein konditioniertes Netz als Zellensemble (cell assembly). Diese Zellverbände, die also das Gedächtnis der erlernten Auslöser bilden, sind somit Aufzeichnungen dessen, was wir gelernt haben. Sie sind quasi eine emotionale Alarmdatenbank. Wie uns wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, können wir lernen die Verknüpfungen zwischen diesen Zellverbänden und unserem Verhalten zu entkoppeln. Der Auslöser aktiviert zwar weiterhin das etablierte Zellensemble, doch die Verknüpfung zwischen diesem und unserem emotionalen Verhalten lässt sich aufbrechen – zumindest für einen gewissen Zeitraum. Wir mögen uns fürchten, aber wir laufen nicht davon. Wir können auch lernen, die Verknüpfung zwischen dem Auslöser und den dazugehörigen Zellensembles zu unterbrechen, was zur Folge hat, das ein Gefühl erst gar nicht aufkommt. Dennoch bleiben die Zellverbände, also die Zellensembles, erhalten. Die „Datenbank“ wird daher nicht gelöscht und somit auch nicht das Potenzial, erneut mit Auslöser und Reaktion verknüpft zu werden. Dies kann z.B. unter Stress geschehen. Der Auslöser wird reaktiviert, knüpft wieder Kontakte zum Zellensemble und die emotionale Reaktion bricht wieder aus. Dies alles ist möglich. Aber unser Nervensystem macht es uns nicht leicht, das, was uns emotional reagieren lässt, zu verändern. Mit anderen Worten: Es ist sehr schwer und bedarf einer großen Anstrengung die Verknüpfungen zwischen einem für eine bestimmte Emotion spezifischen Zellensemble und einer emotionalen Reaktion, bzw. die Verknüpfungen zwischen Auslöser und Zellensemble aufzubrechen. Erschwerend kommt hinzu, dass unsere emotionale „Alarmdatenbank“ ein System ist, in das unablässig neue Varianten eingebaut werden. Es ist also ein offenes System. Aber es ist kein System, aus dem sich einmal aufgenommene Daten leicht entfernen lassen. Unser Emotionssystem ist aufgrund seiner biologischen Konstruktionsweise dafür angelegt, Auslöser zu konservieren und nicht sie zu entfernen. 7. Emotionen unterliegen keinem festen neuronalem Regelkreis Verlassen wir nun einmal die Zellebene und schauen wir uns einmal an, was auf höherer Ebene, den Arealen geschieht, wenn uns z.B. die Wut packt. Im wesentlichen sind hierfür drei Instanzen verantwortlich: Abschnitte unseres Stamm- und Zwischenhirns regulieren unsere Motivationslage und Instinkte. Diese Abschnitte stellen sozusagen unser triebhaftes Fundament dar, auf der unsere Gefühle aufbauen. Außerdem ist hier der generelle Erregungszustand unseres Organismus verankert. Der jeweilige Erregungszustand bestimmt maßgeblich, wie leicht oder schwer wir uns ärgern lassen. Im limbischen System entstehen Emotionen, wie Wut oder Ärger. Sie entstehen hier zunächst als spontane, noch unbewusste Reaktionen auf bestimmte Reize. Eine besondere Rolle im limbischen System nimmt die Amygdala ein. In Tierversuchen wurde festgestellt, dass wenn man die Amygdala mit Stromimpulsen künstlich reizt, die Tiere mit aggressivem Verhalten reagieren. Das limbische System umfasst auch den Hypothalamus – eine Hirnstruktur, die zwar nur ca. 1% unserer gesamten Hirnmasse ausmacht, die aber großen Einfluss auf unsere Emotionen hat und die in enger Verbindung zur Hypophyse, der Hirnanhangdrüse, steht. Der Hypothalamus in Verbindung mit der Hypophyse, unserer wichtigsten Hormondrüse, kontrolliert das Wechselspiel unserer körpereigenen Signalstoffe. Hierdurch schaltet unser Organismus mitunter blitzartig auf Angriff: Stresshormone, wie z.B. Adrenalin bewirken dabei, dass unser Blutdruck und unser Puls rasant ansteigen wichtige Organe besser durchblutet und mit Nährstoffen versorgt werden und unsere Haarbälge sich aufrichten Aber auch andere Hormone und Neurotransmitter kommen bei Wut oder Ärger ins Spiel. Noradrenalin wirkt hierbei ähnlich wie Adrenalin und beeinflusst – wie auch Dopamin – vor allem den Grad von Wachheit und Erregung. Auf diese Weise stellt sich unser Körper in wenigen Sekunden auf eine z.B. Wut auslösende Situation ein. Außerdem sorgt das limbische System dafür, dass unser Ausdruck auch dem emotionalen Erleben entspricht, was sich in Form von Stimmklang, Mimik und Gestik widerspiegelt. Die Großhirnrinde (Cortex) nimmt die oberste Stufe bei der Verarbeitung von Emotionen ein. Sie lässt uns Sinnesreize bewusst wahrnehmen und sie ist für kognitive Prozesse, wie Denken und Sprechen zuständig. Eine besondere Rolle für unser emotionales Erleben spielt hierbei der Frontalcortex, also der vordere, hinter der Stirn gelegene Teil der Großhirnrinde. Diesem Frontalcortex haben wir es zu verdanken, dass wir in der Lage sind einen Wut- oder Ärgerimpuls gegebenenfalls auch mal zu unterdrücken. Über unser Großhirn sind wir also in der Lage unsere emotionalen Reaktionen zu steuern. Beispiel: Wenn uns z.B. jemand beleidigt, und unsere Amygdala aufgrund ihres spezifischen Zellensembles darauf hin mit ärgern antwortet, können wir diese Antwort zunächst nicht ändern. Doch mit Hilfe unseres Großhirns sind wir meist sehr wohl in der Lage eine „Kosten-Nutzen-Rechnung“ aufzustellen und dadurch zu bestimmen, ob und wie wir auf eine Beleidigung reagieren. Wut und Ärger laufen aber nicht nach einem festen, starren neuronalen Regelkreis ab. Diese Emotionen sind vielmehr ein Zusammenspiel unterschiedlichster Faktoren, wie z.B.: dem allgemeinen Erregungsniveau im Nervensystem dem bewussten Erleben von Gefühlen dem Vergleich mit früheren Situationen, die im Gedächtnis gespeichert sind. Wiederholen sich starke emotionale Eindrücke häufig, so können sich auch neuronale Verbindungen ändern. Bildgebende Verfahren, wie die Kernspintomographie oder die Positronen-Emissions-Tomographie, offenbaren solche Veränderungen zum Beispiel bei Opfern von traumatischen Ereignissen. 8. Unsere Emotionen lassen sich manipulieren Kommen wir noch einmal auf unser Großhirn zurück, mit dessen Hilfe wir meist in der Lage sind unsere Emotionen zu steuern und zu kontrollieren. Eine Fähigkeit, die uns Menschen besonders auszeichnet ist, dass wir Situationen in unterschiedlichem Licht betrachten und durch eine Änderung im Denken unsere Gefühle beeinflussen können. Ein schlecht gelaunter Mitarbeiter im Büro kann einen schon mal zur Weißglut bringen. Doch versetzt man sich in seine Situation und berücksichtigt den immer größer werdenden Aufgabenstapel auf seinem Schreibtisch, so sind wir durchaus in der Lage für seine Laune Verständnis zu entwickeln. Wenn wir also in der Lage sind unsere Gefühle durch die Art, wie wir über eine Situation denken, manipulieren können, so müsste sich dies auch durch Spuren im Gehirn nachweisen lassen. Und in der Tat hat man dies in einem Experiment an der Columbia University in New York mit Hilfe einer funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT) nachweisen können. Bei einer fMRT werden die Aktivitäten in den verschiedenen Gehirnregionen sichtbar, indem man den Sauerstoffgehalt des Blutes misst. Um die Manipulationsfähigkeit unserer Emotionen nachzuweisen wurden den Probanten während des Gehirnscans abstoßende Bilder gezeigt. So z.B. von Flugzeugabstürzen, todkranken Kindern oder zähnefletschenden Rottweilern. Die Ergebnisse der Messungen ergaben eine hohe Aktivität im limbischen System und nur geringe Aktivitäten im präfrontalen Cortex. Im nächsten Schritt sollten sich die Probanten beim Anschauen der Bilder folgendes vorstellen: Bei dem Flugzeugabsturz sei niemand ums Leben gekommen. Das todkranke Kind würde wieder gesund werden und der zähnefletschende Rottweiler sei weit entfernt hinter einem Zaun. Jetzt ergaben die Messungen folgendes: Die Neuronen im präfrontalen Cortex feuerten immer stärker, während die Aktivitäten im limbischen System, allem voran in der Amygdala, immer mehr abnahmen. Kognitive Strategien sind also möglicherweise der Königsweg zur Kontrolle von Emotionen. Oder frei nach Shakespeares: „An sich ist nichts gut oder schlimm; das Denken macht es erst dazu.“ 9. Im Job ist Emotionsmanagement gefragt Kognitive Strategien zur Kontrolle unserer Emotionen sind gerade in unserer heutigen Zeit gefragter denn je und maßgeblich für das Gelingen eines sozialen Miteinanders verantwortlich. Denn was uns im privaten Bereich oft wie selbstverständlich gelingt, kann im Beruf zur Qual werden. Auf einer Party versprühen wir gute Laune. Bei einer Sportveranstaltung zeigen wir Begeisterung. Bei einem Krankenbesuch empfinden wir Mitgefühl. Und bei einer Beerdigung trauern wir. Und im Beruf? Im Beruf werden ähnliche Erwartungen an uns gestellt. Man erwartet, dass wir Kollegen und Vorgesetzten gegenüber freundlich sind. Kunden mit einem Lächeln begrüßen. Mit einer positiven Einstellung an unserem Arbeitsplatz erscheinen. Das und vieles mehr fällt uns aber nicht immer leicht und erfordert ein permanentes und aktives Emotionsmanagement. So gestaltet sich z.B. nicht jeder Kundenkontakt gleich. Besucht uns ein alter Stammkunde, erscheint sofort ein Lächeln auf unserem Gesicht – und zwar automatisch und ohne bewusste Kontrolle. Schwieriger wird es, wenn sich das erwünschte Gefühl nicht automatisch einstellt. Dies kann z.B. dann der Fall sein, wenn wir kurz vor dem Besuch unseres Stammkunden erfahren haben, dass die erhoffte Gehaltserhöhung oder der Urlaubsantrag nicht genehmigt wurde. Jetzt fängt die eigentliche Emotionsarbeit an. Wir müssen unseren eigenen Ärger zurückstellen, um zumindest äußerlich den Erwartungen unseres Kunden zu entsprechen. Wie man dies meistern kann, damit hat sich James Gross von der Stanford University in Kalifornien ausgiebig beschäftigt. James Gross ist der wohl einflussreichste Forscher im Bereich Emotionsregulation. Eine Strategie, um Emotionsarbeit zu meistern ist das so genannte „surface acting“ und beschreibt ein nach außen gezeigtes Gefühl, das man innerlich nicht empfindet. Diese Strategie ist allerdings als zweifelhaft zu betrachten. Unabhängig davon, dass durch surface acting eine Emotion vom Gegenüber als aufgesetzt und geheuchelt empfunden werden kann, macht diese Strategie auf Dauer auch noch krank. Damit aber Mitarbeiter authentisch wirken, sollte ein Arbeitgeber daran interessiert sein, dass seine Mitarbeiter auch tatsächlich die Gefühle empfinden, die sie nach außen zeigen sollen. Strategien, die dies ermöglichen bezeichnet man als „deep acting“, also in die Tiefe gehend. Statt mühsam das eigene Gefühl zu ignorieren und zu überdecken, wie beim surface acting, soll mit Hilfe von deep acting gleich von vornherein die gewünschte Emotion bei den Mitarbeitern ausgelöst werden. Aber wie erreicht man das? Am einfachsten ist dies, indem man auf die Situation selbst Einfluss nimmt: Richtet man den Arbeitsplatz der Mitarbeiter hell und freundlich ein, werden diese gerne arbeiten und eine positive Einstellung mitbringen. Stellt man den Außendienstmitarbeitern einen schönen Firmenwagen oder moderne Kommunikationsgeräte zur Verfügung, werden diese motivierter sein. Allerdings gibt es durchaus auch Situationen, die man nicht oder kaum beeinflussen kann. In diesen Fällen müssen andere Lösungen her. Lösungen, wie sie auch z.B. von professionellen Schauspielern angewandt werden: Betrachtet man eine Situation mit Humor oder bagatellisiert sie, erhält man innerlich genügend Abstand, um ruhig und entspannt zu bleiben. Betrachtet man seine Geschäftspartner nicht als Kunden oder Kollegen, sondern als seine Kinder, erreicht man ebenfalls eine angenehme emotionale Wirkung. Gibt es dann einmal Ärger mit einem Kunden, wird man gelassener reagieren, denn schließlich sind Kinder für ihr quengeliges Verhalten weniger verantwortlich. Versetzt man sich darüber hinaus noch in die Lage des anderen, fällt es zunehmend leichter, in emotional geladenen Situationen Verständnis zu zeigen und einen kühlen Kopf zu bewahren. 10. Die Natur hat keinen Plan unser Wohlbefinden zu fördern Ob Zoff am Arbeitsplatz, die Krise in der Ehe oder der Ärger mit den Kindern, diese und andere Probleme lassen sich nicht einfach „wegdenken“. Eben weil unser Verstand nicht getrennt von dem arbeit, was uns bewegt. Doch was hindert uns daran unseren Verstand einzusetzen, um für uns die guten Gefühle zu nutzen? Gerade die ganzheitliche Sicht vom Menschen, wie sie die Gehirnforschung immer mehr erschließt, legt uns das nahe. Und damit uns das gelingt, müssen wir uns im ersten Schritt selbst beobachten und erkennen, was uns gut tut und was nicht. Der Schlüssel hierzu sind die kleinen, alltäglichen Situationen unseres Lebens: Der Spaziergang im Wald. Ein spannender Fernsehfilm. Der Besuch bei Freunden. Alles für sich genommen nichts Aufregendes. Aber in der Summe und auf Dauer hellt sich unsere Stimmung auf und unser Wohlbefinden steigert sich. Die Probleme bleiben zwar oder es kommen sogar neue hinzu. Aber mit ein bisschen Training finden wir einen Weg, anders mit ihnen umzugehen, uns nicht von allem und jedem runterziehen zu lassen oder gleich auszurasten, wo andere mit einem Schulterzucken auskommen. Antonio Damasio sagte einmal folgendes: „Die Natur hat keinen Plan zur Förderung des menschlichen Wohls, doch der Mensch als Geschöpf der Natur ist in der Lage, einen solchen Plan zu ersinnen. 11. Emotionen sind konservierte Erfahrungen Eine weitere wichtige Rolle spielen Gefühle im Zusammenhang mit dem treffen von richtigen und falschen Entscheidungen. Wie rational und/oder emotional sind Entscheidungen, die wir treffen? Bereits in den 1990er Jahren hat Antonio Damasio eindrucksvoll demonstriert, dass menschliches Entscheiden längerfristiges Planen und konsequentes Verfolgen von Plänen mit unserem emotionalen Bewertungssystem steht und fällt. So hat er beispielsweise festgestellt, dass manche neurologischen Patienten trotz intakter Gedächtnisse und guter Intelligenz systematisch falsche Entscheidungen treffen und vernünftige Einsichten nicht in entsprechendes Verhalten umsetzen können. Der Grund hierfür ist die emotionale Bewertung im präfrontalen Cortex. Fällt diese emotionale Bewertung z.B. aufgrund einer Störung aus, treffen die Betroffenen unvernünftige Entscheidungen. Ihnen fehlt das notwendige emotionale Gedächtnis für frühere vergleichbare Situationen, die einen wichtigen Teil unseres emotionalen Erfahrungsschatzes ausmachen. Emotionen sind also neben den bereits besprochenen Kriterien vor allem konservierte Erfahrungen. Nach Damasio´s Theorie („Die Theorie der somatischen Marker“) werden alle Erfahrungen eines Menschen emotional markiert. Trifft dann ein Mensch eine Entscheidung, erlaubt dies eine rasche, unbewusste Bewertung der gegebenen Situation. Menschen mit einer Schädigung im präfrontalen Cortex hingegen können nicht mehr auf frühere Markierungen zurückgreifen und müssen folglich jede Situation neu bewerten. Emotionen sind also unabdingbar für zwischenmenschliche Interaktionen und Handlungen. Ohne Emotionen ginge uns die Grundlage für einen gelingenden Alltag völlig verloren. Mit anderen Worten: Was wir sind und was wir tun, bestimmen wesentlich unsere Emotionen. Das dies so ist, lässt sich auch sehr schön mit folgender spielerischer Übung nachweisen: Bilden Sie zwei Kartenstapel. In den ersten Stapel legen Sie Karten mit hohen Gewinnen und hohen Verlusten. In den zweiten Stapel legen Sie Karten mit geringen Gewinnen und geringen Verlusten. Geben Sie nun Ihrem Mitspieler ein fiktives Startguthaben von 200 € und lassen Sie ihn Karten ziehen. Bereits nach wenigen Durchgängen wird er den Stapel mit den niedrigen Gewinnen und Verlusten bevorzugen. Würde man dieses Spiel mit den zuvor genannten Patienten spielen, könnten diese nach vielen Durchläufen zwar ebenfalls angeben, welcher Kartenstapel risikoreicher ist. Sie würden aber dennoch nicht aufhören, weiterhin Karten von diesem Stapel zu ziehen. Auch Damasio machte dieses Kartenspiel mit Probanten. Er machte aber einen Unterschied: Er schloss die Spieler an einen Lügendetektor an. Die Überraschung folgte, als Damasio die Ergebnisse des Lügendetektors auswertete. Bereits nach wenigen Karten hatte der Lügendetektor Alarm geschlagen, aber erst viel später hatten die Spieler die Regel erkannt, dass der linke Stapel riskanter ist als der rechte. Das Gespür hatte die Gefahr, die von dem linken Stapel ausging, also lange vor dem bewussten Verstand gewittert. 12. Unsere Emotionen sind oft schlauer als unser Verstand Neben den Gefühlen, die uns die Evolution mit auf den Weg gegeben hat, verfügen wir aber noch über das, was wir im Allgemeinen „Bauchgefühl“ oder „Intuition“ nennen. Unsere Intuition ist teils angeboren. Zum Großteil aber schöpft sie aus Erfahrungen, die wir im Laufe unseres Lebens gesammelt haben. Lange Zeit wurde Intuition als nicht entscheidungsrelevant angesehen. Und war es nicht Mr. Spock aus der Serie Raumschiff Enterprise, den man sich heimlich zum Vorbild machte? Spock kennt weder Emotion noch Intuition und ungestört von Gefühlsvernebelungen war in der Lage besonders analytisch und rational zielgerichtet und präzise, richtige Entscheidungen zu treffen. Natürlich können uns Emotionen und Intuitionen in die Irre führen. Aber oft, und das bestätigen immer mehr neue Befunde, verleiten sie uns nicht zu Denkfehlern. Im Gegenteil: Oft sind die Gefühle schlauer als unser Verstand. In den verschiedensten Bereichen des Alltags beobachten Neurowissenschaftler, dass mehr Analyse nicht unbedingt zu einer besseren Entscheidung führen. Wie kann das aber sein? Ist unser Verstand etwa dümmer, als wir dachten? Nicht unbedingt, aber die Kapazität der bewussten Ratio ist begrenzt. Unser Bewusstsein verarbeitet nach aktuellen Schätzungen ca. 50 Bits, also 50 Basisinformationseinheiten pro Sekunde. Unser Unterbewusstsein hingegen wird sogar mit Millionen von Bits pro Sekunde fertig. In jeder Sekunde unseres Lebens verarbeiten unsere Sinne mehrere Millionen Bits, doch nur ein Bruchteil davon dringt in unser Bewusstsein. Der Gehirnforscher Gerhard Roth, Professor für Verhaltensphysiologie an der Universität in Bremen und einer der bekanntesten Neurowissenschaftler unserer Zeit, schätzt, dass uns weniger als 0,1% dessen, was unser Gehirn tut, aktuell bewusst wird. Somit werden 99,9% unbewusst erledigt. Das bewusste kann somit eine Vielzahl von Informationen gleichzeitig verarbeiten. Das ist zwar ein großer Vorteil, hat aber auch Nachteile: Die bewusste Ratio ähnelt einem Scheinwerferlicht, das einen Punkt im Raum, wie z.B. einen Kamin, klar beleuchten kann. Der Rest des Raumes bleibt im Dunkeln. Unser bewusstes Denken ist somit sehr präzise und fokussiert, fixiert sich aber auf Details und verliert schnell das große Ganze aus dem Auge. Unser Unterbewusstsein gleicht dagegen eher einem schwachen Flutlicht, mit dem man nicht jede kleine Feinheit erkennen kann. Alles wird ein bisschen beleuchtet. Bei komplexen Situationen erweist sich diese Schwäche aber als sehr erfolgreich. Dadurch, dass unser Unterbewusstsein einen Blick für das große Ganze hat, trifft es bei komplexen Fragen die bessere Entscheidung. Unser Bewusstsein hingegen würde bei komplexen Fragen sehr schnell an die natürlichen Kapazitätsgrenzen gelangen und sich in der Not an einige wenige Details klammern, was i.d.R. zu einer falschen Entscheidung führt. 13. Ratio oder Emotion – Wer trifft die besseren Entscheidungen? Die veraltete Auffassung, dass rational denkende und nicht von Ihren Emotionen geleitete Menschen die besseren Entscheider sind, ist nicht nur falsch – solche Menschen sind im Alltag auch oft aufgeschmissen. Stattdessen ist genau das Gegenteil der Fall, wie auch die bekannte Fallgeschichte von Damasio unterstreicht: Es ist die Geschichte von Elliot. Elliot war ein erfolgreicher Jurist, ein Vorbild für seine Kollegen und ein liebevoller Familienvater. Das war so, bis ein Tumor sein vorderes Stirnhirn zerstörte. Der Tumor konnte zwar erfolgreich entfernt werden, doch Elliot war nicht mehr Elliot. Verblüffenderweise war sein IQ völlig intakt geblieben. Dafür war aber seine Gefühlswelt zutiefst zerstört. Elliot empfand so gut wie nichts mehr. Und mit diesem Verlust der Gefühle ging auch Elliots Sinn für das Wesentliche im Leben verloren. Während der Arbeit konnte er stundenlang grübeln, wie er die Papiere auf seinem Schreibtisch ordnen sollte. Ständig verzettelte er sich. Elliot wurde gekündigt und schließlich ging auch seine Ehe in die Brüche. Lange hat man das Gefühl gegen den Verstand ausgespielt. „Der intuitive Geist ist ein heiliges Geschenk und der rationale Geist ist ein treuer Diener“, sagte einmal Einstein und kritisierte: „Wir haben eine Gesellschaft geschaffen, die den Diener ehrt und das Geschenk vergessen hat.“ Inzwischen sind wir aber auf einem Weg das Geschenk, von dem Einstein sprach, wieder mehr zu würdigen. Nun jedoch den Verstand zu verteufeln und die Gefühle zu verehren, wäre allerdings in den umgekehrten Fehler zu verfallen. Verstand und Gefühle haben beide Ihre Stärken und Schwächen. Aber wann sollte man sich auf seine Intuition und wann auf seine Ratio verlassen? Regel Nr. 1 Wer bereits viel Erfahrung auf einem Gebiet hat, kann sich meist auf sein Bauchgefühl verlassen. Ist man dagegen ein blutiger Laie tut man gut daran, sich mehr Zeit zu lassen und sich ausführlich und analytisch mit der Situation zu befassen. Profi-Golfer schlagen den Ball dann am besten, wenn man ihnen erst gar keine Zeit lässt, um über den Ball nachzudenken. Bei Anfängern verhält es sich genau umgekehrt. Regeln Nr. 2 Je unübersichtlicher und komplexer die Situation, desto öfter versagt die Analyse und die Intuition ist vorteilhafter. Einen Versuch hierzu lieferte der deutsche Psychologe Gerd Gigerenzer: Er fragte Passanten in München und in Chicago anhand einer Liste mit den Namen von Aktiengesellschaften, welche davon die Passanten kannten. Dann investierte er 50.000 € in jene Firmen, die fast allen Passanten bekannt waren. Ein halbes Jahr später hatte sein Portfolio nahezu alle Analysen der Investmentgesellschaften geschlagen. Nur seinen Gefühlen zu folgen und Analyse und Ratio in den Wind zu schlagen kann jedoch ebenso ins Verderben führen. Vor einigen Jahren berechnete Gigerenzer anhand von Daten des US-Verkehrsministeriums die Zahl der Verkehrstoten nach dem 11. September 2001, als die Menschen aus Angst vorm Fliegen aufs Auto umstiegen. Die Zahl der Todesopfer in den drei Monaten nach dem 11.09. lag um 350 über dem langjährigen Durchschnitt und überstieg somit die Zahl derjenigen, die in den abgestürzten Flugzeugen ums Leben kamen. Emotio und Ratio haben also sowohl Vor- als auch Nachteile. Wir sollten uns also möglichst viel Wissen und viel Erfahrung aneignen, damit wir unseren Emotionen und unseren Intuitionen vertrauen können. Wenn man in den Autobiographien und Lehrbüchern von großen Wissenschaftlern liest, werden ihre bahnbrechenden Einfälle oft als Ergebnis rationalen Denkens dargestellt. In Wirklichkeit aber waren diese bahnbrechenden Einfälle aber meist intuitiv und sind oft erst nach längeren Unterbrechungen und langen quälenden Denkprozessen entstanden. Und das Fazit aus alle dem: „Wer denken will, muss fühlen!“
- Ziele erreichen
Was Siegertypen von Verlierertypen unterscheidet. Inhaltsverzeichnis 1. Ziele verändern sich im Laufe des Lebens 2. Ziele sind subjektiv 3. Erfolg ist beeinflussbar und planbar 4. Wir haben meist eine falsche Vorstellung davon, wie wir unsere Ziele erreichen 5. Die Methoden der modernen Hirnforschung 6. Wie Entscheidungen und Handlungen entstehen 7. Der Prozess der emotionalen Konditionierung 8. „The Big Five“ – Die 5 Grundfaktoren der Persönlichkeit 9. Ziele und die Abhängigkeit von der Intelligenz 10. Die wichtigsten Funktionen unseres Gehirns 11. Wer bin ich? 12. Unser Bewusstsein 13. Unser Unbewusstsein 14. Unser Vorbewusstsein 15. Unser Bewusstsein hat einen hohen Preis 16. Was unser Bewusstsein beeinflusst und gestaltet 17. Chancen und Grenzen der Zielerreichung 18. Tanaland und die vernetzten Systemkomponenten 19. Motive und Ziele müssen in Übereinstimmung stehen 20. Die psychologischen Grenzen der Motivation 21. Motivation aus Sicht der Neurowissenschaften 22. Was uns sonst noch zu Siegern oder Verlierern macht Ziele erreichen Was Siegertypen von Verlierertypen unterscheidet 1. Ziele verändern sich im Laufe des Lebens Als Kind hatten wir vielleicht das Ziel der Coolste zu sein und aufzufallen. In der Schule ging es vielleicht darum gute Noten zu schreiben. In der Ausbildung oder im Studium war es unser Ziel den Abschluss erfolgreich zu schaffen. Und als wir erwachsen waren, bestanden unsere Ziele darin Karriere zu machen oder unsere Kinder gut zu erziehen. Und was werden unsere Ziele im Alter sein? Wahrscheinlich gehören hierzu vor allem Gesundheit und der Erhalt des Lebensstandards. Ziele ändern sich also während des Lebens. Und nicht nur das. Ziele sind auch sehr subjektiv. 2. Ziele sind subjektiv Während der eine vielleicht hauptsächlich materielle Ziele anstrebt und sich ein hohes Einkommen oder ein schickes Eigenheim wünscht, ist es für andere Menschen viel wichtiger den Partner fürs Leben zu finden, eine Familie zu gründen oder ein ausgleichendes und befriedigendes Hobby auszuüben. Eins haben jedoch alle Ziele gemeinsam: Je konkreter sie formuliert werden und je besser man den Grad der Erreichung messen kann, desto wahrscheinlicher ist es, dass wir ein Ziel erreichen. 3. Erfolg ist beeinflussbar und planbar Bereits in den 1960er Jahren fand der Psychologe Edwin A. Locke von der University of Maryland durch zahlreiche Befragungen unter Arbeitnehmern heraus, das Ziele, die konkret und spezifisch formuliert werden, besonders leistungsfördernd wirken und die Zufriedenheit erhöhen. Die klare Vorgabe: „Erhöhen Sie den Umsatz um 10% bis zum Ende des Jahres“, bewirkt wesentlich mehr als eine unkonkrete Aussage, wie: „Geben Sie Ihr Bestes“. Das gilt auch für andere Lebensbereiche: „Jeden Tag 10 Km joggen“ ist viel versprechender als „mehr Sport treiben“. Gründe, warum konkret formulierte Ziele besser erreichbar sind als allgemein formulierte werden darin gesehen, dass durch die konkrete Formulierung die Aufmerksamkeit stärker auf das Ziel gerichtet wird. konkrete Formulierungen sich besser überprüfen lassen und kurzfristige Gegenmaßnahmen ermöglichen. Die angenommene Folge ist, dass durch die starke Aufmerksamkeit und die bessere Überprüfbarkeit sowohl die Motivation als auch das Durchhaltevermögen gefördert wird. Erfolg wäre somit – in gewissen Grenzen – beeinflussbar und somit planbar!? Wenn das so ist, was sind dann die beeinflussbaren Größen und in welchem Umfang kann ich auf sie einwirken? Sind es in erster Linie Engagement und Durchhaltevermögen, die einen Sieger von einem Verlierer unterscheiden? Welchen Einfluss hat die Intelligenz auf das erreichen oder nicht erreichen gesteckter Ziele? Inwieweit spielen nicht kognitive Fähigkeiten wie Einfühlungsvermögen und Selbstvertrauen eine Rolle? Oder ist Erfolg doch nur eine Frage von Egoismus und Ellbogenprinzipien? 4. Wir haben meist eine falsche Vorstellung davon, wie wir unsere Ziele erreichen Die Antworten, die uns die neusten Erkenntnisse der Neurowissenschaften hierzu liefern sind sehr komplex und haben mit früheren Antworten nur noch wenig gemeinsam. Das gilt übrigens auch für Ziele, bei denen wir (anscheinend) nur uns selbst gegenüber verantwortlich sind. Wenn es also z.B darum geht abzunehmen oder das Rauchen aufzugeben. Zwar ist die Meinung weit verbreitet, dass das alles ginge, wenn man nur richtig wolle. Würde diese Aussage aber wirklich zutreffen, so wäre doch angesichts vieler Statistiken der Umkehrschluss dieser: Anscheinend wollen die meisten Menschen nicht so richtig. Wenn das alles so ist, dann muss doch irgendetwas an unseren Vorstellungen darüber, wie Menschen ihre Entscheidungen treffen und ihr Handeln steuern, um dadurch Ziele zu erreichen, offensichtlich falsch sein. Da aber die neueren Erkenntnisse der Hirnforschung i.d.R. nicht allgemein bekannt sind, macht man in der Erziehung, im Berufsleben und auch in der Gesellschaft mit traditionellen Rezepten weiter, auch wenn sie wenig erfolgreich sind. Die Ursache für die nicht erfolgreichen traditionellen Rezepte sind meist einseitige Betrachtungs- und Vorgehensweisen: In den Vorstellungen vieler Menschen herrscht die Meinung vor, dass Ziele eine Sache von rationalem Denken, also Sache des Verstandes sei. Andere wiederum verfolgen die Strategie, dass es die Emotionen seien, die uns bei dem erreichen oder nicht erreichen unserer Ziele fördern oder hindern. Auch wird häufig die Meinung vertreten, dass nur das, was uns bewusst ist zur Zielerreichung beiträgt und das, was uns nicht bewusst ist eine unkalkulierbare Einflussgröße für unsere Ziele darstellt. Und wieder andere denken, dass die Zielereichung abhängig davon ist, wie stark jemand egoistisch bzw. sozial geprägt ist. Und auf diese Weise haben sich im Laufe der Zeit die unterschiedlichsten Theorien und Strategien entwickelt, mit denen man glaubte dem Geheimnis der Zielerreichung auf die Spur zu kommen. Was aber ist letztendlich wirklich für die Erreichung von Zielen verantwortlich? Ratio oder Emotio? Bewusstsein oder Unbewusstsein? Egoistische oder soziale Prägung? 5. Die Methoden der modernen Hirnforschung Die moderne Hirnforschung hat in inzwischen Methoden entwickelt, die in der Lage sind Antworten auf diese und viele andere Fragen zu liefern. Zu diesen Methoden gehören u.a.: Die Elektroenzephalographie (EEG) (eine Methode der medizinischen Diagnostik zur Messung der summierten elektrischen Aktivität des Gehirns durch Aufzeichnung der Spannungsschwankungen an der Kopfoberfläche). Die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) (ein bildgebendes Verfahren mit hoher räumlicher Auflösung zur Darstellung von aktivierten Strukturen im Inneren des Körpers, insbesondere des Gehirns). Die Erhebung von vegetativ-physiologischen Reaktionen (Hautwiderstandsmessungen, Herzschlagrate, Atemfrequenz, Pupillengröße, usw.) Die Untersuchungen über genetische Prädispositionen – sog. Gen-Polymorpismen (Häufig von der Norm abweichende Verhaltensweisen, wie z.B. erhöhte Ängstlichkeit, Depression, Neigung zu Gewalt, usw.) Die neurobiologische Zellforschung (Erkenntnisse, wie Prozesse der Entscheidung und des Verhaltens auf der Ebene von Nervenzellen und Zellverbänden ablaufen). Mit Hilfe dieser und weiterer Methoden ist es möglich ein tieferes Verständnis für unsere Entscheidungen, unsere Handlungen und somit den Grad unserer Zielerreichung zu erlangen. 6. Wie Entscheidungen und Handlungen entstehen Eine sehr wichtige Erkenntnis hierbei ist, dass sich die Vorgänge in unserem Gehirn zwischen den vorhin aufgezeigten Faktoren und in Wechselwirkung zu diesen Faktoren abspielen. Unsere Entscheidungen und Handlungen sind also ein individueller Mix aus Ratio und Emotio, Bewusstsein und Unbewusstsein sowie egoistischer und sozialer Prägung. Und unsere Entscheidungen und Handlungen unterliegen vielen Einflußfaktoren, die sich in unserem Gehirn teils in verschiedenen Arealen und teils in denselben Arealen abspielen. Unter Berücksichtigung all dieser Dinge ist die eigene Persönlichkeitsentwicklung sehr stark abhängig von einem Prozess, den man als emotionale Konditionierung bezeichnet. 7. Der Prozess der emotionalen Konditionierung Dieser Prozess setzt bereits vor der Geburt ein, erfährt seine stärksten Phasen in den ersten Lebensmonaten und –Jahren, entwickelt sich dann in der Kindheit bis in die späte Jungend weiter und stellt die Grundlage unserer späteren Persönlichkeit dar. Die emotionale Konditionierung ist von vier wesentlichen Bestimmungsgrößen geprägt: Der individuellen genetischen Ausrüstung Den Eigenheiten der individuellen Hirnentwicklung (vornehmlich vorgeburtliche und frühe nachgeburtliche Entwicklung) Den persönlichen Erfahrungen (ebenfalls vornehmlich vorgeburtliche und frühe nachgeburtliche Erfahrungen, insbesondere Bindungserfahrungen) Den psychosozialen Einflüssen (vornehmlich im Kindes- und Jugendalter) Aus diesen 4 wesentlichen Bestimmungsgrößen und ihrer ganz spezifischen Dynamik und Plastizität entsteht das Fundament auf dem wir später unsere Entscheidungen, unsere Handlungen und auch unsere Ziele ausrichten. Das, was wir als Persönlichkeit definieren ist also ein zeitlich überdauerndes Muster, das sich durch die zuvor genannten vier Bestimmungsgrößen gebildet und geprägt hat. Besonders interessant an dem Prozess der emotionalen Konditionierung ist, dass er selbststabilisierend verläuft und somit zunehmend resistent gegen spätere Einflüsse wird. Das bedeutet jedoch nicht, dass man die Persönlichkeit eines Erwachsenen nicht mehr verändern kann, aber es bedeutet, dass der Aufwand, der hierzu notwendig ist, immer größer ist. Wie stark oder weniger stark uns diese Bestimmungsgrößen geprägt haben, zeigt sich dann aus einer Kombination von Merkmalen, wie z.B. Temperament, Gefühlsleben, Intellekt und die Art zu handeln, zu kommunizieren und sich zu bewegen. Was uns von anderen unterscheidet ist also im Wesentlichen die Art der Kombination und der Grad der Ausprägung dieser Merkmale. Hieraus nun die Persönlichkeit eines Menschen zu charakterisieren, beschäftigt die Menschheit schon seit langer Zeit und führte im Laufe der Jahre zu unterschiedlichsten Ansätzen. Heute geht die überwiegende Mehrheit der Wissenschaftler davon aus, dass sich eine Persönlichkeit am ehesten durch 5 Grundfaktoren, zu denen es sowohl positive als auch negative Ausprägungen gibt, charakterisieren lässt. 8. „The Big Five“ – Die 5 Grundfaktoren der Persönlichkeit Diese 5 Grundfaktoren sind: Extraversion Positive Ausprägungen: gesprächig, bestimmt, aktiv, energisch, offen, dominant, enthusiastisch, sozial, abenteuerlustig. Negative Ausprägungen: still, reserviert, scheu, zurückgezogen. Verträglichkeit Positive Ausprägungen: mitfühlend, nett, bewundernd, herzlich, großzügig, vertrauensvoll, hilfsbereit, freundlich, kooperativ, feinfühlig. Negative Ausprägungen: kalt, unfreundlich, streitsüchtig, grausam, undankbar, geizig. Gewissenhaftigkeit Positive Ausprägungen: organisiert, sorgfältig, planend, effektiv, verantwortlich, zuverlässig, genau, praktisch, überlegt, gewissenhaft. Negative Ausprägungen: sorglos, unordentlich, leichtsinnig, unverantwortlich, unzuverlässig, unverbindlich. Neurotizismus Positive Ausprägungen: stabil, ruhig, zufrieden. Negative Ausprägungen: launisch, reizbar, instabil, mutlos, furchtsam. Offenheit Positive Ausprägungen: einfallsreich, phantasievoll, wissbegierig, intellektuell, erfinderisch, geistreich. Negative Ausprägungen: gewöhnlich, einseitig, ohne Tiefgang. Worin sich alle Wissenschaftler einig sind, ist, dass sich diese Persönlichkeitsmerkmale sehr früh stabilisieren. Sie sind also somit entweder hochgradig genetisch bedingt. Oder sie sind eine unauflösliche Mischung aus genetischen, vorgeburtlichen, frühkindlichen und entwicklungsbedingten Merkmalen. 9. Ziele und die Abhängigkeit von der Intelligenz Ein Merkmal, das in der Psychologie zu Unrecht nicht zu den Persönlichkeitsmerkmalen zählt, aber unter neurobiologischen Gesichtspunkten sehr wohl dazu zählen muss, ist das Merkmal der Intelligenz. Unterschieden wird hierbei in die allgemeine (fluide) Intelligenz und in die bereichsspezifische (kristalline) Intelligenz. Die allgemeine Intelligenz definiert z.B. die Schnelligkeit und Effektivität der Informationsverarbeitung im Gehirn. Die bereichsspezifische Intelligenz hingegen definiert z.B. das Wissen aus unterschiedlichen Bereichen und seine Verfügbarkeit. Anders ausgedrückt: Jemand verfügt über eine hohe allgemeine Intelligenz, wenn er schnell denken und Probleme schnell identifizieren kann. Um aber mit einem identifizierten Problem fertig zu werden, sollte er auch über ein umfangreiches Expertenwissen, also über ein hohes Maß an bereichsspezifischer Intelligenz verfügen. Interessant daran ist jedoch, dass ein umfangreiches Expertenwissen durchaus die Fähigkeit zu schnellem denken ausgleichen kann. Andererseits aber ein hohe allgemeine Intelligenz durchaus dazu beitragen kann, die Aneignung von Expertenwissen zu vereinfachen. Zusammenfassend kann man jedoch sagen: Ein intelligenter Mensch ist jemand, der schnell sieht, was Sache ist, und dem ebenso schnell einfällt, was jetzt zu tun ist um ein Ziel erfolgreich zu erreichen. 10. Die wichtigsten Funktionen unseres Gehirns Wie aber laufen nun all diese Dinge, von denen wir bisher gehört haben, in unserem Gehirn ab und welche Funktionen werden dabei in unserem Gehirn aktiv? Bevor wir genauer auf diese Frage eingehen, wollen wir uns zunächst einen Überblick über die wichtigsten Funktionen unseres Gehirns verschaffen, denn egal, was Menschen auch immer tun oder nicht tun, alles ist in einen komplexen Kreislauf dieser Funktionen eingebunden. Im wesentlichen können wir die Funktionen unseres Gehirns in 6 Hauptfunktionen einteilen: Steuerung der Körperfunktionen Die erste und gleichzeitig wichtigste Funktion unseres Gehirns ist es unseren Körper und somit auch sich selbst am Leben zu erhalten. Dies bedeutet den Körper zu bewegen, mit Nahrung zu versorgen und vor Gefahren zu schützen. Diese Funktion wird überwiegend vom Hypothalamus, Teilbereichen der Amygdala und durch die vegetativen Zentren des Hirnstamms sichergestellt. Motorik (Bewegungssteuerung) Unsere Bewegungssteuerung, die sehr eng mit der ersten Funktion (Lebenserhaltung) zusammenhängt, wird hauptsächlich über die motorischen Felder unseres Gehirns geregelt. Sensorik (Wahrnehmung) Unsere Wahrnehmung wird überwiegend durch die sensorischen Felder unseres Gehirns geregelt. Verhaltenssteuerung und emotionale Bewertung Diese Funktion übernimmt das limbische System. Hier wird überprüft was positiv bzw. negativ an bestimmten Verhaltensweisen und Sinneswahrnehmungen war und somit zukünftig wiederholt bzw. vermieden werden soll. Kognitive Bewertung Bei der kognitiven Bewertung geht es um die durch Denken, Vorstellen und Erinnern ausgelöste Interpretation eines Ereignisses oder einer Situation hinsichtlich der eigenen Ziele und des Wohlbefindens.Diese Funktion läuft überwiegend in der Großhirnrinde in Zusammenarbeit mit dem Thalamus und dem Hippocampus ab. Handlungsplanung und –vorbereitung Bei dieser Funktion unseres Gehirns handelt es sich um das sog. exekutive System.Diese Funktion wird überwiegend über Teile des hinteren parietalen und präfrontalen Cortex, die Basalganglien und das Kleinhirn gesteuert. Diese 6 Funktionen unseres Gehirns sind auf das Engste miteinander verbunden: So werden z.B. Prozesse der Wahrnehmung parallel vom kognitiven und vom limbischen System verarbeitet. Dabei werden Inhalte des kognitiven und emotionalen Gedächtnisses aufs intensivste genutzt. Die Resultate dieser Verarbeitung werden dann zum einen im Gedächtnis neu abgelegt und zum anderen in das exekutive und motorische System geleitet, woraus dann unsere Verhaltensweisen entstehen. Unser Verhalten wiederum führt zu neuen Wahrnehmungen, die dann wiederum sowohl kognitiv und emotional neu bewertet werden. Das führt dann zu neuen Gedächtnisinhalten und somit zu neuem Verhalten. Sie sehen also: Unsere Persönlichkeit, also unser Verhalten, die Fähigkeit Verhalten zu ändern, Ziele zu formulieren, Ziele zu erreichen u.v.m. ist abhängig von einem gigantischen Wechselspiel zwischen Hirnarealen, Hirnfunktionen und Zellverbänden. Und bei all diesen Überlegungen steht im Zusammenhang mit der eigenen Persönlichkeit immer eine grundsätzliche Frage im Raum: Wer bin ich? 11. Wer bin ich? Und diese Frage ist in der Tat nicht einfach zu beantworten. Insbesondere deswegen, weil uns unser „Ich“ nur teilweise, d.h. in seinen bewussten Anteilen direkt zugänglich ist. Von dem weit aus größeren Teil unseres „Ichs“, dem unbewussten, spüren wir erst einmal gar nichts. Das, was wir bewusst wahrnehmen, kann man in 3 grundlegende Erlebnisbereiche einteilen: Körper Umwelt Gefühl und Geist Mit unserem Körper empfinden wir z.B. Lust oder Schmerz. Wir erfassen die Umwelt, also die Dinge um uns herum, mit unseren Sinnesorganen und wirken durch unser Verhalten auf sie ein. Mit unseren geistigen Zuständen und Gefühlen erleben wir Wünsche, Gedanken, Vorstellungen und Erinnerungen. Somit stellen sich folgende Fragen: Welchen Einfluss hat unser Bewusstsein und unser Unbewusstsein? Und: Welche Auswirkungen hat dies auf unsere Ziele? Um diese Fragen zu beantworten, wollen wir uns unser Bewusstsein und unser Unbewusstsein einmal etwas näher anschauen. 12. Unser Bewusstsein Auf die Frage, was Bewusstsein ist, hat die Wissenschaft bis heute keine eindeutige Erklärung gefunden. Fest steht aber, dass das Bewusstsein seinen Sitz in der Großhirnrinde (die äußere, ca. drei Millimeter dicke Schicht unseres Gehirns) hat und ein Sammelsurium unterschiedlichster Zustände ist, die nur das eine gemeinsam haben: Die Zustände werden bewusst erlebt und können sprachlich berichtet werden! Wenn wir neue komplexe Aufgabenstellungen, oder neue komplexe Probleme, oder auch neue, bisher noch nicht angestrebte Ziele erreichen wollen, dann brauchen wir Bewusstsein. Ganz allgemein ausgedrückt: Bewusstsein brauchen wir immer dann, wenn wir uns mit etwas Neuem oder Ungewohntem auseinandersetzen, bei dem es um die komplexe Verarbeitung von Details geht. Wir konzentrieren uns dann auf die anstehende Aufgabe oder das anstehende Ziel, und je mehr wir uns konzentrieren, desto höher wird die Intensität der bewussten Wahrnehmung. 13. Unser Unterbewusstsein Das Unbewusstsein umfasst aus Sicht der Neurowissenschaften und auch aus Sicht der experimentellen Psychologie insgesamt 6 Schwerpunkte: Alle Vorgänge der Wahrnehmung, der kognitiven Verarbeitung und der Gefühle aus unserer Zeit der Vorgeburt, des Säuglings und Kleinkindes All diese Dinge bleiben unserem Bewusstsein für alle Zeiten verschlossen, da zu den genannten Zeiten unser bewusstseinsfähiger assoziativer Cortex noch nicht ausgereift war. Dieser ist erst im 3. bis 4. Lebensjahr ausgeprägt. Alle vorbewussten Inhalte von Wahrnehmungsvorgängen Bevor uns etwas bewusst wird, wird die sensorische Information von den Sinnesorganen bis hin zum sog. assoziativen Cortex ca. 3/10 bis 5/10 Sekunden lang unbewusst vorbereitet und darüber entschieden, ob die Information überhaupt ins Bewusstsein gelangen soll. Alle unterschwelligen Wahrnehmungen Hierbei handelt es sich um Wahrnehmungen, die zwar viele Wahrnehmungszentren in unserem Gehirn erregen, aber die Schwelle zum Bewusstsein nicht überschreiten. Dabei handelt es sich entweder um Informationen, die uns unwichtig erscheinen, weswegen sich unser Gehirn erst gar nicht mit Ihnen befasst, oder es handelt sich um Informationen, die zwar wichtig sind, unser Gehirn diese aber unbewusst abarbeiten kann, weil es hierfür Routineprogramme besitzt. Alle Wahrnehmungsinhalte außerhalb unserer Aufmerksamkeit Obwohl Dinge direkt vor unserer Nase liegen, nehmen wir diese nicht bewusst war, weil wir diesen Dingen keine Aufmerksamkeit schenken. Alle Inhalte des Fertigkeitsgedächtnisses (prozeduralen Gedächtnisses) Hier ist alles gespeichert, was wir beherrschen, ohne dass wir beschreiben könnten, wie wir es machen, zumindest brauchen wir für die Umsetzung keine bewussten Details. Zu den Inhalten des Fertigkeitsgedächtnisses zählen z.B. Fahrradfahren, schwimmen oder Autofahren. Alle Inhalte des Erfahrungsgedächtnisses Die Summe der Inhalte unseres Erfahrungsgedächtnisses bildet die Grundstruktur unseres Charakters und unserer Persönlichkeit. Die Inhalte unseres Erfahrungsgedächtnisses sind in Bereichen unseres Gehirns gespeichert, die unserem Bewusstsein nicht zugänglich sind. Und selbst die Mechanismen, die dafür verantwortlich sind, was in unserem Erfahrungsgedächtnis gespeichert wird, laufen völlig unbewusst und können von uns nicht willentlich gesteuert werden. Stellt man sich nun die Frage, was wir auf Basis dieser neurowissenschaftlichen und experimentell psychologischen Erkenntnissen zum einen im Bewusstsein und zum anderen im Unbewusstsein alles können, so kann uns die Wissenschaft diese Frage inzwischen sehr gut beantworten: Bewusstsein brauchen wir immer dann, wenn wir uns mit etwas Neuem oder Ungewohntem auseinandersetzen, bei dem es um die komplexe Verarbeitung von Details geht. Unbewusst können wir Dinge und Vorgänge wahrnehmen, die nicht kompliziert sind. Wir können aber auch komplizierte Dinge ohne Bewusstsein tun, wenn Sie gut trainiert und eingeübt sind. Wir können auch Dinge unbewusst lernen, wenn wir sie regelmäßig erfahren. Wir haben Gefühle, Wünsche und Motive, die aus unserem Unbewusstsein kommen und uns antreiben Ziele zu erreichen, wissen aber meist gar nicht warum. Und: Alles was wir vorgeburtlich und in unserer frühen Kindheit erfahren haben – so wichtig es auch gewesen sein mag – bleibt unserem Bewusstsein verschlossen. Bleibt festzustellen, dass unser Unbewusstsein einen viel größeren Raum einnimmt als unser Bewusstsein. Die logische Konsequenz daraus ist, dass bei all unseren Entscheidungen unseren Handlungen und somit auch bei der Erreichung unserer Ziele unser Unbewusstsein eine viel größere Rolle einnimmt als unser Bewusstsein. 14. Unser Vorbewusstsein Eine sehr wichtige, aber bislang oft vernachlässigte Größe, ist unser sog. Vorbewusstsein. Es stellt quasi einen Übergang vom unbewussten zum bewussten dar. Ob und wie leicht etwas vom Vorbewusstsein ins Bewusstsein gelangen kann, hängt sehr stark von den bislang noch wenig erforschten „Zensoren“ ab. Dabei handelt es sich um Kräfte, die den Aufruf von Bewusstseinsinhalten kontrollieren. Diese sog. Zensoren können einerseits den Aufruf von Bewusstseinsinhalten fördern, aber auch verhindern. Wenn letzteres geschieht, geschieht nichts anderes als das, was bereits schon Sigmund Freud als „Verdrängung“ bezeichnet hat – Ein „Instrument“, das bei vielen Menschen sehr beliebt ist, um das Leben angeblich erträglicher zu machen, was aber in den meisten Fällen misslingt. Aber auch der andere Weg, nämlich dass diese Zensoren den Aufruf von Bewusstseinsinhalten fördern kann unangenehm sein. Dann z.B., wenn uns Sorgen schlaflose Nächte bereiten. Wir dürfen gespannt darauf sein, was uns die Wissenschaft in Zukunft zu diesen „Zensoren“ noch offenbaren wird, denn eins steht bereits schon heute fest: Sie nehmen bei unserer Persönlichkeitsentwicklung einen wichtigen Platz ein. 15. Unser Bewusstsein hat einen hohen Preis Der Sitz unseres Bewusstseins ist, wie wir bereits erfahren haben, in unserer Großhirnrinde. Und unser Bewusstsein entsteht in unserer Großhirnrinde, wenn bestimmte unbewusst arbeitende Bewertungsmechanismen (z.B. der Hippocampus und Teile des Thalamus und des limbischen Systems) einen bestimmten Wahrnehmungsinhalt oder auch unbewusste Motive und Wünsche als „wichtig“ und/oder „neu“ beurteilen. Steigern können wir diesen Effekt u.a. dadurch, dass wir unsere Aufmerksamkeit erhöhen. Dies hat nämlich zur Folge, dass in unserem Großhirn eine Art kognitive Lupe eingeschaltet wird, und wir sehen plötzlich Dinge, bzw. nehmen plötzlich Dinge war, die uns bis dahin entgangen waren (was für eine Zielerreichung von erheblicher Bedeutung sein kann). Unsere Großhirnrinde besteht aus rund 15 Milliarden Neuronen, die untereinander schätzungsweise über eine halbe Trillion Synapsen verbunden sind. Die Großhirnrinde stellt somit ein gigantisches interaktives Netzwerk mit einem riesigen assoziativen Speicher dar. Diese unglaubliche Leistungsfähigkeit unserer Großhirnrinde hat aber einen hohen Preis und muss, wenn man Leistungsfähigkeit nutzen möchte, teuer bezahlt werden. Damit ist gemeint, dass unser Gehirn einen sehr hohen Energieverbrauch hat, nämlich ca. 20% unserer Gesamtenergie, die wir in Form von z.B. Nahrung oder Sauerstoff zu uns nehmen – und das bereits im Ruhezustand. Wenn man dann noch bedenkt, dass unser Gehirn nur rund 1,5 Kg wiegt, dann ist ein Verbrauch von 20% unserer Gesamtenergie mehr als das 10-fache als im gewichtsmäßig eigentlich zusteht. Bei anstrengender geistiger Arbeit, wie sie z.B. auch für das Erreichen von Zielen erforderlich ist, steigert sich der Energieverbrauch weiter. Wen wundert es angesichts dieser Tatsache, dass unser Gehirn stets danach strebt Dinge zu erledigen, die wenig oder gar keine Energie verbrauchen, also auch kein Bewusstsein erforderlich machen und somit unbewusst ablaufen können. Damit aber viele Dinge unbewusst und somit energiesparend ablaufen können, sind Routineprogramme erforderlich. Solche Routineprogramme haben den Vorteil, dass sie sehr schnell ablaufen und wenig fehleranfällig sind. Ihr Nachteil besteht aber in der Flexibilität, denn sie sind immer nur für bestimmte Aufgaben entwickelt worden und können nicht unmittelbar auf andere Situationen übertragen werden. Bewusste Vorgänge, und somit sehr energieaufwendige Vorgänge, sind gegenüber den Routineprogrammen zwar langsamer und fehleranfälliger, aber sie können wesentlich flexibler mit neuen Informationen oder neuen Ereignissen umgehen. Überträgt man dieses Zusammenspiel von bewussten und unbewussten Vorgängen einmal auf ein Unternehmen, so werden die unbewussten Vorgänge, also die Routineprogramme von sehr spezialisierten Arbeitskräften ausgeführt, die dann zwar meist schnell und wenig fehleranfällig arbeiten (energiesparend im Kostensinne), aber i.d.R. nicht die Mitarbeiter repräsentieren, die neue Lösungen und innovative Ideen für die unternehmerischen Zielsetzungen produzieren. Hierzu bedarf es einer Zusammenarbeit von kreativen Köpfen, die flexibel denken und auf neue Informationen und Ereignisse konstruktiv reagieren können, was wie bei unserem Bewusstsein i.d.R. (im übertragenen Sinne) nicht energiesparend ist. Unter Berücksichtigung dieser Erkenntnisse wollen wir uns nun einmal anschauen, was unser Bewusstsein beeinflusst und gestaltet. 16. Was unser Bewusstsein beeinflusst und gestaltet Wie bereits erläutert beschränkt sich unser Bewusstsein auf unseren assoziativen Cortex, der wiederum besondere Aktivitätsbedingungen erfordert. Bewusstsein ist somit ein sehr begrenzter Vorgang, auch wenn er unsere ganze Erlebniswelt erfasst. Was wir dabei aber nicht vergessen dürfen ist, dass unser Bewusstsein nur entsteht, wenn viele unbewusste Vorgänge in anderen Teilen unseres Gehirns stattfinden. Eine ganz besondere Vorsaussetzung für die Bildung unseres Bewusstseins sind die Neurotransmitter-Systeme (NTM-Systeme), welche die Aktivitäten der Großhirnrinde und auch die Aktivitäten anderer Hirnbereiche beeinflussen und gestalten, also modulieren. Da diese Systeme auch eine entscheidende Rolle bei der Erreichung unserer Ziele spielen, wollen wir diesen Systemen jetzt unsere Aufmerksamkeit schenken (kognitive Lupe einschalten). Zu diesen NTM-Systemen gehören folgende: Noradrenalinsystem Serotoninsystem Dopaminsystem Acetylcholinsystem Noradrenalin bewirkt u.a. die Registrierung von Veränderungen in der Umwelt und im Körper, die irgendwie wichtig sein könnten und dadurch ggf. Verhaltensanpassungen auslöst. Ein Mangel an Noradrenalin bewirkt u.a. undifferenzierte Reaktionen, mangelnde Verhaltensanpassung und manchmal auch Depressionen, Stress, Angst und Aggression. Serotonin ist der Gegenspieler des Noradrenalins. Dieser Neurotransmitter reguliert u.a. unsere Nahrungsaufnahme, unseren Schlaf und unsere Temperatur. Psychisch löst Serotonin eine Dämpfung von Erregungen aus, vermittelt uns ein Gefühl der Beruhigung und des Wohlbefindens, wodurch sich Furcht- und Angstzustände reduzieren. Ein Mangel an Serotonin ruft Schlaflosigkeit, Angst und Furcht hervor. Bei Männern führt ein Serotoninmangel häufig auch zu Aggressionen. Frauen hingegen neigen bei Serotoninmangel oft zu Selbstverletzungen. Dopamin bildet die Grundlage unseres Antriebs- und Motivationssystems. Es erzeugt u.a. Belohungserwartungen, Kreativität und Neugierde. Ein Mangel an Dopamin führt u.a. zu einer Verlangsamung der Bewegungen bis hin zur völligen Bewegungsunfähigkeit. Außerdem führt ein Dopaminmangel u.a. zu Ideen- und Phantasielosigkeit und zu Antriebsarmut. Acetylcholin bewirkt in unserem Gehirn eine Erhöhung der Aufmerksamkeit und eine Steigerung der Lernfähigkeit. Außerdem trägt Acetylcholin positiv zur Gedächtnisbildung bei. Ein Mangel an Acetylcholin ruft u.a. Aufmerksamkeits-, Lern- und Gedächtnisstörungen hervor. Eine der wichtigsten Vorrausetzungen für die Erreichung unserer Ziele sind also intakte Neurotransmitter-Systeme. Und eine der wichtigsten Voraussetzungen für intakte Neurotransmitter-Systeme sind wiederum gesunde Ernährung, viel Bewegung und ausreichende Entspannung, damit genügend Energie und Rohstoffe für die Produktion dieser Botenstoffe (Neurotransmitter) zur Verfügung stehen. Auf diesen Themenkomplex (Ernährung, Bewegung und Entspannung) soll aber trotz seiner Wichtigkeit, an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Diese Thematik wird zu einem späteren Zeitpunkt in einer eigenständigen Dokumentation behandelt. Stattdessen wollen wir uns nun einmal anschauen, wo die Chancen und Grenzen der Zielerreichung liegen. 17. Chancen und Grenzen der Zielerreichung Das, was wir uns bisher angeschaut haben, ist das Fundament für unsere persönlichen Ziele – also unsere Persönlichkeitsentwicklung und die Zusammenhänge bzw. Wechselwirkungen zwischen Bewusstsein, Vorbewusstsein und Unbewusstsein. Auf dieser Basis und in Kenntnis der Wichtigkeit dieser Dinge wollen wir uns nun den Chancen und Grenzen unserer Möglichkeiten bei der Realisierung unserer persönlichen Ziele anschauen. Je stärker unser Bewusstsein ausgeprägt ist, also je stärker wir in der Lage sind komplexe Zusammenhänge, deren Wechselwirkungen und deren Abhängigkeiten voneinander, zu erkennen, desto bessere Entscheidungen werden wir treffen, und umso sicherer werden wir unsere Ziele erreichen. Das ist zumindest eine weit verbreitete Meinung und vor allem unter Chefs und Entscheidungsträgern sehr beliebt. Auch innerhalb unseres Bildungssystems finden wir diesen Ansatz wieder. Vor allem dort, wo es darum geht junge Nachwuchsmanager im Rahmen ihres Studiums auf ein solches Denken zu trainieren. Sollten Sie auf einen Menschen treffen, der ebenfalls von dieser Denkweise überzeugt ist, stellen Sie ihn doch mal vor folgende Aufgabe: Welche Lösungsstrategie würden Sie Vogeleltern empfehlen, die eine Reihe von Jungen (Nestlingen) aufziehen müssen und viele Male täglich vor der Frage stehen, in welcher Reihenfolge sie die hungrigen und bettelnden Jungen füttern sollen, damit möglichst viele Junge das Fortpflanzungsalter erreichen, um somit die Arterhaltung zu sichern. Dieser Mensch würde zunächst einmal sein Bewusstsein mit der Fähigkeit für komplexe Zusammenhänge zu rate ziehen und folgende theoretischen Lösungsstrategien entwickeln: Man fängt beim kleinsten Jungen an und hört beim größten auf. Man fängt beim größten Jungen an und hört beim kleinsten auf. Man fängt beim Jüngsten an und hört beim Ältesten auf. Man fängt beim Ältesten an und hört beim Jüngsten auf. Man fängt bei dem an, der am meisten bettelt und vermutlich am hungrigsten ist. Man füttert im Uhrzeigersinn. Man füttert gegen den Uhrzeigersinn. Man füttert in zufälliger Reihenfolge.Mithilfe der Mathematik und diversen Verhaltensmodellen und einem leistungsfähigen Computer könnte unser Mensch mit dem Hang zum komplexen Denken nun sehr wohl berechnen, welche der theoretischen Strategien bei unterschiedlichen Annahmen der Futterverfügbarkeit die jeweils beste ist und dann im Praxisversuch überprüfen, ob sich die Vogeleltern modellkonform verhalten. Was sich hier zunächst sehr lustig anhört, hat aber einen ernsten Hintergrund und wurde in der Realität in einer sehr aufschlussreichen Untersuchung überprüft. Die Untersuchung ergab, dass Vogeleltern bei unterschiedlichster Futterverfügbarkeit weitestgehend die richtige Strategie nutzten. Unklar blieb jedoch, welche mathematischen Regeln und welche Verhaltensmodelle die beobachteten Vogeleltern ins Kalkül zogen. Ähnliche empirische Untersuchungen bestätigen, dass sich in vielen untersuchten Fällen Tiere tatsächlich im Sinne des Modells optimal verhalten und sogar in voraussagbarer Weise ihr Verhalten ändern, wenn sich einige Variablen in der Gleichung ändern (z.B. Entfernung zum Futterort oder feindliche Eindringlinge) Es scheint also, als ob die Tiere komplizierte Berechungen anstellten. Natürlich weiß man, dass dies nicht der Fall ist. Vielleicht verfügen Tiere über ein Bewusstsein, aber ganz bestimmt benutzen sie keine aufwendigen mathematischen Regeln oder gar Computer. Dass sie dennoch richtige Entscheidungen treffen, begründen Verhaltensökologen mit einer angeborenen Strategie, die sich im Laufe der Evolution als optimal heraus entwickelt hat. Tiere können dadurch also Probleme lösen, die selbst einen eingefleischten Entscheidungstheoretiker ins schwitzen bringen könnten. Auch wir Menschen verfügen über angeborene Lösungsstrategien, die sich im Laufe der Evolution entwickelt haben. Diese können aber heute, in einer von schnellen Veränderungsprozessen geprägten Welt, nur noch selten genutzt werden. Stattdessen haben wir Menschen, im Gegensatz zu den Tieren, mathematische Methoden und leistungsfähige Computer, die uns in die Lage versetzen komplexe Probleme oder Aufgabenstellungen zu simulieren und können dadurch nach optimalen Lösungen für unsere Zielerreichung suchen. Problematisch wird es nur, wenn dann trotz genauster mathematischer Berechnungen etwas schief geht und das angestrebte Ziel nicht erreicht wird. Was soll man dann nur machen? Einer, der sich dieser Thematik besonders gewidmet hat ist der deutsche Psychologe Dietrich Dörner von der Universität Bamberg. In Zusammenarbeit mit seinen Mitarbeitern hat er u.a. das Fantasieland „Tanaland“ erfunden und mit Hilfe eines Simulationsmodells die Chancen und Grenzen von Entscheidungsprozessen sehr schön nachweisen können. 18. Tanaland und die vernetzten Systemkomponenten Tanaland ist ein fiktives Gebiet irgendwo in Ostafrika. Mitten durch Tanaland fließt der Owanga-Fluss, der sich zum Mugwa-See verbreitert. Am Mugwa-See liegt Lamu, umgeben von Obstplantagen, Gärten und einer Waldregion. In und um Lamu wohnen die Tupi, ein Stamm, der von Ackerbau und Gartenwirtschaft lebt. Im Norden als auch im Süden gibt es Steppengebiete. Im Norden, in der Gegend um den kleinen Ort Kiwa, leben die Moros. Die Moros sind Hirtennomaden, die von Rinder-, Schafzucht und von der Jagd leben. Das Simulationsmodell enthält Daten über die Landesnatur, die Tiere und die Menschen und ihre Beziehungen untereinander. Das Leben in Tanaland ist kärglich, die Kindersterblichkeit hoch und die Stechmückenplage und die Gefährdung der Rinder sind groß. In dem Simulationsmodell von Dörner hatten nun 12 Versuchspersonen über einen Zeitraum von 10 Jahren die Möglichkeit, diese Ausgangssituation zu verbessern. Diese 12 Versuchspersonen durften nun in den 10 Jahren insgesamt sechsmal nahezu uneingeschränkt eingreifen. Den jeweiligen Zeitpunkt durften die Versuchspersonen selbst festlegen. Die Versuchspersonen konnten in die Infrastruktur eingreifen, das Gesundheitssystem ändern, in die Natur und in die Geburtenkontrolle eingreifen u.v.m. Sie durften sogar bei negativ verlaufenden Entwicklungen, diese beim nächsten Eingriff wieder rückgängig machen. Vielleicht denken Sie jetzt, dass dies ein tolles Simulationsmodell ist und bei dem, was alles an Eingriffen erlaubt ist, kann ja nichts mehr schief gehen. Nun, dann schauen wir mal weiter: Die Ergebnisse der virtuellen Regierungstätigkeit unserer 12 Versuchspersonen waren sehr erstaunlich, denn sie endeten fast immer in irgendeiner humanitären, ökonomischen oder ökologischen Katastrophe. Ein Vorteil des Simulationsmodells war, dass man das Fehlverhalten der Versuchspersonen sehr genau analysieren konnte. Da dieses Fehlverhalten von sehr genereller Natur war, kann man es im Hinblick darauf, wie Menschen mit komplexen Systemen umgehen, durchaus als exemplarisch betrachten. Die gröbsten Fehler waren folgende: Loslegen mit Reform-Maßnahmen ohne ausreichende vorherige Situationsanalyse. Nichtberücksichtigung der gegenseitigen positiven oder negativen Beeinflussung der meisten Faktoren und Maßnahmen. Konzentration auf das unmittelbare Geschehen und Nichtberücksichtigen von Fern- und Nebenwirkungen der ergriffenen Maßnahmen. Der starre Glauben, die richtige Methode zu besitzen. Flucht in neue Projekte, wenn etwas schief zu gehen droht. Ergreifen immer radikalerer Maßnahmen, wenn Dinge aus dem Ruder laufen. Dörner belegt anhand dieser Simulationsstudie aber auch anhand realer Geschehnisse, wie z.B. Tschernobyl oder die Verbreitung von Aids, dass Menschen nur über sehr geringe Fähigkeiten verfügen, komplexe Systemzusammenhänge zu verstehen und zu steuern. Dabei bilden die Missachtung der Vernetzung von Systemkomponenten und die Missachtung von vorliegenden positiven Rückkopplungen die größte Gefahr. Diese Missachtung führt nämlich oft dazu, dass die Dinge sich in dramatischer Weise aufschaukeln, und zwar meist mit tückischer Zeitverzögerung. Man hat das Gefühl, dass das System auf einen Eingriff nicht reagiert und man deshalb den Eingriff verstärkt, um ihn dann, nachdem doch eine Wirkung eingetreten ist, abrupt zurückzunehmen. Das System wird dadurch extrem instabil und kann kollabieren (so wie in Tschernobyl). Diese gravierenden Fehler führen aber nicht nur im virtuellen Tanaland oder dem realen Tschernobyl zu Katastrophen, sondern auch in unserem ganz normalen Alltag: Haben Sie schon einmal unter einer Dusche gestanden, bei der das Wasser erst mit einer gewissen Verzögerung heißer oder kälter wird? Aufgrund der Missachtung der Möglichkeit, dass Maßnahmen erst mit einer zeitlichen Verzögerung auf die Systemkomponenten wirken, hat sich schon mancher mehr als nur die Finger verbrannt! Eine weitere Wirkung der eben genannten Fehler ist, dass beim Ansteigen einer einzelnen Systemkomponente eine andere, die man gar nicht verändern wollte bzw. gar nicht beachtet hatte, ebenfalls mit ansteigt oder abfällt und dadurch das System gefährdet wird. Wir sehen also, dass unser Gehirn sehr schnell überfordert ist, wenn eine Situation auch nur mäßig komplex ist. Dies hängt damit zusammen, das wir in unserem Arbeitsgedächtnis nur maximal 7+-2 Informationseinheiten gleichzeitig speichern können und somit unsere Verarbeitungskapazität und unsere damit verbundene Konzentrationsfähigkeit sehr eingeschränkt ist (s. Basisseminar Kapitel 9.2) Wie aber sollte man dann mit komplexen Situationen oder Zielsetzungen umgehen? Am ehesten lässt sich dies lösen, wenn man folgendes berücksichtigt: Verschaffen Sie sich einen Eindruck von den Hauptfaktoren bzw. – komponenten des Systems. Finden Sie heraus, welche positiven oder negativen Kopplungen die Hauptfaktoren besitzen. Setzen Sie sich klar formulierte und langfristige Ziele, statt in einen blinden Aktionismus zu verfallen. Treffen Sie Ihre Maßnahmen mit Geduld, denn ein komplexes System ist nie vollkommen durchschaubar und beherrschbar. Treffen Sie Ihre Maßnahmen wohldosiert, um die gefährlichen positiven und negativen Kopplungen und die ebenso gefährlichen Verzögerungszeiten erkennen zu können. Versuchen Sie einen optimalen Kompromiss zwischen dem Warten auf den Erfolg und dem Treffen neuer Maßnahmen zu finden. Panische oder durch Erfolgsdruck hervorgerufenen Ad-hoc-Maßnahmen führen in den meisten Fällen in die Katastrophe. Auch können wir nicht mehr als zwei Vorgänge gleichzeitig intensiv verfolgen, was an sich schon schwer ist. Bei drei Vorgängen parallel nimmt unsere Aufmerksamkeit drastisch ab. Am leistungsfähigsten ist unser Gehirn und speziell unser Aufmerksamkeitsbewusstsein dann, wenn es sich voll und ganz auf eine Sache konzentrieren kann. Um aber dennoch auch komplexe Aufgaben zu lösen, verfügt unser Gehirn neben unserem Aufmerksamkeitsbewusstsein über eine ganz andere Möglichkeit, nämlich das Vorbewusstsein, dass wir bereits besprochen haben. Unser Vorbewusstsein ist der Ort der intuitiven Problemlösung und seine Fähigkeit komplexe Informationen zu verarbeiten, ist wesentlich größer als die unseres bewussten Arbeitsgedächtnisses. Wie unser intuitives Netzwerk in unserem Gehirn genau funktioniert, ist noch nicht endgültig erforscht, wenngleich man schon sehr viel darüber weiß. Fest steht jedoch, dass unsere Intuition eine wesentliche Rolle beim treffen von Entscheidungen und somit auch beim erreichen von Zielen spielt. Da wir das Thema Intuition bereits in der Vergangenheit mehrmals erörtert haben (s. Quartalsmeetings 02/2009 Kapitel 12 und 13. / Neurolino Kapitel 8.1 und 8.2), wollen wir es bei den hier gemachten Feststellungen belassen. 19. Motive und Ziele müssen in Übereinstimmung stehen Abschließend zum Thema Entscheidungsfindung und Lösungsansätze für komplexe Systeme können wir folgendes festhalten: Es gibt viele bewusste und unbewusste Instanzen in unserem Gehirn, die bei handlungsvorbereitenden Entscheidungen mitwirken. Dabei treten die Instanzen mit Ihren jeweiligen Argumenten in einen Wettbewerb mit teilweise ungewissem Ausgang. Es hat also keine Instanz alleine das Kommando. Bemerkenswert ist allerdings, dass unser Bewusstsein – wenn erst einmal eine Entscheidung gefallen ist – sich diese Entscheidung selbst zuschreibt, so als gäbe es nur diese eine Instanz. Man könnte also fast meinen, dass unser Bewusstsein ein Marketinggag der Evolution ist, damit wir glauben, dass wir Entscheidungen bewusst treffen. Dennoch muss eine Grundbedingung beachtet werden, nämlich die, dass alles, was wir auf Basis der Entscheidungen in unserem Gehirn tun, in Einklang mit unserem emotionalen Erfahrungsgedächtnis stehen muss. Wir müssen nämlich mit dem, was wir tun, leben können! Und weil das so ist, hat unser emotionales Erfahrungsgedächtnis immer das erste und letzte Wort. Mit anderen Worten: Was wir tun, muss im Spiegel unserer bewussten und unbewussten Lebenserfahrung plausibel und gerechtfertigt erscheinen. Können wir dies auf Dauer nicht, so werden wir psychisch krank. Es ist also unbedingt erforderlich, dass wir unsere unbewussten Motive und unsere bewussten Ziele in Übereinstimmung bringen. Und genau diese Übereinstimmung von unbewussten Motiven und bewussten Zielen führt uns zum nächsten Aspekt, der für die Erreichung von Zielen sehr wichtig ist: Die Motivation. 20. Die psychologischen Grenzen der Motivation Weit verbreitete Glaubenssätze sind z.B. Um Ziele zu erreichen benötigt man Motivation. Ohne Motivation läuft nichts. Wen wundert es da, dass eine der am häufigsten gestellten Fragen in Bereichen von Persönlichkeitsentwicklung und Führung die ist: Wie motiviere ich mich und meine Mitarbeiter? Betrachtet man das Wort Motivation einmal von seiner lateinischen Herkunft, so bedeutet Motivation soviel wie Antrieb, bzw. antreiben. Aber stimmt es wirklich, dass wir für alles was wir tun eine Motivation, also einen Antrieb benötigen? Nein, nicht immer. In zwei Ausnahmen geht es auch ohne Motivation, also ohne Antrieb: Stark automatisierte Bewegungen Tief eingegrabene Gewohnheiten In diesen Fällen ist der Antrieb, also die Motivation, sozusagen bereits eingebaut. Anders ist das bei Dingen, die nicht automatisch oder gewohnheitsmäßig ablaufen, also bei Dingen, bei denen wir bestimmte Schwellen oder bestimmte Widerstände überwinden müssen. Je größer die Schwellen oder je höher die Widerstände sind, die es zu überwinden gilt, desto größer muss der Antrieb zu einer bestimmten Handlung sein. Was aber treibt uns an? Was motiviert uns? Die Motivationspsychologie beantwortet uns diese Frage wie folgt: Der Mensch strebt danach, solche Ereignisse herbeizuführen, die positive Gefühlszustände anregen (Appetenz), und solche Ereignisse zu vermeiden, die zu negativen Gefühlszuständen führen (Aversion). Auch wenn das grundsätzlich erst einmal plausibel klingt, so muss aber gerade dann, wenn es z.B. um die Motivation von Mitarbeitern geht, eine tiefer gehende Frage erlaubt sein: Wie bringe ich einen Gefühlszustand, also einen inneren Zustand, der ja nicht sichtbar ist, mit dem beobachteten Verhalten, also einem äußerlich sichtbaren Zustand in Verbindung? Was damit gemeint ist, soll uns folgendes Beispiel zeigen: Stellen Sie sich einmal vor, Sie beobachten jemanden, der sehr gierig auf ein frisch gezapftes Bier blickt. Hieraus können wir folgern, dass dieser Mensch wohl sehr durstig ist. Diesen inneren Zustand, nämlich durstig, können wir aber gar nicht beobachten. Das einzige, was wir beobachten können ist das Verhalten. Um es auf den Punkt zu bringen: Wir folgern aus dem beobachteten Verhalten einen innern Zustand und nehmen dann diesen inneren Zustand, um das beobachtete Verhalten zu erklären. Und so können dieselben Verhaltensbeobachtungen völlig unterschiedlich interpretiert werden. Der eine verbindet das Verhalten mit dem inneren Zustand des Durstgefühls. Ein anderer könnte dasselbe Verhalten aber auch mit dem inneren Zustand eines Suchtgefühls verbinden. Und auf diese Weise erklärt sich jeder die Welt, so wie sie braucht oder sehen will. Und mit der Motivation ist es ganz genauso. Erinnern Sie sich noch an die Fragen, die wir uns eben gestellt haben? Was treibt uns an? Was motiviert uns? Das, was uns motiviert sind innere, nicht sichtbare Zustände, die dann ein bestimmtes Verhalten auslösen. Das gefährliche am Umgang mit Motivation ist also, dass wir auch hier dazu neigen, aus einem äußeren Verhalten Rückschlüsse auf einen inneren Zustand zu ziehen, um dann diesen inneren Zustand als Begründung für das äußere Verhalten zu nehmen. Die Frage aller Fragen im Hinblick auf Motivation lautet also: Wie können wir diesen gefährlichen Kreislauf vermeiden? Die einzige Möglichkeit hierzu besteht darin, die nicht direkt sichtbaren inneren Zustände mit verlässlich beobachtbaren und messbaren Zuständen im Gehirn und/oder im Körper in Verbindung zu bringen. Und dies ist Dank neurowissenschaftlicher Erkenntnisse inzwischen sowohl bei Appetenz (Streben nach Positivem) als auch bei Aversion (Vermeiden von Negativem) möglich. 21. Motivation aus Sicht der Neurowissenschaften Wie wir inzwischen wissen sind sowohl positive als auch negative Gefühle gesetzmäßig mit der Ausschüttung bestimmter Substanzen in unserem Gehirn verbunden. Bei Gefühlen wie z.B. Zufriedenheit, Freude oder Glück werden u.a. Substanzen wie Serotonin oder Dopamin ausgeschüttet. Serotonin wirkt z.B. beruhigend und angstmindernd. Dopamin wirkt z.B. beflügelnd und anregend. Bei Gefühlen, wie z.B. Angst oder Verzweiflung werden u.a. Substanzen wie Cortisol oder Noradrenalin ausgeschüttet. Cortisol bewirkt z.B. Stressgefühle und Noradrenalin bewirkt z.B. Bedrohungsgefühle. Über die Ausschüttung dieser und anderer Substanzen in limbischen Zentren des Gehirns sowie über den Aktivitätszustand des limbischen Systems, ist man inzwischen in der Lage ziemlich genaue Rückschlüsse auf den Affekt- und Emotionszustand von Personen zu ziehen. Hinzu kommen körperliche Signale, die über das vegetative Nervensystem ausgelöst werden. Hierzu zählen u.a. Herzschlag und Atemfrequenz, Zittern der Hände oder ein trockener Mund. Aus all dieses messbaren Komponenten kann man nun sehr genau das Grundprinzip der Motivationsentstehung erklären: Motivation entsteht dann, wenn bestimmte Ereignisse in der Umwelt oder im eigenen Körper durch Zentren des limbischen Systems (hauptsächlich der Amygdala und des mesolimbischen Systems) registriert werden, die dann wiederum auf Zentren unseres Gehirns einwirken, die unser Verhalten steuern. Eine besonders interessante Erkenntnis hierbei ist, dass uns nicht das eigentliche Erleben von positiven Gefühlen oder das eigentliche Erleben negative Gefühle vermieden zu haben motiviert, sondern vielmehr das Streben nach diesen Zuständen. Es ist also die Vorstellung davon, wie wir uns auf dem Weg zur Erreichung eines Zieles fühlen, was uns motiviert. Nicht aber das Ziel selbst! Entdeckt hat man diese Tatsache erst vor wenigen Jahren, als man die Wirkung von Dopamin untersuchte. Von diesem Botenstoff (Neurotransmitter) nahm man nämlich lange Zeit an, er sei ein reiner „Glücksstoff“. Wissenschaftliche Untersuchungen haben aber gezeigt, dass Dopamin dann ausgeschüttet wird, wenn wir eine Belohnung erwarten. Keine oder eine nur geringe Dopaminausschüttung findet hingegen statt, wenn das angestrebte Ziel erreicht ist. Wenn man sich all dies vor Augen führt, wird auch klar, warum viele Motivationssysteme in den Unternehmen nicht funktionieren. Die Anreize dieser Systeme sind i.d.R. immer auf das Ziel ausgerichtet, nicht aber auf den Weg, der zum Ziel führt. Würde man die Motivationssysteme in den Unternehmen auf diese Erkenntnisse anpassen, so ginge es vielen Mitarbeitern und Führungskräften besser. Ich sage hierbei bewusst, dass es vielen besser ginge, aber nicht allen. Der Grund dafür ist, dass auch für einige das beste und hirngerechteste Motivationssystem nicht zum Erfolg beiträgt. Die Ursache hierfür liegt in der Eingangs zum Thema Motivation erwähnten Übereinstimmung zwischen unbewussten Motiven und bewussten Zielen. 22. Was uns sonst noch zu Siegern oder Verlierern macht Motive sind so unterschiedlich, wie Personen in ihrer Persönlichkeit unterschiedlich sind. Dies ist auch nicht weiter verwunderlich, denn schließlich sind unsere Motive ein essentieller Bestandteil unserer Persönlichkeit. Unter Berücksichtigung dieser Tatsache ist es nachvollziehbar, dass die Motivationsforschung einen Unterschied zwischen Motiven und Zielen macht: Motive sind demnach unbewusste Handlungsantriebe. Ziele sind demnach bewusste Handlungsantriebe. Folgt man dieser Unterscheidung, so sind Motive durch unsere genetischen, vor- und nachgeburtlichen sowie durch unsere frühkindlich erworbenen Handlungsantriebe entstanden (also unbewusst). Ziele hingegen entstehen in der späteren Kindheit, der Jugend und im Erwachsenenalter (also bewusst). Warum aber ist es so wichtig, dass unsere Motive und unsere Ziele übereinstimmen? Angenommen, Sie sind ein recht intelligenter und begabter Mensch. Genetisch bedingt sind Sie aber eher ein ruhiger und in sich gekehrter Mensch. Nehmen wir weiterhin an, Sie hatten als Säugling und in Ihrer frühen Kindheit ein schwieriges Bindungsverhältnis zu Ihrer Mutter. Aus diesen Gründen sind Sie daher eher verschlossen und kontaktscheu, und Sie haben trotz Ihrer hohen Intelligenz und Ihren Begabungen nur ein geringes Zutrauen in sich selbst und in Ihre Fähigkeiten. Dies ist Ihre Kernpersönlichkeit, die auf der limbischen Ebene in Ihrem Gehirn verankert ist. Als Schulkind und Jugendlicher werden Lehrer und andere Personen auf Ihre Intelligenz und Ihre Begabungen aufmerksam und fördern Sie nach Kräften. Sie nehmen diese Förderung an, obwohl es eigentlich nicht Ihrer Kernpersönlichkeit entspricht. Sie machen erfolgreich Ihr Abitur, absolvieren ein ebenso erfolgreiches Studium und erlangen auch einen attraktiven Beruf. Trotz dieser Erfolge leiden Sie aber erheblich unter der Nähe von Menschen. Sie haben Angst vor Vorträgen und öffentlichen Auftritten und gehen jeden weiteren Karriereschritt nur unwillig an. Das Ergebnis ist: Sie sind irgendwie unzufrieden mit Ihrem Leben. Es könnte aber auch das Gegenteil passieren: Nehmen wir hierzu an Sie sind von Ihrem Temperament her neugierig und risikofreudig und haben eine positive Bindungserfahrung und frühkindliche Sozialisation erfahren. Danach geraten Sie aber in die üblichen Ausbildungs- und Berufszwänge, die von Ihnen verlangen, zurückhaltend, vorsichtig und risikomeidend zu sein. Die Folge ist, dass Ihnen Ihr Beruf zur Qual wird, weil alles zu langsam geht, Sie Ihre Kreativität nicht ausleben können und überhaupt alles viel zu unflexibel ist. Auch hier ist das Ergebnis: Sie sind irgendwie unzufrieden mit Ihrem Leben. Irgendwie unzufrieden bedeutet aber, dass Sie es nicht konkretisieren können. Das wiederum führt dazu, dass Sie sich schlecht fühlen oder sogar krank werden. Sie gehen von Arzt zu Arzt, die aber alle nichts Ernsthaftes finden können, was die Sache noch schlimmer macht. Sie werden depressiv und denken vielleicht sogar an Selbstmord. In der Welt der Erfolgs- und Karrieremenschen sind Sie ein klassischer Verlierertyp! Was aber ist bei Siegertypen anders? Der Hauptunterschied zwischen Siegern und Verlieren ist, dass die Motive (unbewusste Handlungsantriebe) und die Ziele (bewusste Handlungsantriebe) bei Siegern übereinstimmen und bei Verlieren nicht. Menschen, bei denen Motive und Ziele übereinstimmen, zeichnen sich durch ein hohes Maß an Ausdauer, Beharrlichkeit und Konsequenz aus. Menschen bei denen Motive und Ziele nicht übereinstimmen, zeichnen sich dadurch aus, dass sie z.B. Hindernisse nicht als Herausforderung, sondern als Bedrohung ansehen. Lassen Sie uns abschließend folgendes Resümee ziehen: Bei der Motivation kommt es immer darauf an, dass unsere unbewussten Motive und unsere bewussten Ziele übereinstimmen. Nur dann sind wir zufrieden, leistungsfähig und erreichen unsere Ziele. Und nur dann machen wir eine der wichtigsten und schönsten Erfahrungen unseres Lebens: Das verfolgen selbstbestimmter Ziele und das Meistern der daraus resultierenden Herausforderungen trägt eine Belohnung in sich selbst und macht Belohnungen von außen nebensächlich. Wie auch immer Sie Ihre Ziele in Zukunft definieren und planen, planen Sie nicht zu lange. Wie formulierte es Prof. Dr. Bodo Runzheimer (Professor für Betriebswirtschaftslehre): "Macht nur einen Plan!!! Wir ändern morgen, wir ändern heut, wir ändern wütend und erfreut. Wir ändern, ohne zu verzagen, an allen sieben Wochentagen. Wir ändern teils aus purer Lust, mit Vorsatz teils, teils unbewusst. Wir ändern gut und auch bedingt, weil ändern immer Arbeit bringt. Wir ändern resigniert und still, wie jeder es so haben will. Die Alten ändern und die Jungen, wir ändern selbst die Änderungen. Wir ändern, was man ändern kann, und stehen dabei unsern Mann. Und ist der Plan auch schon gelungen, bestimmt verträgt er Änderungen. Wir ändern deshalb früh und spät alles was zu ändern geht. Wir ändern heut und jederzeit, zum Denken bleibt uns wenig Zeit. - Änderungen vorbehalten!"
- Die Kunst der Verhaltensänderung
Warum es so schwer ist, sich und andere zu verändern. Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 2. Die vier Ebenen der Persönlichkeit 3. Erkenntnisse und Konsequenzen für unsere Persönlichkeitsbildung 4. Wenn sich Verstand und Vernunft in unterschiedliche Richtungen entwickeln 5. Wie unsere Verhaltensweise unser Leben prägen kann 6. Warum es uns so schwer fällt andere zu verstehen 7. Warum es uns so schwer fällt uns selbst zu verstehen 8. Wie wir uns und andere täuschen 9. Wie wir andere verändern können 10. Wie wir uns selbst verändern können 11. Zusammenfassung Die Kunst der Verhaltensänderung Warum es so schwer ist, sich und andere zu verändern. 1. Einleitung Immer wieder stellen wir uns die Frage: "Warum fällt es uns so schwer erlerntes Wissen und erlernte Fähigkeiten in eine dauerhafte Anwendung zu bringen?" Oder: "Warum fällt es uns so schwer unser Verhalten und/oder unsere Gewohnheiten zu ändern?" Ob dies überhaupt möglich ist und was uns hierzu die modernen Erkenntnisse der Gehirnforschung sagen, das soll heute unser Thema sein. Fest steht jedenfalls, dass wenn wir uns mit der Frage der Verhaltensänderung beschäftigen, wir zunächst einmal drei mögliche Formen unterscheiden müssen: Verhaltensänderung aus eigenem Antrieb Verhaltensänderung durch andere Personen Verhaltensänderung durch äußere Ereignisse Haben Sie schon einmal ein Klassentreffen besucht, bei dem Sie ihre früheren Mitschüler seit 10 Jahren oder länger nicht gesehen haben? Wenn ja, dann haben auch Sie, mal abgesehen von ein paar zusätzlichen Falten und Pfunden, bestimmt eine oder mehrere der folgenden Feststellungen gemacht: Da gab es ehemalige Mitschüler, bei denen Sie bereits nach wenigen Sätzen merkten, dass die Eigenschaften, die diese bereits als Kind hatten, noch immer geradezu in vollem Umfang ausgeprägt waren. Ihre Persönlichkeit hatte sich kaum verändert. „Der ist noch genauso schüchtern wie früher!“, oder „Der ist noch genauso ein Hitzkopf wie früher!“. Bei anderen Teilnehmern hingegen stellten Sie fest, dass sie kaum wieder zu erkennen waren. „Der hat sich ja total verändert, den hätte ich nicht wieder erkannt!“. Was also macht die Persönlichkeit eines Menschen aus und welche Einflussfaktoren sind es, die bei dem einen keine oder nur eine geringe Persönlichkeitsveränderung bewirken, und aus anderen völlig andere Menschen werden lassen? Dass es Ereignisse gibt, die einen Menschen kurzfristig und schlagartig verändern können ist unumstritten. Ein schwerer Schicksalsschlag, ein schlimmer Unfall, der Tod eines geliebten Menschen aber auch plötzlicher Reichtum oder unerwarteter Erfolg können Menschen in ihrer Persönlichkeit quasi über Nacht verändern. Allerdings sind auch solche Verhaltensänderungen oft nicht von Dauer und pendeln sich im Laufe von Monaten oder Jahren wieder in den vorherigen Zustand ein. Diese Formen der Verhaltensänderung wollen wir an dieser Stelle auch nicht weiter beleuchten. Vielmehr soll es uns darum gehen, wie sich unter "normalen" Umständen Veränderungsprozesse bei Menschen vollziehen, also im Sinne der Eingangs gestellten Frage: "Warum fällt es uns so schwer erlerntes Wissen und erlernte Fähigkeiten in eine dauerhafte Anwendung zu bringen?" Die Antwort auf diese Frage finden wir, wenn wir uns einmal folgende Punkte näher anschauen: Wo sitzt in unserem Gehirn unsere Persönlichkeit, wie entwickelt sie sich dort und wie lässt sie sich gestalten? Was geschieht in unserem Gehirn, wenn sich bei Verhaltensänderungen unser Verstand und unsere Vernunft nicht in Einklang befinden? Gibt es neurobiologische Defizite, die unser Verhalten beeinflussen und kann ich selbst etwas dagegen tun? Wo sind die Möglichkeiten und auch die Grenzen, wenn ich mich oder andere verändern möchte? Gibt es Funktionen in unserem Gehirn, die uns bei dem Versuch der Verhaltensänderung täuschen? Beginnen wir also mit der Frage nach unserer Persönlichkeit – also mit der Frage: Wo sitzt in unserem Gehirn unsere Persönlichkeit, wie entwickelt sie sich dort und wie lässt sie sich gestalten? 2. Die vier Ebenen der Persönlichkeit Wie wir denken, fühlen und handeln ist zunächst einmal das Ergebnis vieler gleichzeitig oder aufeinander folgender Aktivitäten in den unterschiedlichsten Gehirnarealen, die zusammen ein sehr komplexes Netzwerk ergeben (funktionelle Multi-Zentralität). Dabei kann es durchaus vorkommen, dass sich funktionelle Abläufe in bestimmten Arealen mit den Abläufen anderer Areale überlappen. Dies führt dazu, dass bei komplexen Funktionen, wie z.B. der Grad unserer Aufmerksamkeit oder das Entstehen von Gefühlen, sich bestimmte Areale gegenseitig unterstützen oder sogar ersetzen. Mit anderen Worten: Unser Gehirn kann bestimmte Aufgaben auf unterschiedliche Weisen ausführen! Und diese Tatsache wiederum ist die Grundlage für die Veränderbarkeit unseres Gehirns (funktionelle Plastizität). Auch die Bildung und die Veränderbarkeit unserer Persönlichkeit unterliegt diesen Zusammenhängen, weswegen auch unsere Persönlichkeit ein Ergebnis ist, an dem unser gesamtes Gehirn beteiligt ist. Wo aber sind nun in unserem Gehirn die einzelnen Komponenten unserer Persönlichkeit angesiedelt? Im Wesentlichen kann man hier vier funktionelle Ebenen unterscheiden. Diese vier Ebenen wollen wir nun einmal näher betrachten. Die Ebene der vegetativen-affektiven Steuerung Sie ist die unterste Ebene und sichert unser Überleben. Sie kontrolliert den Stoffwechsel, regelt Kreislauf und Körpertemperatur, steuert unser Verdauungs- und Hormonsystem, kontrolliert unseren Wach-/Schlafrhythmus und die damit verbundenen Bewusstseinszustände. Außerdem werden hier unsere affektiven Verhaltensweisen wie Angriffs- und Verteidigungsverhalten als auch unsere affektiven Empfindungen wie Wut oder Hass gesteuert. Diese vegetativ-affektive Ebene entsteht von allen vier Ebenen am frühsten, denn sie entwickelt sich bereits vorgeburtlich ab der 7. Schwangerschaftswoche und spiegelt sich im wesentlichen in der limbischen Grundachse wieder, also vornehmlich dem Hypothalamus, der Hypophyse (Hirnanhangdrüse), der zentralen Amygdala, in Teilen des basalen Vorderhirns und den vegetativen Zentren des Hirnstamms. Die auf dieser Ebene stattfindenden Antriebe und Affektzustände sind unser stammesgeschichtliches Erbe und sind weitgehend genetisch vorgegeben und machen in ihrer individuellen Ausprägung unser Temperament und unsere grundlegende Triebstruktur aus. Die Ebene der emotionalen Konditionierung Die Ebene der emotionalen Konditionierung ist über der vegetativen-affektiven Ebene angesiedelt. Sie spiegelt sich vor allem durch die Amygdala und durch das mesolimbische System wieder. Eine der wichtigsten Aufgaben der Amygdala ist es Signale aus der Umwelt (unsere 5 Sinne) und unserem Körper erfahrungsbedingt zu bewerten und dadurch z.B. Gefühle wie Angst, Wut oder Überraschung entstehen zu lassen. Dies geschieht, indem sie eingehende Signale nach den Kriterien "gut" oder "schlecht" und "positiv" oder "negativ" bewertet und dann mit den entsprechenden Gefühlen fest verbindet. Neben der Amygdala ist das mesolimbische System ein wesentlicher Bestandteil auf der Ebene der emotionalen Konditionierung. Das mesolimbische System erzeugt einerseits Lustgefühle und teilt uns darüber mit, ob uns etwas Freude oder Spaß bereitet. In dieser Eigenschaft stellt das mesolimbische System das Belohnungssystem unseres Gehirns dar. Andererseits ist das mesolimbische System ein wichtiger Teil unseres Motivationssystems, also unserer Belohnungseinschätzung und unserer Belohnungserwartung. Dieser Teil unserer Persönlichkeit entsteht durch genetische Vorgaben, durch vorgeburtliche Prägung und durch frühkindliche psychosoziale Erfahrungen und bleibt ein Leben lang egoistisch-egozentrisch. Er ist das Kleinkind in uns und stellt immer folgende Fragen: Was bringt mir das? Was nützt mir das? Beide Ebenen zusammen, also die Ebene der vegetativen-affektiven Steuerung und die Ebene der emotionalen Konditionierung, sind die unbewussten Teile unserer Persönlichkeit. Die hier gespeicherten Werte und Erfahrungen können also nicht bewusst (sprachlich) wiedergegeben werden. Die Ebene der limbischen Großhirnrinde Über der vegetativ-affektiven Ebene und der Ebene der emotionalen Konditionierung liegt die Ebene der limbischen Großhirnrinde, speziell die Areale der stammesgeschichtlich älteren limbischen Anteile der Großhirnrinde. Auf dieser Ebene geht es schwerpunktmäßig um Sozialverhalten, Aufmerksamkeitssteuerung, Risikoeinschätzung und um das bewusste Gefühlsleben. Hier erlernen wir Fähigkeiten, die uns die Anpassung an natürliche und gesellschaftliche Einflüsse ermöglichen. Wir lernen mit Kompromissen umzugehen, Durststrecken durchzustehen, Belohnungen einzuschätzen u.v.m. Diese Ebene entsteht zum Teil erst sehr spät und zieht sich von der Kindheit bis ins Erwachsenenalter hin. Im Hinblick auf die Möglichkeiten der Verhaltensänderung ist diese Ebene sehr wichtig, denn sie ist der entscheidende Einflußort bei der Erziehung und sie ist die Grundlage für Empathie, also Einfühlungsvermögen. Die Ebene der kognitiv-kommunikativen Funktionen Über den bisher angesprochenen limbischen Ebenen steht als viertes die Ebene der kognitiv-kommunikativen Funktionen. Diese Ebene umfasst den präfrontalen Cortex als Sitz des Arbeitsgedächtnisses, des Verstandes und der Intelligenz. Und sie umfasst unsere Sprachzentren, also das Wernicke-Areal im linken oberen Temporallappen, wo einfache Wortbedeutungen, einfache Sätze und einfache Satzstrukturen gebildet werden und das Broca-Areal, wo alle Wort- und Satzbedeutungen, die sich aus Grammatik und Satzstellung (Syntax) ergeben, gebildet werden. Die Ebene der kognitiv-kommunikativen Funktionen hat am wenigsten mit unserer Persönlichkeitsbildung und unserer Handlungssteuerung zu tun. Dies erkennen wir auch daran, dass Reden oft nur wenig mit Fühlen und Handeln zu tun hat. Sie entsteht in den späten Phasen der vorgeburtlichen Entwicklung und reicht bis ins Erwachsenenalter hinein. Lassen Sie uns daher im Folgenden darüber sprechen, welche Erkenntnisse wir daraus ziehen können und welche Konsequenzen dies für unsere Persönlichkeitsbildung hat. 3. Erkenntnisse und Konsequenzen für unsere Persönlichkeitsbildung Wie wir erfahren haben, entstehen die 4 Ebenen unserer Persönlichkeitsentwicklung zu unterschiedlichen Zeitpunkten und auch ihre Dauer unterscheidet sich. Sie entstehen teils parallel, teils nacheinander. Als erstes entsteht die untere Ebene, die Ebene der vegetativ-affektiven Steuerung. Sie ist überwiegend genetisch bedingt und ist durch Erfahrung und willentliche Kontrolle nicht oder nur gering beeinflussbar. Ein von seinem Temperament her jähzorniges Kind wird in seinem späteren Leben kaum ein stiller und schweigsamer Mensch werden. Bestenfalls wird dieses Kind mühevoll lernen, sein Temperament zu zügeln. Umgekehrt wird aus einem antriebsarmen Kind kein Powertyp, sondern wird bestenfalls durch äußeren Zwang dazu kommen, mehr Impulsivität zu äußern. Gleiches gilt auch für rational planende bzw. eher emotionale handelnde Kinder oder für eher offene und verschlossene Kinder. Eine Verhaltensänderung auf dieser Ebene ist durch eigenen Antrieb, durch den Einfluss anderer Personen oder Ereignisse nicht oder nur in geringem Umfang möglich. Die zweite limbische Ebene, also die die Ebene der emotionalen Konditionierung entsteht ebenfalls vorgeburtlich, also schon sehr früh. Sie ist aber im Gegensatz zur ersten vegetativ-affektiven Ebene durch Erfahrungen beeinflussbar. Die emotionale Konditionierung kann auf zweierlei Art erfolgen: Entweder durch schockartiges Lernen - es passiert etwas extrem schlimmes (z.B. Unfall) oder extrem positives (z.B. Lottogewinn). Oder aber durch langsame und stetige Wiederholungen - üben, üben und nochmals üben. Für unserer Frage nach den Möglichkeiten der Verhaltensänderung ist hierbei folgendes sehr wichtig: Die bei der emotionalen Konditionierung beteiligten Areale (maßgeblich die Amygdala und das mesolimbische System) vergessen nichts! Es ist daher zwecklos emotional konditioniertes Verhalten durch z.B. Belehrung oder Einsicht verändern zu wollen. Egal, ob die emotionale Konditionierung durch schockartiges oder durch langsames und stetiges Lernen erfolgte, Verhaltensänderung kann nur durch erneute emotionale Konditionierung erfolgen! Allerdings nimmt die Veränderbarkeit mit zunehmendem Alter ab: Kleinkinder sind sehr schnell und auch leicht emotional kondítionierbar, Jugendliche schon weniger und Erwachsene noch weniger, bzw. nur mit einem entsprechend hohen Aufwand, der, wenn er hirngerecht betrieben wird, dank der Plastizität unseres Gehirns aber durchaus erfolgreich sein kann, wie wir später noch erfahren werden. Auf der dritten Ebene, also der Ebene der limbischen Großhirnrinde, erfolgt unsere Sozialisierung. Sie entsteht erst nach der Geburt und entwickelt sich gemeinsam mit unserem Bewusstsein. Dies macht auch Sinn, denn Sozialisierung erfordert eine differenzierte Wahrnehmung und Verarbeitung komplexer Signale, wozu Amygdala und mesolimbisches System nicht in der Lage sind. Für die Entwicklung dieser dritten Ebene sind maßgeblich folgende Erfahrungen wichtig: Mutter-Kind-Bindung Beziehung zum Vater und den Geschwistern Beziehungen zu Spielkameraden Das soziale Lernen, also z.B. das Prinzip von Geben und Nehmen, Einfühlungsvermögen u.v.m., setzt sich dann (abgesehen von hormonellen Turbolenzen während der Pubertät) stufenlos bis zum Erwachsenenalter fort. Der Entwicklung dieser Ebene (limbischen Großhirnrinde) ist höchste Aufmerksamkeit zu schenken, da sie sich hemmend und mildernd auf die unteren Ebenen auswirkt und somit in großem Umfang dazu beiträgt, inwieweit der pure Egoismus der ersten und zweiten Ebene überwunden werden kann. Sie bildet somit die Basis für Moral, Ethik und Werte. Die Einflussnahme von oben nach unten, also von der dritten auf die zweite und erste Ebene, ist jedoch wesentlich schwächer als die Einflussnahme von unten nach oben. Ein aufgeschlossenes Temperament (Ebene 1) und eine positive emotionale Konditionierung (Ebene 2) machen es den gesellschaftlichen und erzieherischen Einflüssen (Ebene 3) leicht, und das Kind wird sich gesellschaftlich umgänglich und anpassungsfähig entwickeln. Umgekehrt wird es kaum möglich sein ein verschlossenes und misstrauisches Kind (Ebene 1), das zudem traumatisierende Erfahrungen gemacht hat (Ebene 2) zu einer offenen und anpassungsfähigen Persönlichkeit (Ebene 3) zu entwickeln - da hilft auch die beste soziale Umgebung nur wenig. Auf ein besonderes Phänomen stoßen wir, wenn Verstand (Intelligenz) und Vernunft (soziale Emotionen) sich in unterschiedliche Richtungen entwickeln. Und was dann geschieht, das wollen wir uns nun anschauen. 4. Wenn sich Verstand und Vernunft in unterschiedliche Richtungen entwickeln Wie wir bereits kennen gelernt haben gibt es bei der Sozialisierung hemmende und mildernde Einflüsse der dritten Ebene (limbische Großhirnrinde) auf die unteren Ebenen (emotionale Konditionierung und vegetativ-affektive Steuerung). Darüber hinaus ist die dritte Ebene dynamischer als die anderen und damit in höherem Maße veränderbar. Wir können also durchaus unser soziales Verhalten an neue Umgebungen und/oder Rahmenbedingungen anpassen, während unser Temperament und unsere emotionale Konditionierung weitestgehend unverändert bleiben. Noch komplexer wird das ganze, wenn wir die vierte Ebene, die kognitiv-kommunikative Ebene in das Wechselspiel unser Gehirnareale einfließen lassen. Diese entwickelt sich parallel zur dritten Ebene, der Ebene der limbischen Großhirnrinde, aber sie entwickelt sich schneller. Kinder können bereits im Alter ihrer Einschulung sehr intelligent sein und dennoch über massive soziale Schwächen verfügen und bringen dadurch ihr Umfeld nicht selten zur Weisglut. Auch später, während der Pubertät, hinken die emotionalen und sozialen Fähigkeiten den intellektuellen Fähigkeiten hinterher. So ist das Gehirn zwar im Alter von ca. 15 Jahren am intelligentesten, vernünftig wird es aber erst im Alter von etwa 25 Jahren - oder später - oder noch später - bei manchen nie :) Das, was wir uns gerade vor Augen geführt haben, ist eines der kuriosesten Phänomene der menschlichen Persönlichkeitsentwicklung. Es ist das mögliche Auseinanderfallen (dissoziieren) von Verstand und Vernunft. Die Ursache hierfür besteht darin, dass die Areale des Gehirns, die für Verstand und Intelligenz zuständig sind (präfrontaler Cortex) nur verhältnismäßig wenig in Kontakt mit den Arealen stehen, die unsere soziale Vernunft steuern (limbische Areale). Hierin liegt die Begründung, dass es durchaus sein kann, dass jemand sehr intelligent aber nicht vernünftig i.S. sozialer Emotionalität ist. Lebende Beispiele hierfür finden Sie in fast allen Unternehmen und in fast allen Hierarchieebenen. So z.B. Menschen, die sich mit einer unglaublichen Intelligenz egoistische Vorteile verschaffen, ohne auch nur die geringste Rücksicht darauf zu nehmen, welche gravierend negativen Folgen dies für andere hat. Und nicht nur, dass sie unglaublich intelligent vorgehen - selbst wenn sie auffliegen sind sie oft noch in der Lage, kommunikativ so geschickt vorzugehen, dass sie andere von ihrer Unschuld überzeugen. Wie aber ist das möglich, wo doch genau diese Fähigkeiten, die eigentlichen Schwachstellen solcher Menschen sind, also z.B. die Fähigkeit zur Empathie? Zu diesem Phänomen gibt es zahlreiche wissenschaftliche Erklärungsansätze. Was aber fast alle Ansätze gemeinsam haben ist die Annahme, dass solche Menschen sehr früh ihre emotionalen und empathischen Defizite erkennen oder zumindest erahnen und dann auf rein rational-kognitiver Basis Ersatzstrategien entwickeln. Sie erkennen oder erahnen zwar ihr stark reduziertes Emotionspotential, aber sie wissen wie man über Gefühle redet, weswegen ihre Defizite meist nicht auffallen. Interessant ist aber auch, dass wir diese Trennung zwischen Verstand und Vernunft nicht nur bei korrupten oder gar kriminellen Menschen vorfinden. Wir finden diese Trennung auch häufig bei uns selbst, wenn auch in stark abgeschwächter Form. So können wir z.B. Verständnis oder Anteilnahme ausdrücken, ohne dass wir das wirklich empfinden. Auch können wir einem Menschen Lob und Anerkennung aussprechen, ohne dass wir das wirklich meinen. Oder wir können uns gegenüber anderen so darstellen, wie wir von ihnen gesehen werden wollen, ohne dass wir tatsächlich so sind. Macht man sich das alles bewusst, so stellt sich die Frage: Warum lässt die Natur solche Phänomene zu? Die Antwort hierauf ist recht einfach: Wären wir nicht in der Lage unseren Verstand und unsere Vernunft zu trennen, also nicht in der Lage unsere Gefühle hinter unseren Worten zu verstecken, so gäbe es kein gesellschaftliches Zusammenleben. Ein weiterer Aspekt, der für die Trennung von Verstand und Vernunft spricht ist, dass wir dadurch in der Lage sind über Handlungen und Pläne nachzudenken, ohne sie auch tatsächlich umsetzen zu müssen. Wir können uns vorstellen, was wir täten, wenn wir bestimmte Möglichkeiten hätten - müssen dies aber nicht zwangsläufig tun. Und genau diese Fähigkeit ist die Grundlage kreativer Handlungsplanung, die uns Menschen neben der Fähigkeit zu sprechen, von allen anderen Tieren unterscheidet. Wenn wir uns nun die vier Ebenen unserer Persönlichkeit noch einmal vor Augen führen, so wird uns schnell klar, dass es die vierte Ebene ist, also die kognitiv-kommunikative Ebene, die am dynamischsten und am einfachsten zu verändern ist. Wir können uns schnell neue Wissensinhalte vermitteln. Wir können kurzfristig neue Gewohnheiten annehmen. Wir können auch schnell neue Verhaltensweisen anwenden. Das und vieles mehr können wir auf der vierten, der kognitiv-kommunikativen Ebene, sehr schnell verwirklichen. Die Fragen, die sich daraus ableiten sind aber folgende: Warum wenden wir neue Wissensinhalte nicht dauerhaft an? Warum legen wir neue Gewohnheiten wieder ab? Und warum fallen wir in alte Verhaltensmuster zurück? Die Ursache hierfür haben wir kennen gelernt. Die Einflussnahme der Ebenen unserer Persönlichkeit wirkt stärker von unten nach oben. Die Einflussnahme von oben nach unten ist hingegen stark begrenzt oder zumindest sehr aufwendig. Gegen unsere genetische Veranlagung, unsere vorgeburtliche und früh nachgeburtliche Prägung und unsere emotionale Konditionierung ist mit rein kognitiv-kommunikativen Lösungen nur schwer anzukämpfen. Haben Sie schon einmal einen dieser riesigen Elefanten im Zoo beobachtet? Und haben auch Sie sich schon einmal darüber gewundert, warum der Elefant an einer nur relativ dünnen Kette angebunden ist? Für einen solch großen Elefanten dürfte es doch kein Problem sein diese Ketten loszureißen. Das Problem ist, dass er es als junger Elefant oft probiert hat. Damals war er aber noch zu klein und zu schwach. Und weil diese Erfahrung emotional konditioniert ist, hat er es später als erwachsener Elefant nicht mehr versucht. Bei uns Menschen ist das nicht viel anders. Auch wir haben in unserer frühsten Kindheit viele Erfahrungen und Verhaltensweisen emotional konditioniert. Wie also müssen Instrumente und Werkzeuge gestaltet sein, mit denen uns eine dauerhafte Verhaltensänderung bei uns selbst und auch bei anderen gelingt? Gibt es überhaupt solche Instrumente und Werkzeuge? Und wenn ja, wie setzen wir diese erfolgreich ein? Das heraus zu finden wird unsere nächste Aufgabe sein. 5. Wie unsere Verhaltensweise unser Leben prägen kann Es gibt bisher nur wenige Studien, die sich mit Fragen nach der Veränderbarkeit der Persönlichkeit beschäftigt haben. Dies ist u.a. darin begründet, dass es sehr schwer und aufwendig ist solche Studien durchzuführen. Will man wirklich messbare Ergebnisse erzielen so setzt dies u.a. voraus, dass man sehr viele Menschen als Probanden gewinnt. Außerdem muss man sehr früh mit der Untersuchung beginnen und über viele Jahre hinweg die Veränderungen beobachten. Besonders aufschlussreich sind Studien, die sich nicht nur auf die Stabilität oder Veränderbarkeit von normalen Menschen konzentrieren, sondern vor allem Studien, die sich verstärkt mit der Entstehung von gewalttätigem und antisozialem Verhalten auseinandersetzen. Hier hervorzuheben ist insbesondere die "Dunedin Longitudinal Study". In dieser Langzeitstudie wurden 1037 Kinder (52% Jungen und 48% Mädchen) des Jahrgang 1972/73 aus den verschiedensten sozialen Verhältnissen zwischen dem 3. und 21. Lebensjahr begleitet. Neben vielen Detailergebnissen zeigte diese Studie auf, dass ein gewisses gewalttätiges Verhalten und Kleinkriminalität besonders stark im Alter zwischen 15 und 18 Jahren auftrat, insbesondere bei Jungen. Danach klingen diese Verhaltensmuster wieder deutlich ab. Lediglich eine kleine Gruppe von ca. 5%, überwiegend männliche Jugendliche, entpuppten sich als chronisch kriminelle, die allen üblichen Erziehungs- und Besserungsmaßnahmen trotzten. Auffällig daran ist, dass diese Gruppe bereits in ihrer frühsten Kindheit, also bereits im Kindergarten, als Prügler oder Störenfriede auffielen. Was aber waren die Ursachen dafür, dass sich diese Menschen so entwickelten? Die Dunedin-Study zeigte auf, dass es nur wenige Faktoren waren, die für die kriminelle Entwicklung dieser Menschen verantwortlich waren. Hierzu gehören Kriminalität der Eltern, Armut, überstrenge oder inkonsequente Erziehung, ein schwieriges Temperament und frühzeitig schlechter Umgang mit anderen Kriminellen. Auch andere Studien, die in der so genannten "Delmenhorster Gewaltstudie" zusammengefasst wurden, bestätigen dies. Besonders interessant an dieser Zusammenfassung ist, dass chronisch Kriminelle oft leicht erregbar sind, eine niedrige Frustrationsschwelle aufweisen und sehr schnell trotzig reagieren. Diese Merkmale gehen einher mit einem niedrigen Serotoninspiegel. Jetzt ist zwar nicht jeder, der einen niedrigen Serotoninspiegel hat auch zwangsläufig ein chronisch Krimineller, aber ein niedriger Serotoninspiegel ist auch bei normalen Menschen ein wichtiger Indikator für ihr Verhalten: Serotonin ist ein Neurotransmitter (Botenstoff) in unserem Gehirn, der eine wichtige Rolle bei der Übertragung von Signalen spielt. Ein Mangel an Serotonin ruft das Gefühl des Bedrohtseins hervor, führt zu einer niedrigen Frustrationstoleranz, bewirkt ein ständiges Gefühl der Beunruhigung und führt zu einer leichten Erregbarkeit. Hinzu kommen typische kogniv-emotionale Defizite wie die Unfähigkeit, das Verhalten anderer richtig zu deuten. So werden häufig Gesichtsausdrücke und Gesten anderer als bedrohend fehlinterpretiert, was dann dazu führt, dass man (meist verbal) zuschlägt, weil man sich ja wehren muss. Einerseits kommen neurobiologische Defizite (wie z.B. Serotoninmangel) in unserer heutigen Leistungsgesellschaft besonders häufig vor. Andererseits lassen sie sich im Vergleich zu vielen anderen Faktoren oft am leichtesten korrigieren. Die Ursachen für neurobiologische Defizite sind oft Stress und Leistungsdruck, falsche Ernährung, mangelnde Bewegung oder fehlende Entspannung. Bevor wir uns also Gedanken darüber machen, wie wir uns selbst oder andere trotz genetischer Veranlagungen oder ungünstigen frühkindlichen Rahmenbedingungen verändern können, sollten wir erst einmal prüfen, ob es nicht einfach nur unsere Lebensweise ist, die uns daran hindert. Wer sagte einmal ......"Wir leben in den Mauern, die wir selbst gebaut haben" Tipp: Wenn Sie das nächste Mal Ihren Hausarzt für eine Blutabnahme aufsuchen, lassen Sie doch einfach mal die Werte für das Stresshormon Cortisol, den Serotoninspiegel und den Gesamteiweißspiegel mit untersuchen. Auf die Bereiche Fitness und Wellness wollen wir unter dem Aspekt der Verhaltensänderung hier nicht näher eingehen, da dies ein so umfassendes Thema ist, dass wir uns in Kürze damit in einem eigenständigen Beitrag auseinandersetzen werden. Wichtig ist aber festzuhalten, dass bevor wir uns tiefer gehende Gedanken darüber machen, warum es uns so schwer fällt, unser und das Verhalten anderer zu ändern, wir als erstes sicher stellen sollten, dass unser Gehirn mit ausreichend Sauerstoff versorgt ist (Bewegung), dass unser Körper ausreichend mit Vitaminen, Mineralien und Nährstoffen versorgt ist, damit in ausreichendem Maße Neurotransmitter wie z.B. Serotonin, produziert werden können (Ernährung) und, dass wir Stresshormone wie z.B. Cortisol unter Kontrolle halten (Entspannung). Wenn wir das erreicht haben, ist eine der wichtigsten Vorraussetzungen geschaffen, damit weitere Maßnahmen zur Verhaltensänderung wirksam sind. Neurobiologische Defizite sind aber nicht die alleinigen Verursacher von Fehlverhalten oder fehlender Bereitschaft sein Verhalten zu ändern. Ein anderer Grund, warum Verhaltensänderungsprozesse scheitern ist, dass wir nur über begrenzte Möglichkeiten verfügen zu kommunizieren. Damit meine ich die Grenzen und Möglichkeiten andere und auch sich selbst zu verstehen. Dieser Problematik wollen wir uns daher als nächstes zuwenden. Beginnen wir mit der Schwierigkeit andere zu verstehen. 6. Warum es uns so schwer fällt andere zu verstehen Wenn Menschen miteinander kommunizieren, so ist dies zunächst einmal nichts anderes, als das von einer Person (dem Sender) eine Botschaft (Signale) an eine andere Person (dem Empfänger) übermittelt wird. Die Signale, die der Sender übermittelt sind jedoch codiert, d.h. sie sind verpackt in Sprache, Gesten, Mimik, Körperhaltung u.v.m. Diese Signale werden nun vom Empfänger aufgenommen und decodiert, also wieder entpackt. Ist das, was der Empfänger entpackt identisch mit dem, was der Sender zuvor als verpackte Botschaft gesendet hat, so war die Kommunikation erfolgreich. Dies ist aber eher die Ausnahme. Aber warum? Sieht man einmal von banalen "Decodierungsproblemen" wie z.B. zu leise gesprochen, oder einer Überlagerung durch andere Störungen (Lkw fährt gerade vorbei), oder aber auch einer möglichen Doppeldeutigkeit (Ich gehe baden) einmal ab, so liegt das Hauptproblem der Kommunikation in der Zuordnung von Bedeutungen. Wenn jemand etwas zu uns sagt, dringen diese Schalldruckwellen als Luftschwingungen in unser Ohr, wo sie dann in unserem Innenohr in elektrische Signale umgewandelt und dann in unser Gehirn weitergeleitet werden. Dort werden diese Signale dann zunächst in den unterschiedlichsten Arealen unseres Gehirns analysiert und verarbeitet und schließlich interpretiert - also einer Bedeutung zugeordnet. Dies alles geschieht in einem Zeitraum von 0,3 Sekunden (bei einfachen Sätzen) bis zu 1,0 Sekunden (bei komplexen Sätzen), wobei bis zu einer Milliarde Neuronen beteiligt sein können. Von diesem höchst komplexen und höchst komplizierten Vorgang nehmen wir aber i.d.R. nichts wahr, d.h. diese Vorgänge laufen unbewusst ab. Was wir bewusst wahrnehmen ist das "Endprodukt": z.B. "Der Ordner mit den Auswertungen liegt auf Ihrem Schreibtisch!". Da die Worte dieses Satzes sehr eindeutig und mit den in unserem Gedächtnis hinterlegten Bedeutungen identisch sind, ist diese Kommunikation unproblematisch. Problematisch wird es aber, wenn die Bedeutungen beim Sender und Empfänger unterschiedlich sind. Dies ist praktisch immer dann der Fall, wenn Ausdrücke mit unseren Emotionen und/oder Affekten zusammenhängen: „Ich freue mich, dass Sie so erfolgreich sind!“ - Aber welche Bedeutung haben die Begriffe Freude und Erfolg beim Empfänger? „Ich halte Sie für einen sehr einfühlsamen Kollegen!“ - Aber welche Bedeutung hat der Begriff Einfühlsamkeit? Ob wir wollen oder nicht, wir müssen uns eingestehen, dass bei der Kommunikation zwischen Menschen keine Bedeutungen übertragen werden können! Mit anderen Worten: Kommunikation zwischen zwei oder mehr Menschen ist niemals ein direkter Austausch von Informationen, sondern lediglich die Anregung zu wechselseitiger bewusster oder unbewusster Konstruktion von Bedeutungen! Beispiel: In einem Meeting mit dem Produktionsleiter, dem Vertriebsleiter, der Leiterin des Rechnungswesens und der Personalleiterin wollen Sie besprechen, mit welchen Maßnahmen im kommenden Quartal die Zielvorgaben des Unternehmens am besten erreicht werden können. Am Ende eines solchen Meetings denken alle, dass alles klar ist und jeder wüsste, was er zu tun hat. Subjektiv haben alle Beteiligten das Gefühl, sie hätten die Botschaften der anderen verstanden und wüssten, was zu tun ist. Objektiv ist aber nichts anderes passiert, als dass jeder mit einer individuellen Interpretation von Bedeutungen an die Arbeit geht. Die Folge ist dann häufig, dass jeder mit bestem Wissen und Gewissen und voller Tatendrang die (subjektiv) verstandenen Dinge umsetzt, sich aber darüber wundert, dass aus seiner Sicht alle anderen (subjektiv) etwas völlig anderes machen. Das objektive Ergebnis ist dann meist, dass alles völlig unkoordiniert, planlos und chaotisch abläuft und wir uns die Frage stellen: Warum verhalten sich die anderen anders als man es erwartet bzw. besprochen hat? Frei nach dem Motto: Jeder macht, was er will. Keiner macht, was er soll. Aber alle machen mit! Fazit: Erwartetes Verhalten ist die Ausnahme, Missverständnisse sind der Normalfall! Damit ist aber der Einflussfaktor Kommunikation keineswegs als Problemfaktor bei der Verhaltensänderung ausreichend identifiziert. Neben der Problematik andere zu verstehen, gibt es noch eine weitere Schwierigkeit, nämlich sich selbst zu verstehen. Vielleicht denken Sie jetzt, dass dies totaler Blödsinn ist. Es mag ja sein, dass es schwierig ist andere zu verstehen, aber doch nicht, wenn es dabei um einen selbst geht?! Mal sehen, ob Sie auch noch nach dem nächsten Kapitel dieser Meinung sind. 7. Warum es uns so schwer fällt uns selbst zu verstehen Haben Sie sich schon einmal Fragen, wie diese gestellt: Warum habe ich so und nicht anders gehandelt? Warum habe ich vor einem bestimmten Ereignis Angst? Warum fühle ich mich von einer bestimmten Situation bedroht? Warum reagiere ich auf bestimmte Vorkommnisse zornig? Diese und ähnliche Versuche unsere wahren eigenen Motive zu ergründen, führen meist zu keinem wirklich objektiven Ergebnis. Aber warum ist das so? Nun, was wir fühlen ist das Ergebnis dessen, was uns unsere Großhirnrinde, also unser Bewusstsein, signalisiert. Das, was uns aber unsere Großhirnrinde signalisiert, ist wiederum das Ergebnis von Erregungen, die in tiefer gelegenen Arealen, wie z.B. in der Amygdala und dem mesolimbischen System, entstehen. Und das, was dort entsteht ist wiederum maßgeblich von unseren bereits erwähnten genetischen Veranlagungen und unserer vor- und frühnachgeburtlichen Prägung, also unserem Unbewusstsein abhängig. Was also in unserer Großhirnrinde als bewusste Gefühle oder Motive entsteht, sind Interpretationen der Erregungen aus den unbewusst arbeitenden limbischen Zentren. Was wir bewusst wahrnehmen ist also immer eine Interpretation und nicht das Original! Unsere Großhirnrinde hat also u.a. die Funktion eines Übersetzers. Und unser gesamtes Denken, Fühlen und Handeln ist abhängig davon, wie genau unsere Großhirnrinde die Signale der limbischen Zentren übersetzt. Was hier geschieht, lässt sich am besten an folgendem Beispiel nachvollziehen: Stellen Sie sich einmal vor, sie führen eine schwierige Vertragsverhandlung, bei der es u.a. anderem auch um den Preis geht. Diese Verhandlung führen Sie mit einem Gesprächspartner, dessen Sprache Sie nicht verstehen und der auch Ihre Sprache nicht versteht. Aus diesem Grund ziehen Sie einen Dolmetscher hinzu. Der Erfolg oder Misserfolg Ihrer Vertragsverhandlung ist maßgeblich davon abhängig, ob der Dolmetscher Ihre Aussagen und die Ihres Gesprächspartners eindeutig übersetzt und ob er den Sachverhalt richtig begreift. Dies können wir aber nicht beurteilen und so machen wir uns immer einen Reim darauf, was uns der Dolmetscher sagt. Im ungünstigen Fall endet unsere Vertragsverhandlung mit dem Ergebnis, dass wir den verhandelten Preis zahlen, aber nie erfahren werden, ob dieser nun besonders günstig oder überteuert war. Natürlich hinkt dieses Beispiel ein wenig, denn schließlich können wir als guter Beobachter Rückschlüsse aus den Gesten und der Mimik unserer Verhandlungspartners ziehen. Außerdem kennen wir den Markt und wissen, welche Preise üblich sind. Aber können wir das auch, wenn es um unsere Selbsteinschätzung geht? Ein kluger Mann sagte einmal: "Die Intelligenz der Menschen wird nur durch ihre Fähigkeit zur Selbsttäuschung übertroffen!". Was aber passiert, wenn wir uns überschätzen und unsere durch z.B. Ehrgeiz und Machthunger gesteckten Ziele nicht erreichen? Und wie wirkt sich das auf unser Verhalten aus? Was dabei abläuft, wollen wir uns als nächstes anschauen. 8. Wie wir uns und andere täuschen Unabhängig davon, welche der gleich aufgezeigten Verhaltensmuster wir verwenden, es geht in solchen Situationen immer um folgendes: Es geht darum eine tiefe Verwundung, die z.B. durch Niederlagen, Fehlentscheidungen oder auch durch Beschämungen verursacht wurde, so zu kompensieren, dass wir damit leben können. Um dies zu erreichen gibt es nun unterschiedlichste Handlungsmuster: Eine Möglichkeit besteht in der Selbstberuhigung. Sie findet auf der kognitiven und bewusst-emotionalen Ebene statt: "Der Job war sowieso nicht der richtige für mich. Gut, dass es endlich ein Ende hat!" "Ich wollte ja nur meine Pflicht tun!" "Schade, dass es nicht geklappt hat, aber keiner kann sagen, ich hätte nicht meinen guten Willen gezeigt!" "Was soll`s. Es gibt auch noch Wichtigeres im Leben!" Diese Strategie ist aber nur selten erfolgreich, da sie nur auf der kognitiven und bewusst-emotionalen Ebene abläuft. Die Verwundung der limbischen Ebene bleibt. Wie behaupten viele Wissenschaftler zu Recht: Die Amygdala vergisst nie! Erfolgsversprechender ist dann schon die Strategie der Schuldzuweisung: "Es gab einfach zu viele Dinge, die ich nicht beeinflussen konnte!" "Mit diesen inkompetenten Teamkollegen konnte ich mein Ziel auch nicht erreichen!" "Wer hätte denn ahnen können, dass meine Gegenspieler zu unmoralischen oder gar illegalen Mitteln greifen!" "Eigentlich war ein Scheitern vorprogrammiert. Mit den geringen Mitteln, die die Geschäftsleitung bereitstellte, konnte es ja auch nicht klappen!" Mit dieser Strategie erreicht man zumindest, dass es unseren limbischen Ebenen möglich ist die Verwundung zu ertragen. Und wenn das auch nichts hilft, dann gibt es immer noch die Strategie des verkannten Genies. "Was kann ich dafür, wenn man meine Talente nicht erkennt!" "Meine Strategie war genial, aber die anderen waren zu dumm sie zu verstehen!" Das Ziel, das hinter solchen Verhaltensmustern steckt ist immer dasselbe: Ereignisse, die unser neuronales Gleichgewicht stören werden solange interpretiert, relativiert und filtriert, bis sie uns ein bewusst, aber subjektiv befriedigendes Bild liefern, mit dem wir leben können. Wir sehen also, von welchen teilweise banalen und trivialen Dingen es abhängt, sich und andere zu verstehen und es eröffnet uns ein Gespür dafür, wie problematisch und aufwendig es dem zu Folge ist, Verhaltensänderungen zu bewirken. Vielleicht stellen Sie sich sogar die Frage, ob unter Berücksichtigung dieser Kenntnisse überhaupt eine Verhaltensänderung bei sich selbst und anderen möglich ist! Dieser Frage wollen wir in den beiden nächsten Kapiteln auf den Grund gehen. Und zwar zunächst im Sinne von: Können wir andere verändern? Und danach: Können wir uns selbst verändern? 9. Wie wir andere verändern können Klar geworden dürfte inzwischen sein, dass viele Menschen bei äußeren Einflüssen (Niederlagen, Fehlentscheidungen, usw.) oft in bemerkenswerter Weise in der Lage sind, diese auszugleichen. Einer der bekanntesten Professoren der Persönlichkeitspsychologie ist Prof. Dr. Jens Asendorpf. Er promovierte an der Yale-University und ist heute Professor an der Humboldt-Universität in Berlin. Er sagte einmal: "Menschen suchen sich i.d.R. diejenigen Lebensumstände, die zu Ihrer Persönlichkeit passen, anstatt sich in ihrer Persönlichkeit und Lebensauffassung den wechselnden Lebensumständen anzupassen." Dass dies zutrifft zeigt sich u.a. darin, dass die meisten Menschen weitermachen wie bisher, selbst wenn Veränderungen mit Vorteilen verbunden sind. Obwohl dies auf den ersten Blick irrational erscheint, tun dies die meisten Menschen und zwar aus einem einzigen Grund: Ein Weitermachen wie bisher gibt ihnen das Gefühl von Sicherheit und Routine. Neues hingegen ist i.d.R. immer mit der Gefahr des Scheiterns verbunden - und das gilt es zu vermeiden. Menschen zu verändern ist also sehr schwer, und zwar umso schwerer, je älter sie sind und je tiefer die Veränderungen greifen. Sich von einem alten Computer zu trennen und sich einem neuen schnelleren Computer zu öffnen, erfordert meist keine großen Veränderungsstrategien. Sich aber von einer gewohnten Software zu trennen und sich einem neuen Programm mit neuen Features und Funktionen zu öffnen, kann hingegen schon zu gravierenden Eingriffen führen. Auch wenn es darum geht von einem Büro in ein anderes umzuziehen, fällt diese Veränderung den meisten leicht. Ist diese Veränderung aber mit einem neuen Arbeitsgebiet und neuen Aufgaben verbunden, sieht es schon wieder ganz anders aus. Was können wir also tun, um subjektiv unangenehme Veränderungsprozesse, die objektiv vielleicht sogar mit Vorteilen verbunden sind, dennoch zu meistern? Die in der Praxis am häufigsten verwendeten Strategien sind folgende: Der Befehl von oben Der Appell an die Einsicht Weniger häufig findet man eine dritte Strategie: 3. Die Orientierung an der Persönlichkeit Schauen wir uns diese drei Strategien und ihre Wirkungsweise einmal genauer an: Die erste Strategie, also die Strategie der Befehlsgewalt, ist die verbreiteste, unter vielen Vorgesetzten die beliebteste (weil bequemste), aber sie ist auch die wirkungsloseste von allen. Die Wirkungslosigkeit dieser Strategie kann nur noch getoppt werden, indem die Gründe, warum etwas geändert werden soll, inhaltlich nicht begründet werden. Nicht nur das die Strategie der Befehlsgewalt die wirkungsloseste ist, sie wirkt oft auch noch wie ein Schuss nach hinten, da die Anweisungen und einzuführenden Maßnahmen oft als Strafandrohung empfunden werden, was dann bei den Mitarbeitern zu Vermeidungsverhalten (Kopf einziehen) und Stress führt. Diese Rahmenbedingungen sind der Tod für jede Form der Kreativität. Die aber ist gerade in schwierigen Umstellungsphasen eines Unternehmens sehr wichtig. Erinnern Sie sich noch, welche Fragen sich die zweite Ebene unserer Persönlichkeit (Die Ebene der emotionalen Konditionierung) stellt? Sie ist das "Kleinkind" in uns und fragt sich: "Was habe ich davon? „Was nützt mir das?“ „Was bringt mir das?". Befehle von oben geben aber auf diese Fragen keine befriedigenden Antworten.Die zweite Strategie, der Appell an die Einsicht, verläuft ebenfalls meist ohne die gewünschte Wirkung. Es werden zwar nachvollziehbare Gründe für die notwendigen Veränderungen dargestellt, auch ist den Mitarbeitern die Notwendigkeit der Maßnahmen bewusst. Dennoch, auch diese Strategie bleibt ohne nachhaltige Wirkung und bewirkt, wenn überhaupt, nur ein oberflächliches Verständnis. Die Gründe hierfür liegen darin, dass durch die Strategie der Einsichtsvermittlung nur die dritte Ebene unserer Persönlichkeit (Die Ebene der limbischen Großhirnrinde) erreicht wird, aber auch hier werden die egoistischen Motive der zweiten Ebene (Die Ebene der emotionalen Konditionierung) nicht erreicht. Die Mitarbeiter sehen zwar ein, dass die Veränderungen notwendig sind. Auch steht es außer Frage, dass es ohne die geforderten Maßnahmen nicht gut gehen wird. Aber auch hier wird das "Kleinkind" in uns Fragen stellen wie: "Warum ausgerechnet ich und nicht andere?“ „Hätte man das nicht auch anders lösen können?" Das Verständnis ist zwar vorhanden, aber die Verwundung bleibt (Die Amygdala vergisst nichts und verzeiht nichts!). Die Folge der Strategie der Einsichtsvermittlung wird sein, dass Mitarbeiter in ihrem Fleiß nachlassen, schweigsamer und teilnahmsloser werden und vielleicht sogar krank werden. Oder sie werden kritischer und entwickeln sich zu Nörglern und Querulanten. Die dritte Strategie, die Strategie der Orientierung an der Persönlichkeit, ist die effektivste bei der Erreichung von Verhaltensänderungen. Aber sie ist auch die komplexeste und aufwendigste. Bei dieser Strategie geht es darum die gewünschte Verhaltensänderung unter Wahrung der Selbstachtung und unter Berücksichtigung der Fähigkeiten der Mitarbeiter zu erzielen. Und das erreicht man eben nicht durch Befehle und/oder Appelle, sondern nur, wenn man die individuellen Persönlichkeitsmerkmale der Mitarbeiter erkennt und nutzbar macht. Diese Strategie ist u.a. deswegen so aufwendig und schwierig, weil man die individuellen Persönlichkeitsmerkmale der Mitarbeiter nicht kennt und selbst, wenn man versucht sie in Erfahrung zu bringen, so ist es nur sehr schwer möglich, diese verbal zum Ausdruck zu bringen. Der Idealzustand wäre, dass der Vorgesetzte bzw. Entscheider das Verhalten der Mitarbeiter genau beobachtet und ihre Reaktionen in bestimmten Situationen genau kennt. den jeweiligen Persönlichkeitstyp seiner Mitarbeiter genau kennt (Handelt es sich um den zuverlässigen und zuversichtlichen Typ, den ängstlichen und auf vermeiden ausgerichteten Typ oder den Macher- und unkontrollierbaren Typ). die Vorzüge und Neigungen der Mitarbeiter kennt das Stressmanagement der Mitarbeiter kennt (wie verhält sich ein Mitarbeiter unter Zeit- bzw. Erfolgsdruck) die unbewussten Motive und die bewussten Ziele der Mitarbeiter kennt. welche Formen der Belohnung die Mitarbeiter ansprechen. All dies ist ziemlich mühevoll und erfordert ein großes Einfühlungsvermögen. Aber es ist der einzige wirkungsvolle Weg um die gewünschte Verhaltensänderung zu bewirken, denn die Berücksichtigung der genannten Punkte dient dem Zweck, den Mitarbeiter dazu zu bringen, dass er in den Veränderungen Chancen für sich sieht, dass er sich verwirklichen kann und man ihm die Belohnung zukommen lassen kann, die er für eine kreative und konstruktive Mitarbeit benötigt. Hinzu kommt, dass diese Strategie sehr zeitaufwendig ist und man damit nicht erst dann anfangen kann, wenn die Verhaltensänderung unmittelbar erforderlich ist. Dann ist es i.d.R. zu spät die Mitarbeiter zu studieren und die Folgen wie Frust, Demotivation und Kündigung sind vorprogrammiert. Ein weiterer sehr wichtiger Aspekt ist das vorbildliche Verhalten eines Vorgesetzten. Und dabei geht es vor allem um Tugenden wie z.B. Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, Pflichtbewusstsein, Höflichkeit und Gewissenhaftigkeit. Der Grund hierfür ist, dass sich bei jedem persönlichen Gespräch der Gesprächspartner meist unbewusst folgende Fragen stellt: Warum soll ich ihm vertrauen? Was sagt mir, das er hinter dem steht, was er von mir erwartet? Woher soll ich wissen, dass er es ehrlich mit mir meint? Fazit: Menschen zu verändern ist nur in sehr engen Grenzen möglich. Will man aber das, was machbar ist nutzen, so geht dies nur, wenn man die Persönlichkeit der Menschen respektiert und das wiederum gelingt nur, wenn man sich selbst immer wieder bewusst macht, worum es eigentlich geht: Ich will, dass du deine Möglichkeiten kreativ nutzt und erweiterst! Ich bin bereit mir Zeit zu nehmen, dich kennen zu lernen! Ich bin bereit dir die Zusammenhänge ausführlich zu erklären! Ich werde alles tun, damit du deinen individuellen Vorteil erkennst! Ich will dir gerne zuhören! Es wird sich für uns beide lohnen! Ich bin glaubwürdig und werde dir ein Vorbild sein! Wenn es uns gelingt diese Sätze nicht nur zu lesen, sondern zu leben, so sind die Chancen zur Veränderung, im Rahmen der genannten Grenzen, sehr groß. Wie aber schaut es aus, wenn es darum geht sich selbst zu ändern? Genau dieser Thematik werden wir uns nun widmen. 10. Wie wir uns selbst verändern können Auch bei der Selbstveränderung sind uns enge Grenzen gesteckt. Und bevor wir uns die Möglichkeiten der Selbstveränderung näher anschauen, müssen wir uns folgendes bewusst machen: Wenn wir über Selbstveränderung sprechen, so kann sich dies nur auf Veränderungen der persönlichen Lebensweise beziehen, nicht aber auf umfangreiche Änderungen der Charaktereigenschaften. Was bei dem Versuch der Selbstveränderung besonders bemerkenswert ist, ist die Vorstellung, dass es doch eigentlich sehr leicht sein müsste sich selbst zu verändern - man muss es doch eigentlich nur wollen! Wenn uns andere verändern wollen, dann können wir uns dem verweigern. Wenn wir uns aber selbst ändern wollen und es auch wirklich wollen - wie können wir uns denn dann selbst verweigern? Das, was hier erst einmal logisch klingt, ist aber genau das Problem: Wie oft haben wir uns schon Dinge vorgenommen, die wir wirklich wollten? Wir wollten abnehmen, das Rauchen aufgeben, mehr Sport treiben, uns mehr Zeit für uns und unsere Familie nehmen, weniger ärgern und aufregen, häufiger mal ausspannen, nicht mehr so viel streiten, u.v.m. Diese oder andere Veränderungen wollten wir wirklich aus innerster und tiefster Überzeugung umsetzen. Und was war das Ergebnis? Unsere Vorsätze waren wie ein Startschuss, dem aber meist kein Rennen folgte! Aber wie kann das sein? Nun, der Grund hierfür liegt darin, dass sich unserem bewussten Willen unser unbewusstes Selbst auf der ersten und zweiten limbischen Ebene entgegensetzt. Möchte ich mich also selbst verändern, dann muss ich auch hier nach Möglichkeiten suchen, wodurch sich diese limbischen Ebenen meiner Persönlichkeit fügen. Und damit stehen wir vor der gleichen Herausforderung, wie wenn wir jemand anderen ändern wollen. Dies gelingt nicht, wie wir gehört haben, über Befehle (Ich muss mich jetzt ändern!) oder Einsicht (Rauchen ist ungesund!), da ich hierdurch lediglich die bewussten und rationalen Ebenen anspreche. Es funktioniert nur über Vorbildfunktion, Einfühlungsvermögen, Glaubwürdigkeit und eine individuelle Belohnungsstrategie. Nur darüber erreiche ich die limbischen Ebenen. Wie aber soll ich denn mir selbst gegenüber Vorbild sein, einfühlsam sein und mich glaubwürdig verhalten? Wenn ich über diese Eigenschaften verfüge, dann doch nur deshalb, weil meine unbewussten limbischen Ebenen mich dazu gemacht haben - aber nicht umgekehrt! Ganz genau - und deswegen funktionieren auch so viele gute Vorsätze nicht. Es ist uns kaum möglich durch unsere kognitiv-kommunikative Ebene unsere unbewusst limbischen Ebenen zu beeinflussen. Wenn das so ist, was bleibt dann noch an Möglichkeiten, um sich selbst zu ändern? Das einzige, was bleibt um unsere limbischen Ebenen begrenzt "weich zu klopfen", ist die Selbstmotivation. Selbstmotivation ist nötig, wenn Zweifel aufkommen, wenn ich anfange die Sinnfrage zu stellen, oder wenn ich glaube, dass ich etwas nicht schaffen werde. Genau in solchen Momenten beweist es sich, dass sich unsere Persönlichkeit tatsächlich aus den beschriebenen vier Ebenen zusammensetzt. Unsere Bewusstseinsebenen (dritte und vierte Ebene) sagen uns: "Stell dich nicht so an, halte durch! Du schaffst das schon! Streng dich an!". Und unsere unbewussten Ebenen (erste und zweite Ebene) signalisieren uns Versagensängste, Mutlosigkeit oder Überforderung und üben sich in Vermeidungsstrategien. Der erste und wichtigste Schritt zur Selbstveränderung ist in solchen Situationen die Frage nach den Alternativen: Was tue ich, wenn ich die Umsatzvorgaben nicht erfülle? Was tue ich, wenn ich den Job an den Nagel hänge? Was tue ich, wenn ich das Projekt abbreche? Gibt es hierzu Alternativen, so kann man in Erwägung ziehen, diese anzugehen. Das aber wiederum hängt wieder von dem Temperament und der Persönlichkeitsstruktur ab. Außerdem ist es meist so, dass wenn man erst einmal entmutigt ist, dann ist man es auch in Bezug auf die Alternativen. Man wird im wahrsten Sinne des Wortes zerrissen:Auf der einen Seite zieht die Notwendigkeit zur Veränderung und auf der anderen Seite zieht die Angst vor Veränderung! Kommt dann noch hinzu, dass man die äußeren Umstände nicht verändern kann, so hat man nur eine Chance: Ich muss mich verändern! Man ist dann sich selbst gegenüber in der gleichen Situation, wie ein Vorgesetzter gegenüber einem Mitarbeiter, den er ändern will. Was dort funktioniert, funktioniert auch bei einem selbst und was dort nicht funktioniert, funktioniert auch bei der eigenen Verhaltensänderung nicht. Wenn also auf die eigene Veränderungsmöglichkeit bezogen nur die Selbstmotivation übrig bleibt, wie muss diese dann gestaltet sein? Im wesentlichen gibt es 4 Möglichkeiten der Selbstmotivation: Vorbilder oder Idole suchen Suchen Sie sich einen Menschen, der einmal in einer ähnlichen Situation war und es dennoch geschafft hat. Einen Kollegen, einen Vorgesetzten oder eine Person des öffentlichen Lebens. Eifern Sie dieser Person nach. Fragen Sie sich: "Was kann der, was ich nicht auch schaffen könnte? - Nichts! Ziele setzen Setzen Sie sich klare und eindeutige Ziele. Was will ich wann, wie und mit welchen Maßnahmen erreichen? Am besten funktioniert dies, wenn Sie Ihr Ziel in einem Bild zum Ausdruck bringen können. Diese Vorgehensweise funktioniert aber nicht per einmaligem Willensakt, sondern muss durch tägliche, wiederholende Übungen eingeübt und dann mittel- bis langfristig automatisiert werden. Man spricht hier von anhaltender Selbstkonditionierung. Kleine Schritte Stecken Sie sich Teilziele. Durch diese Strategie der kleinen Schritte, verschaffen Sie sich selbst häufiger Erfolgserlebnisse, die Sie bestärken und Ihnen Mut machen. Selbstbelohnung Belohnen Sie sich selbst, wenn Sie Ihre Vorgaben erreicht haben mit einer Kleinigkeit.Bei den eingrenzten Möglichkeiten der Selbstveränderung geht es letztendlich immer darum, emotionale Schwierigkeiten durch Automatisierung und Routinisierung zu beheben. Um das zu erreichen benötigen wir Anfangs Vorbilder oder Idole, die wir bewundern oder anerkennen. Und wir benötigen konkrete Ziele, die wir dann in kleinen Schritten und kombiniert mit einer individuellen Belohnungsstrategie umsetzen. Wir sehen also: Man kann sich durchaus selbst verändern, wenn man es richtig angeht. Leider funktioniert das alles aber nur, wenn die eigene Persönlichkeitsstruktur dies zulässt. Ist dies nicht der Fall benötigen wir Hilfe von außen. Dies kann ein guter Coach, ein geeigneter Therapeut oder in sehr schwierigen Fällen auch ein qualifizierter Arzt sein, wobei die Betonung auf gut, geeignet und qualifiziert liegt. Fazit: Wir sehen, dass sowohl die eigene Verhaltensänderung als auch die Verhaltensänderung bei anderen ein sehr schwieriges Gebiet ist. Dennoch gibt es Mittel und Wege dies, wenn auch in begrenztem Umfang, zu bewirken. Und oft, wenn leider auch nur selten, sind diese Mittel und Wege einfacher anzuwenden als wir denken. Lassen Sie uns daher die wichtigsten Stationen dieses Themas noch einmal zusammenfassen. 11. Zusammenfassung Bei der Verhaltensänderung müssen wir zunächst einmal drei mögliche Formen unterscheiden: Verhaltensänderung aus eigenem Antrieb. Verhaltensänderung durch andere Personen Verhaltensänderung durch äußere Ereignisse Unser Denken, Fühlen und Handeln ist genauso wie die Bildung unserer Persönlichkeit das Ergebnis vieler gleichzeitig oder aufeinander folgender Aktivitäten in den unterschiedlichsten Gehirnarealen. Im Zusammenhang mit dem Thema der Verhaltensänderung spielt die Entwicklung unserer Persönlichkeit eine entscheidende Rolle. Diese Entwicklung vollzieht sich im wesentlichen auf 4 Ebenen unseres Gehirns: Die Ebene der vegetativen-affektiven Steuerung Sie ist die unterste Ebene und entsteht bereits in der 7. Schwangerschaftswoche. Die hier stattfindenden Antriebe und Affektzustände sind unser stammesgeschichtliches Erbe und sind weitgehend genetisch bedingt. Die Ebene der emotionalen Konditionierung Diese Ebene entsteht durch genetische Vorgaben, durch vorgeburtliche Prägung und frühkindliche psychosoziale Erfahrungen. Sie ist das „Kleinkind“ in uns und bleibt ein Leben lang egoistisch-egozentrisch. Die Ebene der limbischen Großhirnrinde Auf dieser Ebene geht es schwerpunktmäßig um Sozialverhalten, Aufmerksamkeitssteuerung, Risikoeinschätzung und das bewusste Gefühlsleben. Die Entwicklung dieser Ebene vollzieht sich von der frühen Kindheit bis ins Erwachsenenalter. Auf dieser Ebene lernen wir Fähigkeiten, die uns die Anpassung an natürliche und gesellschaftliche Einflüsse ermöglichen. Die Ebene der kognitiv-kommunikativen Funktionen Sie umfasst den präfrontalen Cortex als Sitz des Arbeitsgedächtnisses, des Verstandes und der Intelligenz. Und sie umfasst unsere Sprachzentren. Diese Ebene hat am wenigsten mit unserer Persönlichkeitsentwicklung zu tun. Sie entsteht in den späten Phasen der vorgeburtlichen Entwicklung und reicht bis ins Erwachsenenalter hinein. Die Wirkung der unteren Ebenen auf die oberen Ebenen ist wesentlich größer als umgekehrt. Ein aufgeschlossenes Temperament (Ebene 1) und eine positive emotionale Konditionierung (Ebene 2) machen es den gesellschaftlichen und erzieherischen Einflüssen (Ebene 3) leicht, und das Kind wird sich gesellschaftlich umgänglich und anpassungsfähig entwickeln. Umgekehrt wird es kaum möglich sein, ein verschlossenes und misstrauisches Kind (Ebene 1), das zudem traumatisierende Erfahrungen gemacht hat (Ebene 2) zu einer offenen und anpassungsfähigen Persönlichkeit (Ebene 3) zu entwickeln - da hilft auch die beste soziale Umgebung nur wenig. Ein besonderes Phänomen bei der Persönlichkeitsentwicklung ist, dass Verstand und Vernunft sich unterschiedlich entwickeln. Die Ursache hierfür besteht darin, dass die Areale des Gehirns, die für Verstand und Intelligenz zuständig sind (präfrontaler Cortex) nur verhältnismäßig wenig in Kontakt mit den Arealen stehen, die unsere soziale Vernunft steuern (limbische Areale). Hierin liegt die Begründung, dass es durchaus sein kann, dass jemand sehr intelligent aber nicht vernünftig i.S. sozialer Emotionalität ist. Bei der Frage nach den Möglichkeiten der Verhaltensänderung sind neben den grundlegenden Faktoren wie genetische Veranlagung, frühe Mutter-Kind-Beziehung und soziale Rahmenbedingungen auch neurobiologische Defizite nicht zu unterschätzen. Die Ursachen hierfür sind oft Stress, Leistungsdruck, falsche Ernährung, mangelnde Bewegung oder fehlende Entspannung. Ein Mangel des wichtigen Neurotransmitters Serotonin bewirkt z.B. ein Gefühl der Beunruhigung oder ruft das Gefühl des Bedrohtseins hervor. Weitere Einflussfaktoren bei der Verhaltensänderung finden wir in der Kommunikation. Wenn Menschen miteinander kommunizieren ist es nicht möglich Bedeutungen zu übertragen. Die Aussage „Der Ordner liegt auf dem Schreibtisch“ ist eindeutig und unmissverständlich. Die Aussage „Ich freue mich, dass Sie so erfolgreich sind“ ist hingegen mehrdeutig, da die Begriffe „Freude“ und „Erfolg“ an individuelle Emotionen gekoppelt sind. Kommunikation zwischen zwei oder mehr Menschen ist niemals ein direkter Austausch von Informationen, sondern lediglich die Anregung zu wechselseitiger bewusster oder unbewusster Konstruktion von Bedeutungen! Auch wenn es darum geht sich selbst zu verstehen, treten diese Probleme auf. Was wir fühlen ist das Ergebnis dessen, was uns unsere Großhirnrinde, also unser Bewusstsein, signalisiert. Das, was uns aber unsere Großhirnrinde signalisiert, ist wiederum das Ergebnis von Erregungen, die in tiefer gelegenen Arealen, wie z.B. in der Amygdala und dem mesolimbischen System, entstehen. Und das, was dort entsteht ist wiederum maßgeblich von unseren bereits erwähnten genetischen Veranlagungen und unserer vor- und frühnachgeburtlichen Prägung, also unserem Unbewusstsein abhängig. Was also in unserer Großhirnrinde als bewusste Gefühle oder Motive entsteht, sind Interpretationen der Erregungen aus den unbewusst arbeitenden limbischen Zentren. Einer der gefährlichsten Einflußfaktoren bei der Verhaltensänderung ist das täuschen von sich selbst und anderen. Diese geschieht häufig, wenn sich jemand überschätzt hat oder seine Ziele nicht erreicht. Wenn dies geschieht geht es immer darum, eine tiefe Verwundung zu kompensieren, was sich dann in verschiedenen Handlungsmustern ausdrückt. Mögliche Handlungsmuster sind dann: „Die Strategie der Selbstberuhigung“ „Die Strategie der Schuldzuweisung“ oder „Die Strategie des verkannten Genies“. Es ist also nicht so einfach sich oder andere zu ändern. Wenn es darum geht andere zu ändern werden in der Praxis meist folgende Strategien angewendet:’ Der Befehl von oben Der Appell an die Einsicht Beide Strategien funktionieren i.d.R. nicht oder nicht dauerhaft, da man hiermit nicht die Ebene der emotionalen Konditionierung, also das „Kleinkind“ in uns erreicht. Die einzige Strategie die Aussicht auf Erfolg hat, ist die Orientierung an der Persönlichkeit Bei dieser Strategie geht es darum die gewünschte Verhaltensänderung unter Wahrung der Selbstachtung und unter Berücksichtigung der Fähigkeiten eines Menschen zu erzielen. Diese Strategie ist allerdings sehr aufwendig, da sie voraussetzt, dass man die individuellen Persönlichkeitsmerkmale eines Menschen gut kennt. Der erste und einfachste Schritt hin zur Orientierung an der Persönlichkeit ist aber recht einfach: Man sollte mit den Menschen häufiger über persönliche Gespräche und weniger über Emails oder Chats kommunizieren, da bei diesen modernen Medien keine wirklichkeitsgetreuen Emotionen übertragen werden. Ein weiterer sehr wichtiger Aspekt ist die Vorbildfunktion desjenigen, der einen anderen verändern möchte. Und dabei geht es vor allem um Tugenden wie Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, Pflichtbewusstsein, Höflichkeit und Gewissenhaftigkeit. Auch wenn es darum geht sich selbst zu ändern sind die Grenzen eng gesteckt. Erschwerend kommt hinzu, dass man sich selbst gegenüber ja kein Vorbild sein kann, denn wenn man bereits über alle tollen Vorbildeigenschaften verfügt, dann ja nur deshalb, weil uns unsere limbischen Ebenen dazu gemacht haben, aber nicht umgekehrt. Das einzige was hier hilft um die limbischen Ebenen „weich zu klopfen“ ist die Selbstmotivation. Diese Selbstmotivation ist immer dann nötig, wenn Zweifel aufkommen, man sich die Sinnfrage stellt, oder wenn man glaubt es nicht zu schaffen. Dabei gibt es im wesentlichen 4 Möglichkeiten: Vorbilder und Idole suchen Ziele klar formulieren Teilziele stecken (kleine Schritte) Selbstbelohnung
- Burnout und Depression
Wie der Traumjob zum Alptraum werden kann. Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 2. Die Fakten sprechen für sich 3. Was ist Burnout und was ist Depression? 4. Wer ist betroffen? 5. Organisch oder psychisch? 6. Die Komplexität des Gehirns 7. Bildgebende Verfahren 8. Biochemische Prozesse 9. Funktionelle Prozesse 10. Ein Blick in die Zukunft 11. Warnsignale 12. Bin ich betroffen? 13. Wo lauert die Gefahr? 14. Die 3 Säulen der individuellen Prävention 15. Regeneration 16. Delegation 17. Grenzen erkennen 18. Chancen für die Zukunft Burnout und Depression Wie der Traumjob zum Alptraum werden kann 1. Einleitung Es war an einem Herbsttag im Jahre 2003 als ein Taxi durch Berlin fuhr. Im Wagen saß kein geringerer als Deutschlands bekanntester Depressionsforscher und Leiter des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München. Prof. Dr. Dr. Florian Holsboer. Er war auf dem Weg zu einer Wissenschaftsstiftung, die ihm für seine Arbeit in der Depressionsforschung einen Preis verliehen hatte. Plötzlich klingelte sein Handy und eine Stimme meldete sich: „Hier ist Uli Hoeneß. Die Bildzeitung hat herausgefunden, dass Sebastian Deisler bei Ihnen in der Klink liegt. Wir haben für morgen eine Pressekonferenz einberufen, und ich möchte Sie bitten, dabei zu sein.“ Was war geschehen? Eine Woche zuvor hatte der Vereinsarzt des FC Bayern, Dr. Müller-Wohlfahrt, bei Dr. Holsboer angerufen und ihn gebeten einmal dringend in das Haus von Sebastian Deisler zu fahren, er habe den Verdacht, dass es ihm psychisch sehr schlecht ginge. Also machte Holzboer sich auf den Weg nach Grünwald, wo er den Hoffnungsträger des FC Bayern und Nationalspieler schwer depressiv in seinem Haus vorfand. Dr. Holsboer führte mit ihm ein längeres Gespräch und erklärte ihm, dass es ihm nur dann besser gehen könne, wenn er sich stationär behandeln lasse. Sebastian Deisler willigte ein, bestand aber darauf, dass seine Erkrankung öffentlich bekannt gegeben wird. Nach einer insgesamt achtwöchigen Behandlung in der Klinik des Max-Planck-Instituts konnte Deisler wieder nachhause gehen und seine Trainingsarbeit aufnehmen. Einen Rückfall in die Depression hatte er nicht, obwohl dies einige Medien so darstellten. Leider zog sich Deisler bei seinen Spielen einige schwere Verletzungen zu, die ihn letztendlich veranlassten den Fußballsport aufzugeben. Was aber blieb, ist ein Mensch, der durch seine Offenheit im Umgang mit der Krankheit, für viele ein Held geworden ist. Seit dieser Zeit hat sich in Deutschland die Akzeptanz der Depression deutlich erhöht. Burnout und Depression sind inzwischen weit verbreitete Volkskrankheiten. Schätzungen gehen Jahr für Jahr von einer immer größer werdenden Anzahl von Erkrankten und Gefährdeten aus. Seit der Jahrtausendwende spitzen sich die Zustände in der Arbeitswelt weiter zu: Die Auswirkungen der Globalisierung, Technologische Entwicklungen, ständige Veränderungsprozesse und eine wachsende Informationsflut sind nur einige Faktoren, die unser berufliches und privates Leben beeinflussen und die von unserem Gehirn bewältigt werden müssen – was uns aber immer seltener gelingt. 2. Die Fakten sprechen für sich Der ehemalige Vorstandvorsitzende der Mercedes Benz AG, Werner Niefer, sagte Anfang der 1990er Jahre: „Am Schaffen ist noch keiner gestorben. Dass sie einen aus der Fabrik tragen, weil er zuviel gearbeitet hat, das habe ich noch nicht erlebt.“ Wie unsinnig diese Aussage war, beweisen heute Fakten und Zahlen: Die Anzahl der Berufsunfähigkeitsfälle wegen psychischer Beschwerden ist von 1997 bis 2004 um fast 70% gestiegen. 2007 machte der erste Fall von Berufsunfähigkeit wegen Burnout Schlagzeilen: Eine Versicherungsgesellschaft hatte nach dreieinhalb Prozessjahren gegen den Kläger verloren und musste rückwirkend 148.000 € Berufsunfähigkeitsrente zahlen. Im September des gleichen Jahres berichtete die Süddeutsche Zeitung unter dem Titel „Die Arbeit hat ihn umgebracht“ über eine Zunahme der Suizide bei Arbeitnehmern französischer Firmen. Am 17.09.2009 schrieb die Welt: „Selbstmordwelle bricht über France-Télécom herein“, und berichtete über 23 Suizidfälle in nur 18 Monaten wegen vermutlich schlechter Arbeitsbedingungen. Das statistische Bundesamt hat ermittelt, dass es im Jahr 2007 in Deutschland 9402 Selbstmorde gab. Die Zahl der Selbstmordversuche wird um ein vielfaches höher geschätzt. Dr. Ulrich Hegerl von der Universität Leipzig sagte in einer Fernsehsendung von 3sat: „Mindestens 90 Prozent der Menschen, die sich das Leben nehmen, haben eine psychische Erkrankung". Depression, als eine von vielen psychischen Krankheiten, ist hierbei besonders häufig vertreten. Diese Berichte zeigen uns, dass man Krankheiten wie Burnout und Depression keineswegs unterschätzen darf und dass es jeden treffen kann. Die Weltgesundheitsorganisation WHO und die Weltbank sehen unter den Krankheiten, die die Menschheit am stärksten belasten, die Depression im Jahr 2030 an zweiter Stelle – direkt hinter Aids! Anfang 2008 erschien eine Studie des Bundesarbeitsministeriums mit dem Titel „Unternehmenskultur, Arbeitsqualität und Mitarbeiterengagement in den Unternehmen in Deutschland“. Diese bis dahin größte Studie an mehr als 37.000 Arbeitnehmern brachte erschreckende Ergebnisse zu Tage. Demnach sind lediglich 31% der Beschäftigten aktiv und engagiert bei der Arbeit. 37% sind zwar zufrieden, aber wenig engagiert. 32% sind sogar unzufrieden und desinteressiert. Die Anzahl der „völlig zufriedenen“ sank von 2001 bis 2006 von 16% auf nur noch 6%. In dieser Studie konnte auch erstmals ein statistischer Zusammenhang zwischen Mitarbeiterengagement und Unternehmenserfolg nachgewiesen werden: 30% des finanziellen Unternehmenserfolges hängen davon ab, ob die Mitarbeiter mit ihrer Arbeit zufrieden sind oder nicht. Die wichtigsten Merkmale hierbei waren der Stolz auf das Unternehmen und die Identifikation mit dem Unternehmen. Fazit: Unternehmer und Personalleiter dürfen Mitarbeiter nicht als austauschbare Produktionsfaktoren betrachten – Mitarbeiter sind der Unternehmenserfolg. Wenn man ihre Talente fördert, sich um ihre Motivation kümmert, ihre Arbeitsbedingungen kritisch hinterfragt und im Dialog versucht, diese zu optimieren, profitieren alle davon. Aus all den zuvor genannten Gründen und Fakten wollen wir uns heute einmal mit dem Thema Burnout und Depression genauer beschäftigen und Antworten auf folgende Fragen suchen: Was ist Burnout und was ist Depression? Was sind die Ursachen? Welche Erkenntnisse hat die Gehirnforschung? Wie erkenne ich, ob ich gefährdet bin Wie kann ich mich schützen? Fangen wir mit der ersten Frage an: Was ist Burnout und was ist Depression? 3. Was ist Burnout und was ist Depression? Heutzutage fordert das Berufsleben oftmals Phasen starker Belastung. In diesen Phasen muss man dann vielleicht für Monate so richtig ranklotzen und fühlt sich am Ende wie eine ausgequetschte Zitrone. Aber ist das schon Burnout oder Depression? Oder ist es nur eine vorübergehende Unlust am Beruf? In der Umgangssprache werden die Begriffe Burnout und Depression oftmals missverstanden oder falsch verwendet. In der Fernsehsendung „Wer wird Millionär“ sagte einmal Günther Jauch zu einem Kandidaten, der die richtige Antwort nicht wusste und das Gesicht verzog: „Sie müssen deswegen aber nicht gleich depressiv werden.“ Was er eigentlich meinte war aber, dass der Kandidat den Mut nicht verlieren muss, da er ja noch einen Joker besaß. Was aber ist nun Burnout und was ist Depression? Vereinfacht gesagt ist Burnout das Warnsignal, das eine Depression, oder auch eine andere Krankheit, anzeigt. Die Unterscheidung zwischen Burnout und Depression ist daher auch nicht ganz so einfach, da viele Symptome, wie Antriebslosigkeit, Gereiztheit, Leistungseinschränkung oder der Verlust von Selbstvertrauen, in beiden Fällen vorkommen. Per Definition ist Depression eine psychische Krankheit, die u.a. durch Antriebslosigkeit, Niedergeschlagenheit, Kontaktarmut, Interesselosigkeit, gegebenenfalls Angstneurosen und Reizbarkeit sowie durch verschiedene körperliche Störungen gekennzeichnet ist. Unterschieden werden kann die Depression in leicht, mittel und schwer. Die Abgrenzung zu einer vorübergehenden Unlust am Beruf ist ebenfalls nicht einfach. Wenn Sie sich aber einmal folgende Fragen stellen, werden Sie sehr schnell ein Gefühl für die Einstufung Ihrer persönlichen Situation bekommen: Brauchen Sie mehr Zeit als früher, um sich von einem anstrengenden Projekt zu erholen? Sind Sie, anders als früher, extrem gereizt? Ist Ihnen das, was beruflich und privat passiert, immer öfter egal? Meiden Sie den Kontakt zu Freunden und Angehörigen? Je stärker Sie diese Fragen mit „Ja“ beantworten, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie erkrankt sind und ärztliche Hilfe benötigen. Einen ausführlichen Selbsttest werden wir aber noch später kennen lernen. 4. Wer ist betroffen? Depression ist kein neumodisches Krankheitsbild und sie ist auch nicht spezifisch für bestimmte Berufs- oder Personengruppen. Blättert man einmal in einschlägigen Büchern oder Internetseiten, dann findet man viele Namen berühmter Menschen, die an Depressionen gelitten haben sollen: Ludwig van Beethoven Napoléon Bonaparte Marlon Brando Frédéric Chopin Eric Clapton Charles Darwin Prinzessin Diana Peter Gabriel Audrey Hepburn Elton John John Lennon Abraham Lincoln Martin Luther Michelangelo Claude Monet Sir Isaac Newton Richard Nixon Johanna von Orléans Rainer Maria Rilke Theodore Roosevelt Keanu Reeves Peter Tschaikowsky George Washington All diese Beispiele zeigen, dass Depression eine Erkrankung ist, die die Entfaltung großer Talente nicht zwangsläufig verhindert – sei es im Sport, in der Politik, in der Kunst oder in der Wirtschaft. Dennoch muss man sich im Klaren darüber sein, dass Depression eine sehr gefährliche und sogar potentiell tödliche Krankheit ist, wie wir am Beispiel des Fußballers Robert Enke sehen konnten. 5. Organisch oder psychisch? Kennen Sie das auch? Der Arzt hat Sie aufgrund Ihrer Beschwerden untersucht, kann aber nichts finden. Und dann kommt einer der wohl am häufigsten ausgesprochen Sätze unter Ärzten: Organisch ist alles in Ordnung! Was Ihr Arzt damit meint ist, dass die Ursache Ihrer Beschwerden psychisch ist. An dieser Stelle sollten Sie Ihrem Arzt einmal die Frage stellen, ob aus seiner Sicht das Gehirn kein Organ sei. Dieses Beispiel zeigt aber auch, dass in vielen Ärzten noch immer Überbleibsel der dualistischen Körper-/Geist-Diskussion stecken. Auch wird bis heute in vielen Lehrbüchern die Depression noch immer in zwei Hauptdiagnosen unterschieden: Die neurotische Depression Die endogene Depression Bei der neurotischen Depression hatte ein belastendes Ereignis zu einer Veränderung von Befinden und Verhalten geführt. Dieses belastende Ereignis hatte z.B. in der Kindheit oder auch erst kürzlich stattgefunden. Merkmale dieser Form sind Traurigkeit, Antriebslosigkeit, negative Einstellungen und Selbstvorwürfe. Typisch für diese Patienten ist auch ein übermäßiges Streben nach Zuwendung. Menschen, die an dieser Form der Depression erkranken, sollten nach veralteten Methoden mit einer Psychotherapie oder einer Psychoanalyse behandelt werden. Bei der endogenen Depression, also bei der „von innen kommenden“ Depression ging man lange Zeit davon aus, dass sie durch Störungen im Stoffwechselprozess des Gehirns entstehe, also auf biologische Prozesse zurückzuführen ist und somit auch mit biologischen Methoden zu behandeln sei, also mit Medikamenten vom Typ der sogenannten Antidepressiva. Nachdem in großen Studien nachgewiesen wurde, dass die Zweiteilung in neurotische und endogene Depression weder für die Therapie noch für die Prognose hilfreich ist, wird heute diese Aufteilung von den meisten Ärzten nicht mehr vorgenommen. Die Mechanismen, die zu einer Depression führen, sind derart kompliziert, dass wir erst seit kurzem hoffen dürfen, mit modernen Methoden der Biologie und anderer Naturwissenschaften ihre Entstehung zu entdecken. Dennoch sind die Forschungsergebnisse, die man in den letzten Jahren vor allem in der Genetik erzielte sehr vielversprechend. Es wird aber noch viel Zeit vergehen, bis die neuen Erkenntnisse den Weg in die klinischen Praxen und offiziellen Diagnostik-Handbücher finden werden. Dies ist auch kaum verwunderlich. Sind es doch rund 100 Milliarden Gehirnzellen, die in Ihrer Funktion sowohl im Zellinneren als auch in ihrer Wechselbeziehung zu anderen Zellen stehen. Dieses gigantische Netzwerk zu verstehen ist daher von seinem Schwierigkeitsgrad her durchaus vergleichbar mit den zu lösenden Aufgaben über die Funktionsweise des Weltalls. Bevor wir uns die aktuellen Erkenntnisse der Gehirnforschung über die Depression anschauen, wollen wir uns erst einmal bewusst machen, mit welch komplexem Organ wir es bei unserem Gehirn zu tun haben. 6. Die Komplexität unseres Gehirns Unser Gehirn wiegt zwar nur rund 1,5 Kg und macht somit an unserem Gesamtgewicht nur ca. 2% aus, dennoch müssen je nach Körpergröße zwischen 0,8 und 1,2 Liter Blut pro Minute durch die feinen Gefäße unseres Gehirns fließen, damit genügend Sauerstoff zur Verfügung steht. Dabei verbraucht unser Gehirn fast die Hälfte der in das Blut freigesetzten Glukose, also Blutzucker. Da das Gehirn selbst keine Energievorräte anlegen kann, ist es gegenüber einem Mangel an Sauerstoff oder Blutzucker besonders empfindlich. Schon geringe biochemische Veränderungen können daher bereits psychische Erkrankungen auslösen. Auch wenn man inzwischen bestimmte Gehirnareale identifiziert hat, die für eine Depression besonders wichtig sind, darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass es immer die einzelnen Areale übergreifenden Netzwerke sind, in denen sich die Aktivität vieler Millionen Neuronen ausbreitet. Ist die Aktivität, also die Signalwirkung der Zellnetzwerke fehlgesteuert, kommt es zu Störungen und infolgedessen zu psychischen Krankheitssymptomen. Wie komplex die Netzwerke und Schaltkreise in unserem Gehirn sind, machen folgende Zahlen deutlich: Wie bereits erwähnt besteht unser Gehirn aus rund 100 Mrd. Gehirnzellen, sogenannten Neuronen. Von jedem einzelnen Neuron gehen Antennen, sogenannte Dendriten aus, über die die Signale anderer Neuronen empfangen werden. Über diese Dendriten steht jedes einzelne Neuron mit tausenden anderer Neuronen in Verbindung. Neben den Antennen, also den Dendriten, verfügt jedes Neuron auch über ein sogenanntes Axon, worüber die empfangenen Signale an andere Neuronen weitergeleitet werden. Die Signalübertragung selbst findet an den synaptischen Endigungen der Neuronen statt, die in einem sehr geringen Abstand von nur 20 Nanometern, also einem zwanzigmillionstel Millimeter, zueinander stehen. Diese Aufgabe übernehmen chemische Botenstoffe, die sogenannten Neurotransmitter. Wird also an einer synaptischen Endigung z.B. der Neurotransmitter Serotonin in den synaptischen Spalt freigesetzt, dann durchqueren diese den 20 Nanometer breiten synaptischen Spalt und docken an den Rezeptoren der synaptischen Endigung des nächsten Neurons an. Werden diese Rezeptoren nun z.B. durch Serotonin aktiviert, setzen sie in dem Neuron eine ganze Kaskade von biochemischen Prozessen in Gang. Es werden im Zellkern Gene aktiviert und neue Eiweißmoleküle und andere Substanzen synthetisiert. Diese Substanzen wandern dann entlang des Axons in die dazugehörige Synapse, um den gleichen Vorgang eine Zelle weiter zu wiederholen. Wenn wir uns nun einmal vorstellen, dass jede, der 100 Milliarden Gehirnzellen etwa mit 10.000 anderen Zellen über die Synapsen in Verbindung stehen, haben wir es mit rund 1000 Billionen Synapsen zu tun, die Signale weiterleiten können. In einem Kubikmillimeter unseres Gehirns befinden sich schätzungsweise 100 Millionen Synapsen! Wären diese 100 Millionen Synapsen eines einzigen Kubikmillimeters unseres Gehirns Stechnadelköpfe mit einem Durchmesser von 3 mm und würde man diese aneinanderreihen, so ergäbe dies eine Strecke von 600 Km, also etwa die Entfernung von Köln nach Berlin. Hinzu kommt, dass nicht nur die Neuronen alleine für die Signalübertragung im Gehirn zuständig sind. Auch die sogenannten Gliazellen, die sich in Form einer Myelinschicht am Axon eines Neurons befinden und bei ca. 70-80% aller Gehirnzellen vorkommen, haben einen erheblichen Einfluss. Nicht nur das diese Gliazellen das Axon schützen, die Geschwindigkeit der Signalübertragung erhöhen und für die Ernährung der Gehirnzellen zuständig sind. Diese Gliazellen sind auch von zentraler Bedeutung für die Blut-Hirn-Schranke und aktuellen Forschungsberichten zufolge auch mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit von zentraler Bedeutung bei der Entstehung von Depressionen. 7. Bildgebende Verfahren Von großer Bedeutung für die Hirnforschung sind die bildgebenden Verfahren, allen voran die funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT). Dieses Verfahren ermöglichst es uns Einblicke in das menschliche Gehirn zu gewinnen, indem der Glukoseverbrauch, als der Zuckerverbrauch, gemessen wird. Und da eine große Menge Blut in kurzer Zeit durch das Gehirn fließt, nämlich bis zu 1,2 Liter pro Minute, erstaunt es nicht, dass sich selbst kleinste Veränderungen im Glukoseverbrauch nachweisen lassen. Inzwischen gibt es fast schon unzählige Versuche, in denen durch dieses Verfahren positive als auch negative Emotionen in bestimmten Hirnarealen nachgewiesen werden konnten. Das die Begeisterung an solchen Versuchen sehr groß ist, ist verständlich. Widerlegen sie doch in eindrucksvoller Weise, wie wenig sinnvoll die dualistische Körper-/Geistdiskussion ist. Von Patienten, die an Depressionen erkrankt sind, weiß man, dass sie die Welt wie hinter einem dunklen Schleier erleben. Sie interpretieren Ereignisse negativ, können sich nicht mehr freuen und auch das Erinnerungsvermögen ist oftmals eingeschränkt. Von daher ist es auch nicht erstaunlich zu beobachten, wie sich die Aktivierbarkeit von bestimmten Hirnarealen bei Menschen mit und ohne Depression unterscheidet. Besonders die Amygdala, ein Areal das maßgeblich an der Verarbeitung von Emotionen beteiligt ist, wird durch emotionsgeladene Bilder besonders leicht aktiviert. Wie aber entstehen nun Depressionen und was bewirken sie letzt endlich? Dieser Frage wollen wir uns zunächst einmal auf biochemischer Ebene, also der Ebene der einzelnen Gehirnzellen, und danach auf funktioneller Ebene, also der Ebene der Gehirnareale, widmen. 8. Biochemische Prozesse Vorab sei gesagt, dass die Wissenschaft bis zum heutigen Tage noch keine endgültigen Antworten auf die Frage nach der Entstehung von Depressionen geben kann. Dennoch gibt es inzwischen Erkenntnisse, die uns dem Ziel große Schritte näher bringen. Hierzu haben maßgeblich zwei Wissenschaftler beigetragen: Die Pharmakologen Julius Axelrod und Arvid Carlsson, die für ihre Arbeit mit dem Nobelpreis geehrt wurden. Ausgangspunkt der Forschung war ein Medikament mit dem Namen Imipramin. Dieses Medikament wurde ursprünglich von dem Schweizer Konzern Geigy, heute Novartis, zur Behandlung von Schizophrenie entwickelt. Bei der klinischen Erprobung stellte man jedoch fest, dass es hierfür völlig untauglich war, jedoch gegen depressive Stimmungen sehr gut half. Es war die Geburtsstunde des ersten Antidepressivums. Die Frage, welche Aktivitäten im Gehirn von Imipramin ausgingen war weltweit Gegenstand vieler Forschungen. Und das nicht nur, um die Wirkungsweise zu verstehen, sondern auch um etwas über die Entstehung von Depressionen zu erfahren. Zunächst fand man heraus, dass Imipramin die Konzentration des Neurotransmitters Noradrenalin beeinflusste, ein Neurotransmitter, der u.a. bei unserer Motivation, dem Grad der Aufmerksamkeit und unserer geistigen Leistungsfähigkeit eine große Rolle spielt. Was man bereits wusste war, dass ein Neurotransmitter, der freigesetzt wurde, im Prinzip drei Schicksale erleiden kann: Er überquert den synaptischen Spalt, um an den Rezeptoren der verbundenen Zelle das Signal weiterzuleiten. Er wird im synaptischen Spalt durch verschiedene Enzyme abgebaut. Er kehrt in das synaptische Endknöpfchen zurück, aus dem er freigesetzt wurde. Eine geradezu bahnbrechende Entdeckung machte der amerikanische Pharmakologe Julius Axelrod. Axelrod fand heraus, dass Imipramin den dritten Schicksalsweg des Neurotransmitters Noradrenalin, also die Wiederaufnahme, hemmt. Hiermit war das Prinzip der Wiederaufnahmehemmung als Basismechanismus für die Wirkung von Antidepressiva entdeckt. Einige Jahre später wurde dann nachgewiesen, dass Imipramin auch die Konzentration von Serotonin, einem Neurotransmitter, der z.B. unsere Ängste dämpft, verändert. Diesmal war es der schwedische Pharmakologe Arvid Carlsson, der nun auch die Wiederaufnahmehemmung von Serotonin durch Imipramin nachweisen konnte. Bei der Wirkung von Imipramin, dem ersten Antidepressivum, waren nun die beiden Hauptakteure entlarvt. Es waren die Neurotransmitter Noradrenalin und Serotonin. Man glaubte sich schon fast am Ziel seiner Träume, denn was lag nun näher als die Annahme, durch die Konzentrationssteigerung von Noradrenalin und Serotonin, ein krankheitsbedingtes Defizit ausgleichen zu können und somit sowohl die Ursache, als auch das Gegenmittel der Depression zu kennen. Zweifel an dieser Hypothese kamen erst in den letzten Jahren auf, als man nämlich bei Versuchspersonen die Serotoninkonzentration reduzierte, diese Versuchspersonen aber dennoch nicht depressiv wurden. Machte man das gleiche Experiment mit Depressionskranken, die mit einem Serotonin-Wiederaufnahmehemmer behandelt wurden, so führte dies hingegen zu einer erneuten Depression. Ein weiterer Grund die Neurotransmitter Noradrenalin und Serotonin nicht als die alleinigen Verantwortlichen für die Krankheit Depression zu verdächtigen, ergab sich aus dem Zeitraum, der zwischen der Einnahme des Medikaments und dem Rückgang der Depression lag. Nach der Einnahme des Medikaments vergeht keine Stunde und die Erhöhung des Noradrenalin- und Serotoninspiegels ist nachweisbar. Die Verbesserung der Depression, also die Aufhellung der Stimmung des Patienten, dauert aber mindestens zwei bis drei Wochen – oft sogar noch viel länger. Aus diesen Feststellungen heraus und aus vielen Studien und Versuchen, die inzwischen durchgeführt wurden, lässt sich heute mit Bestimmtheit nur folgendes sagen: Die Einnahme von Antidepressiva als Wiederaufnahmehemmer, führt zu einer Konzentrationssteigerung bestimmter Neurotransmitter. Diese Konzentrationssteigerung ist aber nicht die Antwort auf eine Depression, sondern lediglich eine erneute Ursache für eine Kettenreaktion, die dadurch in Gang gesetzt wird. Ist die Erhöhung der Neurotransmitter erst einmal erfolgt, verändert dies als nächstes die Rezeptorenempfindlichkeit – Dann aber geht die „Party“ im Netzwerk der Neuronen erst so richtig los, denn die Rezeptoren stehen ihrerseits ebenfalls nur als Ursache am Anfang einer Signalkette, die sich quer durch die Zelle bis zum Zellkern fortpflanzt. Im Zellkern angekommen, aktivieren oder deaktivieren die Signale Gene. Als Ergebnis dieser Stimulation werden nun aus Aminosäuren, die in der Zelle vorhanden sind, Eiweißmoleküle, sogenannte Peptide, hergestellt. Mit Hilfe dieser Eiweißmoleküle werden dann wiederum u.a. neue Neurotransmitter hergestellt. Diese werden dann durch die lange Nervenfaser, das Axon, bis zur Nervenendigung, dem synaptischen Endknöpfchen, transportiert und bei Zellaktivierung in den synaptischen Spalt freigesetzt. Jetzt beginnt das ganze Spiel von vorne, nur eine Zelle weiter. Und dabei reagiert jede Gehirnzelle anders, denn jede einzelne Gehirnzelle hat ihre individuelle Struktur an Rezeptoren, Genen, Peptiden usw. Was man heute weiß ist, dass Antidepressiva wirken. Was man noch nicht weiß ist, an welcher Stelle sie wirken, also wo in der durch Antidepressiva ausgelösten gigantischen Kettenreaktion die positive Wirkung zur Linderung der Depression erzielt wird. Dies herauszufinden wird eine der Hauptaufgaben der Depressionsforschung der Zukunft sein, denn wenn die Wirkung von Antidepressiva geklärt ist, wird man auch der Ursache von Depressionen dicht auf den Fersen sein. 9. Funktionelle Prozesse Verlassen wir einmal die Ebene der Gehirnzellen und schauen uns nun einmal an, was auf der funktionellen Ebene, also der Ebene der Hirnareale, bei Depressionen geschieht. Eine besonders interessante Entdeckung machte der amerikanische Biologe Robert Sapolsky. In einem Naturpark der Serengeti in Kenia beobachtete er eine Kolonie von Pavianen, bei denen eine streng hierarchische Ordnung herrscht. Bei den Pavianmännchen, die in der Hierarchie ganz untern stehen, bei der Nahrungsverteilung benachteiligt werden und sich auch den Weibchen nicht nähern dürfen, ohne von den dominierenden Alphatieren angegriffen zu werden, konnte er eine Verkleinerung des Hippocampus beobachten. Der Hippocampus ist eine Hirnregion, in der viele Informationen zusammenlaufen und von ihr in verschiedenen Gedächtnisspeichern abgelegt werden. Auch bei Menschen, die an Depressionen leiden, hat man mit Hilfe von bildgebenden Verfahren eine Verkleinerung des Hippocampus feststellen können und durch die Einnahme von Antidepressiva eine weitere Schrumpfung verhindern können. Der Hippocampus ist unter anderem eng mit dem präfrontalen Cortex, dem Hypothalamus und der Amygdala verschaltet. Die Amygdala lässt sich mit einer Art Alarmanlage vergleichen; denn dort wird alles, was wir mit unseren Sinnesorganen wahrnehmen, rasch bewertet, die davon ausgehende Gefahr abgeschätzt und eine Abwehrreaktion eingeleitet, noch bevor wir uns gedanklich der Gefahr bewusst werden. Es ist also leicht nachvollziehbar, dass man bei Menschen, die an Depression erkrankt sind, denen alles bedrohlich und negativ eingefärbt erscheint, eine Veränderung der Aktivität in der Amygdala vermutet. Die andere Hirnstruktur, die mit dem Hippocampus verschaltet ist, ist der Hypothalamus, eine Hirnstruktur, die nur 15 Gramm schwer und nicht größer als ein 5-Centstück ist. Diese sitzt gewissermaßen auf dem Boden unseres Gehirns und ist so etwas wie eine Relaisstation, die alle Aktionen unseres Gehirns in Aufträge übersetzt und in Form von Eiweißmolekülen an die Hypophyse, also die Hirnanhangdrüse leitet. Die Hirnanhangdrüse liegt in der Nachbarschaft des Hypothalamus, befindet sich aber bereits außerhalb unseres Gehirns und hat direkten Zugang zum Blutkreislaufsystem. Die Eiweißmoleküle, die der Hypothalamus an die Hirnanhangdrüse sendet, produzieren in dieser Drüse Hormone, die unter anderem unser Befinden bestimmen. Die Entschlüsselung dieses Organisationsplans auf molekularer, biochemischer und auch funktioneller Ebene ist für die gegenwärtige Erforschung der Depression von zentraler Bedeutung. Vor allem die Gründe, warum Antidepressiva einer Schrumpfung des Hippocampus vorbeugen, ist wichtiger Bestandteil der aktuellen Forschung. Eine gängige Hypothese ist, dass im Hippocampus aus Stammzellen neue Gehirnzellen entstehen. Hierfür ist ein Eiweißmolekül besonders wichtig. Es trägt den etwas ungewöhnlichen Namen „Brain Derived Neurotrophic Factor“, abgekürzt BDNF. Die Produktion dieses Eiweißmoleküls wird z.B. durch Stress unterdrückt, wodurch vermutlich auch die Produktion neuer Gehirnzellen im Hippocampus verhindert wird. Durch Antidepressiva wird die Konzentration von BDNF aber wieder erhöht. Man vermutet daher, dass Antidepressiva zunächst die Serotonin- und Noradrenalinrezeptoren stimulieren, wodurch in der Zelle viele Prozesse angestoßen werden und die auch zur Aktivierung der BDNF-Synthese führen. Verlässt BDNF die Zelle, kann sich dieses Eiweißmolekül an der Produktion von Nervenzellen beteiligen. Diese Hypothese ist aus zweierlei Gründen sehr realistisch: Sie erklärt, warum sich das verringerte Volumen des Hippocampus bei Depressionspatienten durch Einnahme von Antidepressiva wieder erhöht. Sie macht plausibel, weshalb zwischen der Einnahme von Antidepressiva und ihrer Wirkung mehrere Wochen vergehen können. 10. Ein Blick in die Zukunft Während sich der Zellbiologe mit der Entstehung krankheitsverursachender Mechanismen auf Zellebene beschäftigt, befasst sich der Psychologe mit den Bedingungen für Erleben und Verhalten. Wichtig ist zu erkennen, dass Zellbiologen, Biochemiker, Genetiker und Psychologen sich auf dem gleichen Terrain bewegen – Abgrenzungsversuche wären völlig kontraproduktiv. Wie bei vielen anderen Phänomenen des Lebens, kommt es auch hier auf die richtige Mischung an – hier eben die Mischung der verschiedenen Disziplinen. Blickt man auf die Geschichte der Depression zurück, so wird eines deutlich: Diese Erkrankung gibt es, seit es Menschen gibt, nur hat man sich zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlichen Kulturen ebenso unterschiedlich mit dieser Krankheit auseinandergesetzt. Wie verschlungen die Wege der unterschiedlichen Kulturen auch gewesen sein mögen, zwei Entwicklungen lassen hoffen: Die gesellschaftliche Akzeptanz von psychischen Krankheiten wird immer größer. Die Erfolge der Forschung in den letzten Jahren haben das Wissen über die Entstehung der Depression auf ein bisher ungeahntes Niveau katapultiert. Man kann daher mit Recht große Hoffnung haben, dass schon bald die Krankheitsursachen entschlüsselt sein werden und gezielte Therapien entwickelt werden können – Die Menschheit hat darauf tausende Jahre gewartet. Was aber noch wirkungsvoller als die beste Therapie ist, ist die Prävention. Wenn wir es schaffen unser Leben so zu gestalten, dass wir unserem Gehirn keinen Grund geben, psychische Krankheiten ausbrechen zu lassen, werden wir von vielen unangenehmen Dingen verschont bleiben. 11. Warnsignale Wie wir bereits erfahren haben, ist Burnout das Warnsignal, das eine Depression, oder auch eine andere Krankheit, anzeigt. Die Warnsignale, die uns den Grad der Betroffenheit anzeigen verlaufen in 3 Phasen: Phase 1: Emotionale Erschöpfung In dieser Phase fühlen sich Betroffene im Job frustriert und ausgelaugt. Positive Energien und Schwung für einen neuen Arbeitstag nehmen immer mehr ab. Die Fähigkeit sich in der Freizeit zu regenerieren nimmt ebenfalls ab. Phase 2: Depersonalisation (Entpersönlichung) Hier kommt es zu Gereiztheit und schließlich zu Gleichgültigkeit im Beruf und Privatleben. Es erwächst eine Gefühllosigkeit gegenüber Mitarbeitern und Kunden. Resignation stellt sich ein und es kommt zu einer weitgehenden Kontaktvermeidung, um sich Emotionen so wenig wie möglich aussetzen zu müssen. Phase 3: Leistungseinschränkung Diese Phase ist durch einen starken Leistungsabfall gekennzeichnet. Betroffene haben eine negative Selbsteinschätzung und verlieren ihr Selbstvertrauen. Erfolge werden nicht mehr wahrgenommen. Es kommt zu einem massiven Verlust von Kompetenzgefühl und schließlich zur Reduzierung der Produktivität. 12. Bin ich betroffen? Um herauszufinden, ob man selbst gefährdet ist, gibt es verschiedene Fragebögen. Die zwei bekanntesten Fragebögen sind der „Maslach Burnout Inventory (MBI)“ und der „Tedium Measure (TM)“. Da diese Burnout-Messinstrumente aber sehr umfangreich und aufwendig sind, möchte ich Ihnen anhand einer an den MBI angelehnten Checkliste helfen, einen Einblick in Ihre augenblickliche Gefährdung zu bekommen. Bitte beantworten Sie die nachfolgenden Fragen spontan und ohne lange zu überlegen. Vergeben Sie 1 bis 5 Punkte je nachdem, wie stark ein Kriterium auf Sie zutrifft. Seien Sie ehrlich zu sich selbst. Ich fühle mich durch meine Arbeit ausgebrannt. Der direkte Kontakt mit Menschen in meiner Arbeit belastet mich stark. Ich fühle mich durch meine Arbeit emotional erschöpft. Ich fühle mich durch meine Arbeit frustriert. Ich glaube, dass ich nicht mehr weiterweiß. Am Ende des Arbeitstages fühle ich mich verbraucht. Ich befürchte, dass diese Arbeit mich emotional verhärtet. Es macht mir nicht wirklich viel aus, was mit manchen meiner Kollegen / Mitarbeiter / Kunden passiert. Seit dem ich diese Arbeit ausübe, bin ich gefühlloser im Umgang mit Menschen geworden. Ich reagiere gereizt auf im Grund normale Fragen und Anregungen in meiner Arbeit. Ich habe meine dienstlichen Kontakte reduziert. Es ist leicht für mich, eine entspannte Atmosphäre in meinem Job herzustellen. Ich fühle mich sehr tatkräftig. Ich gehe ziemlich erfolgreich mit meinen beruflichen Herausforderungen um. Ich habe das Gefühl, dass ich durch meine Arbeit das Leben anderer Menschen positiv beeinflusse. Ich habe in meiner Arbeit viele lohnenswerte Dinge erreicht. Auswertung Emotionale Erschöpfung Unter 10 Punkte: Sie sind nicht oder nur wenig erschöpft. Sie können sich gut erholen, haben ausreichende Möglichkeiten, sich in Beruf und Freizeit zu regenerieren, und praktizieren diese regelmäßig und in einem für Sie passenden Rhythmus. Zwischen 10 und 20 Punkte: Sie sind an der Grenze zur emotionalen Erschöpfung und sollten schnellstmöglich Ihre Regenerationsmöglichkeiten überdenken. Wie lange brauchen Sie, um sich von einem anstrengenden Arbeitstag zu entspannen? Wie lange dauert es, bis Sie im Urlaub abschalten können? Können Sie aus dem Stegreif fünf Möglichkeiten nennen, bei denen Sie sich entspannen können? Wie oft praktizieren Sie diese Möglichkeiten und in weIchem Rhythmus? Über 20 Punkte: Sie müssen dringend Ihre Regenerationsfähigkeit erhöhen. Mit welchen Methoden entspannen Sie derzeit, oder falls das kaum mehr möglich ist, womit haben Sie früher in der Berufsausbildung, Schulzeit, im Urlaub oder während einer anderen ruhigen Zeit entspannt? Wie können Sie diese Möglichkeiten wiederentdecken? Auswertung Depersonalisation Entpersönlichung des Kontaktes, d. h. Kontakte werden weniger persönlich mit den Menschen, denen Sie in Ihrer Arbeit begegnen, wie z.B. Kunden, Klienten, Mitarbeiter und Kollegen. Unter 9 Punkte: Sie sind engagiert und können Ihre Emotionen in Ihre Arbeit einfließen lassen. Wut, Enttäuschungen oder freudige Erlebnisse im Beruf halten sich die Waage, Sie nehmen davon nur gelegentlich etwas „mit nach Hause“ und können Ihre beruflichen Sorgen in der Regel gut verarbeiten. Im Kontakt zu Kollegen, Mitarbeitern, Kunden und Klienten sind Sie aufgeschlossen, halten Augenkontakt und können sich immer wieder gut in andere Menschen einfühlen. Sie bekommen Ihre gute Kontaktfähigkeit gelegentlich von Menschen positiv zurückgemeldet, die mit Ihnen zu tun haben. Zwischen 9 und 18 Punkte: Ihr Engagement und Ihre Kontaktfähigkeit gehen zurück. Emotional sind Sie distanzierter, öfter als früher sind Sie gereizt oder müssen Ihre Gefühle „herunterschlucken“. Sie beginnen, sich in Teambesprechungen zurückzuziehen, übernehmen weniger Aufgaben, interessieren sich weniger für Dinge und für Personen in Ihrer Umgebung. Über 18 Punkte: Sie sind häufig gereizt und merken dies auch mehr und mehr an den Reaktionen in Ihrer Umgebung. In Besprechungen ziehen Sie sich innerlich zum Teil völlig zurück, sind nur noch „körperlich anwesend“, übernehmen ausschließlich Routineaufgaben. Immer häufiger sagen Sie Termine ab. Sie telefonieren nur noch, wenn es unbedingt nötig ist, haben auch schon öfter das Telefon „durchklingeln lassen“. Gesprächen, auch informellen, mit Ihren Kollegen gehen Sie aus dem Weg. Aufgaben, Mitarbeiter und Kunden werden Ihnen zunehmend gleichgültig. Selbst auf Reklamationen oder Beschwerden reagieren Sie kaum mehr. Vielleicht haben Sie es sogar schon erlebt, dass Sie bei einem eigentlich problematischen Vorfall, wie einer Beschwerde, überhaupt nichts mehr empfunden haben. Gefühllosigkeit macht sich in Ihnen breit. Sie müssen unbedingt in ärztliche oder psychologische Behandlung! In diesem Stadium können Sie sich nicht mehr wirksam selbst helfen. Suchen Sie Ihren Hausarzt auf und informieren Sie Freunde und Familie, dass Sie Unterstützung brauchen. Auswertung Leistungseinschätzung und Zufriedenheit im Beruf Über 18 Punkte: Sie sind größtenteils zufrieden in Ihrem Job, haben die Möglichkeit, Ihre Fähigkeiten einzubringen, und kommen mit Ihren persönlichen Schwächen gut zurecht, sei es, weil diese bei Ihrer Tätigkeit nicht sehr ins Gewicht fallen, sei es, indem Sie Aufgaben, die Sie nicht so gut erfüllen, delegieren können. Sie sehen eine Zukunftsperspektive in Ihrer Arbeit und sehen mit einem guten Gefühl auf Ihre bisherigen Leistungen zurück. Sie denken, einen guten Teil von dem erreicht zu haben, was Sie sich von Ihrem Beruf erhofft haben. Ihre Arbeit erfüllt Sie und gibt Ihnen manchmal sogar Kraft. Sie freuen sich häufig auf Ihre Arbeit und über neue Herausforderungen. Zwischen 9 und 18 Punkte: Sie sind oft mit Ihren Leistungen zufrieden, kennen aber hin und wieder das Gefühl, in Ihrem Job nicht am richtigen Platz zu sein. Sie sehen teilweise mehr Ihre Schwächen als Ihre Stärken. Neue Herausforderungen stellen für Sie manchmal eine Last dar. Unter 9 Punkten: Sie sind mit Ihren Leistungen schon seit geraumer Zeit nicht mehr zufrieden. Sie erleben kaum mehr Erfolge im Beruf, Ihre Arbeitsleistung sinkt, vielleicht sind Sie von Kollegen oder Vorgesetzten schon einmal darauf angesprochen worden. Sie waren womöglich schon einmal einen oder mehrere Tage wegen Ihrer zunehmenden Erschöpfung und evtl. sich daraus ergebender körperlicher Beschwerden krankgeschrieben. 13. Wo lauert die Gefahr? Als nächstes sollten Sie einmal herausfinden, in welchen Bereichen Ihres Arbeitslebens die größten Gefahren schlummern, wo also Ihre potentiellen Ursachen für Burnout und Depression am ehesten zu suchen sind. Bitte beantworten Sie auch die nachfolgenden Fragen spontan und ohne lange zu überlegen. Vergeben Sie auch hier 1 bis 5 Punkte je nachdem, wie stark ein Kriterium auf Sie zutrifft. Ich arbeite oft ohne Pause durch. Ich leide unter Zeitdruck während meiner Arbeit. Die Rahmenbedingungen meiner Tätigkeit sind unklar. Ich habe sehr viele verschiedene Aufgaben zu bewältigen. Mich beeinträchtigen die ständigen Störungen im Arbeitsablauf durch Telefon, Fax, Email, SMS usw Es ist schwer für mich, an meinem Arbeitsplatz zu erkennen, wann ich meine Zielvorgaben erfüllt habe. Mein Job langweilt mich, es ist immer nur das Gleiche. Ich besuche wenige Fort- und Weiterbildungen. Meine Handlungsmöglichkeiten und Entscheidungsspielräume sind klein. Ich habe wenig Möglichkeiten, meine persönlichen Talente in meinen Job einzubringen. Meine Tätigkeit steht häufig im Widerspruch zu dem, was mir eigentlich wichtig ist im Leben. Ich möchte am liebsten alles hinschmeißen und etwas völlig anderes machen. Je höher eine Punktzahl ist, die sie bei den einzelnen Aussagen vergeben haben, desto wichtiger ist dieser Bereich der Gefährdung für Sie. 14. Die 3 Säulen der individuellen Prävention Unsere Gesellschaft ist geprägt von Stress und Hektik. Alles muss schnell gehen. Für die eigentlich wichtigen Dinge bleibt kaum noch Zeit. Wozu dies führt zeigt folgendes Bespiel: In den 1980er Jahren gab es Sitzcafés in denen man gemütlich und in Ruhe eine Pause machen oder entspannen konnte. In den 1990er Jahren gab es dann Stehcafés, weil zum hinsetzen keine Zeit mehr blieb. In den ersten 10 Jahren des neuen Jahrtausends wurde der Coffee to Go erfunden, weil jetzt bereits die Zeit zum Stehen fehlte. Und wenn sich dieser Trend fortsetzt, könnte eine geniale Geschäftsidee des nächsten Jahrzehnts der Coffee to Run sein. Oder nehmen wir das Thema Schriftverkehr: Wenn Sie früher jemandem etwas Wichtiges mitteilen wollten, haben Sie einen Brief geschrieben und hatten dann erst einmal 3 Tage Zeit bis Sie eine Antwort erhielten. Heute gibt es Emails und wenn man auf eine Email nicht innerhalb von 10 Minuten antwortet, fängt sich der andere bereits an zu wundern. In einer Studie des Londoner King´s College, an der über tausend Probanden teilnahmen, stellten Forscher einer Testgruppe eine Aufgabe und traktierten sie währenddessen mit Emails. Eine Kontrollgruppe bekam die gleiche Aufgabe und konsumierte dabei Marihuana. Das Ergebnis war erstaunlich: Die Probanden, die die Drogen genommen hatten, konnten die Aufgabe besser lösen als die Gruppe unter Emailbeschuss, bei denen der Intelligenzquotient während des Experiments stark abfiel. Rechnet man dieses Ergebnis einmal auf den ganz normalen Büroalltag hoch, so arbeiten in Deutschland Millionen von Menschen unter „Kiffer-Niveau“. Nach einer Studie der University of Pittsburgh hat das beliebte Multitasking gravierende Nachteile. Die Gehirnleistung wird nicht besser. Sie sinkt bei exzessivem Multitasking um bis zu 40%. Wollen wir uns wirksam vor Burnout und Depression schützen, müssen wir unser Leben auf vor allem auf folgende 3 Säulen stützen: Regeneration Delegation Grenzen erkennen 15. Regeneration Von den 3 Säulen der Prävention ist die Säule der Regeneration die Wichtigste und gleichzeitig auch die am leichtesten zu lernende. Hierzu folgende Tipps und Vorschläge: Überlegen Sie einmal, welche Regenerationsmöglichkeiten Ihnen früher geholfen haben, und versuchen Sie, davon eine oder zwei wieder in Ihren Alltag zu integrieren. Pflegen Sie Freundschaften und treffen Sie sich mit Ihren Freunden in lockerer und entspannter Atmosphäre. Welche Hobbys haben Sie früher einmal ausgeübt und welche davon haben Ihnen ein Gefühl der Zufriedenheit gegeben. Entdecken Sie Ihre Leidenschaften wieder. Interessieren Sie sich für kulturelle Belange, lieben Sie die Natur? Denken Sie einmal darüber nach eine Entspannungstechnik zu lernen, um auch in stressiger Umgebung eine Insel der Ruhe zu finden. Machen Sie Kurzpausen, in denen Sie sich einfach mal ans Fenster stellen und tief durchatmen, oder in denen Sie sich für wenige Minuten geistig an Ihren liebsten Urlaubsort beamen. Achten Sie auf eine gesunde, ausgewogene Ernährung und schlafen Sie ausreichend. 16. Delegation Die zweite Säule der Prävention ist die Säule der Delegation. Alles alleine zu machen, auf niemanden angewiesen zu sein, spielen zwar für das Selbstwertgefühl eine wichtige Rolle, führen aber langfristig zum Crash. Eine schon sehr alte, aber oft vergessene Methode, ist die sogenannte Eisenhower-Methode: Hiernach können Sie alle Ihre Aufgaben in dringend und nicht dringend, sowie in wichtig und nicht wichtig unterteilen. Daraus ergeben sich dann A-, B-, C- und D-Aufgaben. A-Aufgaben sind wichtig und dringend. Diese Aufgaben sollten Sie sofort und selbst erledigen. B-Aufgaben sind wichtig, aber nicht dringend. Diese Aufgaben sollten Sie selbst erledigen aber nicht sofort, sondern einen Zeitpunkt hierzu festlegen. C-Aufgaben sind nicht wichtig, aber dringend. Diese Aufgaben sollten Sie an kompetente Mitarbeiter delegieren. D-Aufgaben sind nicht wichtig und auch nicht dringend. Diese Aufgaben könnten Sie getrost in Ablage „P“ wie Papierkorb ablegen. Johann Wolfgang von Goethe sagte einmal: „Gegenüber der Fähigkeit, die Arbeit eines einzigen Tages zu ordnen, ist alles andere im Leben ein Kinderspiel“. Ihr Zeitmanagement können Sie auch dadurch verbessern, indem Sie langweilige Dinge wie Aufräum- oder Sortierarbeiten in Phasen machen, in denen Sie eher schlechte Laune haben. Wenn Sie gute Laune haben, sollten Sie sich mehr um kreative Dinge kümmern. Machen Sie sich eine Liste der Tätigkeiten, die zur Kategorie „Gute Laune“ und zur Kategorie „Schlechte Laune“ gehören. 17. Grenzen erkennen Die dritte Säule der Prävention besteht darin seine Grenzen zu erkennen. Stellen Sie sich einmal die folgenden Fragen und beantworten Sie die Fragen nicht nur mit Ja oder Nein, sondern notieren Sie auch warum oder aus welchen Gründen Sie die Frage mit Ja oder Nein beantwortet haben. Haben Sie eine realistische Erwartung an Ihre Arbeit und Ihren Lebensentwurf? Sind Sie mit Ihrem bisherigen Leben zufrieden? Sind Sie stolz auf das, was Sie bisher im Leben beruflich und privat erreicht haben? Können Sie mit Dingen, die nicht erreichbar sind, abschließen? Können Sie sich und anderen für Dinge, die nicht gut gelaufen sind, vergeben? Können Sie einschätzen, mit welchen Dingen Sie sich optimal fordern, statt zu über- oder unterfordern? 18. Chancen für die Zukunft Bei all der Problematik um die Themen Burnout und Depression einerseits und den Fortschritten in der neurowissenschaftlichen Forschung andererseits, gibt es aber auch positive Entwicklungen in der Wirtschaft zu vermelden. Durch die demografische Entwicklung und die Globalisierung ist nämlich nicht nur der Arbeitsdruck gewachsen, sondern auch der Wettbewerb um die besten Köpfe entbrannt. Für Unternehmen wird es daher immer wichtiger, was und wie sie in Ihre Mitarbeiter und Führungskräfte investieren. Dem Bereich „Betriebliches Gesundheitsmanagement“ wird in vielen Unternehmen, Behörden und Institutionen eine zunehmende Bedeutung zugemessen. In Personalabteilungen werden Arbeitskreise oder eigene Unterabteilungen zur Gesundheitsförderung geschaffen. Die seelische Gesundheit spielt dabei, insbesondere im Dienstleistungssektor, eine größere Rolle. So haben z.B. viele Stadtverwaltungen und Banken inzwischen ausgefeilte Programme zur Gesundheitsförderung entwickelt. Aber auch Produktions- und Dienstleistungsunternehmen investieren in Gesundheitsförderung und bieten Gesundheitschecks an. In vielen Unternehmen stehen in der Mittagspause nicht nur Café und Essen zur Verfügung, sondern auch Fitnessgeräte, Wellness-Behandlungen und Entspannungstrainings. Oder an Stelle von Incentives oder Erfolgsprämien werden zur Mitarbeitermotivation verstärkt Personal-Coaching und Gesundheitstraining angeboten. Auch bieten inzwischen viele Krankenkassen eigene Programme zur Unterstützung von Burnout- und Depressionsgefährdeten an und an der Universität Bielefeld gibt es seit wenigen Jahren einen eigenen Master-Studiengang zum Thema „Betriebliches Gesundheitsmanagement“. Und wie verschiedene Studien beweisen liegt der durchschnittliche Kosten-Nutzen-Effekt der Investitionen in das Gesundheitsmanagement bei 1:3 bis 1:6. Gesundheit ist unser wertvollstes Gut und die Qualität und die Dauer unseres Lebens ist hiervon in größtem Maße abhängig.
- Wie unser Gehirn lernt
Wenn wir lernen, wie wir lernen, können wir Lernen lernen. Inhaltsverzeichnis 1. Unser Gehirn ist individuell 2. Ein Fallbeispiel, das in die Geschichte der Gehirnforschung einging 3. Wer ist schuld an der Bildungsmisere? 4. Wichtige Entdeckungen der Gehirnforschung für eine bessere Aus- und Weiterbildung 5. Wie Lernen nicht funktioniert 6. Das limbische System – unser zentrales Bewertungssystem 7. Die Spiegelneuronen – Lernen durch Abschauen 8. Die Überproduktion der Neuronen 9. Wie wir die nutzungsabhängige Stabilisierung synaptischer Netzwerke optimieren können 10. Die Neurotransmitter – wie unser Gehirn vitalisiert und motiviert werden kann 11. Der Hippocampus – unser Neuigkeitsdetektor 12. Forschen Sie noch oder verwalten Sie schon? 13. Die zwölf Lehr-Lern-Prinzipien nach Caine und Caine 14. Ein Blick in die Zukunft Wie unser Gehirn lernt Wenn wir lernen, wie wir lernen, können wir Lernen lernen. 1. Unser Gehirn ist individuell Unser Gehirn lernt. Manches lernt es gut, anderes weniger gut und manches gar nicht. Mal lernt unser Gehirn schnell und ein anderes Mal langsam. Auch geht vieles schnell wieder vergessen, während anderes ein Leben lang in Erinnerung bleibt. Wie dem auch sei, fest steht jedenfalls, dass keine andere Spezies auf der Erde mit einem derart offenen und lernfähigen Gehirn zur Welt kommt wie der Mensch. Eine weitere Besonderheit des menschlichen Gehirns ist, dass es in einem außergewöhnlich großen Maß formbar ist, formbarer, als selbst die Hirnforscher bis vor wenigen Jahren noch geglaubt haben. So ist unser Gehirn z.B. unglaublich fähig, sich an seine Umgebung anzupassen. Schon die Kinder im Regenwald des Amazonas können bis zu einhundert verschiedene Grüntöne unterscheiden. Und Kinder der Inuit im nördlichen Polarkreis können ein Dutzend verschiedene Schneesorten auseinanderhalten. Auch laufen Lernprozesse in unserem Gehirn viel unterschiedlicher ab, als man bisher vermutet hatte. Jeder kennt die krassen Unterschiede in der Gedächtnisleistung. Der eine kann sich hundert Telefonnummern ohne große Anstrengung merken, vergisst aber schnell Namen. Andere lernen sehr schnell und leicht Sprachen, stehen aber mit der Mathematik auf Kriegsfuß. Diese Unterschiede sind weitgehend angeboren, also genetisch bedingt und lassen sich nur sehr schwer durch Übungen ausgleichen. Wenn man aber eine Schwäche wie z.B. Zahlen Lernen mit einer Stärke wie z.B. bildhafter Vorstellungskraft koppelt, erzielt man erstaunliche Ergebnisse. Jemand mit einem schlechten Zahlengedächtnis wird sich schwer tun, folgende Zahlenreihe zu merken: 2 8 1 0 1 9 7 8. Erkennt er aber in dieser Zahlenreihe ein Bild wie z.B. das Datum 28. Oktober 1978, fällt es ihm sofort leichter. Des Weiteren gibt es unterschiedliche Lernstile: Der eine lernt am besten durch Zuhören, der andere muss es lesen, und wiederum andere müssen es ausprobieren und selbst tun. Und last but not least hängen Lernerfolge sehr stark vom Grad des Vorwissens, der Aufmerksamkeit und der persönlichen Interessen ab. Wir sehen also, Lernen ist nicht gleich Lernen. Jedes Gehirn lernt anders und sehr individuell. Vieles, was wir heute über unser Gehirn und seine Arbeitsweise erkannt haben, wissen wir erst seit wenigen Jahren und ist vor allem dem technischen Fortschritt zu verdanken. Aber nicht nur die Technik hilft uns dabei, die Geheimnisse des menschlichen Gehirns zu entschlüsseln, auch Untersuchungen bei Patienten mit Hirnschädigungen lassen viele Rückschlüsse über die Funktions- und Arbeitsweise unseres Gehirns zu, wie uns folgendes Beispiel in beeindruckender Weise zeigt. 2. Ein Fallbeispiel, das in die Geschichte der Gehirnforschung einging Stellen Sie sich einmal vor: Ein Mann sitzt entspannt in seinem Sessel und studiert sichtlich mit Interesse eine Zeitschrift. Er erzählt seinen Besuchern, welch faszinierende Geschichte er soeben gelesen hat, und berichtet verschiedene Einzelheiten des Artikels. Am nächsten Tag liest derselbe Mann dieselbe Geschichte mit großem Interesse vor und erzählt denselben Besuchern, welch faszinierende Geschichte er soeben zum ersten Mal gelesen hat, und das wiederholt sich Tag für Tag. Die Rede ist von Henry Molaisen, der als der „Fall H.M.“ in die Geschichte der Gehirnforschung einging und bis heute das wohl beeindruckendste Fallbeispiel der Neurowissenschaften ist. Als Henry Molaison im Dezember 2008 im Alter von 82 Jahren starb, hatte er 55 Jahre lang nur in der Gegenwart gelebt, denn seit einer Hirnoperation im September 1953 konnte er sich an nichts mehr erinnern, was mehr als wenige Minuten zurück lag. Wie aber kam es dazu, und was war die Ursache für dieses tragische Schicksal? H.M. hatte als zehnjähriges Kind einen Fahrradunfall. Seither litt er unter epileptischen Anfällen, die immer schlimmer wurden. Er verlor immer wieder das Bewusstsein und hatte schwere Krampfanfälle. In diesem Zustand kam H.M. 1953 in die Behandlung von Dr. William B. Scoville am Hartford Hospital in Connecticut, der ihn dann auch operierte. Nach der Operation machte man jedoch eine erschreckende Feststellung: H.M. kannte zwar noch seinen Namen,, er wusste auch noch, wo er aufgewachsen war, und erinnerte sich auch an die Wirtschaftskrise 1929. Aber alles, was nach der Operation geschah, war wie ausgelöscht aus seinem Gedächtnis. Jeder Tag sei für ihn wie der erste, hat er einmal gesagt. Augenscheinlich lebte H.M. nur in der Gegenwart. Er setzte wieder und wieder dasselbe Puzzle zusammen, ohne sich daran zu erinnern, dass er es zuvor schon einmal zusammengesetzt hatte. Nach einer Mahlzeit wusste er nicht, was er gegessen hatte, ja ob er überhaupt gegessen hatte. Wenn seine Krankenschwester sein Zimmer betrat, begrüßte er sie jahraus, jahrein wie jemanden, den er zum ersten Mal sah. Dieser Mann war verloren in der Zeit. Der Grund dafür war, dass Scoville bei seiner Hirnoperation den Hippocampus in beiden Gehirnhälften fast komplett entfernt hatte. Damit hatte er zwar die Epilepsie geheilt, aber auch wichtige Zentren der Gedächtnisbildung entfernt. H.M. litt von nun an einer anterograden Amnesie. Diese Operation belegte, dass die Hippocampi und angrenzende Gebiete unerlässlich für die Gedächtnisbildung sind. Da H.M. seine Sprachfähigkeit behalten hatte und auch Wahrnehmung und Verstand normal waren, wurde er zu einem der wichtigsten lebenden Forschungsobjekte des 20. Jahrhunderts. Aber auch nach seinem Tod im Jahre 2008 ist H.M. nach wie vor für die Gehirnforschung von großem Interesse. Durch die Analyse der Hirnschnitte von H.M. versprechen sich die Neurowissenschaftler der Universität von Kalifornien in San Diego neue Erkenntnisse über die funktionelle Anatomie des Gedächtnisses und somit wichtige Erkenntnisse darüber, wie in unserem Gehirn Wissen entsteht, wie wir lernen und wie neu Gelerntes in unserem Gehirn gespeichert wird. Aber auch heute ist schon vieles bekannt, und vor allem die jüngsten Erkenntnisse der letzten Jahre haben dazu geführt, das Verständnis über das Funktionieren unseres Gehirns grundlegend zu verändern. Diesen rasanten Aufschwung der Forschungsergebnisse haben wir vor allem zwei Entwicklungen zu verdanken: Immer feinere Mess- und Analyseverfahren geben uns immer bessere Hinweise auf die elektrochemischen Prozesse in unserem Gehirn. Durch die neuen bildgebenden Verfahren ist es inzwischen möglich, dem Gehirn bei seiner Arbeit sozusagen zuzuschauen. Lassen Sie uns also gemeinsam herausfinden, wie unser Gehirn lernt und welche Konsequenzen damit für die schulische, aber auch unternehmerische Aus- und Weiterbildung verbunden sind. 3. Wer ist schuld an der Bildungsmisere? Prof. Dr. Gerhard Roth, einer der renommiertesten Neurowissenschaftler unser Zeit und Professor für Verhaltenspsychologie im Institut für Hirnforschung an der Universität Bremen, sagte einmal: „Intelligenz ist zum größten Teil angeboren, Expertenwissen kann man sich anpauken, klug wird man aber erst durch die hochkarätige Vernetzung des eigenen Wissens“. Seit der PISA-Studie steht unser Aus- und Weiterbildungssystem in Deutschland in der Kritik. Aber statt nach den Ursachen der Misere zu suchen, wurde zunächst einmal nach den vermeintlich Schuldigen gefahndet. Professoren machten die Gymnasiallehrer verantwortlich, diese wiederum suchten die Schuld bei den Real- und Grundschullehrern. Aber auch diese fanden schnell einen Sündenbock und wälzten die Schuld auf die Erzieherinnen der Vorschule ab, und diese schließlich gaben die Schuldzuweisung an die Eltern weiter. Und was war die Reaktion der Politiker? Mehr Fortbildung für die Lehrer, bessere Ausbildungsstandards für Erzieher und vor allem schärfere Erfolgskontrollen für alle. Wie wir heute alle wissen, brachten diese Lösungen aber keine entscheidenden Verbesserungen mit sich. Wie sagte einmal Albert Einstein? „Wir können unsere Probleme nicht mit den gleichen Maßnahmen lösen, mit denen wir sie verursacht haben.“ Mit anderen Worten: Bildung muss, wenn sie gelingen soll, nicht besser durchorganisiert, sondern besser gestaltet werden. Aber welche Entdeckungen der Gehirnforschung können uns dabei helfen, Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen in der Zukunft besser zu gestalten? Dieser Frage wollen wir nun auf den Grund gehen. 4. Wichtige Entdeckungen der Gehirnforschung für eine bessere Aus- und Weiterbildung Die wichtigsten Entdeckungen der Neurowissenschaften, die uns Hilfestellung bei der Neugestaltung von Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen geben können, sind die neueren Erkenntnisse auf folgenden Forschungsgebieten: Das limbische System als emotionales Zentrum unseres Gehirns, in dem Informationen bewertet und autonome Gehirnaktivitäten ausgelöst werden. Die Spiegelneuronen als Grundlage für die Fähigkeit zur Empathie, also Einfühlungsvermögen, und das damit verbundene Verständnis, das Gehirn als soziales Organ zu erkennen. Der gewaltige Neuronenüberschuß, der sich in den ersten Jahren unseres Lebens bildet und der wieder abgebaut wird, wenn die Vernetzungen nicht durch Gebrauch und Anregungen genutzt werden. Die Strukturbildung der Gehirnfunktionen durch Erfahrung und Hirnbenutzung. Die motivationswirksamen Neurotransmitter, die durch Beachtung, Zuwendung und Anerkennung unser körpereigenes Belohnungssystem in Gang setzen und sich z.B. in Form eines Erfolgs- oder Glücksgefühls äußern. Auch wenn uns die Erkenntnisse dieser Forschungsgebiete in der Tat eine große Hilfestellung bei der Neugestaltung von Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen sein können, so ist dennoch zu bedenken, dass es nicht die Gehirnforschung alleine ist, die uns zu besseren Lösungen verhilft. Vielmehr ist es ein Zusammenspiel vieler Wissenschaften. Alles, was wir heute über das lernende Gehirn wissen, ist das Ergebnis von überliefertem Wissen psychologischen Studien pädagogischen Erfahrungen neurowissenschaftlichen Erkenntnissen. Auch wird vieles von dem, was Sie im Folgenden kennen lernen werden, einem guten Lehrer oder einem guten Trainer in seiner praktischen Umsetzung nicht neu sein. Was jedoch neu sein dürfte, ist zu erfahren, warum das, was ein guter Lehrer oder Trainer tut, funktioniert und warum das, was ein schlechter Lehrer oder Trainer tut, nicht funktioniert. Schauen wir uns daher zunächst einmal an, wie Lernen nicht funktioniert. 5. Wie Lernen nicht funktioniert Die am meisten verbreitete Definition von Lernen ist folgende: „Lernen ist ein Vorgang zur Verarbeitung und Abspeicherung von angebotenem Wissen.“ Anders ausgedrückt: Man geht davon aus, dass der Lehrer oder Trainer z.B. sprachliche oder bildhafte Informationen sendet, die dann über Augen oder Ohren in das Gehirn des Schülers bzw. Seminarteilnehmers eindringen. Dort werden diese Informationen entschlüsselt, einer Bedeutung zugemessen, mit Vorwissen abgeglichen, um dann als Wissen im Langzeitgedächtnis abgespeichert zu werden. Auf dieser Basis werden bis heute die meisten Schulungs- und Trainingsinhalte konzipiert, und um sie zu verbessern, sind alle Anstrengungen darauf ausgerichtet, die an dem eben geschilderten Vorgang beteiligten Mechanismen zu optimieren. Warum dies nicht funktioniert und somit auch meist nicht den gewünschten Erfolg bringt, zeigen uns vor allem drei weitere Erkenntnisse aus der Gehirnforschung: Wissen kann nicht übertragen werden. Wissen muss in jedem Gehirn neu geschaffen werden. Der Erfolg, ob Wissen neu geschaffen wird, hängt sehr stark von den Rahmenbedingungen ab, unter denen Lernen stattfindet. Lernprozesse werden von Faktoren gesteuert, die größtenteils unbewusst ablaufen und somit nicht oder nur schwer beeinflussbar sind. Die Frage ist also: Wie sollten Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen konzipiert sein, damit Lernen wirklich funktioniert? Um diese Frage zu beantworten, wollen wir uns zunächst einmal die eingangs erwähnten Erkenntnisse auf den Forschungsgebieten des limbisches Systems, der Spiegelneuronen, der Neuronenüberproduktion und der Neurotransmitter unter dem Gesichtspunkt des Lernens etwas näher vor Augen führen. 6. Das limbische System – unser zentrales Bewertungssystem Wenn wir etwas über unsere Sinne wahrnehmen, also etwas sehen, hören, riechen, fühlen oder schmecken, werden diese Wahrnehmungen zunächst einmal in elektrische Signale umgewandelt. Diese elektrischen Signale durchlaufen dann unser Gehirn und sind zunächst einmal völlig neutral und wertfrei. Erst wenn diese Signale tief im Inneren in die Areale des limbischen Systems gelangen, werden aus ihnen Eindrücke und Emotionen. Das limbische System ist somit das zentrale Bewertungssystem unseres Gehirns. Dieses Bewertungssystem bewertet alles auf der Basis unserer bisherigen Erfahrungen. Haben wir positive Erfahrungen mit einem Ereignis gemacht, wird dieses Ereignis als gut, vorteilhaft oder lustvoll bewertet. Wir verspüren dann den Wunsch nach Wiederholung. Haben wir negative Erfahrungen gemacht, wird ein Ereignis als schlecht, nachteilig oder schmerzhaft bewertet, und wir verspüren den Wunsch nach Vermeidung. Es ist somit leicht nachvollziehbar, dass unser limbisches System auch eine maßgebliche Rolle bei der Aneignung von Wissen und dem damit verbundenen Lernerfolg spielt, da es sich bei jeder Lernsituation z.B. folgende Fragen stellt: Lohnt es sich hinzuhören? Was spricht dafür, das zu lernen? Welchen Sinn hat es, das zu üben? Die Antworten auf diese Fragen findet das limbische System in unseren abgespeicherten Erfahrungen aus der Vergangenheit, die meist unbewusst wirken. Sind diese Erfahrungen positiv, ist ein erstes wichtiges Zwischenziel für den Lernerfolg erreicht: Wir hören gerne hin. Wir finden Argumente, die für das Lernen sprechen. Wir erkennen einen Sinn darin, etwas zu üben. Sind unsere Erfahrungen jedoch negativ, ist der Effekt genau gegenteilig, und die Chancen für einen erfolgreichen Lernprozess gehen gegen Null. Lernen ist also keine passive Wissensaufnahme, die nach dem Prinzip des Nürnberger Trichters funktioniert, sondern vielmehr entsteht Wissen im Netzwerk der Neuronen und ist immer an Emotionen geknüpft. Lernen und die damit verknüpften Emotionen verursachen also zunächst biochemische Vorgänge, die sich z.B. als Angst oder Freude nach außen zeigen. Danach werden diese Eindrücke als langfristige Veränderungen in unsere neuronale Netzwerkstruktur eingespeichert. Emotionen verhelfen uns auch dazu, Zugänge zum Verstehen von Situationen herzustellen und somit schnelle und sinnvolle Verstehensprozesse zu organisieren. Dies ist notwendig, denn es hilft uns dabei, dass wir uns in einer immer komplizierter werdenden Welt zurechtfinden können.Insofern gibt es nicht nur „emotionale Intelligenz“, sondern auch „intelligente Emotionen“. Gefühle, positive wie negative sind also untrennbar mit Lernprozessen gekoppelt. Deshalb muss bei Lernprozessen größter Wert auf das soziale und emotionale Umfeld gelegt werden. Versäumnisse wie z.B. das Ausbleiben von Lob und Anerkennung, das Verhindern von Glücks- und Erfolgserlebnissen oder das Erzeugen von Entmutigung, Frustration oder Angst, müssen sich daher zwangsläufig negativ auf die lernrelevanten Hirnareale und somit auf den Lernprozess und -erfolg auswirken. Umgekehrt bietet dieser neurobiologische Mechanismus aber Eltern, Lehrern, Trainern und Chefs, eine bisher oft unterschätzte Chance. Nämlich die Chance die biochemischen Prozesse im Gehirn durch Lob und Anerkennung, durch das Erzeugen von Glücks- und Erfolgserlebnissen und durch das Vermeiden von Entmutigung, Frustration und Angst positiv zu beeinflussen und dadurch eine neuronale Netzwerkstruktur zu schaffen, die Lernen als etwas Schönes und Spannendes und nicht, wie so oft, als langweilig und quälend empfindet. Einen weiteren wichtigen Hinweis, um Lernprozesse erfolgreicher zu gestalten, liefert uns die Gehirnforschung durch die Erkenntnisse über unsere sogenannten Spiegelneuronen. Was unter Spiegelneuronen zu verstehen ist und welchen Einfluss sie auf Lernprozesse haben, soll unser nächstes Thema sein. 7. Die Spiegelneuronen – Lernen durch Abschauen Spiegelneuronen wurden bereits im Jahre 1990 entdeckt. Damals untersuchte ein Forschungsteam in Italien unter der Leitung von Prof. Rizzolatti Nervenzellen von Affen. Was Rizzolatti dabei beobachtete, wurde zu einer bahnbrechenden Erkenntnis in der Gehirnforschung. Rizzolatti beobachtete, dass, wenn ein Affe nach einer Nuss griff, bestimmte Gehirnzellen aktiv wurden. Das Erstaunliche war jedoch, dass bei einem Affen, der selbst nicht nach einer Nuss griff, aber dem anderen Affen dabei zusah, die gleichen Gehirnzellen aktiviert wurden. Die Vermutung lag nun nahe, dass, wenn jemand einem anderen bei einer Tätigkeit zuschaut, dies dazu führt, dass der Beobachter die gleiche Handlung im Stillen und rein gedanklich selbst durchführt. Diese Vermutung hat sich dann durch weitere Untersuchungen bestätigt. Wir spiegeln uns also in dem, was andere tun. Aus diesem Grund nannte Rizzolatti diese Gehirnzellen auch „mirror neurons“, also „Spiegelneuronen“. Bei Lernprozessen nehmen die Spiegelneuronen eine besondere Rolle ein, denn sie sind unser neurobiologisches Resonanzsystem. Unsere Spiegelneuronen sind Nervenzellen, die aktiv werden, wenn sie etwas bei anderen Menschen beobachten. Wenn wir einen Menschen sehen und dabei beobachten, dass dieser z.B. Trauer, Freude oder Schmerz empfindet, so werden die Spiegelneuronen aktiv, und auch wir empfinden dann Trauer, Freude oder Schmerz. Entdeckt wurden die Spiegelneuronen zwar bereits schon im Jahr 1990, aber erst in den letzten Jahren hat man das Geheimnis dieser Neuronen halbwegs entschlüsselt. Die Spiegelneuronen werden daher auch in den kommenden Jahren ein spannendes Forschungsfeld bieten. Heute steht aber bereits fest, dass Spiegelneuronen im Hinblick auf Lernprozesse hauptsächlich zwei Eigenschaften besitzen: Sie informieren uns gefühlsmäßig über den Zustand eines anderen Menschen. Wir spüren also intuitiv, was sich in einem anderen Menschen abspielt. Sie können uns anstecken. Spiegelneuronen können uns mit der Stimmung eines anderen Menschen infizieren. Wenn wir auf eine Party kommen, wo gute Laune herrscht, so werden wir von dieser guten Laune angesteckt. Oder wenn uns jemand angähnt, so können wir uns kaum dagegen wehren, ebenfalls zu gähnen. Prof. Dr. Joachim Bauer, der die Erforschung der Spiegelneuronen zu einer seiner Hauptaufgaben gemacht hat, umschrieb das Phänomen der Spiegelneuronen einmal so: „Ein Spiegelneuron verhält sich wie die in Ruhe befindliche Saite einer Gitarre. Diese gerät jedoch in Schwingung, wenn auf einer anderen Gitarre die auf den gleichen Ton gestimmte Saite zum Klingen gebracht wird.“ Bei Lernprozessen verhält sich das ähnlich: Sehen wir einen anderen Menschen etwas tun, so werden in unserem Gehirn dieselben Gehirnzellen aktiviert, die aktiviert werden, wenn wir diese Handlung selbst tun. Diese Erkenntnis wird inzwischen u.a. auch sehr erfolgreich bei der Behandlung von Schlaganfallpatienten eingesetzt, wie eine Studie der Neurologischen Universitätsklinik Freiburg gezeigt hat. Ist z.B. bei einem Schlaganfallpatienten der rechte Arm gelähmt, so setzt man ihn vor einen Spiegel und lässt ihn seinen linken Arm bewegen. Bei dem Blick in den Spiegel entsteht der Eindruck, dass er seinen rechten, den gelähmten Arm bewegt. Durch diese Beobachtung werden bei dem Patienten genau die Gehirnzellen trainiert, die notwendig sind, damit er selbst seinen rechten Arm wieder bewegen kann. Spiegelneuronen sind also quasi die neurobiologische Grundlage für das „Lernen am Modell“. Wenn wir lernen, so unterliegt dieser Prozess nicht, wie man bisher meinte, überwiegend den Mechanismen der Konditionierung, welche mit den Mitteln der Belohnung und Bestrafung arbeitet. Wesentlich intensiver sind Lernprozesse an lebenden Vorbildern. Wir lernen nicht nur am besten, sondern auch am schnellsten, wenn wir uns das zu Lernende bei anderen abschauen. Diese Tatsache ist daher bei der Durchführung von Schulungen und Trainings von größter Bedeutung und lässt sich in einem weit größeren Umfang nutzen, als dies den meisten Lehrern und Trainern bewusst ist. Was bedeutet dies für die Praxis? Das Spiel der Spiegelneuronen heißt in erster Linie „sehen und gesehen werden“. Um Vorbild zu sein, muss ich mich als Lehrer, Trainer oder Vorgesetzter „sehen lassen“. Dies bedeutet nicht, den Kasper oder Clown zu spielen und sich der Lächerlichkeit preiszugeben. Es bedeutet vielmehr, deutlich zu machen, dass man voll präsent ist und dass man entschlossen ist, zu sich und seinen Aussagen zu stehen. Es bedeutet, dass man für die eigenen Vorstellungen eintritt und bereit ist, sich hierfür Gehör zu verschaffen. Und diese Vorbildfunktion beginnt mit den Mitteln der Körpersprache. Wie man steht, geht und spricht. Aber auch Blickverhalten und Gesichtsausdruck sind wichtige Indikatoren – bis hin zur Kleidung. Über das System ihrer Spiegelneuronen erkennen Kinder wie Erwachsene, ob der Lehrer, Trainer oder Vorgesetzte selbstbewusst oder ängstlich ist, ob er sicher oder unsicher ist und wo sich ggf. Chancen zum Angriff ergeben. Allerdings ist die Funktionsweise der Spiegelneuronen keine Einbahnstraße. Auch umgekehrt hinterlassen die Eindrücke ihre Spuren. Damit ist gemeint, dass Kinder wie Erwachsene unbewusst darauf achten und erkennen, wie sie von einem Lehrer, Trainer oder Vorgesetzten wahrgenommen werden, d.h. welches Spiegelbild sie in diesem hervorrufen. Sie suchen also in diesem Spiegelbild nach einer Auskunft über sich selbst. Dies äußert sich durch unbewusst gestellte Fragen wie z.B.: Bin ich dir wichtig? Siehst du mich? Wer bin ich für dich? Welche Entwicklungsmöglichkeiten siehst du in mir? Die Antworten auf diese Fragen entnehmen wir nicht den Sonntagsreden, die andere an uns richten, sondern der Art und Weise, wie man mit uns umgeht. Das Geheimnis eines erfolgreichen Lernprozesses ist in erster Linie, den Menschen das Gefühl zu geben, dass sie wahrgenommen und einfühlsam verstanden werden. Wer die Motivationssysteme von Menschen in Gang setzen will, muss die Primärtugenden wie Beachtung und Zuwendung in den Mittelpunkt stellen. Erst danach können notwendige Sekundärtugenden wie Disziplin, Ordnung oder Autorität ins Spiel gebracht werden. 8. Die Überproduktion an Neuronen Unsere Gehirnzellen haben einen beispiellosen Aufstiegskampf absolviert. Bereits im vierten Monat der Schwangerschaft sind alle rund 100 Milliarden Gehirnzellen in unserem Gehirn angekommen und beginnen fleißig mit anderen Gehirnzellen Verbindungen einzugehen. Bis zum Ende unseres zweiten Lebensjahres sind unzählige Verbindungen entstanden – wesentlich mehr, als später tatsächlich genutzt oder gebraucht werden. Es hat den Anschein, als wollten sich in dieser Phase unsere Gehirnzellen mit jeder anderen Gehirnzelle über so viele Kontakte verbinden wie nur irgend möglich. Am Ende dieser Phase ist die Anzahl von neuronalen Verbindungen in unserem Gehirn so groß wie niemals später in unserem Leben, denn ist erst einmal alles mit allem verbunden, werden in den folgenden Jahren (etwa bis zur Pubertät) alle Verbindungen wieder aufgelöst, die nicht gebraucht, also nicht durch entsprechende Nutzung und Reize gefestigt und stabilisiert wurden. In genau diesem wissenschaftlich belegbaren Abbauprozess liegt die Chance für alle, die als Eltern, Erzieher oder Lehrer Verantwortung für Kinder haben, denn bereits die Kindergartenzeit hat eine enorme Bedeutung für die gesamte schulische Bildungsbiografie eines Menschen. Die neuronalen Strukturen, die in den ersten Jahren unseres Lebens aufgebaut werden, sind Kernstrukturen, in die im Rahmen des schulischen und beruflichen Lernens weiterführendes Wissen und Können integriert wird. Sind diese Strukturen falsch angelegt oder, weil nicht benutzt, verkümmert, so wird man sich später sehr schwer damit tun, neues Wissen positiv und mit Spaß hinzuzulernen. Eine Grundregel der Gehirnforschung lautet: Nur wenn neuronale Verknüpfungen benutzt werden, bleiben sie in Funktion. Die amerikanische Neurobiologie hat hierzu den Satz geprägt: „use it or lose it“. Aber es kommt noch dicker: Molekularbiologen haben inzwischen zahlreiche Belege zusammengetragen, dass Erfahrungen, die ein Mensch im Lauf seines Lebens macht, nicht nur neuronale Verbindungen im Gehirn verändern, sondern bis auf die Ebene der Gene wirken. Erfahrungen können also sogar die Genexpression verändern, und zwar ein Leben lang! Und da wir die meisten Erfahrungen nicht am Ende, sondern am Anfang unseres Lebens machen, wird noch deutlicher, wie wichtig es ist, in den ersten Jahren unseres Lebens die Weichen richtig zu stellen. Die Zauberformel hierfür lautet: Die nutzungsabhängige Stabilisierung synaptischer Netzwerke optimieren. Oder um es einmal bildhaft auszudrücken: Die Natur bietet uns die Möglichkeit, als Bildhauer tätig zu sein, der aus einem groben und unförmigen Stein durch Wegnahme überflüssigen Materials eine vollendete Statue schaffen kann. Was dies bedeutet und welche Konsequenzen damit für Lernprozesse verbunden sind, das wollen wir uns im Folgenden einmal genauer anschauen. 9. Wie wir die nutzungsabhängige Stabilisierung synaptischer Netzwerke optimieren können Nur wenn es uns gelingt, die nutzungsabhängige Stabilisierung synaptischer Netzwerke zu optimieren, verfügen Kinder über eine Fähigkeit, die sie mehr als alles andere für ihr späteres Leben benötigen – nämlich die Fähigkeit, sich im Leben zurechtzufinden, wissensdurstig und neugierig zu bleiben und mit anderen nach brauchbaren Lösungen für Probleme, Herausforderungen und Aufgabenstellungen des Lebens zu suchen. Damit dies gelingt und Kinder sich im Dschungel der Angebote, Erwartungen und Anforderungen unserer Wissens- und Informationsgesellschaft zurechtfinden können, brauchen sie Orientierungshilfen. Sie brauchen also, wie bereits beim Thema Spiegelneuronen dargestellt, Vorbilder und Leitbilder. Dies gelingt nicht, wenn Kinder in einer Spaßgesellschaft aufwachsen, in der Wissen und Bildung keinen Wert besitzen, verunsichert und verängstigt werden, weil sie mit Reizen überflutet und somit überfordert werden, sich z.B. durch passiven Medienkonsum nicht aktiv an der Gestaltung der Welt beteiligen können, mit ihren spezifischen Bedürfnissen und Wünschen nicht wahrgenommen und somit vernachlässigt werden, keine Freiräume finden, um ihre Kreativität zu entdecken und ausleben zu können, keine Gelegenheit bekommen, bei der Bewältigung von Problemen eigene Erfahrungen zu machen. Aber nicht nur Vorbilder und Leitbilder sind für eine positive Entwicklung notwendig. Was Kinder ebenfalls brauchen, sind innere Bilder. Was innere Bilder sind und welche Bedeutung sie für die nutzungsabhängige Strukturierung des Gehirns haben, lässt sich am besten an Hand von Sprachbildern aufzeigen, die wir immer dann benutzen, wenn wir versuchen, das in Worte zu fassen, was unser Denken lenkt, was unsere Aufmerksamkeit steuert oder wonach wir unser Handeln ausrichten. Wir sprechen dann von: Ideen Visionen Vorstellungen Idealen Motiven u.ä.m. Diese inneren Bilder sorgen dafür, dass wir bestimmte Aktivierungsmuster in unserem Gehirn abrufen und dann z.B. komplexe motorische Handlungen in Gang setzen und steuern.Die inneren Bilder, die für eine optimale Nutzung und Strukturierung unseres Gehirns maßgeblich sind, werden hauptsächlich in unserem präfrontalen Cortex gebildet. Der präfrontale Cortex ist die Hirnregion, in der endgültige Verschaltungsmuster während der Individualentwicklung eines Kindes als Letztes herausgebildet werden. Das bedeutet, dass die Strukturierung dieses Musters in besonderer Weise durch eigene Erfahrungen im Verlauf der frühen Kindheit mit Erziehung und Sozialisierung bestimmt ist. In dieser Zeit entscheidet es sich, ob es gelingt, die inneren Bilder zu generieren, die für die wichtigsten Fähigkeiten des Menschen entscheidend sind. Und diese sind: die Fähigkeit, eine Vorstellung von sich selbst und seiner eigenen Wirkung zu entwickeln, die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen, die Fähigkeit, seine Handlungen zu planen, zu kontrollieren und dann in eine sinnvolle Richtung zu lenken. Mit Hilfe der inneren Bilder entscheidet jeder Mensch für sich, was ihm wichtig ist, womit er sich beschäftigt, wofür er sich einsetzt, worauf er seine Aufmerksamkeit lenkt, wie er seine Vorstellungen umsetzt. Leider wird die Kraft der inneren Bilder in unserem Kulturkreis noch immer unterschätzt und oft als belangloses, wirklichkeitsfremdes Konstrukt abgestempelt. Es gilt also, den inneren Bildern mehr Aufmerksamkeit zu schenken, denn sind erst einmal falsche nutzungsabhängige Strukturprozesse im Gehirn angelegt, sind sie später nur noch schwer zu korrigieren. Diese weit reichenden Einflüsse auf die Gehirnentwicklung wurden jahrzehntelang gewaltig unterschätzt, und dies trägt wesentlich mit zur Misere im Bildungswesen bei. 10. Die Neurotransmitter – wie unser Gehirn vitalisiert und motiviert werden kann Neurotransmitter sind Botenstoffe in unserem Gehirn, die uns u.a. spüren lassen, was für die Aneignung neuen Wissens oder die Aneignung neuer Fähigkeiten unerlässlich ist – nämlich Vitalität und Motivation. Das Zentrum für die Herstellung der dafür notwendigen Botenstoffe liegt in Zellverbänden des Mittelhirns, und die Spezialität dieser Zellverbände ist es, einen Neurotransmitter-Cocktail herzustellen und auszuschütten, der in uns Lust erzeugt, etwas zu tun. Dieser Neurotransmitter-Cocktail besteht im Wesentlichen aus drei Komponenten, und das Geniale daran ist, dass sich diese Komponenten in ihrer Wirkung gegenseitig ergänzen. Aus welchen drei Komponenten besteht nun dieser Cocktail? Nun, die drei Komponenten sind: Dopamin Endogene Opioide Oxytocin Dopamin hat die Wirkung einer Glücksdroge, die uns Freude und gute Laune empfinden lässt. Die endogenen Opioide vermitteln uns Kraft und Wohlbefinden. Und Oxytocin koppelt unsere Motivation an menschliche Beziehungen – es ist eine Art „Freundschaftshormon“. Das Schwierige ist allerdings, dass hierbei zwei Probleme auftreten. Das erste Problem ist, dass man diesen Cocktail in keiner Bar der Welt bestellen kann – es sein denn, man verwendet Ersatzdrogen über einen Dealer, was aber ungesund und außerdem illegal ist. Diesem Problem wollen wir daher auch keine weitere Bedeutung zukommen lassen. Das zweite Problem ist, dass die hirneigene Produktion des Cocktails nicht automatisch geschieht. Oder mit anderen Worten: Unser Vitalitäts- und Motivationssystem kommt nicht von alleine in Gang, sondern muss aktiviert werden. Wie schwierig das manchmal ist, wissen Lehrer, Trainer und Vorgesetzte nur allzu gut. Die Frage ist also: Wodurch wird die Produktion des Neurotransmitter-Cocktails ausgelöst bzw. unser Vitalitäts- und Motivationssystem aktiviert? Die Antwort auf diese Frage, welche Stimuli unser Vitalitäts- und Motivationssystem aktivieren, gehört zu den jüngeren Erkenntnissen der Gehirnforschung, und gute Pädagogen und gute Psychologen praktizieren die Erkenntnisse daraus schon lange. Für sie wird die Antwort daher eine Bestätigung ihrer Arbeit sein, und weniger gute Pädagogen und Psychologen sollten sich die Antwort zu Herzen nehmen. Die Stimuli, die unser Vitalitäts- und Motivationssystem aktivieren, sind z.B. folgende: persönliche Beachtung ehrliches Interesse und liebevolle Zuwendung Stimuli, die unser Vitalitäts- und Motivationssystem deaktivieren, sind z.B.: Isolation Missachtung und Abwendung Die stärkste Motivationsdroge des Menschen ist also der Mensch selbst, und die Erkenntnis daraus ist: Es gibt keine Motivation ohne zwischenmenschliche Beziehungen. Diese Tatsache führte in der amerikanischen Neurobiologie zu dem Begriff „social brain“, also „soziales Gehirn“. Aus neurowissenschaftlicher Sicht besonders beachtenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die negativen Stimuli wie z.B. Isolation, Missachtung oder Abwendung nicht nur unser Vitalitäts- und Motivationssystem lähmen, sondern von unserem Gehirn ähnlich wahrgenommen werden wie absichtlich herbeigeführter körperlicher Schmerz. Und da bekanntlich absichtlich herbeigeführter Schmerz ein potentieller Auslöser von Aggression ist, wird verständlich, dass auch z.B. soziale Ausgrenzung oder Bindungslosigkeit Gewalttätigkeit auslösen können. Aber kommen wir zurück zum eigentlichen Thema und schauen uns einmal an, welche weiteren neurowissenschaftlichen Erkenntnisse uns zu einem besseren Verständnis für erfolgreiche Lernprozesse dienlich sind. 11. Hippocampus – unser Neuigkeitsdetektor Nicht alle Informationen, die wir über unsere Sinne aufnehmen, werden von unserem Gehirn verarbeitet. Vielmehr gewichtet und bewertet unser Gehirn die eingehenden Informationen, und es werden nur die Informationen weiterverarbeitet, die z.B. folgende Kriterien erfüllen: neu bedeutsam wichtig sinnvoll interessant glaubwürdig Informationen, die diese Kriterien nicht erfüllen, werden nicht weiter verarbeitet und sofort wieder gelöscht. Die zentrale Stelle in unserem Gehirn, in der diese Auswahlentscheidungen getroffen werden, ist der Hippocampus. Der Hippocampus ist also eine Art Neuigkeitsdetektor. Zwei Beispiele aus Schule und Unternehmen sollen uns dies näher verdeutlichen: Lehrer können so viele Unterrichtsstunden über soziales Verhalten und den Umgang miteinander durchführen, wie sie wollen - wenn aber das, was der Lehrer hierzu unterrichtet, nicht deckungsgleich ist mit dem tatsächlich Erlebten und von anderen Vorgelebten, werden diese Unterrichtsstunden keine oder nur eine geringe Wirkung zeigen. Der Hippocampus bewertet die Informationen dann nämlich als unglaubwürdig und unbedeutend. Auch in Unternehmen kann ein Trainer oder ein Schulungsleiter so viele Schulungstage über z.B. Teamfähigkeit und Kooperation veranstalten, wie er will - wenn seine Aussagen nicht kompatibel sind mit der im Unternehmen tatsächlich gelebten Kultur, werden auch diese Trainings oder Seminare keine oder nur eine geringe Wirkung haben. Auch hier bewertet der Hippocampus die Informationen als unglaubwürdig und unbedeutend. Eine weitere Aufgabe des Hippocampus ist es, wichtige Ereignisse oder Neuigkeiten in langfristige Speicherstrukturen zu überführen. Diese Aufgabe macht ihn zum Dreh- und Angelpunkt unserer Speicher- und Erinnerungsprozesse. In dieser Funktion steht der Hippocampus in direkter Verbindung mit unserer Großhirnrinde, dem Cortex, um an ihn Neues, Bedeutsames, Interessantes usw. zu senden. Während der Hippocampus sehr schnell arbeitet und lernt, aber nur eine geringe Speicherkapazität hat, arbeitet und lernt der Cortex wesentlich langsamer, verfügt aber dafür über eine unbegrenzte Speicherkapazität. Der Lernprozess, also das Abspeichern der zu lernenden Informationen, vollzieht sich nun so, dass der Hippocampus dem Cortex die Informationen immer wieder, auch in neuen Zusammenhängen und unterschiedlichen Kontexten anbietet. Der Hippocampus ist gewissermaßen der Trainer oder Lehrer des Cortex. Dabei arbeiten Hippocampus und Cortex arbeitsteilig und synchron. Dies geschieht übrigens sogar im Schlaf. Es funktioniert sogar besonders gut, wenn wir schlafen. Der Grund hierfür ist, dass unser Cortex über sogenannte Deltawellen dem Hippocampus signalisiert, dass er zur Aufnahme neuer Inhalte bereit ist. Und das funktioniert im Schlaf besonders gut, weil z.B. das Stresshormon Cortisol und der Neurotransmitter Acetylcholin auf ein Minimum absinken, während die Ausschüttung von z.B. Noradrenalin (ein Botenstoff, der für Lernvorgänge sehr wichtig ist) erhalten bleibt. Da hierdurch die Plastizität, also die Veränderbarkeit der Synapsen gestärkt wird, erhöht sich genau in dieser Phase unsere Lernfähigkeit enorm. 12. Forschen Sie noch oder verwalten Sie schon? Unser Gehirn ist immer auf der Suche nach spannenden Erfahrungen und interessanten Erkenntnissen, mit denen es sich über Erfolgserlebnisse belohnen kann. Menschen wollen von Natur aus viel lernen und den Dingen auf den Grund gehen. Vor allem Kinder sind auf alles neugierig und unternehmen gerne Forschungsreisen in ihre Umgebung. Später, wenn wir erwachsen werden, sucht unser Gehirn nach Anregungen, um Denk- und Erklärungskonzepte für vielerlei Aufgaben zu erstellen. Unser bereits angeborener Lerntrieb kann, wie wir ja schon kennen gelernt haben, inzwischen auch neurowissenschaftlich erklärt werden: Jedes Erfolgserlebnis wird mit einem mehr oder weniger starken Glücksrausch, also mit einem oben erwähnten Neurotransmitter-Cocktail belohnt. Und da wir diesen natürlichen „Kick“ möglichst häufig erleben möchten, sind wir Menschen von Natur aus und von Geburt an „Lernsüchtige“. Diese Sucht ist es, die uns immer wieder motiviert, Neues zu ergründen und zu erforschen. Im Grunde genommen sind wir alle Forscher, die durch Forschungsergebnisse ihre Forschungssucht befriedigen wollen. Dies trifft jedoch nur zu, wenn die bereits angesprochenen Rahmenbedingungen wie z.B. Beziehungen, positive Emotionen usw. stimmen. Ist das nicht der Fall, dann wird aus einem süchtigen Forscher allmählich ein unmotivierter Verwalter. Ein Verwalter, der, wie es auch schon mal bei der einen oder anderen Behörde vorkommen kann, nur noch damit beschäftigt ist, die Verwaltung der Verwaltung zu verwalten. Sich also nur noch um sich selbst dreht und sich nur noch mit Dingen beschäftigt, die sowieso schon vorhanden und bekannt sind. Die entscheidende Frage lautet also: Forschen Sie immer noch oder verwalten Sie schon? Auch sei an dieser Stelle einmal erwähnt, dass es keinen Grund zu der Befürchtung gibt, man könne sein Gehirn überfordern – und das gilt nicht nur für Erwachsene, sondern auch und vor allem für Kinder. Das, was umgangssprachlich als Überforderung bezeichnet wird, erweist sich bei näherer Betrachtung entweder als Unterforderung oder, was noch schlimmer ist, als frustrierendes Ergebnis von Pauken (z.B. zu viel Lernstoff in zu langen Unterrichtseinheiten), Drill (z.B. zu lange Phasen des Stillsitzens) oder Entmutigung (z.B. durch fehlende Erfolgserlebnisse). Halten wir uns alles, was wir bisher kennen gelernt haben, vor Augen, so kommen wir zu dem Ergebnis, dass unser Gehirn ein soziales, sehr dynamisches und sich selbst organisierendes Organ ist. Die Frage, die sich alle stellen sollten, die sich mit Aus- und Weiterbildung beschäftigen, lautet: Was fördert die Selbstorganisation unseres Gehirns? Zur Beantwortung dieser Frage haben die Wissenschaftler Renate Nummela Caine und Geoffrey Caine einen sehr wichtigen Beitrag durch ihre Lehr-Lern-Prinzipien geleistet, die auf Basis neurowissenschaftlicher Erkenntnisse entwickelt wurden. 13. Die zwölf Lehr-Lern-Prinzipien nach Caine und Caine Die Selbstorganisation unseres Gehirns spielt vor allem bei dem Erlernen von Werten eine wichtige Rolle, da man diese nicht einfach vermitteln oder eintrichtern kann. Lern- und Trainingskonzepte müssen daher so gestaltet sein, dass sie geeignet sind, die internen Verarbeitungsprozesse unseres Gehirns so anzuregen, dass Prozesse der sozialen Kompetenz, des Verstehens, des Einsehens von verantwortungsbewusstem Verhalten und Handeln entstehen und sich entwickeln können. In den Lehr-Lern-Prinzipien von Caine und Caine spiegeln sich genau diese Anforderungen wider. Prinzip: Lernen ist ein physiologischer Vorgang. Körper und Gehirn lassen sich nicht trennen und bilden eine Einheit. Wenn es darum geht, etwas zu lernen oder eine Erfahrung zu machen, dann arbeiten viele Systeme des Körpers und des Gehirns integriert zusammen. Fazit: Lernende lernen effektiver, wenn sie eigene Erfahrungen machen können und wenn dabei möglichst alle Sinne angesprochen werden. Prinzip: Das Gehirn ist ein soziales Organ. Menschen und somit auch ihre Gehirne möchten anerkannt, verstanden und beachtet werden.Überzeugungen und Einstellungen sind sehr stark von zwischenmenschlichen Beziehungen beeinflusst. Fazit: Lernende lernen effektiver, wenn in den Lernprozessen soziale Interaktionen einbezogen werden. Prinzip: Die Suche nach Sinn ist angeboren. Menschen möchten den Dingen auf den Grund gehen und Erklärungen finden. Die Suche nach dem Sinn ist daher wesentlicher Bestandteil unseres Lebens. Fazit: Lernende lernen effektiver, wenn ihre Interessen und Ideen miteinbezogen und gewürdigt werden. Prinzip: Sinnsuche geschieht durch die Bildung von neuronalen Mustern. Unser Gehirn bildet Muster, d.h. alle Informationen müssen geordnet und kategorisiert werden. Dabei ist das Gehirn darauf ausgerichtet, sinnvolle Muster wahrzunehmen und hervorzubringen. Sinnlos erscheinende Muster werden nicht akzeptiert und verweigert. Fazit: Lernende lernen effektiver und erweitern ihr Lernen, wenn neue Muster mit dem vorhandenen Vorwissen verbunden werden können. Prinzip: Emotionen sind wichtig für die Musterbildung. Emotionen begleiten jeden Gedanken, jede Entscheidung und jede Handlung. Lernprozesse sind somit immer an Emotionen gekoppelt. Fazit: Der Lernende lernt effektiver, wenn Lernprozesse mit positiven Emotionen gekoppelt werden können. Prinzip: Das Gehirn verarbeitet Informationen in ihren Einzelteilen und im Ganzen gleichzeitig. Das Gehirn möchte Informationen sinnvoll verarbeiten. Dazu muss es aus einer Fülle von Informationen auswählen. Fazit: Lernende lernen effektiver, wenn ihnen ein Verständnis für das Ganze vermittelt wird, welches dann ermöglicht, die Details sinnvoll zu verbinden. Prinzip: Lernen erfolgt sowohl durch gerichtete Aufmerksamkeit als auch durch periphere Wahrnehmung. Aufmerksamkeit ist eine wichtige Voraussetzung für erfolgreiche Lernprozesse. Dennoch werden auch periphere Informationen unbewusst aufgenommen und mitverarbeitet. So wie z.B. Kinder Verhaltensweisen, Redensarten usw. aufschnappen, ohne direkt darauf zu achten, wie dies geschieht. Fazit: Lernende lernen effektiver, wenn ihre Aufmerksamkeit vertieft wird und wenn zugleich Lernumgebungen geschaffen werden, die den Lernprozess unterstützen und in denen die Aufmerksamkeit nicht abgelenkt wird. Prinzip: Lernen geschieht sowohl bewusst als auch unbewusst. Lernen findet in verschiedenen Ebenen des Bewusstseins statt. So gibt es Dinge, die eine bewusste Aufmerksamkeit beim Lernen erfordern, und andere Dinge, die unbewusst erscheinen. So wie z.B. bei Künstlern und Wissenschaftlern Erkenntnisse erst nach einer gewissen Verarbeitungszeit plötzlich erscheinen und ins Bewusstsein treten. Fazit: Lernende lernen effektiver, wenn sie ihre eigenen Stärken und Schwächen kennen und Zeit bekommen, Eigenverantwortung für ihr Lernen zu übernehmen. Prinzip: Beim Lernen von Erfahrungen werden vielfältige Systeme aktiviert. Geht es um isolierte Fakten oder Abläufe, so werden diese gespeichert und archiviert. Beim Lernen durch Erfahrung hingegen werden viele Systeme aktiviert, damit die Erfahrung sinnvoll abgespeichert werden kann. Wir müssen also unterscheiden zwischen dem Auswendiglernen von Faktenwissen und dem dynamischen Wissen, das bei jeder Erfahrung beteiligt ist. Fazit: Schüler lernen effektiver durch Verknüpfungen von Informationen und Erfahrungen, die vielfältige Erinnerungswege zulassen. Prinzip: Lernen ist entwicklungsabhängig. Menschen entwickeln sich nie genau gleich oder gleich schnell. Alle Lernprozesse bauen auf vorher Gelerntem auf und sind von Veränderungen im Körper und im Gehirn begleitet, die ihrerseits durch Erfahrungen verändert werden. Fazit: Lernende lernen effektiver, wenn ihre individuellen Unterschiede in Entwicklung, Reife, Kenntnissen und Fertigkeiten berücksichtigt werden. Prinzip: Komplexes Lernen wird durch Herausforderungen gefördert, durch Angst und Bedrohung verhindert, was dann von Hilflosigkeit und Erschöpfung begleitet ist. Bedrohung, verbunden mit Angst und Hilflosigkeit zerstört jeden Nährboden für erfolgreiche Lernprozesse. Entspannte Aufmerksamkeit ist hingegen der ideale Zustand. Fazit: Lernende lernen effektiver in einer unterstützenden, motivierenden und herausfordernden Umgebung. Prinzip: Jedes Gehirn ist einzigartig. Jeder Mensch ist anders und jeder besitzt einen einzigartigen genetischen Code. Um Lernprozesse zu verbessern, ist es notwendig, die Gemeinsamkeiten der Lernenden zu erkennen und gleichzeitig jeden einzelnen als einzigartiges Individuum anzuerkennen. Fazit: Lernende lernen effektiver, wenn ihre einzigartigen individuellen Talente, Fähigkeiten und Fertigkeiten angesprochen werden. 14. Ein Blick in die Zukunft Worum es in Zukunft gehen muss, ist, eine andere Kultur im gesamten Aus- und Weiterbildungsbereich zu schaffen, und zwar auf drei Ebenen: Die erste Ebene ist eine Kultur der Wertschätzung, Ermutigung und Unterstützung, in der Vertrauen langsam und sicher wachsen kann (Pflanzen wachsen auch nicht schneller, wenn man an ihnen zieht). Die zweite Ebene ist die Lernkultur. Menschen, Kinder wie Erwachsene brauchen mehr Möglichkeiten, sich den zu lernenden Stoff durch eigene Erfahrung zu erschließen – also eine Umstellung hin zu mehr Erfahrungswissen und weniger eingetrichtertes Faktenwissen (Pflanzen sollte man gut düngen und regelmäßig gießen und dafür weniger an ihnen herumschnippeln). Und die dritte Ebene ist die Ebene der Lehrer, Trainer und Chefs. Es ist an der Zeit zu begreifen, dass die Vermittlung von Kompetenzen wichtiger ist als die Vermittlung von Fachwissen. Wenn wir in Deutschland wettbewerbsfähige Unternehmen haben möchten, dann brauchen diese Unternehmen starke Persönlichkeiten und keine Fachidioten. In Abwandlung eines Zitates von Antoine de Saint-Exupéry möchte ich Ihnen abschließend Folgendes zum Nachdenken mit auf den Weg geben: „Wenn ihr wollt, dass eure Kinder lernen, ein Schiff zu bauen, dann lehrt ihnen nicht nur den Umgang mit Werkzeugen und Materialien, sondern lehrt ihnen vor allem die Sehnsucht nach dem endlosen und weiten Meer.“
- Kaufentscheidungen (Teil 1 und 2)
Erkenntnisse der Gehirnforschung über die Steuerung unseres Konsumverhaltens. Inhaltsverzeichnis 1. Das Geheimnis der Verführung 2. Werbung im 21. Jahrhundert 3. Das Interesse an Neuromarketing ist groß 4. Auf der Suche nach dem „Kaufknopf“ im Gehirn 5. Der Aufbau des menschlichen Gehirns 6. Das Ende des Homo oeconomicus 7. Die AIDA-Formel verfehlt ihre Wirkung 8. Unser Gehirn ist ein soziales Organ 9. Kommunikation ist ein Frage der Bedeutung 10. Gesichter und Emotionen 11. Wie man Kunden motiviert 12. Die drei Motivationssysteme des Menschen 13. Wie man seine Zielgruppen definiert 14. Persönlichkeitsmotive und Situationsmotive 15. Der Erfolg liegt im Unbewussten 16. Marken sind neuronale Muster im Gehirn 17. Was es noch zu sagen gibt 18. Zusammenfassung 19. Was wir in „Kaufentscheidungen I“ kennen gelernt haben 20. Wie sich mit dem Alter das Kaufverhalten ändert 21. Das Kaufverhalten von 8 – 13jährigen 22. Das Kaufverhalten von 14 – 20jährigen 23. Das Kaufverhalten von 20 – 30jährigen 24. Das Kaufverhalten von 30 – 40jährigen 25. Das Kaufverhalten von 40 – 50jährigen 26. Das Kaufverhalten von 50 – 60jährigen 27. Das Kaufverhalten der 60-plus-Generation 28. Frauen kaufen anders als Männer 29. Die Unterschiede im Gehirn bei Frau und Mann 30. Wie Hormone und Botenstoffe unsere Kaufentscheidungen beeinflussen 31. Die Wirkung von Formen 32. Die Wirkung von Sprache 33. Die Wirkung von Geruch 34. Die Wirkung von Musik 35. Zusammenfassung Kaufentscheidungen (Teil 1 und 2) Erkenntnisse der Gehirnforschung über die Steuerung unseres Konsumverhaltens. 1. Das Geheimnis der Verführung Als im Jahr 1957 der US-Amerikaner Vance Packard in seinem Buch „Die geheimen Verführer“ darüber berichtete, dass in Kinofilmen Bilder von Konsumprodukten so kurz eingeblendet wurden, dass die Zuschauer davon nichts merkten, und dass anschließend die Verkaufszahlen in den Supermärkten rasch angestiegen seien, war das Entsetzen in der Öffentlichkeit und bei Verbraucherschützern groß. Anscheinend gab es eine unbewusste, subliminale Wirkung, die eine Steigerung des Kaufverhaltens auslöste. Inzwischen weiß man zwar, dass es eine solche unterschwellige Wahrnehmung gibt, dass sie aber nur sehr kurz anhält. Dass die Verkaufszahlen in den Supermärkten aufgrund der unterschwelligen Wahrnehmung damals tatsächlich angestiegen sind, ist daher eher nicht anzunehmen. Rund 50 Jahre später, im Jahr 2003 sorgten erneut Meldungen für Aufsehen. Coca-Cola hatte eine Studie in Auftrag gegeben, die mit den modernsten Techniken der Gehirnforschung durchgeführt wurde. Bei dieser Studie gab man Probanden sowohl Coca- Cola als auch Pepsi-Cola zu trinken, ohne dass die Probanden wussten, welche der beiden Marken sie gerade tranken. Das Ergebnis: Egal, ob die Probanden Coca-Cola oder Pepsi-Cola tranken, im Gehirn wurden die gleichen Areale aktiviert, insbesondere ein Bereich des Stirnhirns, der für die Belohnungsverarbeitung zuständig ist. Auf die Frage, welches der beiden Produkte besser schmeckt, antworteten 49%: Produkt 1, das war Coca-Cola, und 51% antworteten: Produkt 2, das war Pepsi-Cola. Danach wiederholte man den Versuch. Diesmal gab man den Probanden ebenfalls Coca-Cola und Pepsi-Cola zu trinken, aber die Markenlogos der Hersteller waren sichtbar. Das Ergebnis war verblüffend. Als die Probanden Coca-Cola tranken, leuchteten im Gehirnscanner zusätzliche Bereiche im Mittel- und Großhirn auf. Als sie Pepsi-Cola tranken, leuchteten diese Areale nicht auf. Ein weiterer Effekt war, dass jetzt nur noch 23% der Probanden der Meinung waren, dass Pepsi-Cola besser schmecke. Diese Studie von Coca-Cola erregte das Interesse von Forschungseinrichtungen und Marketingexperten großer Konzerne. Und so entstand in den letzten Jahren eine neue Disziplin mit der Bezeichnung „Neuromarketing“. Aber ist Neuromarketing wirklich die neue Geheimwaffe der Produktanbieter, die den Konsumenten zu einem willenlosen Opfer macht? Was an dieser neuen Forschungsdisziplin dran ist und welche gesicherten Erkenntnisse die Wissenschaft bis heute über das Kaufverhalten von Verbrauchern herausgefunden hat, soll heute unser Thema sein. 2. Werbung im 21. Jahrhundert In Deutschland investieren Unternehmen derzeit rund 80 Milliarden Euro in Werbung. Weltweit umfasst Werbung sogar eine halbe Billion. Ein einziger Fernsehspot zur besten Sendezeit kann mehr als 100.000 Euro kosten, und mit einer ganzseitigen Werbeanzeige in einer Zeitschrift kommt man schnell auf 50.000 Euro und mehr. Ein gigantischer Aufwand, der nur ein einziges Ziel verfolgt: den potentiellen Verbraucher für sich und seine Produkte bzw. Dienstleistungen zu gewinnen. Aber lohnt der Aufwand? Die Werbeforscher und Marketingexperten sind sich einig, dass rund 95% der Werbebotschaften den potentiellen Kunden in einem Moment erreichen, wo er gerade kein Interesse hat. Warum sollte jemand, der gerade auf dem Weg zu einem wichtigen Termin ist, sich für den Radiospot einer neuen Margarine interessieren? Und dann ist da ja auch noch das Thema Reizüberflutung oder auf Neudeutsch „information overload“. Rechnet man alle Werbebotschaften eines Tages zusammen, also Werbung im Fernsehen, Radio, Internet, Zeitschriften, Plakatwände, Schaufenster usw., so sind es rund 3.000 Aufforderungen, etwas zu kaufen – und das Tag für Tag. Wen wundert es da, dass es inzwischen viele Stimmen gibt, die die Meinung vertreten, dass Werbung rausgeschmissenes Geld sei. Und die Zahlen sprechen ja auch für sich: Waren es 1985 noch 18% der Werbespots, an die man sich erinnerte, so waren es im Jahre 2002 nur noch 8%. Tendenz weiter fallend. Und das, obwohl die Werbebudgets von 1990 bis 2000 um 175% gestiegen sind. Außerdem stehen auch viele Unternehmen vor der Problematik, dass sich Produkte immer ähnlicher werden und austauschbar sind. Auch mit der Kundentreue ist es nicht mehr weit her. Das war früher anders: Einmal VW, immer VW. Und wer als Kind bereits sein Sparschwein zur Sparkasse brachte, der eröffnete dann später dort auch sein Girokonto, legte dort sein Vermögen an oder finanzierte bei der gleichen Bank seine eigenen vier Wände. Und als wenn das nicht schon genug sei, heutzutage gegen die direkten Wettbewerber antreten zu müssen, kämpft man inzwischen auch gegen andere Branchen, denn der potentielle Kunde überlegt heute nicht nur, ob er sich einen neuen VW oder einen neuen Ford kaufen soll. Nein, er überlegt, ob er überhaupt ein neues Auto oder stattdessen lieber eine neue Wohnungseinrichtung kaufen soll. Ach ja, und wie war das mit den Zielgruppen? Gibt es sie überhaupt noch? Kann man überhaupt noch von Zielgruppen reden, wenn der erfolgreiche Jungunternehmer sich vormittags einen Armani-Anzug in der Herrenboutique kauft und nachmittags mit seinem schicken Cabrio beim Aldi vorfährt, um sich die Ravioli aus dem Sonderangebot zu besorgen? Sollten die Kritiker der Werbung also doch Recht haben, wenn sie behaupten, dass Investitionen in Werbung unrentabel seien? Die Antwort ist sowohl ein „Ja“ als auch ein „Nein“. Ja, wenn die Werbemittel (zumindest von den meisten Unternehmen) weiterhin so investiert werden wie bisher. Nein, wenn man die aktuellen Erkenntnisse der Gehirnforschung bei den Marketing- und Werbestrategien berücksichtigt. Im Harvard Business Manager schrieb der Vorstandsvorsitzende von Procter & Gamble, Alan G. Lafley: „Wir müssen unsere Methode, wie wir den Kunden ansprechen, überdenken und ein neues Modell entwerfen“ - und das sagt der Chef des Unternehmens, das weltweit mit am meisten in Werbung investiert! Das Nachdenken über neue Methoden ist auch mehr als berechtigt: 80% der neu eingeführten Produkte scheitern, und das trotz intensiver Marktforschung vor der Einführung. Jedes Jahr müssen daher ca. 20.000 Artikel nach kurzer Zeit wieder vom Markt genommen werden. Laut der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) werden allein dadurch jährlich rund 10 Milliarden Euro verschwendet. Was aber kann die Gehirnforschung dazu beitragen, die Bedürfnisse der Verbraucher besser zu verstehen, und wie können Erkenntnisse daraus in erfolgreiche Werbestrategien umgesetzt werden? 3. Das Interesse an Neuromarketing ist groß Was die Gehirnforschung in den letzten zehn Jahren herausgefunden hat, ist mehr als in den letzten hundert Jahren zusammen, und das Interesse an neuen Erkenntnissen nimmt weiterhin zu. Der Dalai Lama schickte acht Mönche in die Vereinigten Staaten, um herausfinden zu lassen, was im Moment der totalen Entspannung im Gehirn passiert. Bei Probanden werden unter einem Gehirnscanner die Gehirnströme gemessen, während sie einen virtuellen Einkaufsbummel erleben. Die Medien sind voll von schönen bunten Gehirnbildern, und wenn man den Begriff „Neuromarketing“ in Google eingibt, so erscheinen derzeit über 340.000 Treffer. Warum aber ist das Interesse an den Erkenntnissen der Gehirnforschung so groß? Nun, der Grund ist, dass die klassischen Erhebungsmethoden der Marktforschung an ihre Grenzen stoßen. So gibt z.B. eine Befragung nur Auskunft darüber, was der Befragte bewusst wahrgenommen hat. Viele Werbebotschaften wirken aber unbewusst und können daher von den Befragten sprachlich nicht wiedergegeben werden. Diese Unzufriedenheit mit den Ergebnissen der derzeitigen Marktforschungsinstrumente und die hohen Fehlinvestitionen in Werbemaßnahmen sind daher die Hauptgründe, warum sich Marketing- und Werbefachleute in der ganzen Welt für das Thema Neuromarketing interessieren. 4. Auf der Suche nach dem „Kaufknopf“ im Gehirn Stellen Sie sich einmal vor, Sie schalten die Nachrichten ein und der Sprecher verkündet folgende Meldung: „Forscher entdecken den Kaufknopf im menschlichen Gehirn“. Diese Meldung würde die Menschheit in zwei Lager spalten. Das Lager der Marketing-, Werbe- und Vertriebsmenschen würde jubeln und alles daransetzen, diese Erkenntnis für ihre Zwecke zu nutzen. Das Lager der Verbraucher und Konsumenten würde vor Schreck erstarren und sich die Frage stellen, ob wir jetzt nur noch willenlose und ferngesteuerte Wesen sind, die alles kaufen, wenn man nur den Kaufknopf drückt. Um den einen die Hoffnung und den anderen die Angst zu nehmen, eines vorweg: Den Kaufknopf im Gehirn gibt es definitiv nicht. Dazu ist das menschliche Gehirn viel zu komplex in seiner Zusammensetzung, Gestaltung und Veränderbarkeit. Ist also der ganze Rummel um das Thema Neuromarketing doch nur ein Hype, der kommt und wieder geht? Die Antwort ist „Nein“. Neuromarketing kann tatsächlich dabei helfen, die Wünsche, Bedürfnisse und Verhaltensweisen der Verbraucher besser zu ergründen, und Neuromarketing kann wertvolle Hinweise liefern, damit Werbebudgets nicht sinnlos verbrennen. Wie dies mit Hilfe von Neuromarketing gelingt, soll uns ein Beispiel vor Augen führen: Ein im Marketing feststehender Begriff ist das sogenannte „Relevant Set“. Hinter diesem Begriff verbergen sich Maßnahmen, die das Ziel haben, ein Produkt oder eine Dienstleistung auf der Einkaufsliste des potentiellen Kunden stetig weiter nach oben zu bringen. Man geht also von der Annahme aus, dass es im Gehirn des Menschen eine Art Rangordnung gibt, die sich durch gezielte Werbemaßnahmen verändern lässt. Wie inzwischen aber mehrere neurowissenschaftliche Studien bestätigt haben, gibt es genau diese Rangordnung nicht. Im Gehirn des Verbrauchers gibt es nur zwei Plätze: „erster Platz“ und „dahinter“. Oder um es einmal mit einem Titel der schwedischen Popgruppe Abba zu formulieren: „The Winner Takes It All“. Statt also viel Geld in die Platzierung auf einer nicht vorhandenen Rangliste zu investieren, sollten diese Mittel besser dafür ausgegeben werden, die Käufergruppen zu finden, bei denen die Chance besteht, auf den ersten Platz zu kommen. Dies hätte nicht nur Vorteile für ein Unternehmen, das dadurch Kosten reduziert und Gewinne erhöht. Es hätte auch Vorteile für den Verbraucher, denn höhere Unternehmensgewinne sichern auch Arbeitsplätze oder senken die Verkaufspreise. Es sind also immer mehrere Seiten, die man bedenken sollte. Und überhaupt: das, was Sie im Folgenden kennen lernen werden, ist keine Bedienungsanleitung zur Manipulation von Menschen, sondern richtet sich an alle, die mehr über sich selbst und die Funktionsweise des menschlichen Gehirns erfahren wollen. Wenn Sie Experte für Vertrieb und Marketing sind, werden Sie viele nützliche Tipps erhalten, die Ihnen bei Ihrer Arbeit zu mehr Erfolg verhelfen. Wenn Sie in erster Linie Konsument und Verbraucher sind, werden Sie viele interessante Dinge darüber erfahren, wie sich Ihr Konsum- und Verbrauchsverhalten gestaltet. Und wenn Sie sich in erster Linie als Verbraucherschützer sehen, werden Sie faszinierende Einblicke in die Waffenkammer Ihrer Gegner erhalten. Die Welt ist bunt und vielseitig, und wir brauchen sie alle: die Produktentwickler und Marketingexperten genauso wie die Verbraucher und auch die Kritiker. Lassen Sie uns daher gemeinsam und mit respektvoller Anerkennung der Andersdenkenden auf eine spannende Reise in die Welt des Neuromarketings gehen! 5. Der Aufbau des menschlichen Gehirns Um die Erkenntnisse der Gehirnforschung im Hinblick auf unser Konsumverhalten bzw. unsere Kaufentscheidungen besser zu verstehen, schauen wir uns zunächst einmal den funktionellen Aufbau des menschlichen Gehirns etwas näher an. Dies ist deswegen so wichtig, weil wir herausfinden wollen, wie bestimmte Funktionen unseres Gehirns wirken. Und um das herauszufinden, müssen wir wissen, wo die einzelnen Funktionen angesiedelt sind. Im Großen und Ganzen lässt sich unser Gehirn zunächst einmal in zwei Teilsysteme untergliedern: das kognitive System zur Verarbeitung von Informationen, also der Cortex. das emotionale System zur Verarbeitung von Gefühlen, also das limbische System. Diese beiden Systeme können aber nicht unabhängig voneinander betrachtet werden, da man inzwischen in den Strukturen des emotionalen Systems starke Verbindungen zu Arealen des kognitiven Systems nachweisen konnte, insbesondere Verbindungen zu Teilen des Hypothalamus, des Thalamus und der Großhirnrinde. Einer der bekanntesten Gehirn- und Emotionsforscher ist Joseph LeDoux. Er sagt sogar: „Die Theorie vom limbischen System als alleiniger Erklärungsansatz des emotionalen Gehirns ist falsch!“. Ausgangspunkt des emotionalen Systems ist der Hirnstamm. Er integriert die Außen- und Inneninformationen des Körpers zu einem Gesamtbild und ist an der Aufrechterhaltung unseres emotionalen und physiologischen Gleichgewichts beteiligt. Eine wichtige Schnittstelle zwischen dem emotionalen und dem kognitiven System ist der Gyrus Cinguli. Er wird bei Emotions- und Motivkonflikten aktiviert. Ebenfalls Bestandteil des emotionalen Systems ist die Amygdala. Sie ist durch Nervenbahnen mit dem Hippocampus verbunden. Beide zusammen, also Amygdala und Hippocampus sind für die erstmalige Registrierung, die Verarbeitung und den Transfer emotionaler Informationen in das Langzeitgedächtnis zuständig. Im vorderen Stirnhirn befindet sich der orbitofrontale Cortex. In diesem Areal laufen die Motiv- und Emotionssysteme zusammen. Außerdem ist der orbitofrontale Cortex für die Speicherung emotionaler Erfahrungen zuständig. Eine weitere wichtige Aufgabe übernehmen die Schläfenlappen. Sie verarbeiten die Bedeutung von Sinneseindrücken und fügen sie zu einem Gesamtbild zusammen. Und last but not least spielen für unsere Überlegungen der Thalamus und der Hypothalamus eine wichtige Rolle. Im Thalamus werden eingehende Informationen unserer Sinnesorgane verarbeitet. Und der Hypothalamus übt eine strenge Kontrolle über viele Körperfunktionen aus. In Verbindung mit der Hypophyse, also der Hirnanhangdrüse bildet er das wichtigste Kontrollsystem unserer Gefühle. Wir sehen also, wie eng und vielschichtig die Funktionen unseres Gehirns verbunden sind. Und was nützt uns diese Erkenntnis für die Marktforschung? Eine der wichtigsten Erkenntnisse für die Marktforschung ist folgende: Es gibt keine rationalen Entscheidungen ohne die Beteiligung emotionaler Prozesse! 6. Das Ende des Homo oeconomicus Nach der klassischen Wirtschaftstheorie ist der Mensch ein Homo oeconomicus, also ein Wesen, das seine Entscheidungen und sein Verhalten nach dem Prinzip der Kosten-Nutzen-Optimierung ausrichtet. Diese Vorstellung ist inzwischen nicht nur überholt, sie ist auch schlichtweg falsch, was uns folgende Beispiele vor Augen führen sollen: Mal angenommen, Sie möchten sich ein neues Fernsehgerät kaufen und hätten die Wahl zwischen Barzahlung oder einem zinslosen Ratenplan. Würden Sie rein nach der Kosten-Nutzen-Optimierung vorgehen, so müssten Sie sich für die Ratenzahlung entscheiden, damit Ihr Geld weiterhin auf Ihrem Konto bleibt und dort Zinsen erwirtschaftet. Der eine oder andere tut das auch, aber die meisten Menschen entscheiden sich in solchen Situationen für die Barzahlung. Auch ist erwiesen, dass Kunden, wenn sie ein Rabattschild sehen, auch dann zugreifen, wenn der Preis objektiv nicht günstiger ist. Sie greifen sogar zu, wenn der Preis höher ist, als er ohne Rabattschild wäre. Auch das hat mit einem Homo oeconomicus wenig zu tun. Aber warum ist das so? Nun, ein ganz wesentlicher Grund ist folgender: In jeder Sekunde werden über unsere fünf Sinne, also Sehen, Hören, Riechen, Fühlen und Schmecken, unserem Gehirn Informationen im Umfang von ca. 11 Millionen Bits gesendet und dort verarbeitet. Unser Bewusstsein kann aber pro Sekunde nur ca. 40 Bits verarbeiten. Das sind gerade einmal 0,0004%. 99,9996% der Informationen, die unser Gehirn erhält, werden daher unbewusst verarbeitet. Und dafür gibt es auch einen sehr guten Grund: Von der Energie, die unser Körper verbraucht, werden rund 20% alleine von unserem Gehirn benötigt. Und da unser Gehirn mit dieser verfügbaren Energie sparsam umgehen möchte, ist es das Ziel, möglichst viele Aufgaben unbewusst ablaufen zu lassen. Denken Sie einmal an Ihre erste Fahrstunde und wie anstrengend das war, weil Sie beim Start des Autos noch jeden Handgriff bewusst durchführen mussten, und wie routiniert, also energiesparend, Sie heute losfahren. Unbewusste Vorgänge erfordern einen viel geringeren Energieverbrauch als bewusste Vorgänge! Wenn also 99,9996% der Signale, die auf unser Gehirn einwirken, unbewusst verarbeitet werden, dann wird auch deutlich, warum Werbe- und Marketingexperten mit den Ergebnissen der klassischen Marktforschung wie z.B. Befragungen sehr unzufrieden sind. Die Antworten der Befragten basieren größten Teils auf den bewusst wahrgenommenen Eindrücken. Diese haben aber nur einen Anteil von 0,0004% an unseren Kaufentscheidungen. Die große Chance der Marketingkommunikation besteht also darin, Strategien zu entwickeln, mit denen man den unbewussten Teil des Gehirns anspricht. Halt, werden Sie jetzt vielleicht denken, ist das dann nicht Manipulation pur? Sind das nicht Überlegungen, die mich zu einem willenlosen und fremdgesteuerten Wesen machen? Die Antwort ist „Nein“, denn sowohl der bewusste Anteil als auch der weitaus größere unbewusste Anteil sind Bestandteile unserer individuellen Persönlichkeit. Und jeder Mensch verfügt über eine ganze Reihe unbewusster Wünsche und Motive, die sich meist schon in der frühen Kindheit während der Persönlichkeitsentwicklung gebildet haben. Sie brauchen also keine Angst zu haben, dass Sie ein Produkt kaufen, das nicht Ihre eigenen unbewussten Wünsche und Motive anspricht – da kann die Werbung anstellen, was sie will. Wie stark aber unser unbewusster Anteil wirkt und wie sich das auch in unserem Verhalten äußert, haben folgende Studien eindrucksvoll unter Beweis gestellt: Eine der stärksten Marken im Kreditkartengeschäft ist VISA. In einer Studie legte man nun Broschüren von VISA aus und bat die Menschen um eine Spende. Danach wiederholte man das Experiment, entfernte aber die Broschüren von VISA. Das Erstaunliche war nun, dass 87% der Menschen bereit waren, Geld zu spenden, während die Broschüren von VISA auslagen. Entfernte man die Broschüren, lag die Spendenbereitschaft nur noch bei 33%. Als man hinterher die Menschen befragte, waren ihnen die ausgelegten VISA-Broschüren überhaupt nicht aufgefallen und sie stritten deren Einfluss auf ihr Spendenverhalten sogar vehement ab. Die Markenkraft von VISA wirkte also auf das Verhalten der Menschen, ohne dass es ihnen bewusst war. In einer anderen Studie setzte man Probanden in einen Raum, in dem sich ohne ihr Wissen ein Putzeimer mit einem nach Zitrone riechenden Allzweckreiniger befand. Der Zitrusduft war aber so schwach, dass er von den Probanden nicht bewusst wahrgenommen wurde. Dennoch hinterließen diese Probanden den Raum ordentlicher und sauberer als die Vergleichsgruppe, die man nicht dem Zitrusduft aussetzte. Das Gehirn assoziiert also unbewusst den Geruch von Zitrusduft mit z.B. „sauber“ und „rein“ und setzt dadurch Verhaltensprogramme in Gang, ohne den bewussten 40-Bit-Kanal zu durchlaufen. Neurowissenschaftler nennen das Auslösen solcher Verhaltensprogramme durch unbewusste Signale „Priming“, was übersetzt „Bahnung“ bedeutet und als Steuern oder Lenken interpretiert werden kann. 7. Die AIDA-Formel verfehlt ihre Wirkung In der Marketing- und Werbeindustrie werden bis heute viele Maßnahmen auf Basis der sogenannten AIDA-Formel entwickelt. A steht für Attention (Aufmerksamkeit). Der Betrachter soll dazu gebracht werden, auf ein Produkt oder eine Werbung aufmerksam zu werden. I steht für Interest (Interesse). Der Betrachter soll sich mit dem Produkt oder der Werbung beschäftigen. D steht für Desire (Wunsch, Verlangen). Der Betrachter bekommt rationale oder emotionale Gründe genannt, warum er das Produkt erwerben sollte. A steht für Action (Handlung, Kauf). Der Betrachter soll nicht nur die Werbung anschauen, die ja kein Selbstzweck ist, sondern so beeinflusst werden, dass er mit der Werbebotschaft im Kopf in das entsprechende Geschäft einkaufen geht. Die Antwort darauf, warum diese Formel nicht funktioniert, erfahren wir, wenn wir uns einmal anschauen, wie unser Gehirn lernt. Wenn wir an Lernen denken, dann denken wir meist an Schule oder Studium. Diese Form des Lernens ist aber bewusstes Lernen, also 40-Bit-Lernen und meist wenig effektiv. Die meisten Dinge in unserem Leben lernen wir aber unbewusst, quasi nebenbei. Auf diese Weise haben wir alle z.B. unsere komplette Muttersprache und vieles mehr gelernt. Und dieses unbewusste Lernen verfügt über eine enorme Kraft, wie uns auch eine Studie des Intuitionsforschers Prof. Dr. Henning Plessner beweist: Er forderte Testpersonen auf, sich vor einen Bildschirm zu setzen und Werbespots anzuschauen. Während die Werbespots liefen, wurden am unteren Bildschirmrand, wie bei n-tv, die Gewinne und Verluste von Aktienunternehmen eingeblendet. Am Ende des Tests legte man den Testpersonen eine Liste mit Firmennamen vor und fragte sie, von welchen Firmen sie Aktien kaufen würden. Obwohl es sich bei den Testpersonen ausnahmslos um börsenunerfahrene Studenten handelte, die sich auf die eingeblendeten Werbespots konzentrierten und die vorbeilaufenden Aktienwerte kaum wahrnahmen, wählten die meisten die Firmen aus, die zuvor am Bildschirmrand mit hohen Gewinnen dargestellt wurden. Plessner sagte damals: „Das Ergebnis hat mich eine gewisse Ehrfurcht vor unserem Denkorgan gelehrt“. Diese und viele ähnliche Studien belegen, dass für Lernleistungen keine konzentrierte und bewusste Aufmerksamkeit nötig ist. Dies gilt gleichermaßen auch für den Lernprozess von Werbebotschaften. Und das Beispiel zeigt, warum die AIDA-Formel nicht funktioniert, da nach dieser Formel Aufmerksamkeit eine wichtige Voraussetzung für Werbekommunikation und deren Wirkung ist, was aber nicht stimmt. Und damit sind wir auch schon bei einer der wichtigsten Fragen angekommen, die die Vermarktung von Produkten und Dienstleistungen betrifft, nämlich bei der Frage: Wie wird Werbung kommuniziert? Anders ausgedrückt: Wie werden die Werbebotschaften am besten gesendet und wo kommen sie beim Empfänger an? Sprechen die Botschaften den 40-Bit breiten bewussten Kanal an oder nutzen sie das weitaus größere Potential von insgesamt 10.990.960 Bit der unbewussten Verarbeitung? 8. Unser Gehirn ist ein soziales Organ Wir haben erfahren, wie wichtig es ist, die unbewussten Ziele und Motive anzusprechen, damit Werbebotschaften ankommen. Was aber sind die unbewussten Wünsche und Motive? Da jeder Mensch ein Individuum ist, sind auch seine unbewussten Wünsche und Motive sehr individuell. Dennoch gibt es einige Wünsche und Motive, die für alle Menschen gleich sind. Der Mensch ist ein Herdentier. Sein Überleben hängt nicht nur davon ab, dass er seine Grundbedürfnisse wie Nahrung, Schlafen oder Fortpflanzung befriedigt. Er ist auch nicht nur auf das eigene Überleben aus, indem er schnell dem Säbelzahntiger entkommt. Er ist vor allem auf das Überleben in und mit seiner Herde ausgerichtet. Unser Überleben hängt also sehr stark davon ab, wie gut wir darin sind, uns in ein soziales Netz zu integrieren. Schon vor vielen Jahren fand man heraus, dass Kinder in Krankenhäusern, die keinen Kontakt zu einer Bezugsperson hatten, psychisch krank wurden. Wenn Mitarbeiter in einem Unternehmen ausgegrenzt werden, entstehen Ängste und Depressionen. Soziale Missachtung führt sogar dazu, dass in unserem Gehirn die gleichen Areale aktiviert werden, wie wenn man jemandem aktiv körperlichen Schmerz zufügt. Bei der Suche nach der Antwort auf die eingangs gestellte Frage: „Wie wird Werbung kommuniziert?“ ist spätestens jetzt klar: Eine der wichtigsten Voraussetzungen für erfolgreiche Vermarktungsstrategien ist die Berücksichtigung des Menschen als soziales Wesen! Überprüfen Sie einmal die Produkte und Leistungen, die Sie als Unternehmer vermarkten oder als Verbraucher kaufen, dahingehend, ob und welche Herde, also welche soziale Gruppe angesprochen wird. Ein Beispiel für erfolgreiche Markenkommunikation unter Berücksichtigung des Herdentriebs sind die Biersorten Becks und Radeberger. Becks mit dem grünen Dreimaster in der Werbung steht für Freiheit, Abenteuer und Entdeckung. Die Herde, die hier angesprochen wird, ist also die Herde, die Lust auf Freiheit und Abenteuer verspürt. Ganz anders die Werbung von Radeberger. Mit dem Motiv der Semper-Oper in Dresden wird die Herde angesprochen, die für Tradition und Kultur steht. Starke Marken berücksichtigen also in erster Linie soziale Aspekte und bieten die Möglichkeit, sich einer sozialen Gruppe zuzuordnen bzw. von einer sozialen Gruppe abzugrenzen, und sprechen damit ein menschliches Grundbedürfnis an. Dies lässt sich auch neurowissenschaftlich sehr schön beweisen. Zeigt man Probanden unter einem Gehirnscanner starke Marken, die die soziale Komponente berücksichtigen, so leuchten vor allem die Amygdala als Teil unseres Emotionszentrums und der ventromediale, präfrontale Cortex, der direkt hinter der Stirn über unseren Augen sitzt, hell auf. Beides sind Areale, die mit unserer Sozialstruktur und unserem Bedürfnis nach einem entsprechenden sozialen Netzwerk untrennbar verbunden sind. Soll Werbung funktionieren, muss das Gehirn als soziales Organ in die Strategien der Marketingkonzepte mit einbezogen werden. 9. Kommunikation ist eine Frage der Bedeutung Erfolgreiche Marken- und Produktkommunikation ist aber nicht nur die Berücksichtigung unseres Herdentriebs und der Wunsch nach Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe bzw. Abgrenzung von einer sozialen Gruppe. Erfolgreiche Marken- und Produktkommunikation ist auch davon abhängig, welche Bedeutung der Empfänger einer Werbung zukommen lässt. Ein Bespiel dafür, was damit gemeint ist, soll uns folgende alltägliche Situation vor Augen führen: Wenn Ihr Partner zu Ihnen sagt: „Das Kaffeepulver ist alle“, so ist das zunächst einmal nichts anderes als eine Information, die einen Zustand beschreibt. Was aber ist die Bedeutung dieser Information? Diese kann nämlich sehr vielseitig sein. „Das Kaffeepulver ist alle“ kann z.B. bedeuten: „Fülle es bitte nach!“ - also eine Aufforderung zum Handeln - oder: „Du hast vergessen, Kaffeepulver einzukaufen“ - also ein Vorwurf - oder: „Das Kaffeepulver ist schon wieder alle“ - also eine Kritik über zu hohen Verbrauch. Ob wir eine Aussage als Appell oder Vorwurf interpretieren, hängt also wenig davon ab, was jemand wortwörtlich sagt, sondern ist ein Zusammenspiel von Tonlage, Mimik, Gestik u.v.m. Erst durch das Zusammenspiel aller Komponenten sind wir in der Lage, die wahre Bedeutung einer Botschaft zu entschlüsseln. Was bedeutet dies für die Praxis? Das, was wir einem Kunden sagen, ist nicht unbedingt das, was bei einem Kunden ankommt. Ein Beispiel für eine fehlgeleitete Kommunikation ist ein Werbespot der Dresdner Bank: Gesagt wird, dass der Berater über Chancen und Risiken aufklärt. Was aber gezeigt wird, ist, dass der Fonds lange Zeit im Minus war. Obwohl diese Szene nur kurz im Spot zu sehen ist, reicht sie aus, um eine nicht gewollte Botschaft zu kommunizieren, nämlich „Gefahr“ statt „Chance“. Es sind also vor allem die nichtsprachlichen und unbewussten Elemente, die unser Verhalten beeinflussen und steuern. 10. Gesichter und Emotionen Neben der sozialen Komponente und der Zumessung von Bedeutung spielen Gesichter eine weitere sehr wichtige Rolle in der Produkt- und Markenkommunikation. Unser Gehirn ist ein Meister der Gesichtserkennung, und wenn wir in einem Raum mit mehreren hundert Personen unseren Partner suchen, so sind wir jedem Computer haushoch überlegen. Auch in der Werbung spielen Gesichter eine sehr wichtige Rolle. Dabei aber einfach nur dem Grundsatz folgen: „Hauptsache ein lächelndes Gesicht“, ist unserem Gehirn, dem Meister der Gesichtserkennung zu wenig. Der Grund dafür ist, dass das Areal in unserem Gehirn, das für die Gesichtserkennung zuständig ist, in direkter Verbindung mit unserem emotionalen Zentrum steht. Es geht also nicht nur darum, wen wir sehen, sondern vor allem darum, was wir dabei fühlen. Nimmt man z.B. ein und dasselbe Foto mit dem Gesicht einer Person und dreht es nur leicht, so entstehen völlig unterschiedliche Emotionen. Während bei dem Originalfoto Emotionen entstehen, die auf Demut oder Traurigkeit schließen lassen, bewirkt das gedrehte Foto ein Gefühl von Überlegenheit oder Selbstbewusstsein. Und noch ein Aspekt ist bei dem Thema Werbung und Gesichter wichtig, wie uns ein Experiment des Neurowissenschaftlers Dr. Christof Koch am California Institute of Technology auf beeindruckende Weise zeigt. Um bei Epilepsiepatienten das Zentrum der Epilepsie zu orten, wurden ihnen Elektroden im Gehirn implantiert. Anschließend zeigte man diesen Patienten Bilder von Prominenten wie z.B. Bill Gates oder Halle Berry. Das Interessante daran war, dass bei jedem Bild eines Prominenten eine bestimmte Gehirnzelle feuerte, und zwar egal, ob der Prominente von links, von rechts, von hinten oder vorne zu sehen war. Auch war egal, ob ein Prominenter mal mit und mal ohne Hut oder mal mit oder ohne Mantel zu sehen war. Ja, für die Aktivierung des Neurons reichte sogar schon der Schriftzug mit dem Namen des Prominenten aus. Zeigte man aber einen Prominenten gemeinsam mit einem anderen Prominenten, blieb die Gehirnzelle stumm – die Bedeutung des Bildes war nicht mehr dieselbe! Es existieren also in unserem Gehirn Neuronen, welche die „Marke“ Bill Gates oder Halle Berry aufgrund einer inhaltlichen Gemeinsamkeit entschlüsseln, egal wie die Person präsentiert wird. Kommt es jedoch zu kleinen Unstimmigkeiten, indem man beispielsweise eine andere Person hinzufügt, führt dies zu einer anderen Bedeutung und wird daher vom Gehirn nicht mehr eindeutig der Marke zugeordnet. Für das Marketing bei der Markenkommunikation bedeutet dies: Unser Gehirn produziert Worte, Gesten oder Bilder, um Botschaften zu verschlüsseln, sie sind aber nicht die Bedeutung selbst. Wie wir aber an Hand des eben erwähnten Experiments gesehen haben, interessiert sich am Ende unser Gehirn ausschließlich für die Bedeutung einer Botschaft oder Marke. Von daher ist es bei der Produkt- oder Markenpositionierung mehr als wichtig, weit über die formalen Dinge wie Logo, Farbe usw. hinauszugehen. Um den Kunden über alle Kontaktpunkte wie Spots, Website, Plakate, Verpackung usw. zu erreichen, muss eine eindeutige und inhaltlich stimmige Bedeutung der Botschaften im Vordergrund stehen. 11. Wie man Kunden motiviert Bislang haben wir unterschiedliche Signale kennen gelernt und erfahren, wie wichtig es ist, dass diese eine stimmige Bedeutung hervorrufen. Aber: Reagiert ein potentieller Kunde auf alles, was eine stimmige Bedeutung hat, und führt dies dann zu dem gewünschten Verhalten? Die Antwort ist „Nein“! Auch wenn die Semper-Oper aus der Radeberger-Werbung und auch alle anderen Detailsignale eine stimmige Bedeutung im Hinblick auf Tradition und Kultur hervorrufen, so wird dies dennoch nicht dazu führen, dass ein Punker dieses Bier kauft. Genau das Gegenteil wird der Fall sein. Er wird es aufgrund der übertragenen Bedeutung erst recht nicht kaufen. Die Bedeutung alleine reicht also nicht aus. Erst wenn die Bedeutung die Motive und Bedürfnisse des Kunden trifft, führt dies zu dem gewünschten Verhalten. Auf die Frage, wie man Motive in die Köpfe der Kunden bringt, antwortete der bekannte Hirnforscher Prof. Dr. Manfred Spitzer: „Die Frage danach, wie man Menschen motiviert, ist etwa so sinnvoll wie die Frage ´Wie erzeugt man Hunger?` Die einzige vernünftige Antwort lautet: ´Gar nicht, er stellt sich von alleine ein`“. Das Gehirn trägt also die Motive, die zu einer Kaufentscheidung führen, bereits in sich – die Motive können nicht von außen hineingebracht werden. Werbung in all ihren Formen sollte daher das Ziel verfolgen, Produkte und Dienstleistungen an die bestehenden Motive und Bedürfnisse anzuknüpfen. Gelingt dies, ist die Chance auf Erfolg groß. Gelingt dies nicht, scheitert das Produkt! 12. Die drei Motivationssysteme des Menschen Aber welche Motive gibt es in den Köpfen der Menschen? Das differenzierteste und am weitesten entwickelte Modell der menschlichen Motive ist das von Prof. Dr. Norbert Bischof entwickelte „Züricher Modell der sozialen Motivation“, ein Modell, für das er den Preis der Deutschen Gesellschaft für Psychologie zugesprochen bekam. Auch der Hirnforscher Prof. Jan Panksepp kam unabhängig von Bischof und mit völlig anderen wissenschaftlichen Verfahren zu sehr ähnlichen Ergebnissen. Und Dr. Hans-Georg Häusel hat das Wissen um diese fundamentalen Motivationssysteme in seinen Büchern für die Marketingpraxis in Form der so genannten Limbic Map weiterentwickelt. Schauen wir uns also einmal die drei Motivationssysteme etwas näher an. Das Sicherheits- oder Balancesystem Es entstand aus der so genannten Homoöstase. Das bedeutet, dass eine Zelle versucht möglichst energiesparend zu leben und einen Gleichgewichtszustand zwischen inneren und äußeren Einflussfaktoren anzustreben. Dies wirkt sich beim Menschen in der Form aus, dass dieses Motivationssystem uns nach Harmonie, Sicherheit und Ruhe streben lässt, und äußert sich z.B. in folgenden Aussagen: Vermeide Gefahr! Strebe nach Stabilität! Baue Gewohnheiten auf! Das Erregungs- oder Stimulanzsystem Dieses Motivationssystem lässt uns nach Neuem und nach Abwechslung streben. Hierzu zählt auch der Spieltrieb. Dieses System äußert sich z.B. in folgenden Aussagen: Erforsche Deine Umwelt! Suche nach neuen, unbekannten Reizen! Vermeide Langeweile! Das Autonomie- oder Dominanzsystem Hier geht es um das Streben nach Macht, Kontrolle und Unabhängigkeit. Aber auch Durchsetzungsvermögen, Einsatzbereitschaft und Leistungssteigerung gehören zu den Charakteren dieses Motivationssystems. Es äußert sich z.B. in Aussagen wie: Sei besser als andere! Verdränge deine Konkurrenten! Werde unabhängig! Neben diesen drei Hauptsystemen gibt es noch eine Reihe von Untersystemen, wodurch sich die Hauptsysteme noch besser differenzieren lassen. Auch gibt es Mischungen zwischen den Systemen, die eine weitere Verfeinerung ermöglichen. Diese wollen wir aus Vereinfachungsgründen außer Betracht lassen, und uns auf die Hauptsysteme konzentrieren. Ein Beispiel, wie diese Systeme in unserem Gehirn wirken, soll uns folgende Situation verdeutlichen: Ein Mann geht durch eine Einkaufsstrasse und sieht im Schaufenster eines Juweliers eine tolle Uhr und er sagt zu sich selbst: „Diese Uhr musst du haben“. Er geht hinein und schaut sich die Uhr näher an. Ihm gefällt das tolle Lederband, die edle Verarbeitung und auch der optische Gesamteindruck vermitteln ihm das Gefühl: „Kauf diese Uhr!“ Er stellt sich vor, wie ihn seine Freunde und Kollegen um diese Uhr beneiden werden und dass jeder, der diese Uhr an ihm sieht, denken wird, dass er ein erfolgreicher Mann sei. Und wieder hört er zu sich sagen: „Diese Uhr musst du unbedingt haben!“ Jetzt fragt er den Verkäufer nach dem Preis, und dieser antwortet: „Die Uhr kostet 2.500 €“. Seine Begeisterung sinkt sofort, und der Wunsch, diese Uhr zu kaufen, nimmt stark ab. Auch sagt ihm seine innere Stimme: „Lass es sein, du hast nur noch 3.000 € auf dem Konto, und die Miete ist auch noch nicht bezahlt!“ Er nimmt die Uhr nochmals in die Hand und ist erneut fasziniert. Er denkt an die bewundernden Blicke im Tennisclub. Er gibt sich einen Ruck und kauft die Uhr. In den nächsten Tagen erlebt er ein Wechselbad der Gefühle. Zwar macht es ihn glücklich, wenn er seine neue Uhr anschaut, aber andererseits quälen ihn auch Zweifel, ob seine Entscheidung wirklich die richtige war. Er recherchiert im Internet, um Argumente zu suchen, die seinen Kauf bestätigen, kann aber keine finden. Als er im Tennisclub seine neue Uhr einem Freund zeigt, sagt dieser: „Whou, und die hat wirklich nur 2.500 € gekostet? Die gleiche Uhr habe ich auch gesehen, dort war sie aber 1.000 € teurer“. In diesem Moment überkommt ihn ein Gefühl der Erleichterung. „Es war also doch richtig, diese Uhr zu kaufen!“. Ändern wir nun einmal den Blickwinkel und schauen uns an, was bei dem gesamten Kaufprozess im Kopf passiert ist: Als er die Uhr im Schaufenster erblickte und sie im hinteren und seitlichen Neocortex als Bild zusammengesetzt war, entstand der Wille, diese Uhr zu kaufen. Die Botschaft „Kauf die Uhr!“ wurde dem limbischen System zur Bewertung vorgelegt. Das limbische System schaute nun im Erfahrungsgedächtnis nach, welche Eindrücke zu dem Thema Uhr gespeichert waren. Es fand dort durch Werbung und auch durch eigene Erlebnisse abgespeicherte Szenen, in denen eine wertvolle Uhr mit Statusaspekten verknüpft ist. In diesem Moment wurde das Dominanzsystem aktiv, das ja nicht genug Macht und Anerkennung bekommen kann. Aber auch das Stimulanzsystem meldete sich, da ja ein Einkauf immer etwas Belohnendes hat. Das limbische System war aber mit seiner Bewertung noch nicht fertig, denn es erkannte auch die Gefahr der finanziellen Überbelastung, und aus dem emotionalen Gedächtnis drangen entsprechende Bilder in das Bewusstsein unseres Konsumenten. Das Balancesystem wurde aktiv und meldete ihm, dass er die Finger von der Uhr lassen soll. Am Ende gewann das Dominanzsystem, und das limbische System entschied: „Kauf die Uhr!“. Der Kampf um die Vormacht war aber noch nicht beendet, was zu einem Hin- und Hergerissensein in den nächsten Tagen führte. Dieses Gefühl des Hin- und Hergerissenseins entstand durch das Wechselspiel der streitenden Motivationssysteme. Denn dadurch wurden die neuronalen Netzwerke aktiviert, die an der Entscheidung beteiligt waren. Werden jedoch Netzwerke längere Zeit wiederholt aktiviert, so kommt es zu einer sogenannten Langzeitpotenzierung, d.h. die betroffenen neuronalen Netzwerke bleiben angeschaltet und sind auch leichter erregbar. In dieser Phase suchte unser Konsument nach Argumenten im Internet, um Ruhe ins System zu bringen, was ihm aber nicht gelang. Erst durch die positive Rückmeldung seines Tennisfreundes wurde die Kaufentscheidung endgültig bestätigt, und die Motivationssysteme stabilisierten sich. Dieses Beispiel hat uns gezeigt, wie Kaufentscheidungen in unserem Gehirn ablaufen können. Da aber die Zusammensetzung der drei Motivationssysteme bei jedem Menschen anders ist, sind auch die Prozesse von Kaufentscheidungen sehr individuell. Letztendlich verfügt jeder von uns über einen individuellen Ist-Wert und einen Soll-Wert in dem jeweiligen Motivationssystem. Sinkt der Ist-Wert unter den Soll-Wert, streben wir danach, diesen auszugleichen. Die Ausprägung unserer Soll-Werte entscheidet darüber, ob wir Single bleiben oder heiraten, ob wir studieren oder eine Lehre machen, ob wir Karriere machen oder uns lieber sozialen Aufgaben widmen. Und die Ausprägung unserer Soll-Werte entscheidet auch, welche Produkte und Marken wir kaufen. Die drei Motivationssysteme funktionieren also wie Konten. Gerät ein Konto ins Minus, tun wir alles dafür, dieses Konto wieder auszugleichen. So rufen wir z.B. auf der Rückfahrt nach einem anstrengenden Arbeitstag mit dem Handy zuhause an, obwohl wir sowieso gleich da sind. Der Grund: unser Balancekonto ist im Bereich der Geborgenheit den Tag über ins Minus geraten. Es entsteht das Bedürfnis, es wieder auszugleichen. Es geht also immer darum, ein Ungleichgewicht wieder ins Lot zu bringen. Das Ergebnis ist dann ein entsprechendes Verhalten – und eben auch ein Kaufverhalten. Produkte und Marken haben daher nur eine einzige Zielsetzung: Sie sollen ein Ungleichgewicht der Motivationssysteme ausgleichen oder verhindern! Wenn es also darum geht, erfolgreiche Verkaufs- oder Marketingstrategien zu entwickeln, dann gibt es hierzu nur einen einzigen Weg: Wir müssen lernen, den Kunden von seinen Motiven her zu verstehen! Wenn also die Hauptfunktion einer Marke oder eines Produktes darin besteht, Motive zu regulieren, dann liegt es nahe, auch meine Zielgruppe genau über diese Motive zu definieren. Wenn Sie Unternehmer oder Marketingexperte sind, dann überlegen Sie doch einmal, welches Motiv Sie mit Ihren Produkten bei Ihren Kunden ansprechen. Ist es eher das Streben nach Dominanz z.B. in Form von Anerkennung und Macht? Oder eher das Streben nach Stimulanz z.B. in Form von Abwechslung oder Unterhaltung? Und wenn Sie in der Rolle als Verbraucher und Konsument sind, dann überlegen Sie doch einmal bei Ihrem nächsten Einkauf, welches Motivkonto Sie damit gerade wieder auffüllen. 13. Wie man seine Zielgruppen definiert Experten streiten schon lange darüber, ob es in unserer heutigen Zeit überhaupt noch Sinn macht, Zielgruppen zu definieren. Die einen behaupten, dass dies sinnlos sei, weil der moderne Kunde je nach Situation und Verfassung mal so und mal anders entscheidet. Andere behaupten, dass dies Unsinn sei, da sich die Motive des Menschen nicht ändern, sondern von der Evolution über Millionen Jahre geprägt sind. Wer hat also recht? Die Antwort lautet: Beide haben recht, denn es gibt bei jedem Menschen Motive, die sich über einen langen Zeitraum konstant verhalten. Die einen streben z.B. mehr nach Sicherheit, stellen also das Balancesystem in den Vordergrund, und die anderen streben mehr nach Macht, stellen also mehr das Dominanzsystem in den Vordergrund. Diese stabilen und langfristigen Eigenschaften ermöglichen also durchaus die Definition von festen Zielgruppen. Andererseits unterliegen unsere Motive aber auch kurzfristigen Schwankungen. Wenn wir während eines Einkaufbummels hungrig werden, wird sich unsere Konzentration stärker auf die Werbung von McDonald & Co. richten, als wenn wir keinen Hunger verspüren. Und auch hier lassen sich Zielgruppen definieren, denn wer sagt denn, wenn wir hungrig in der Fußgängerzone stehen, dass dieses Bedürfnis bei McDonald befriedigt werden muss? Wir könnten auch nach einem Anbieter Ausschau halten, wo wir eine gesunde und nährstoffreiche Kost erhalten. Der ausschlaggebende Punkt ist, dass es Produkte gibt, die überwiegend die kurzfristigen Motivschwankungen ausgleichen, und dass es Produkte gibt, die in erster Linie die Langzeitmotive befriedigen. Ob aber der Kauf eines Produktes ein kurzfristiges oder ein langfristiges Motivkonto ausgleicht, entscheidet allein der Kunde. Erinnern wir uns an das Einkaufsbeispiel mit der Uhr für 2.500 €. Wird die Uhr von einem durchschnittlich verdienenden Arbeitnehmer gekauft, so will er mit dem Kauf gewiss sein Dominanzsystem langfristig befriedigen. Kauft die gleiche Uhr aber ein Multimillionär, so dient dieser Kauf sicher nur dem Ausgleich eines kurzfristigen Motivs – ihm ist vielleicht nur langweilig. Man kann also durchaus auch heutzutage Zielgruppen definieren. Man muss sich allerdings darüber Gedanken machen, welches Motivationssystem bei den potentiellen Kunden angesprochen werden soll und ob damit ein kurzfristiges, situationsbezogenes Bedürfnis oder eher ein langfristiges, persönlichkeitsbezogenes Bedürfnis befriedigt werden soll. Die Zuordnung, ob ein Produkt situationsbezogene oder persönlichkeitsbezogene Bedürfnisse befriedigt, ist aber für die Markenbildung und die Produktpositionierung von entscheidender Bedeutung. Wir wollen uns daher mit diesem Thema etwas näher auseinandersetzen. 14. Persönlichkeitsmotive und Situationsmotive Produkte, die sich an persönlichen Motiven orientieren, sind z.B. Häuser, Autos, Markenkleidung o.ä. Ein Kunde, der sich einen teuren Sportwagen kauft, tut dies sicher nicht aus einer Laune heraus. Der Sportwagen markiert seine Persönlichkeit. Diese Produkte nennt man Trait-Produkte. Aber auch dann, wenn sich jemand einen teuren Anzug von Armani kauft, will er hiermit seine Persönlichkeit markieren. Bei Trait-Produkten geht es aber in erster Linie nicht darum, ein Minus eines Motivationskontos auszugleichen, sondern es geht darum, ein Minus durch die Markenwahl zu verhindern. Mit dem Kauf eines Armani-Anzugs wird also das Dominanzkonto gefüllt, um somit den Sollwert stabil zu halten. Wenn unser Beispielkunde jedoch keinen Armani-Anzug, sondern einen von der Stange kaufen würde, würde sein Motiv nicht befriedigt, und sein Dominanzkonto geriete dadurch ins Minus. Und genau an dieser Stelle setzen erfolgreiche Marken an. Die Markenkommunikation funktioniert also dann besonders gut, wenn es dem Produkthersteller gelingt, sein Produkt über die bewussten, hauptsächlich aber über die unbewussten Signale mit einem Motiv des potentiellen Käufers fest zu verbinden. Denn dies ist die Grundlage für eine langfristige Markenloyalität. Aber auch alltägliche Niedrigpreisprodukte können Trait-Produkte sein wie z.B. die Marken Ariel oder Landliebe, denn die von diesen Marken vermittelte Botschaft, eine liebevolle Mutter zu sein, ist für eine bestimmte Zielgruppe durchaus ein entscheidendes Persönlichkeitsmotiv. Wie wir bereits gesehen haben, gibt es aber auch Produkte, die situations- oder verfassungsbedingt gekauft werden. Solche Produkte nennt man State-Produkte. Sie dienen dem Ausgleich einer kurzfristigen Schwankung auf einem der Motivkonten. Um ein State-Produkt erfolgreich zu bewerben, muss man also wissen, in welcher Verfassung sich der potentielle Kunde zum Zeitpunkt der Werbung befindet. Ein eindruckvolles Beispiel hierfür liefert Coca-Cola. Die Werbebotschaft von Coca-Cola richtet sich an unser Balance- oder Sicherheitssystem. Die Signale, die von den Kampagnen ausgehen, bedienen daher Gefühle wie z.B. Geborgenheit, Dazugehörigkeit oder Freundschaft. Die Frage, die man sich nun als Marketingexperte stellen muss, ist daher: In welcher Situation oder in welcher Verfassung befindet sich das Balancekonto eines potentiellen Kunden im Minus? Nun, z.B. nach Feierabend in der U-Bahnstation: die Menschen waren den ganzen Tag von ihren Lieben getrennt, es ist laut, und der Bahnsteig ist überfüllt. Das Balancekonto im Hinblick auf Geborgenheit ist im Minus. Erblickt jemand in dieser Verfassung einen Kiosk mit der Werbung von Coca-Cola, ist die Chance für den Kauf des Produktes groß. Coca-Cola nutzt in seinen Kampagnen also zwei wichtige Prinzipien: Das für die Zielgruppe relevante Motiv wird angesprochen, also Dazugehörigkeit oder Geborgenheit. Der Kontakt mit der Werbebotschaft, also z.B. mit einer Werbung am Kiosk, erfolgt zu einem Zeitpunkt, wo das Balancekonto im Minus ist. Das Coca-Cola-Beispiel hat gezeigt, dass in Situationen, in denen das Balancekonto im Minus ist, Werbebotschaften besonders stark wirken. Vor allem aber wirken die Botschaften, weil sie sich nicht an den bewussten 40-Bit-Kanal richten, sondern gerade weil sie sich an das Unbewusste richten. 15. Der Erfolg liegt im Unbewussten Erinnern Sie sich noch an die Werbekampagne von Porsche, in der Steigungen weggestreckt und Serpentinen überflogen wurden? Diese Kampagne wurde nach nur knapp zwei Monaten wieder eingestellt, weil die Motive der Zielgruppe, nämlich Macht, Kontrolle oder Unbesiegbarkeit, also das Dominanz- oder Autonomiesystem der Zielgruppe direkt und bewusst angesprochen wurden. Ein Kundenbrief wie der folgende war typisch für die Reaktion der Porsche-Kunden: „Ich bin seit vielen Jahren Porschefahrer, aber ich will mich in der Werbung nicht bloßgestellt sehen…“. Es gibt noch viele weitere Werbebeispiele, in denen die Motive der Zielgruppe direkt, also bewusst, angesprochen werden. Eines aber haben alle diese Beispiele gemeinsam: Die Wirkung ist minimal! Ein Beispiel, wo sich zeigt, wie effektiv die unbewusste Motivansprache wirkt, ist folgendes: In einer Werbung für Süßigkeiten kommt ein Mann aus seiner Werkstatt und bietet seiner Frau, sie ist um die Dreißig, das Produkt an. Was in der Werbung nur kurz zu sehen ist, ist, dass der Mann in seiner Werkstatt nicht etwa an seinem Auto oder seinem Motorrad rumschraubt - nein, er repariert Schaukelpferde und Puppen. Als man weiblichen Testpersonen diese Werbung zeigte und sie dann fragte, ob ihnen die Szene mit den Schaukelpferden und Puppen aufgefallen sei, konnten sich nur die wenigsten daran erinnern. Die Wirkung dieser Szene war aber unabhängig davon enorm. Dabei wurde nämlich im Gehirn der Frau das Fürsorgemotiv und somit das Stimulanzsystem angesprochen: „Dieser Mann wird für deine Kinder sorgen“. Diese Beispiele zeigen, dass es nicht nur richtig ist, das Unbewusstsein anzusprechen, sondern dass es sogar wichtig sein kann, das Bewusstsein ganz gezielt überhaupt nicht anzusprechen. 16. Marken sind neuronale Muster im Gehirn Wie wir bereits erfahren haben, basieren Kaufentscheidungen darauf, dass die Darstellung von Produkten oder Dienstleistungen so gestaltet sein muss, dass sie die Motive und Wünsche des potentiellen Kunden anspricht? Gelingt dies, wird das Produkt oder die Dienstleistung attraktiv. Dies lässt sich inzwischen auch sehr schön neurowissenschaftlich beweisen. Präsentiert man Probanden eine attraktive Marke, so wird im Gehirn der Nucleus Accumbens, den man auch als „Lustkern“ bezeichnet, besonders aktiv. Ein weiterer Effekt ist, dass das Gehirn bei der Präsentation von attraktiven Marken mit einem hohen Bekanntheitsgrad auf Automatik schaltet und somit keine Energie für Denken verschwendet. Die wichtigste Funktion eines Produktes ist aber, dass es mit Emotionen geladen ist. Beispielsweise mit einem Geborgenheitsgefühl, wodurch das Balance- oder Sicherheitssystem aktiviert wird. Oder mit einem Genussversprechen, wodurch das Stimulanz- oder Erregungssystem angesprochen wird. Oder aber auch mit einem Statusgefühl, welches das Dominanz- oder Autonomiesystem anspricht. Der Effekt ist, dass in unserem Gehirn Lernvorgänge stattfinden, die nach einem relativ einfachen Prinzip ablaufen: Wenn Reize von außen, also z.B. Werbung in Form von Bildern, Sprache oder Geräuschen auf uns wirken und dabei die eben erwähnten Emotionen auftreten, werden diese miteinander verknüpft. Diese Verknüpfung erfolgt im Hippocampus, und die Amygdala im limbischen System, also unser emotionales Bewertungszentrum entscheidet darüber, ob der Gesamteindruck von uns als gut oder schlecht, angenehm oder unangenehm oder als positiv oder negativ empfunden wird. Wird der Gesamteindruck als gut oder positiv bewertet, entsteht der Wunsch nach Wiederholung. Wird der Gesamteindruck als schlecht oder negativ bewertet, entsteht der Wunsch nach Vermeidung. Der Gesamteindruck wird aber auch vom Hippocampus an den Neocortex geleitet, wo dann tausende von Neuronen aktiviert und vernetzt werden. Dabei werden die optischen Elemente einer Marke in den hinteren Cortexarealen abgespeichert, z.B. im parietalen Cortex. Akustische Signale wie z.B. ein Jingle werden im seitlichen, temporalen Cortex abgelegt, und die emotionalen Elemente werden im vorderen, dem orbitofrontalen Cortex abgelegt. Ein Markenbild besteht also aus Verknüpfungen von Nervenzellen, die im Gehirn ein weit gefächertes Netzwerk ergeben. Eine Marke wird also in Form eines neuronalen Musters hinterlegt, und je häufiger eine Marke oder ein Produkt präsentiert wird, desto stärker werden die Verbindungen im Netzwerk der Neuronen und desto schneller können sie aktiviert, also abgerufen werden. Eine besondere Fähigkeit des menschlichen Gehirns ist hierbei aber die Tatsache, dass nicht alle Elemente einer Marke oder eines Produktes präsentiert werden müssen, um das gesamte Netzwerk zu aktivieren. Bereits wenige Elemente reichen, und schon wird das komplette Netzwerk aktiv. Das Sehen eines pinkfarbenen Quadrats ist z.B. schon ausreichend, um das komplette Markennetzwerk Telekom zu aktivieren. Oder eine lilafarbene Fläche aktiviert das komplette Netzwerk der Marke Milka. Warum das funktioniert, haben wir der Evolution zu verdanken, denn in weiter Vorzeit war diese Fähigkeit durchaus für unser Überleben wichtig. Wenn es im Gebüsch raschelte und gleichzeitig die Vögel wegflogen, dann reichten diese wenigen Signale bereits aus, um das komplette Netzwerk für das Bild des Säbelzahntigers zu aktivieren und den Fluchtimpuls auszulösen. 17. Was es noch zu sagen gibt Bis hierher haben wir viele Aspekte kennen gelernt, die unser Kaufverhalten beeinflussen, und wir haben erfahren, was dabei in unserem Gehirn geschieht. Es gibt aber noch weitere Fragen, die es zu klären gilt, damit wir verstehen, wie wir Kaufentscheidungen treffen. Zu diesen Fragen zählen z.B. folgende: Warum laufen Kaufentscheidungen bei Frauen völlig anders als bei Männern? Wie verändern sich unsere Motive und Kaufentscheidungen bei zunehmendem Alter? Worauf muss man achten, damit man bei der Werbung für das eigene Produkt die Zielgruppe nicht der Konkurrenz zuspielt? Wie wirken Farben, Musik und Gerüche auf unser Kaufverhalten? Das u.v.m. sind aber Fragen, die man nicht in Kürze beantworten kann. Aus diesem Grund wird es bald eine Fortsetzung dieses Themas geben. 18. Zusammenfassung In dem einführenden Beispiel der Coca-Cola-Studie aus dem Jahr 2003 wurde deutlich, welch starke Wirkung eine Marke auf unsere Kaufentscheidung haben kann. Andererseits werden aber auch jährlich viele Milliarden Euro in Werbung fehlinvestiert, die dann mehr oder weniger wirkungslos verpuffen. Befragungen und andere Erhebungsmethoden, mit deren Hilfe man herausfinden will, wie der Verbraucher funktioniert, verfehlen ebenfalls oft ihre Wirkung. Wen wundert es da, dass das Interesse an der Gehirnforschung groß ist? Eine der wichtigsten Erkenntnisse der Gehirnforschung im Hinblick auf Werbung und Marketing ist, dass unser Gehirn aufgrund seiner vielen Verbindungen zwischen den kognitiven und den emotionalen Arealen keine rationalen Entscheidungen ohne emotionale Einflüsse treffen kann. Eine andere Erkenntnis ist, dass wir viel mehr unbewusst handeln, als wir bisher geglaubt haben. In jeder Sekunde werden über unsere Sinne 11 Millionen Bit Informationen gesendet. Unser Bewusstsein kann aber nur 40 Bit pro Sekunde verarbeiten. Das bedeutet, dass 99,9996% aller Signale, die auf uns wirken, unbewusst von unserem Gehirn verarbeitet werden und unterschwellig einen entscheidenden Einfluss auf unser Verhalten haben. Auch Lernprozesse vollziehen sich überwiegend unbewusst, wie uns die Studie mit den Studenten zeigt, die unbewusst auf die richtigen Aktienunternehmen setzten. Und der Mensch ist ein Herdentier, das sich einer sozialen Gruppe zuordnen oder von einer sozialen Gruppe abgrenzen möchte. So konnten Studien beweisen, wenn man Probanden Marken zeigt, die die soziale Komponente des Menschen berücksichtigten, dass genau die Areale hell aufleuchteten, die für unsere zwischenmenschlichen Bindungen und Beziehungen zuständig sind. Ebenfalls entscheidend für den Erfolg oder Misserfolg einer Werbekampagne ist, dass es nicht darauf ankommt, was in der Werbebotschaft gesagt wird, sondern vielmehr, welche Bedeutung der Empfänger den Aussagen zukommen lässt. Auch dies konnte sehr schön am Beispiel der Dresdner Bank gezeigt werden, wo statt der Bedeutung „Chance“ die Bedeutung „Gefahr“ vermittelt wurde. Auch ist die Präsentation von Gesichtern von enormer Wichtigkeit, denn unserem Gehirn, dem Meister der Gesichtserkennung, geht es nicht nur darum, wen wir sehen, sondern vor allem darum, was wir dabei fühlen. Von daher ist es bei der Produkt- oder Markenpositionierung mehr als wichtig, weit über die formalen Dinge wie Logo, Farbe usw. hinauszugehen. Um den Kunden über alle Kontaktpunkte wie Spots, Website, Plakate, Verpackung usw. erreichen zu können, muss eine eindeutige und inhaltlich stimmige Bedeutung der Botschaften im Vordergrund stehen. Dass ein potentieller Kunde einer Werbeaussage eine Bedeutung zukommen lässt, reicht aber nicht aus, damit bei ihm das gewünschte Verhalten ausgelöst wird. Erst wenn die übertragene Bedeutung mit seinen persönlichen Wünschen und Motiven übereinstimmt, setzt das gewünschte Verhalten ein. Das Gehirn trägt also die Motive, die zu einer Kaufentscheidung führen, bereits in sich und kann nicht von außen hinein gebracht werden. Werbung in all ihren Formen sollte darum also das Ziel verfolgen, Produkte und Dienstleistungen an die bestehenden Motive und Bedürfnisse anzuknüpfen. Gelingt dies, ist die Chance auf Erfolg groß. Gelingt dies nicht, scheitert das Produkt! Die Wünsche und Motive sind aber sehr individuell. Das von Bischof entwickelte Züricher Modell, welches dann später von Häusel für die Marketingpraxis weiterentwickelt wurde, verdeutlicht sehr anschaulich, wie die Motivationssysteme des Gehirns gestaltet sind. Produkte und Marken haben daher nur eine einzige Zielsetzung: Sie sollen ein Ungleichgewicht der Motivationssysteme ausgleichen oder verhindern! Wenn es also darum geht, erfolgreiche Verkaufs- oder Marketingstrategien zu entwickeln, dann gibt es hierzu nur einen einzigen Weg: Wir müssen lernen, den Kunden von seinen Motiven her zu verstehen! Auch die Frage, ob es in unserer heutigen Zeit noch Sinn macht, Zielgruppen zu definieren, konnten wir mit Hilfe der Motivationssysteme und ihrer Funktionsweise positiv beantworten. Dabei haben wir erkannt, dass es situationsbezogene Bedürfnisse und persönlichkeitsbezogene Bedürfnisse gibt – und dass es daher sogenannte Trait- und State-Produkte gibt. Am Beispiel der Porschewerbung konnten wir sehen, wie wichtig es ist, dass sich Werbebotschaften an das Unbewusste richten, und wie schnell eine Werbekampagne scheitern kann, wenn man die Botschaften direkt an das Bewusstsein sendet. Ein weiteres Ergebnis der Gehirnforschung, das uns ein besseres Verständnis unseres Kaufverhaltens ermöglicht, ist die Erkenntnis, dass unser Gehirn Marken in Form von neuronalen Netzwerken und somit als Muster abspeichert und dass es schon reicht, wenn nur wenige Elemente gezeigt werden, dass dennoch das komplette Netzwerk aktiv wird. Wir haben also heute sehr viel darüber erfahren, wie unser Gehirn arbeitet, wenn es um unser Konsumverhalten und unsere Kaufentscheidungen geht. Ich wünsche Ihnen bei der Umsetzung Ihrer Erkenntnisse viel Erfolg und freue mich schon heute auf die Fortsetzung dieses spannenden Themas. 19. Was wir in „Kaufentscheidungen I“ kennen gelernt haben In dem einführenden Beispiel der Coca-Cola-Studie aus dem Jahr 2003 wurde deutlich, welch starke Wirkung eine Marke auf unsere Kaufentscheidung haben kann. Andererseits werden aber auch jährlich viele Milliarden Euro in Werbung fehlinvestiert, die dann mehr oder weniger wirkungslos verpuffen. Befragungen und andere Erhebungsmethoden, mit deren Hilfe man herausfinden will, wie der Verbraucher funktioniert, verfehlen ebenfalls oft ihre Wirkung. Wen wundert es da, dass das Interesse an der Gehirnforschung groß ist? Eine der wichtigsten Erkenntnisse der Gehirnforschung im Hinblick auf Werbung und Marketing ist, dass unser Gehirn aufgrund seiner vielen Verbindungen zwischen den kognitiven und den emotionalen Arealen keine rationalen Entscheidungen ohne emotionale Einflüsse treffen kann. Eine andere Erkenntnis ist, dass wir viel mehr unbewusst handeln, als wir bisher geglaubt haben. In jeder Sekunde werden über unsere Sinne 11 Millionen Bit Informationen gesendet. Unser Bewusstsein kann aber nur 40 Bit pro Sekunde verarbeiten. Das bedeutet, dass 99,9996% aller Signale, die auf uns wirken, von unserem Gehirn unbewusst verarbeitet werden und unterschwellig einen entscheidenden Einfluss auf unser Verhalten haben. Auch Lernprozesse vollziehen sich überwiegend unbewusst, wie uns die Studie mit den Studenten zeigt, die unbewusst auf die richtigen Aktienunternehmen gesetzt haben. Und der Mensch ist ein Herdentier, das sich einer sozialen Gruppe zuordnen oder von einer anderen sozialen Gruppe abgrenzen möchte. So konnten Studien beweisen, wenn man Probanden Marken zeigt, die die soziale Komponente berücksichtigen, dass genau die Hirnareale hell aufleuchten, die für unsere zwischenmenschlichen Bindungen und Beziehungen zuständig sind. Ebenfalls entscheidend für den Erfolg oder Misserfolg einer Werbekampagne ist, dass es nicht darauf ankommt, was in der Werbebotschaft gesagt wird, sondern viel mehr, welche Bedeutung der Empfänger den Aussagen zukommen lässt. Auch dies konnte sehr schön am Beispiel der Dresdner Bank gezeigt werden, als statt der Bedeutung „Chance“ die Bedeutung „Gefahr“ vermittelt wurde. Auch ist die Präsentation von Gesichtern von enormer Wichtigkeit, denn unserem Gehirn, dem Meister der Gesichtserkennung, geht es nicht nur darum, wen wir sehen, sondern vor allem darum, was wir dabei fühlen. Von daher ist es bei der Produkt- oder Markenpositionierung mehr als wichtig, weit über die formalen Dinge wie Logo, Farbe usw. hinauszugehen. Um den Kunden über alle Kontaktpunkte wie Spots, Website, Plakate, Verpackung usw. erreichen zu können, muss eine eindeutige und inhaltlich stimmige Bedeutung der Botschaften im Vordergrund stehen. Dass ein potentieller Kunde einer Werbeaussage eine Bedeutung zukommen lässt, reicht aber noch nicht aus, damit bei ihm das gewünschte Verhalten ausgelöst wird. Erst wenn die übertragene Bedeutung mit seinen persönlichen Wünschen und Motiven übereinstimmt, setzt das gewünschte Verhalten ein. Das Gehirn trägt also die Motive, die zu einer Kaufentscheidung führen, bereits in sich, sie können nicht von außen hineingebracht werden. Werbung in all ihren Formen sollte darum also das Ziel verfolgen, Produkte und Dienstleistungen an die bestehenden Motive und Bedürfnisse anzuknüpfen. Gelingt dies, ist die Chance auf Erfolg groß. Gelingt dies nicht, scheitert das Produkt! Die Wünsche und Motive sind aber sehr individuell. Das von Bischof entwickelte Züricher Modell, das dann später von Häusel für die Marketingpraxis weiterentwickelt wurde, verdeutlicht sehr anschaulich, wie die Motivationssysteme des Gehirns gestaltet sind. Produkte und Marken haben daher nur eine einzige Zielsetzung: Sie sollen ein Ungleichgewicht der Motivationssysteme ausgleichen oder verhindern! Wenn es also darum geht, erfolgreiche Verkaufs- oder Marketingstrategien zu entwickeln, dann gibt es hierzu nur einen einzigen Weg: Wir müssen lernen, den Kunden von seinen Motiven her zu verstehen! Auch die Frage, ob es in unserer heutigen Zeit noch Sinn macht, Zielgruppen zu definieren, konnten wir mit Hilfe der Motivationssysteme und ihrer Funktionsweise positiv beantworten. Dabei haben wir erkannt, dass es situationsbezogene Bedürfnisse und persönlichkeitsbezogene Bedürfnisse gibt – und dass es daher sogenannte Trait- und State-Produkte gibt. Am Beispiel der Porsche-Werbung konnten wir sehen, wie wichtig es ist, dass sich Werbebotschaften an das Unbewusste richten, und wie schnell eine Werbekampagne scheitern kann, wenn man die Botschaften direkt an das Bewusstsein sendet. Ein weiteres Ergebnis der Gehirnforschung, das uns ein besseres Verständnis unseres Kaufverhaltens ermöglicht, ist die Erkenntnis, dass unser Gehirn Marken in Form von neuronalen Netzwerken und somit als Muster abspeichert und dass es schon genügt, wenn nur wenige Elemente gezeigt werden, um dennoch das komplette Netzwerk zu aktivieren. Wir haben also bisher sehr viel darüber erfahren, wie unser Gehirn arbeitet, wenn es um unser Konsumverhalten und unsere Kaufentscheidungen geht. Im zweiten Teil wollen wir uns heute mit einigen zusätzlichen Aspekten auseinandersetzen, die unser Konsumverhalten steuern und beeinflussen. Sie haben mit dem jeweiligen Alter, mit dem Geschlecht und mit der Wirkung auf unsere Sinne zu tun – und natürlich mit dem, was in unserem Gehirn geschieht. 20. Wie sich mit dem Alter das Kaufverhalten ändert Im Laufe unseres Lebens verändert sich unser Gehirn und somit auch unsere Fähigkeit zu lernen und zu denken. Diese Veränderungsprozesse haben Auswirkungen auf viele Bereiche unseres Lebens. Bezogen auf unser Thema Kaufentscheidungen sind vor allem Veränderungen in unseren Emotions- und Motivationssystemen wichtig, denn sie haben einen erheblichen Einfluss auf unser Konsumverhalten. Wer also mit Werbung und Marketing erfolgreich sein möchte, sollte sich das Gehirn genauer anschauen und berücksichtigen, was sich im Laufe des Alterungsprozesses dort abspielt. Besonders interessant sind die Veränderungsprozesse im Gehirn bei den verschiedenen Altersgruppen, die wir uns im folgenden etwas genauer ansehen wollen: 21. Das Kaufverhalten von 8 – 13jährigen In diesem Alter ist das Gehirn vor allem auf Lernen, Lernen und nochmals Lernen ausgerichtet. Für die dafür notwendige Neugier sorgt der Botenstoff Dopamin. Das Gehirn eines Achtjährigen verbraucht doppelt so viel Energie wie das Gehirn eines Erwachsenen, und die Anzahl der neuronalen Verbindungen im Gehirn eines Achtjährigen sind zwanzigmal größer als die bei einem Erwachsenen. Andererseits ist das Gehirn und vor allem der präfrontale Cortex, also der vordere Bereich des Gehirns noch lange nicht ausgereift. Dieser Bereich ist aber für das Treffen von Entscheidungen von größter Bedeutung. Im präfrontalen Cortex geht es um so wichtige Dinge wie die komplexe Verarbeitung von Gefühlen und Werten, die Zukunftsplanung und das logische Denken. Auch werden im präfrontalen Cortex positive und negative Erfahrungswerte gespeichert, die dafür sorgen, dass wir nicht spontan und unüberlegt handeln. Kindern in diesem Alter fehlen all diese wichtigen Werte und Erfahrungen, da der präfrontale Cortex in diesem Alter erst allmählich mit seiner Arbeit beginnt. Kinder in diesem Alter sind daher in ihren Kaufentscheidungen sehr unkritisch, impulsiv und ungeduldig. Alles muss sofort und gleich geschehen. In dieser Altersphase fallen Werbebotschaften auf einen sehr fruchtbaren Boden, und die Wirtschaft hat schon längst das Milliarden-Kaufkraft-Potential bei Kindern entdeckt, denn Kinder im Alter von 8 – 13 Jahren verfügen in Deutschland über eine Kaufkraft von rund 1,44 Milliarden Euro, wie eine Studie der Schufa festgestellt hat. Wie wir bereits erfahren haben, ist das Gehirn von Kindern vor allem auf Lernen ausgerichtet. Die wichtigste Lernmethode ist dabei die Nachahmung. Während bis zum 6. Lebensjahr in erster Linie die Eltern die Vorbildrolle einnehmen, übernehmen diese Aufgabe ab dem 6. Lebensjahr die gleichaltrigen oder älteren Freunde. Neue Computerspiele verbreiten sich wie ein Lauffeuer unter den Kindern, und wer bei den Markenklamotten nicht mithalten kann, ist schnell out. 22. Das Kaufverhalten von 14 - 20jährigen Es ist die Phase der Pubertät und des Erwachsenwerdens und daher für die meisten Kinder und Jugendlichen eine der schwierigsten Phasen des Lebens. Aus der Sicht der Gehirnforschung sind es vor allem zwei Gründe, warum diese Lebensphase für die meisten so schwierig ist. Der erste Grund ist der präfrontale Cortex, der sich bei Kindern und Jugendlichen erst noch entwickeln muss und erst im Alter von 22 – 25 Jahren ausgereift ist. Daher fehlt es auch in diesem Lebensabschnitt noch an vielen Werten und Erfahrungen, und auch hier sind Kaufentscheidungen geprägt von Ungeduld und Impulsivität. Der zweite Grund liegt in der Veränderung der Hormonstruktur im Gehirn. Während der Pubertät steigt die Produktion der Sexualhormone Testosteron und Östrogen stark an. Die Folge ist, dass vor allem bei männlichen Jugendlichen die Risikobereitschaft erheblich zunimmt, dass es oft zu Alkohol- und Drogenmissbrauch kommt und auch viele soziale Probleme entstehen. Testosteron verstärkt bei Jungen den Wunsch nach Autonomie. Sie fangen an, sich von den Eltern abzukoppeln. Da sie aber neben dem Bedürfnis nach Autonomie noch immer ein starkes Bindungsgefühl haben, schließen sich Jungs zu Gruppen und Cliquen zusammen. Diese Gruppen vermitteln dann gleichzeitig Autonomie und Sicherheit. Hier entstehen dann eigene Rituale und Konsummuster. Von besonderem Interesse für Jungen sind dann Produkte wie Zigaretten, Alkohol, Autos, Computer und Unterhaltungselektronik. Marken, die eine männliche Überlegenheit symbolisieren, haben daher eine enorme Bedeutung. Aber auch Mädchen haben mit der einsetzenden körperlichen Veränderung ihre Schwierigkeiten. Östrogen und Prolactin bauen für die von der Natur vorgesehene Mutterrolle Fettpolster auf, wodurch das eigene Erscheinungsbild sehr stark von dem abweicht, was die Mode- und Jugendpresse an Idealen propagiert. Die Folgen sind oft Magersucht und Bulimie. Für Mädchen steht daher nicht wie bei Jungen der Rang in der Gruppe oder körperliche Stärke im Vordergrund, sondern vielmehr die eigene Schönheit. Kosmetik, Mode, Frisur und alles, was dazu beiträgt, sich selbst attraktiver zu machen, stehen absolut im Mittelpunkt. Exklusive Mode- und Kosmetikmarken sind deshalb besonders anziehend. Auch ist das Sozialverhalten bei Mädchen anders als bei Jungen. Während Jungs stabile und in sich abgeschlossene Gruppen bilden, suchen Mädchen eher eine Vielfalt von Beziehungen zu einzelnen Personen. Zusammenfassend lässt sich zu dieser Altersgruppe sagen, dass Jugendliche besonders autonom und individuell sein wollen. Gegenüber Eltern und Erwachsene grenzt man sich durch eigene Konsum- und Modestile deutlich ab. Marken haben hierbei eine doppelte Bedeutung: Einerseits sind sie Symbole und Zeichen der Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Gleichzeitig grenzen sie aber auch von anderen Gruppen ab. 23. Das Kaufverhalten von 20 – 30jährigen Inzwischen ist der präfrontale Cortex weitestgehend entwickelt. Das impulsive Sofort-und-gleich-Kaufverhalten hat (etwas) abgenommen und die Zukunftsplanung gewinnt an Bedeutung. Das Einkommen ist zwar oft noch niedrig, aber es wächst von Jahr zu Jahr. Aus biologischer Sichtweise ist dieser Altersabschnitt die Zeit der Partnersuche und der Fortpflanzung. Sowohl für Männer als auch für Frauen geht es darum, den besten Partner zu finden, die Geschlechtskonkurrenz zu übertreffen und viele Ressourcen für sich und den Nachwuchs heranzuschaffen. In diesem Altersabschnitt erreicht das Großhirn seine größte Leistungsfähigkeit, zumindest was schnelles und logisches Denken betrifft. Auch in dieser Phase sind es unsere Motiv- und Emotionssysteme, die unsere Art zu leben, wie wir uns kleiden oder wie wir uns einrichten, steuern. Maßgeblich daran beteiligt sind auch hier wieder die Nervenbotenstoffe und Hormone. Vor allem sind dies Dopamin, Testosteron (bei Männern), Östrogen (bei Frauen) und Cortisol. Dopamin Da wir bereits als Kinder und Jugendliche viel lernen mussten, erreicht die Dopaminkonzentration im Alter zwischen 18 und 25 Jahren ihren Höhepunkt. Danach ist die Dopaminkonzentration rückläufig. Testosteron / Östrogen Mit Beginn der Pubertät steigt die Testosteron- und auch die Östrogenkonzentration stark an und erreicht im Alter zwischen 20 und 30 Jahren ihren Höhepunkt. Cortisol Völlig gegenläufig ist die Konzentration des Botenstoffs Cortisol. Sie erreicht ihren Tiefpunkt im Alter zwischen 20 und 30 Jahren und steigt danach wieder an. In der Phase des Cortisoltiefpunkts sind Gefühls- und Verhaltensformen wie Vorsichtigkeit und Ängstlichkeit (zumindest bei vielen Männern) für einige Jahre mehr oder weniger außer Kraft gesetzt. Was aber hat das mit unserem Kaufverhalten zu tun? Nun, wir haben gesehen, dass in der Phase zwischen 20 und 30 Jahren die Konzentration an Dopamin und Testosteron bzw. Östrogen noch sehr hoch ist. Mit anderen Worten: das Stimulanzsystem (Dopamin) und auch das Dominanzsystem (Testosteron) haben erheblichen Einfluss auf unser Verhalten und somit auch auf unsere Kaufentscheidungen. Besonders attraktiv sind in dieser Phase Produkte mit einem hohen Neuigkeits- und Innovationswert, wie z.B. Mode, Schmuck, Autos oder Erlebnisurlaub. 24. Das Kaufverhalten von 30 – 40jährigen Das Alter zwischen 30 und 40 Jahren ist für viele Menschen die Phase der Familiengründung. In dieser Phase verändert sich aber nicht nur bei Frauen der Hormon-Mix, auch bei Männern kommt es zu hormonellen Veränderungen. Während der Schwangerschaft wird für Frauen das Thema Kind immer wichtiger. Sie fragen Mütter, die bereits Kinder haben, Löcher in den Bauch und sie beschäftigen sich mit der Einrichtung von Kinderzimmern. Nach der Geburt arbeitet bei Frauen das Fürsorgesystem auf vollen Touren, wodurch körpereigene Opioide, auch „Glückshormone“ genannt, aktiviert werden. Durch die Veränderung der Nervenbotenstoffe und Hormone verändert sich auch das Kaufverhalten. Zwar bleiben die grundsätzlichen Interessen gleich, aber die Prioritäten verschieben sich. Produkte für das Kind rücken auf Platz eins, während die Produkte für den Partner auf nachrangige Plätze abwandern. Aber auch bei Männern verändert sich die Hormonstruktur während und nach einer Schwangerschaft der Partnerin. Der Testosteronspiegel geht leicht zurück, und mit jedem körperlichen Kindkontakt nimmt das Fürsorgehormon Prolactin zu. Besonders interessant ist, dass selbst dann, wenn das Kind von einem anderen Vater ist, allein schon der Kontakt zu dem Kind für die Steigerung der Prolactinkonzentration ausreichend ist. Sowohl bei Frauen als auch bei Männern steigt die Bereitschaft zum Kauf von Familienprodukten. Der Sportwagen wird gegen den Kombi eingetauscht. Statt das Geld für teure Mode oder Kosmetik auszugeben, werden Ausbildungs- und Lebensversicherungen abgeschlossen, und der Wunsch nach den eigenen vier Wänden tritt in den Vordergrund und verdrängt den Urlaub auf den Malediven. Aber sind diese Veränderungen im Kaufverhalten wirklich der Biologie zuzuschreiben, oder sind es nicht vielmehr gesellschaftliche und wirtschaftliche Notwendigkeiten, die hier ihre Wirkung zeigen? Sicher spielen auch gesellschaftliche und wirtschaftliche Notwendigkeiten eine Rolle. Unumstritten ist aber inzwischen, dass die Botenstoffe und Hormone, die wir angesprochen haben und die sich im Gehirn verbreiten, eine weitaus größere Rolle spielen, als wir bis vor wenigen Jahren noch angenommen haben. 25. Das Kaufverhalten von 40 – 50jährigen In dieser Lebensphase haben die meisten Menschen sowohl ihre berufliche als auch soziale Stellung gefunden. Das Einkommen bewegt sich langsam auf den Höhepunkt zu, weswegen diese Altersgruppe über ein vergleichsweise hohes Einkommen verfügt. Wünsche und Ziele sind zwar noch in großer Zahl vorhanden, aber das Protzige und Übertriebene verliert langsam seinen Reiz. Stattdessen achtet man mehr auf Qualität und, wenn man es sich leisten kann, auf Luxus und Stil. Diese Altersklasse ist durch eine hohe Markentreue gekennzeichnet. Experimentierfreude und Wechselbereitschaft lassen nach. 26. Das Kaufverhalten von 50 – 60jährigen Die Gruppe der 50 - 60jährigen, auch „Best Ager“ genannt, stellt für Industrie und Handel eine besonders interessante Zielgruppe dar. Beruflich ist in dieser Lebensphase der Höhepunkt meist erreicht, die Kinder sind aus dem Haus, und das verfügbare Einkommen ist sehr hoch. Man ist zwar noch offen für die Welt und interessiert sich für viele Dinge, doch die Risikobereitschaft nimmt immer mehr ab. Die neueste Mode oder neueste Computer verlieren an Bedeutung. Stattdessen rücken Themen wie Wellness, Haus und Garten in den Vordergrund. Der Testosteron- und Dopaminspiegel sinkt weiter, während der Cortisolspiegel weiterhin steigt, was sich darin bemerkbar macht, dass man die Dinge ruhiger und langsamer angehen lässt. Diese Altersklasse kann man auch als „Wellness-Generation“ bezeichnen, denn sie macht sich viele Gedanken über die Gesundheit. Vor allem geht es in diesem Zusammenhang um den grundsätzlichen Erhalt von Gesundheit und Leistungsfähigkeit und weniger um direkte „Reparaturmaßnahmen“. Auch wenn diese Altersgruppe überwiegend über ein relativ hohes Einkommen verfügt, darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Gruppe in der Regel auch sparsamer im Konsum ist, was die Euphorie der Werbe- und Marketingexperten etwas reduzieren dürfte. 27. Das Kaufverhalten der 60-plus-Generation Nach Aussagen von Bevölkerungsstatistikern ist diese Generation die „Mega-Boomer-Generation“. Ihr Anteil an der Bevölkerung wird von derzeit 13% auf über 20% im Jahre 2040 ansteigen. Die gute Nachricht ist, dass diese Altersgruppe höchste frei verfügbare Einkommen besitzt. Die schlechte Nachricht ist, dass sie es nur ungern ausgibt. Die Wunschvorstellung, dass diese Generation ihr Geld in Hülle und Fülle in Einkaufsstraßen und Luxusgeschäften ausgibt, dürfte für Industrie und Handel eine Fiktion bleiben. Warum das so ist, wird deutlich, wenn wir einen Blick ins Gehirn werfen. Testosteron und Dopamin werden weiter abgebaut, während das Stress- und Angsthormon Cortisol stark zunimmt. Aber auch der Botenstoff Serotonin, der u.a. für eine innere Gelassenheit sorgt, wird schneller abgebaut, wodurch ältere Menschen stärker auf Störungen im Alltag reagieren. Und auch der Botenstoff Acethylcholin, der bei Lernprozessen eine große Bedeutung hat, nimmt ab, wodurch die Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung reduziert wird. Während 25-jährige noch ca. 40 Bit pro Sekunde verarbeiten können, ist es bei 65jährigen nur noch ca. die Hälfte. Kritiker werden an dieser Stelle vielleicht behaupten, dass heute durch den medizinischen Fortschritt die Vitalität und Leistungsfähigkeit im Alter viel höher sei als früher und dass dies durchaus auch zu Veränderungen im Konsumverhalten führe. Richtig ist, dass die Lebenserwartung in den letzten 100 Jahren erheblich zugenommen hat. Damals betrug die Lebenserwartung eines neu geborenen Mädchens ca. 55 Jahre. Ein heute geborenes Mädchen kann auf eine Lebenserwartung von 85 Jahre und mehr hoffen. Dies bedeutet aber nicht, dass sich die konsumfreudigen und expansiven Jahre verlängern, denn die erhöhte Lebenserwartung verlängert nicht die Jugend, sondern das Alter. Da aber wichtige Konsumtreiber wie Testosteron und Dopamin ungeachtet der steigenden Lebenserwartung nach wie vor im Alter abgebaut werden, ist mit einer deutlichen Veränderung des Konsumverhaltens im Alter nicht zu rechnen. 28. Frauen kaufen anders als Männer Durch eine falsch verstandene Emanzipation entstand über viele Jahre der Eindruck, dass Männer und Frauen gleich seien und daher auch gleich behandelt werden müssten. Natürlich gibt es viele Gemeinsamkeiten zwischen Männern und Frauen, aber es gibt auch viele Unterschiede, die auch beim Konsumverhalten eine große Rolle spielen. Wer im Marketing und in der Werbung sowohl Männer als auch Frauen erreichen will, sollte sich vom Unisex-Marketing verabschieden und die Tatsache akzeptieren, dass es zwischen Männern und Frauen sehr viele Unterschiede gibt. Wie inzwischen viele Befunde bestätigen, bestehen die Unterschiede neben der genetischen Veranlagung sowie den erzieherischen und kulturellen Einflussfaktoren vor allem in biochemischen und strukturellen Unterschieden des Gehirns. Wohl wissend, dass es eine Trennung rein in Schwarz und Weiß nicht gibt und dass es durchaus Männer gibt, die sensibler als so manche Frau sind, und es umgekehrt auch Frauen gibt, die durch ihr Dominanzverhalten so manchen Mann in den Schatten stellen, wollen wir uns im Folgenden die unterschiedlichen Merkmale zwischen Frauen und Männern anschauen, wie sie bei der überwiegenden Mehrheit der Menschen vorhanden sind. Was also unterscheidet das Verhalten und somit auch das Kaufverhalten von Frauen und Männern aus der Sicht der Gehirnforschung? 29. Die Unterschiede im Gehirn bei Frau und Mann Welche Gefühls- und Denkprozesse wir durchlaufen, wird maßgeblich durch zwei Komponenten gesteuert: die Neuroanatomie, also die Gestaltung der Gehirnstrukturen, und die Neurochemie, also die Mixtur an Botenstoffen und Hormonen. Schauen wir uns zunächst einmal ein paar wesentliche Unterschiede der Gehirnstruktur bei Männern und Frauen an: Bei Männern ist in der Amygdala und im Hypothalamus das Dominanz- und Aggressionszentrum fast doppelt so groß wie bei Frauen. Der Bereich des limbischen Systems, der für Fürsorge und Sozialverhalten zuständig ist, ist bei Frauen fast doppelt so groß wie bei Männern. Viele Kerne im limbischen System, vor allem jene, die für Sexualität und Säuglingspflege zuständig sind, sind bei Männern anders ausgeprägt als bei Frauen. Die Zusammenarbeit der Areale des Gehirns ist oft sehr unterschiedlich. Bei der Lösung von Aufgaben kommen sowohl Männer als auch Frauen oft zum gleichen Ergebnis, doch betrachtet man sich dabei die Aktivitäten des Gehirns, so sind bei Frauen andere Areale als bei Männern beteiligt. Einen weitaus größeren Einfluss auf die unterschiedlichen Gefühls- und Denkprozesse bei Männern und Frauen haben aber die Hormone und Nervenbotenstoffe. Diese wirken auf die Gehirnstrukturen ein und können sie dauerhaft verändern. Bei den Hormonen sind die sogenannten Androgene, die männlichen Hormone, und die Östrogene, die weiblichen Hormone, besonders einflussreich. Der wichtigste Vertreter bei den Androgenen ist Testosteron, und der wichtigste Vertreter bei den Östrogenen ist Östradiol. Bei den Botenstoffen spielen vor allem Oxytocin, Vasopressin, Prolactin und PEA (Phenylethylamin) eine besondere Rolle. Oxytocin sorgt beispielsweise für die Zuwendung zu Menschen und belohnt durch ein angenehmes positives Gefühl. Oxytocin ist bei Frauen wesentlich stärker vorhanden als bei Männern. Neurobiologen bezeichnen diesen Botenstoff auch häufig als Kuschelhormon oder Sozialkleber, da es menschliche Bindungen stärkt. Vasopressin wird auch als Treue-Hormon bezeichnet und spielt bei Männern eine stärkere Rolle als bei Frauen. Vasopressin löst gemeinsam mit Testosteron „Nestverteidigung“ aus und spielt auch bei Eifersucht eine nicht unwesentliche Rolle. Prolactin macht ruhiger und sanfter und ist bei Frauen stärker vorhanden als bei Männern. Eine Zunahme dieses Botenstoffs bewirkt eine Abnahme des Geschlechtstriebs. So sorgt die Natur dafür, dass während der Stillzeit das sexuelle Verlangen der Mutter sehr stark reduziert wird. PEA, auch Liebesmolekül genannt, sorgt im Bewusstsein für das Gefühl der Verliebtheit. Wenn Symptome wie Herzklopfen, Schmetterlinge im Bauch oder Ähnliches auftreten, dann ist meist PEA im Spiel. Aber welche Auswirkungen hat nun all dies auf unser Kaufverhalten? Diese Frage wollen wir als nächste beantworten. 30. Wie Hormone und Botenstoffe unsere Kaufentscheidungen beeinflussen Wie wir soeben erfahren haben, sind die im Gehirn beteiligten Hormone, die für Fürsorge und Bindung stehen, bei Frauen stärker vorhanden als bei Männern. Auch das Hormon Östrogen, das für Weichheit und Sanftheit sorgt, überwiegt bei Frauen. Die Folge ist z.B., dass 85% aller Geschenke von Frauen gekauft werden. Frauen haben auch ein viel größeres Interesse am „Nestbau“, also an den Themen Einrichtung und Wohnen. 80% der Wohnzeitschriften werden daher von Frauen gekauft und gelesen. Die bei Frauen intensiveren Bindungs- und Fürsorgehormone wirken sich aber nicht nur in Bezug auf Menschen aus. Auch Gebrauchsgegenstände unterliegen ihrem Einfluss. Viele junge Frauen geben z.B. ihren Autos Namen, weil sie in dem Auto keinen kühlen technischen Gegenstand sehen, sondern einen Partner, auf den sie sich verlassen wollen. Auch im Berufsleben zeigt sich die Wirkung der Hormone. Frauen sind ca. dreimal häufiger in sozialen Berufen vertreten als Männer. Und selbst vor der Politik machen die Bindungs- und Fürsorgehormone nicht halt. Themen, bei denen es um soziale Verantwortung oder um den Schutz der Natur geht, sind für Frauen wichtiger als für Männer. In den Gehirnen von Männern und Frauen gibt es aber nicht nur Bindungs- und Fürsorgehormone. Auch das Sexual- und Dominanzhormon Testosteron ist in beiden Gehirnen aktiv, allerdings ist dieses Hormon bei Männern wesentlich stärker vertreten als bei Frauen. Die Folge davon ist z.B., dass 95% aller Gefängnisinsassen Männer sind,… aber auch 95% aller Nobelpreisträger. Fast alle Kriege und Revolutionen werden von Männern begonnen, …und 90% aller Porschefahrer sind ebenfalls Männer. Der Hauptgrund dafür heißt Testosteron! Allerdings wollen wir hier nicht die gesellschaftspolitischen Einflüsse von Testosteron behandeln, sondern vielmehr die Auswirkungen von Testosteron auf unser Kauf- und Konsumverhalten. Dazu ist es allerdings notwendig, sich die Entwicklung des Gehirns etwas näher anzuschauen. Bei der Entwicklung des Gehirns wirkt die hohe Testosteronkonzentration bei Männern besonders auf die linke Gehirnhälfte und reduziert dort Verbindungen zwischen den Nervenzellen. Um diese Ausfälle zu kompensieren, wächst die rechte Gehirnhälfte bei Männern etwas stärker. Bei Männern ist die linke Gehirnhälfte also etwas dünner und die rechte etwas stärker. Die Konsequenz daraus ist, dass Männer in der Regel eine völlig andere Denkstruktur als Frauen haben. Männer denken eher eindimensional und versuchen die Welt zu vereinfachen, zu systematisieren und zu ordnen. Wie wir sehen, führt Testosteron bei Männern zu einer stärkeren Dominanz und Kontrolle, während bei Frauen das Hormon Östrogen mehr für Fürsorge und Bindung sorgt. Hieraus ergeben sich nun eindeutige Konsequenzen für das Marketing: Verkaufs- und Produktargumentationen sollten für Männer völlig anders gestaltet sein als für Frauen. Während Männer mehr die harten Fakten lieben, bevorzugen Frauen eher fantasieanregende Produktbeschreibungen. Aber auch die soziale und kommunikative Komponente ist bei Männern und Frauen unterschiedlich ausgeprägt. Bei beratungsintensiven Investitionen konzentrieren sich Männer zu 70% auf das Produkt und nur zu 30% auf den Berater. Bei Frauen ist es genau umgekehrt. Die Chance, ein Produkt zu verkaufen, ist also bei Frauen besonders hoch, wenn die emotionale Beziehung zum Berater stimmt. Insbesondere beim Verkauf von technischen Produkten wie z.B. Computer oder Fernsehgeräten werden enorme Potentiale verschenkt, weil Frauen von den Verkäufern oft wie Männer behandelt und beraten werden. Schon in der Informationsphase gibt es zwischen Männern und Frauen aufgrund der unterschiedlichen Gehirnprägung enorme Unterschiede. Während Männer sich stark an Testberichten und Internetrecherchen orientieren, vertrauen Frauen mehr auf die Meinung oder Erfahrung einer guten Freundin. Für die im Verkauf sehr wichtige Mund-zu-Mund-Propaganda sind daher Frauen sehr wichtig. Auch was die Beliebtheit von Produktkategorien betrifft, gibt es erhebliche Unterschiede zwischen Mann und Frau. Männer mögen mehr technische Produkte. Frauen hingegen bevorzugen mehr Produkte, die die Fantasie anregen, wie z.B. Romane oder Kunst. Wie deutlich diese Unterschiede sind, zeigt eine Studie der TDW aus dem Jahre 2006/2007: 31. Die Wirkung von Formen Für den Erfolg eines Produktes spielt auch die Form eine sehr wichtige Rolle, denn der unterschiedliche Hormon-Mix im Gehirn von Männern und Frauen erzeugt ein unterschiedliches Formempfinden. Wie wir bereits erfahren haben, sorgt Östrogen für mehr Weichheit und Sanftheit im Fühlen und Denken. Frauen mögen daher eher weiche und runde Formen, während Männer mehr geradlinige Formen bevorzugen. Der Getränkehersteller Römerquelle z.B. hat dies erkannt und sehr erfolgreich umgesetzt. Zu lange hatte man an der Tradition mit der Form der Flasche festgehalten. Die neue Form hingegen entspricht viel stärker den Ansprüchen von Frauen, was sich auch sofort in den Umsatzzahlen widerspiegelte. Ein anderes Beispiel ist Sony mit seiner Designserie Vaio. Auch hier werden die ästhetischen Ansprüche von Männern und Frauen sehr gut berücksichtigt. In den letzten Jahren haben immer mehr Unternehmen erkannt, wie wichtig die Formgebung ist und dass die Art, Dinge wahrzunehmen, eben sehr stark von Hormonen und Botenstoffen beeinflusst ist. 32. Die Wirkung von Sprache Nicht nur die Form spielt bei einem Produkt eine wichtige Rolle, sondern auch die Sprache. Schließen Sie einmal die Augen und denken Sie dabei an die Worte „Bulima“ und „Krasette“. Und jetzt versuchen Sie bitte, diesen beiden Begriffen eine Form zuzuordnen. Sicher werden Sie dem Begriff „Bulima“ eher eine runde und weiche Form zuordnen, während Sie dem Begriff „Krasette“ eher eine kantige und geradlinige Form geben werden. Es kommt also nicht nur darauf an, welche Form ein Produkt hat, sondern auch, wie die Bezeichnung des Produktes lautet. Auch hierbei gibt es große Unterschiede zwischen dem Empfinden von Männern und Frauen. Lange Zeit ging man davon aus, dass Frauen mehr sprechen als Männer, nämlich ca. 20.000 Wörter pro Tag und Männer nur ca. 7.000 pro Tag. Neueste Studien wie z.B. die Studie der Universität Texas beweisen jedoch, dass sowohl Männer als auch Frauen etwa gleich viele Worte pro Tag sprechen. Nach dieser Studie sprechen Frauen durchschnittlich 16.214 Wörter täglich und Männer 15.669. Ein großer Unterschied besteht allerdings in der Wahl der Wörter. Die Sprache ist bei den Frauen differenzierter, sie reden mehr über Beziehungen und sie benutzen mehr Wörter mit einem weicheren, sanfteren Klang. Spricht z.B. ein Autoverkäufer darüber, dass der 280 PS-Motor von 0 auf 100 in nur 5,8 Sekunden beschleunigt, so dauert es nur wenige Zehntelsekunden, um beim Mann das Aggressionszentrum und den Lustkern im limbischen System in hohe Aktivität zu versetzen, während das Gehirn der Frau dabei eher inaktiv bleibt. Ergänzt der Verkäufer hingegen seine Aussage, dass dies wichtig sei, damit die Familie mit diesem Wagen einen Traktor auf der Landstraße sicher überholen kann, so jubelt nun auch das weibliche Gehirn. 33. Die Wirkung von Geruch Auch die Nase hat ein entscheidendes Wörtchen mitzureden, wenn es um Kaufentscheidungen geht. Eine Bäckerei z.B. konnte den Umsatz um 30% steigern, indem sie frischen Brotgeruch mit Hilfe eines Ventilators auf die Straße blies. Inzwischen gibt es sogar Firmen, die sich auf Geruchsdesign spezialisiert haben und eine Palette von rund 30.000 Duftnoten anbieten. Das Ziel der Geruchsmanager ist dabei, den Kunden möglichst lange im Geschäft zu halten, denn je länger ein Kunde dort verweilt, desto mehr kauft er auch. Wenn es um Geruch geht, nimmt Parfüm eine besonders interessante Rolle ein. Nicht umsonst gibt es den Ausdruck: „Ich kann jemanden gut riechen“. Hintergrund ist der Evolutionsauftrag, möglichst viele Gene in die nächste Generation zu bringen. Dieser Auftrag ist sowohl bei Männern als auch bei Frauen gleich. Unterschiedlich ist jedoch die Durchführung, denn die weibliche Sexualität im Gehirn funktioniert völlig anders als bei Männern. Frauen suchen einen guten und treuen Partner, der für Schutz und Ernährung sorgt, denn das erhöht die Überlebenschance für den Nachwuchs und somit die Chance, die Gene an die nächste Generation weiterzugeben. Um jedoch den besten Partner zu finden, muss eine Frau auswählen können. Aus diesem Grund wird der Geruch des Parfüms so gewählt, dass er möglichst viele Kandidaten anlockt, unter denen sie dann den richtigen auswählen kann. Bei Männern hingegen ist der genetische Erfolg dann am größten, wenn sie mit möglichst vielen Frauen Nachwuchs zeugen, um ihre Gene an die nächste Generation weiterzugeben. Da sich aber Frauen bei der Suche nach dem richtigen Partner Zeit lassen, gibt es für den Mann viele Rivalen, die er übertrumpfen muss. Es kommt quasi zum „Stau vor der Frau“. Bei der Wahl des Parfüms geht es daher bei Männern eher darum, den Konkurrenten zu bekämpfen, während es bei Frauen mehr darum geht, ihre Attraktivität zu erhöhen. 34. Die Wirkung von Musik Vielleicht haben Sie schon selbst beobachtet, dass in vielen Supermärkten und auch in Fachgeschäften früher sehr häufig Werbespots über die Lautsprecher ertönten. Sie sind aber in den letzten Jahren mehr und mehr verschwunden. Studien haben gezeigt haben, dass die Verkaufszahlen zwar um bis zu 15% steigen, wenn ein Kunde beim Ertönen eines Werbespots direkt vor dem Produkt steht, da dies aber eher die Ausnahme ist, werden Werbespots als störend und belästigend empfunden, weshalb ein Kunde das Geschäft schneller wieder verlässt. Auch das Tempo der Musik beeinflusst das Kaufverhalten. Z.B. führt schnelle Musik zu einer Beschleunigung der Bewegung. Der Kunde verlässt das Geschäft früher. Langsame Musik hingegen erhöht die Verweildauer. Und auch der Stil der Musik ist entscheidend. So bewirkt z.B. getragene klassische Musik, dass Kunden das Geschäft um ca. 5 – 10% teurer erleben, als wenn keine Musik gespielt wird. 35. Zusammenfassung Mit zunehmendem Alter verändern sich unsere Emotions- und Motivationssysteme, und diese haben einen erheblichen Einfluss auf unser Konsumverhalten. Wer also mit Werbung und Marketing erfolgreich sein möchte, sollte sich das Gehirn genauer anschauen und berücksichtigen, was sich im Laufe des Alterungsprozesses dort abspielt. In der Altersklasse der 8 – 13jährigen sind Kaufentscheidungen sehr unkritisch, impulsiv und ungeduldig. Alles muss sofort und gleich geschehen. Bei den 14 – 20jährigen ist festzustellen, dass Jugendliche besonders autonom und individuell sein wollen. Gegenüber Eltern und Erwachsene grenzt man sich durch eigene Konsum- und Modestile deutlich ab. Marken haben in dieser Phase eine doppelte Bedeutung: Einerseits sind sie Symbole und Zeichen der Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Gleichzeitig grenzen sie aber auch von anderen Gruppen ab. In der Lebensphase der 20 – 30jährigen ist die Konzentration an Dopamin und Testosteron bzw. Östrogen noch sehr hoch. Mit anderen Worten: das Stimulanzsystem (Dopamin) und auch das Dominanzsystem (Testosteron) haben erheblichen Einfluss auf das Verhalten und somit auch auf Kaufentscheidungen. Besonders attraktiv sind in dieser Phase Produkte mit einem hohen Neuigkeits- und Innovationswert wie z.B. Mode, Schmuck, Autos oder Erlebnisurlaub. Das Alter zwischen 30 und 40 Jahren ist für viele Menschen die Phase der Familiengründung. In dieser Phase verändert sich aber nicht nur der Hormon-Mix bei Frauen, auch bei Männern kommt es in dieser Phase zu hormonellen Veränderungen. Sowohl bei Frauen als auch bei Männern steigt die Bereitschaft zum Kauf von Familienprodukten an. Der Sportwagen wird gegen den Kombi eingetauscht. Statt das Geld für teure Mode oder Kosmetik auszugeben. Ausbildungs- und Lebensversicherungen werden abgeschlossen, und der Wunsch nach den eigenen vier Wänden tritt in den Vordergrund und verdrängt den Urlaub auf den Malediven. Bei den 40 – 50jährigen sind Wünsche und Ziele zwar noch in großer Zahl vorhanden, aber das Protzige und Übertriebene verliert langsam seinen Reiz. Stattdessen achtet man mehr auf Qualität und, wenn man es sich leisten kann, auf Luxus und Stil. 50 – 60jährige sind zwar noch offen für die Welt und interessieren sich für viele Dinge, doch die Risikobereitschaft nimmt immer mehr ab. Die neueste Mode oder neueste Computer verlieren an Bedeutung. Stattdessen rücken Themen wie Wellness, Haus und Garten in den Vordergrund. Der Testosteron- und Dopaminspiegel sinkt weiter, während der Cortisolspiegel weiterhin steigt, was sich darin bemerkbar macht. dass man die Dinge ruhiger und langsamer angehen lässt. Mit 60plus werden Testosteron und Dopamin weiter abgebaut, während das Stress- und Angsthormon Cortisol stark zunimmt. Aber auch der Botenstoff Serotonin, der u.a. für eine innere Gelassenheit sorgt, wird schneller abgebaut, wodurch ältere Menschen empfindlicher auf Störungen im Alltag reagieren. Und auch der Botenstoff Acethylcholin, der bei Lernprozessen eine große Bedeutung hat, nimmt ab, und die Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung wird reduziert. Die Wunschvorstellung, dass diese Generation ihr Geld in Hülle und Fülle in Einkaufsstraßen und Luxusgeschäften ausgibt, dürfte für Industrie und Handel eine Fiktion bleiben. Unser Kaufverhalten wird aber nicht nur durch das Alter bestimmt und beeinflusst. Ein weiterer sehr wichtiger Aspekt ist, dass Frauen anders kaufen als Männer. Wie inzwischen viele Befunde bestätigen, bestehen die Unterschiede neben der genetischen Veranlagung, den erzieherischen und kulturellen Einflussfaktoren vor allem in biochemischen und strukturellen Ausprägungen des Gehirns. Bei der Entwicklung des Gehirns wirkt die hohe Testosteronkonzentration bei Männern besonders auf die linke Gehirnhälfte und reduziert dort Verbindungen zwischen den Nervenzellen. Um diese Ausfälle zu kompensieren, wächst die rechte Gehirnhälfte bei Männern etwas stärker. Bei Männern ist die linke Gehirnhälfte etwas dünner und die rechte etwas stärker. Die Konsequenz daraus ist, dass Männer in der Regel eine völlig andere Denkstruktur als Frauen haben. Männer denken eindimensionaler und versuchen die Welt zu vereinfachen, zu systematisieren und zu ordnen. Testosteron führt bei Männern auch zu einer stärkeren Dominanz und Kontrolle, während bei Frauen das Hormon Östrogen mehr für Fürsorge und Bindung sorgt. Wer im Marketing und der Werbung sowohl Männer als auch Frauen erreichen will, sollte sich vom Unisex-Marketing verabschieden und die Tatsache akzeptieren, dass es zwischen Männern und Frauen sehr viele Unterschiede gibt. Aber auch Formen, Sprache, Geruch und Musik spielen bei Kaufentscheidungen eine große Rolle. Das weibliche Hormon Östrogen sorgt für mehr Weichheit und Sanftheit im Fühlen und Denken. Frauen mögen daher eher weiche und runde Formen, während Männer mehr geradlinige Formen bevorzugen. Die Sprache ist bei den Frauen differenzierter, sie reden mehr über Beziehungen und sie benutzen mehr Wörter mit einem weicheren, sanfteren Klang. Auch die Nase hat ein entscheidendes Wörtchen mitzureden, wenn es um Kaufentscheidungen geht, wie wir am Beispiel einer Bäckerei sehen konnten, die ihren Umsatz um 30% steigern konnte, indem sie frischen Brotgeruch mit Hilfe eines Ventilators auf die Straße blies. Und selbst Musik nimmt auf unsere Kaufentscheidungen Einfluss und kann, wenn sie richtig eingesetzt wird, zu einer Steigerung des Verkaufserfolges beitragen.
- Führung und Motivation
Wie uns die Gehirnforschung dabei helfen kann, Mitarbeiter zu führen und zu motivieren. Inhaltsverzeichnis 1. Nicht alles richtig machen, sondern das Richtige machen 2. Kein Gehirn gleicht dem anderen 3. Führen bedeutet Vorbild sein 4. Das Belohnungssystem - Der Entstehungsort für Leistung 5. Das Emotionssystem - Die Bewertungszentrale der Reize 6. Das Erinnerungssystem - Die Quelle für Erwartungen 7. Das Entscheidungssystem - Die oberste Kommandozentrale 8. Zusammenfassung Führung und Motivation Wie uns die Gehirnforschung dabei helfen kann, Mitarbeiter zu führen und zu motivieren. 1. Nicht alles richtig machen, sondern das Richtige machen Unternehmen sind geprägt von ständigen Veränderungsprozessen. In immer kürzeren Abständen müssen immer schnellere Entscheidungen getroffen und umgesetzt werden. Diese Entwicklung hat dazu geführt, dass viele Unternehmen ihre gesamte Organisationsstruktur diesem Beschleunigungsprozess angepasst und alle unternehmerischen Abläufe in Zielvorgaben, Arbeitsanweisungen, Richtlinien und Ablaufplänen geregelt haben, um möglichst viele Quellen für Fehlentscheidungen auszuschalten. Dennoch sind die Ergebnisse nicht zufriedenstellend. Mitarbeiter sind oft unzufrieden und demotiviert, Führungskräfte halten dem Druck nicht mehr stand, und psychische Erkrankungen wie Stress, Burnout und Depression nehmen kontinuierlich zu. Aber wie kann es dazu kommen, wenn man doch alles richtig gemacht hat? Genau hier liegt die Ursache. Führungskräfte machen zwar das, was sie machen, in den meisten Fällen richtig, aber sie machen nicht das Richtige. Damit ist gemeint, dass sie ihre Entscheidungen, gemessen an den Zielvorgaben, Arbeitsanweisungen, Richtlinien und Ablaufplänen, zwar richtig getroffen haben, aber der wichtigste Faktor, nämlich der Mensch, auf der Strecke geblieben ist. Führung beschränkt sich also nicht nur auf die Umsetzung von Anweisungen von oben nach unten. Führung bedeutet in erster Linie die Anwendung von Fähigkeiten im Umgang mit Menschen. Aber wie sehen diese Fähigkeiten aus? Was muss ich als Führungskraft tun, damit Mitarbeiter motiviert und zufrieden sind, und wie bekomme ich alles mit meinen eigenen Motiven und Zielen in Einklang? Auf diese und viele andere Fragen, die im Zusammenhang mit Führung und Motivation wichtig sind, gibt uns die Gehirnforschung erstaunliche Antworten. Hierbei sind es vor allem vier Systeme des menschlichen Gehirns, die wir uns näher anschauen und aus denen wir Erkenntnisse für die Führung und Motivation von Mitarbeitern erlangen wollen. Bei diesen vier Systemen handelt es sich um folgende: das Belohnungssystem das Emotionssystem das Erinnerungssystem das Entscheidungssystem Diese vier Systeme sind es, die hauptsächlich dafür verantwortlich sind, ob und in welchem Umfang Führung und Motivation von Mitarbeitern gelingt. Führung und Motivation ist daher vor allem eine Frage, mit welchen Instrumenten und Maßnahmen man diese vier Systeme aktiviert bzw. so gestaltet, dass sie das gewünschte Ergebnis hervorbringen. Bevor wir uns die Maßnahmen und Instrumente für die Aktivierung und Gestaltung der vier Gehirnsysteme anschauen, müssen aber zwei Voraussetzungen erfüllt sein, ohne die alles Weitere keinen oder nur einen geringen Sinn macht. Diese beiden Voraussetzungen sind folgende: Die Einzigartigkeit des Gehirns muss anerkannt sein, und die Vorbildfunktion der Führungskraft muss erfüllt sein. Erst wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, werden die Instrumente und Maßnahmen zur Aktivierung und Gestaltung der Gehirnsysteme greifen. Aus diesem Grund werden wir uns als Nächstes diese beiden Voraussetzungen näher anschauen. 2. Kein Gehirn gleicht dem anderen Nicht nur, dass kein Gehirn dem anderen gleicht, auch wenn zwei Menschen exakt das Gleiche denken, so geht der Gedanke bei diesen beiden Menschen dennoch unterschiedliche Wege im Gehirn. Das menschliche Gehirn besteht aus rund 100 Milliarden Gehirnzellen, die untereinander geschätzte 100 Billionen Verbindungen eingehen. Das sind mehr Verbindungen, als es Sterne im Milchstraßensystem gibt. Betrachtet man die Gehirne von Menschen nur oberflächlich, so sehen sie identisch aus. Doch bei näherer Betrachtung ist jedes Gehirn einzigartig. In jedem Gehirn sind die Verbindungen zwischen den Zellen anders angelegt, und sie sind das Ergebnis aus genetischer Veranlagung, vorgeburtlicher und früh nachgeburtlicher Prägung, sozialen und kulturellen Einflüssen und letztendlich auch das Ergebnis aus den Erfahrungen und Erlebnissen des individuellen Lebens. Die Persönlichkeit eines Menschen ist daher neurowissenschaftlich gesehen das Spiegelbild seines neuronalen Netzwerks. Dies ist auch der Grund dafür, dass jede Handlung, jede Entscheidung, jede Aussage und jede Emotion das Ergebnis dieses individuellen Netzwerkes ist. Dies für sich zu erkennen und bei anderen anzuerkennen, ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Führung und Motivation. Für die Praxis bedeutet dies, dass man die eigene Wahrnehmung und Meinung nie als die einzige Wahrheit und Wirklichkeit sehen sollte. Vor allem in Meetings und Besprechungen ist diese Erkenntnis sehr wichtig und sie erklärt, warum die Standpunkte der Teilnehmer oft sehr unterschiedlich sind und Diskussionen oft ergebnislos verlaufen. Was aber ist, wenn ich als Führungskraft die Meinung, den Standpunkt oder das Verhalten eines Mitarbeiters nicht akzeptieren kann und eine Änderung erreichen möchte? Die Chance liegt in der Plastizität des Gehirns. Entgegen jahrzehntelanger Annahmen ist das Gehirn nämlich keineswegs zu einem bestimmten Zeitpunkt fertig entwickelt, sondern kann sich ein Leben lang weiter entwickeln und verändern. Diese Fähigkeit, nämlich die Veränderbarkeit unseres Gehirns wird aber vor allem in der Wirtschaft weitestgehend unterschätzt. Der Normalfall ist, dass Mitarbeiter eingestellt, geführt und motiviert werden auf der Basis dessen, was und wie sie sind, oder zu sein scheinen. Viel wichtiger wäre aber, danach zu fragen, was aus diesen Mitarbeitern einmal werden könnte, wenn man ihnen die Chance gäbe, sich zu entwickeln, neue Erfahrungen zu machen und zu lernen. Führen bedeutet daher: die Einzigartigkeit jedes Mitarbeiters zu akzeptieren, die individuellen Potentiale zu entdecken, und sie fördern und ausbauen. Dies ist aber nur die erste Voraussetzung für die erfolgreiche Führung und Motivation von Menschen. Die zweite Voraussetzung ist, dass Führungskräfte ihre Vorbildfunktion erfüllen. Erst wenn auch diese Voraussetzung gewährleistet ist, werden die Instrumente und Maßnahmen, mit denen wir die bereits erwähnten vier Gehirnsysteme aktivieren und gestalten können, ihren Zweck erfüllen. 3. Führen bedeutet Vorbild sein Wie wir bereits erfahren haben, verfügt das menschliche Gehirn über eine hohe Plastizität. Es kann sich also ein Leben lang verändern und entwickeln. Dies ist auch notwendig, damit lebenslang Lernprozesse und Verhaltensänderungen überhaupt stattfinden können. Die Frage ist nur: Wie erreiche ich als Führungskraft bei meinen Mitarbeitern die Bereitschaft, Neues zu lernen bzw. sich zu verändern? Neben all den Aspekten, die Sie im Folgenden erfahren werden, und auch neben all den Erkenntnissen der Gehirnforschung, die wir bereits im Thema „Die Kunst der Verhaltensänderung“ kennen gelernt haben, ist die Vorbildfunktion das stärkste Instrument, um Inhalte zu vermitteln oder Verhalten zu ändern. Durch Abschauen und Nachahmen haben wir unsere komplette Muttersprache erlernt. Durch das Verhalten unserer Eltern und Lehrer hat sich in unserer Kindheit unser soziales und kulturelles Wertesystem entwickelt. Und im Berufsleben sind es die Führungskräfte, von denen wir am schnellsten und effektivsten lernen können – und zwar positiv wie negativ. Wenn es also darum geht, neue Wissensinhalte zu vermitteln, Verhalten bei Mitarbeitern zu ändern oder die Bereitschaft zu entwickeln, neue Wege zu gehen, dann ist die Vorbildfunktion eine unbedingte Voraussetzung. Eine Führungskraft, die selbst jeden Tag zu spät kommt, wird es wohl kaum schaffen, den Mitarbeitern, die auch zu spät kommen, ein Gespür für Pünktlichkeit zu vermitteln, da kann das theoretische Wissen der Führungskraft über Zeitmanagement und Selbstorganisation so groß sein, wie es will. Wenn Sie also in Ihrer Führungs- und Motivationsarbeit die folgenden Instrumente und Maßnahmen erfolgreich anwenden bzw. umsetzen möchten, dann ist es unabdingbar, dass Sie sie selbst vorleben. 4. Das Belohnungssystem - Der Entstehungsort für Leistung Das Belohnungssystem des menschlichen Gehirns ist eine komplexe Struktur, zu der verschiedene Areale des Gehirns zählen. Vor allem folgende Areale spielen beim Belohnungssystem eine wichtige Rolle: der Nucleus accumbens, das ventrale tegmentale Areal des Mittelhirns und die präfrontale Region der Großhirnrinde. Was wir erleben oder erleben wollen, wird vom Nucleus accumbens als Teil des limbischen Systems nach dem Lustprinzip bewertet. Verspricht ein Gedanke, wie z.B. der Gedanke an ein leckeres Essen lustvoll und angenehm zu werden, wird im ventralen tegmentalen Areal des Mittelhirns der Botenstoff Dopamin ausgeschüttet. Dieser Botenstoff dockt dann an den Rezeptoren der Synapsen der präfrontalen Großhirnrinde an, wo unser Bewusstsein sitzt. Hier entsteht nun eine bewusste Glückserwartung, und wir entscheiden uns bewusst zu essen. Meldet die Großhirnrinde und damit unser Bewusstsein nun tatsächlich positive Erlebnisse, z.B. den guten Geschmack des Essens an das ventrale tegmentale Areal des Mittelhirns zurück, schließt sich die sogenannte "ventrale Schleife". Als Folge wird Serotonin ausgeschüttet. Serotonin wirkt beruhigend und befriedigend, es sorgt für Harmonie und bringt uns schließlich zu der Erkenntnis: "Ich bin glücklich." Wird also das Belohnungssystem aktiviert, überkommt uns ein Gefühl des Wohlbefindens und somit ein Zustand, den wir gerne dauerhaft beibehalten würden. Glücklicherweise lässt sich dieser Zustand aber nicht dauerhaft aufrechterhalten, denn wäre das der Fall, würde uns jeder Anreiz für weitere Aktivitäten fehlen. Im schlimmsten Fall könnten wir sogar sterben, wie bereits in den 1950er Jahren die Wissenschaftler James Olds und Peter Milner an Versuchen mit Säugetieren nachweisen konnten. Sie pflanzten Versuchstieren Elektroden in das Belohnungssystem des Gehirns ein und stimulierten es durch elektrische Impulse. Diese Impulse führten dazu, dass sich ein Wohlbefinden bei den Versuchstieren einstellte. Schaltete man die Elektroden ab, endete auch der Zustand des Wohlbefindens. Wurden hingegen die Elektroden permanent und dauerhaft aktiviert, führte dies dazu, dass die Versuchstiere jegliches Interesse an ihrer Umwelt verloren. Sie hörten auf zu fressen und zu trinken, und die Männchen ließen sogar die Weibchen völlig unbeachtet. Hätte man die elektrischen Impulse nicht abgeschaltet, wären die Versuchstiere verhungert. Die dauerhafte Aktivierung des Belohnungssystems überbietet also alles, was es an natürlichen Überlebenstrieben gibt. Der Zweck des Belohnungssystems im Gehirn ist folglich, durch ein Wechselspiel zwischen Aktivierung und Deaktivierung den Anreiz für weitere Aktivitäten zu erhalten. Diese Erkenntnis hat im Zusammenhang mit Führung und Motivation eine enorme Bedeutung. Zur Aktivierung des Belohnungssystems bei Mitarbeitern werden in vielen Unternehmen Geschenke, Incentives, Zusatzeinkünfte u.ä.m. eingesetzt. Dagegen ist auch zunächst nichts einzuwenden. Stehen diese Belohnungen aber im Zusammenhang mit dem Erreichen von bestimmten Zielen in einem vorgegebenen Zeitraum, führen sie zur Gewöhnung, und ihre Wirkung verpufft. In diesen Fällen hilft dann nur noch eins: Beim nächsten Mal bitte mehr davon! Erfolgen Belohnungen hingegen unerwartet und unangekündigt, tritt der Gewöhnungseffekt im Belohnungssystem nicht ein. Oft wird auch die Wirkung von teuren oder wertvollen Belohnungen überschätzt und die Wirkung von kleineren und kostengünstigeren Belohnungen unterschätzt. Ein nettes Wort, ein sympathisches Lächeln können das Belohnungssystem im Gehirn genauso aktivieren wie kleine Überraschungen oder eine unerwartete Anerkennung. Dass dies so ist, konnte inzwischen in zahlreichen Experimenten und unter Einsatz bildgebender Verfahren nachgewiesen werden. Aber auch andere Studien zeigen, dass sich unser Belohnungssystem schon durch kleine positive Stimulierungen aktivieren lässt und eine Verhaltensänderung bewirkt. In einer Gruppe von Probanden gab man der einen Hälfte die Aufgabe, negative Begriffe wie z.B. Misserfolg, Unglück oder Trauer zu lesen. Die andere Hälfte der Probanden hingegen bekam Begriffe wie Erfolg, Glück oder Freude zu lesen. Anschließend forderte man beide Gruppen auf, das Gebäude durch das Treppenhaus zu verlassen. Es ist wohl nicht schwer zu erraten, welche Gruppe schneller war. Die Gruppe mit den positiven Begriffen verließ das Gebäude wesentlich schneller und dynamischer als die andere Gruppe. Auch wenn dieses Ergebnis banal erscheint, so zeigt es doch, dass Führungskräfte, die meinen, dass eine emotionsfreie Kommunikation der beste Weg sei, Mitarbeiter zu führen, auf dem Holzweg sind. Auch dürfte außer Frage stehen, dass die Wirkung eines sympathischen Lächelns oder eines freudigen Gesichtsausdrucks des Chefs als Aktivierung des Belohnungssystems durch keine Email ersetzt werden kann. Eine weitere Erkenntnis, die auf unser Belohnungssystem zurückgeht, ist, dass wir uns altruistisch verhalten. Das bedeutet, dass Menschen sozialen Regeln folgen, auch wenn sie keinen Gewinn erzielen oder sogar Nachteile in Kauf nehmen müssen. Was dies konkret bedeutet, wird deutlich, wenn wir uns das sogenannte Ultimatumspiel anschauen. Bei diesem Spiel gibt es einen Spielleiter und zwei Spieler. Der Spielleiter gibt nun dem Spieler A einen bestimmten Geldbetrag und bittet ihn, dem Spieler B davon einen Anteil anzubieten. Nimmt Spieler B das Angebot an, so können beide Spieler den jeweiligen Geldbetrag für sich behalten. Lehnt Spieler B das Angebot von Spieler A ab, geht der gesamte Betrag an den Spielleiter zurück. Rein rational betrachtet müsste Spieler B jedes Angebot von Spieler A annehmen, denn selbst ein Cent wäre mehr als nichts und somit ein Gewinn für ihn. In der Realität sieht es aber anders aus. In dem Moment, wo Probanden, die sich in der Rolle des Spielers B befinden, ein Angebot als unfair einstufen, lehnen diese das Angebot ab, was dazu führt, dass keiner der beiden Spieler etwas bekommt. Dies ist meist dann der Fall, wenn das Angebot unter 40% liegt. Interessant daran ist aber, dass sich bei den Probanden, die sich in der Situation des Spielers B befinden und ein Angebot ablehnen, eine Aktivierung des Belohnungssystems durch Aufzeichnung entsprechender Gehirnaktivitäten nachweisen lässt. Der psychologische Gewinn – „Dem habe ich es aber gezeigt!“ – übertrumpft den eigenen materiellen Verlust. Altruistisches Bestrafen wird also vom Gehirn belohnt. Für die Praxis können wir hieraus ableiten, wie wichtig der faire Umgang unter Führungskräften und Mitarbeitern ist, denn wirklicher Erfolg entsteht nur dann, wenn bei beiden das Belohnungssystem aktiviert wird, aber nicht durch altruistisches Bestrafen, sondern durch faire und gemeinsam erzielte Erfolge. 5. Das Emotionssystem - Die Bewertungszentrale der Reize In der Psychologie werden Emotionen als psychische Zustände beschrieben. Wir bekommen jedoch ein besseres Verständnis dafür, was Emotionen sind, wenn wir sie unter neurowissenschaftlichen Gesichtspunkten betrachten. Aus Sicht der Gehirnforschung sind Emotionen chemische Prozesse des Nervensystems, also Hirnfunktionen, die wir dann z.B. als Wut, Angst, Freude oder Trauer empfinden. Das wohl bekannteste Areal zur Emotionsverarbeitung im menschlichen Gehirn ist die Amygdala, auch Mandelkern genannt. Sie ist Teil des limbischen Systems und mit vielen anderen Strukturen des Gehirns verbunden. Durch diese Verbindungen kommt es einerseits zu einer vermehrten Ausschüttung von Botenstoffen, also Neurotransmittern, und andererseits wird durch diese Verbindungen unser ganzes hormonelles System in Schwung gebracht. So kommt es beispielsweise zu einer vermehrten Ausschüttung des Stresshormons Cortisol, wenn wir Angst haben, oder zu einer vermehrten Ausschüttung von Dopamin, wenn wir Freude erleben. Auf diese Weise werden eingehende Signale in unserem Gehirn zu Emotionen, und diese wiederum führen zu Erlebnissen. So kann z.B. schon der Anblick eines Fotos ausreichen, um Trauer oder Freude auszulösen, je nachdem, welche Erinnerung wir mit diesem Foto verknüpft haben. Der Hirnforscher Joseph LeDoux sagte einmal: „Emotionen sind mächtige Motivatoren künftigen Handelns.“ Was er damit meint, ist, dass Emotionen quasi als Bewertungen zwischen Reizen und Reaktionen stehen. Interessant für die Praxis ist daran, dass die Bewertung schon einsetzen kann, bevor die Wahrnehmungssysteme den Reiz vollständig verarbeitet haben. Mit anderen Worten: Wir fühlen bereits, ob etwas gut oder schlecht ist, bevor unser Bewusstsein im präfrontalen Cortex den Vorgang verarbeitet hat. Um die Abläufe unseres Emotionssystems noch besser zu verstehen, kommen wir noch einmal auf unser Ultimatumspiel zurück. Sie erinnern sich? Hierbei ging es darum, dass ein Spielleiter dem Spieler A einen bestimmten Geldbetrag zur Verfügung stellt und ihn bittet, dem Spieler B davon einen Teil anzubieten. Nimmt Spieler B das Angebot an, fällt den Spielern der jeweilige Betrag zu. Lehnt Spieler B das Angebot ab, fällt der gesamte Betrag an den Spielleiter zurück. Hierbei konnten wir sehen, dass, wenn der Spieler B das Angebot ablehnte, dennoch sein Belohnungssystem aktiviert wurde, weil er den Spieler A altruistisch bestrafen konnte. Was aber passiert, wenn Spieler B das Angebot ablehnt und der Betrag nicht an den Spielleiter zurückgeht, sondern komplett bei Spieler A bleibt? In diesem Fall, so haben die Untersuchungen bestätigt, bleibt das Belohnungssystem von Spieler B inaktiv. Stattdessen zeigen sich Aktivitäten in der Insula, einer Gehirnregion, in der Emotionen wie Ekel oder Empörung ausgelöst werden. Es gab aber auch Fälle, in denen der Spieler B das Angebot annahm, obwohl er es als unfair empfand, der Spieler B also nach dem Prinzip des homo oeconomicus handelte, weil weniger mehr als gar nichts ist. Bei diesen Probanden wurde das Belohnungssystem überhaupt nicht und die Insula nur schwach aktiviert. Stattdessen zeigten sich Reaktionen im präfrontalen Cortex, wo Emotionen verarbeitet und gesteuert werden. Diese Probanden hatten also sowohl das Gerechtigkeitsgefühl als auch die Abneigung gegen den Mitspieler unterdrückt. Welche Rückschlüsse können wir daraus für die Praxis ableiten? Menschen, die an ihrem Arbeitsplatz oft in Situationen gebracht werden, in denen sie das Gerechtigkeitsgefühl unterdrücken müssen, eine altruistische Bestrafung vermeiden müssen und auch keinen Ekel empfinden können, werden über kurz oder lang Reaktionen entwickeln, wie sie in Situationen der Hilflosigkeit üblich sind. Das bedeutet, diese Menschen werden früher oder später aggressive und/oder panische Reaktionen zeigen. Wie aber sollte das Emotionssystem angesprochen und aktiviert werden, damit Führung und Motivation funktionieren? Der Gehirnforscher Joachim Bauer sagte einmal: „Nichts stimuliert uns so sehr wie derWunsch, von anderen gesehen zu werden, die Aussicht auf soziale Anerkennung, das Erleben positiver Zuwendung und die Erfahrung von Liebe. Kern aller Motivation ist es also aus neurobiologischer Sicht, zwischenmenschliche Anerkennung, Wertschätzung und Zuwendung zu finden oder zu geben.“ Konkret bedeutet dies, dass alle Ziele, die wir verfolgen, egal ob beruflich oder privat, aus Sicht des Gehirns nur einen einzigen Zweck verfolgen: Wir wollen zwischenmenschliche Beziehungen erwerben oder erhalten. Und dieses Streben steht sogar über dem Überlebenstrieb. Diese Erkenntnis mag erfahrenen Psychologen als banal und längst bekannt erscheinen. Doch was nützt dies, wenn diese Erkenntnis in der Wirtschaft von Führungskräften als unnötige Gefühlsduselei interpretiert und abgetan wird? Die Hoffnung besteht darin, dass durch die Bestätigung seitens der Neurowissenschaften, die hierfür in den letzten fünf bis zehn Jahren sehr viele und teilweise sehr aufwendige Untersuchungen durchgeführt haben, ein Umdenkungsprozess in den Köpfen von Führungskräften stattfindet. Schauen wir uns also einmal die Abläufe für die Aktivierung des Emotionssystems aus neurowissenschaftlicher Sicht etwas näher an: Wie wir bereits erfahren haben, sitzen die biologischen Antriebsaggregate sehr zentral im Mittelhirn und stehen mit vielen anderen Arealen des Gehirns in Verbindung. Der „Treibstoff“ für diese Aggregate besteht im wesentlichen aus einer Mixtur von drei Botenstoffen: Dopamin Opioide Oxytocin Dopamin erzeugt in uns ein Gefühl des Wohlbefindens und versetzt uns in einen Zustand von Konzentration und Handlungsbereitschaft. „Ich will etwas tun!“ Opioide wirken positiv auf das Ich-Gefühl, die emotionale Stimmung und die Lebensfreude. „Es macht Spaß, etwas zu tun!“ Oxytocin ist eine Art Bindungsstoff, in Fachkreisen auch Sozialkleber genannt, und ist sowohl Ursache als auch Wirkung von Bindungserfahrungen. So konnte z.B. nachgewiesen werden, dass Menschen als Folge einer geschäftlichen Transaktion, in denen ihnen Vertrauen entgegengebracht wurde, erhöhteOxytocin-Werte aufweisen. „Ich setze mich für die ein, die mich mögen!“ Für die Praxis bedeutet dies: Wer Menschen nachhaltig führen undmotivieren will, muss ihnen die Möglichkeit geben, mit anderen zu kooperieren und Beziehung zugestalten. Und ganz nebenbei sorgen die Botenstoffe auch noch für unsere körperliche und geistige Gesundheit. Dopamin sorgt für Konzentration und mentale Energie, Opioide und Oxytocin reduzieren Stress und Angst. 6. Das Erinnerungssystem - Die Quelle für Erwartungen Wer sind wir? Diese Frage haben sich nicht nur Philosophen gestellt. Eine sowohl einfache als auch geniale Antwort liefert uns der Titel eines bekannten Buches des Psychologen und Hirnforschers Daniel L. Schacter: „Wir sind Erinnerung“. Wenn wir unser Leben beschreiben sollen, so ist dies die Summe der Erlebnisse und Erfahrungen, an die wir uns bewusst oder unbewusst erinnern. Aber an was erinnern wir uns? Wir erinnern uns an alles, was für uns von Bedeutung ist, und was für uns von Bedeutung ist, ist wiederum das, was von unserem Belohnungs- und Emotionssystem als bedeutsam bestimmt wurde. Im Umkehrschluss bedeutet dies: Je stärker ein Erlebnis oder eine Erfahrung an Belohnungen oder Bestrafungen bzw. an positive oder negative Emotionen geknüpft ist, desto besser behalten wir es in Erinnerung. Dies wird auch durch zahlreiche Untersuchungen belegt, die uns zeigen, dass Inhalte, die bei gleichzeitiger Aktivierung des Belohnungs- und/oder Emotionssystems vermittelt werden, besser erinnert werden. Es kommt also zu einer Art privilegierter Abspeicherung, die einen leichteren Zugriff ermöglicht. Aber warum ist das wichtig im Zusammenhang mit Führung und Motivation? Wie man inzwischen weiß, werden Erinnerungen und Erwartungen in denselben Hirnregionen erzeugt. Alles, was wir erwarten, baut also immer auf Erinnerungen aus der Vergangenheit auf. Wenn also Mitarbeiter z.B. die Erfahrung gemacht haben, dass versprochene Zusagen nicht eingehalten werden, werden sie auch für zukünftige Zusagen die Erwartung haben, dass diese ebenfalls nicht eingehalten werden. Die neurowissenschaftlichen Erkenntnisse im Zusammenhang mit Erinnerungen und Erwartungen spielen aber auch in anderen Bereichen der Führung und Motivation eine wichtige Rolle. Wir alle wissen, wie schwierig es oft bei Veränderungsprozessen ist, neues Wissen zu akzeptieren bzw. anderen zu vermitteln und das bisherige Wissen über Bord zu werfen. Der Grund ist auch hier, dass Erwartungen immer auf Erinnerungen basieren. Der Rahmen der Erwartungen ist also durch die Erinnerungen vorgegeben, alles andere ist neu und überraschend. Die Folge ist, das Neue macht oft unsicher und ängstlich und führt zu Ablehnung, während das Bekannte Sicherheit und Geborgenheit vermittelt hat. Wenn es also darum geht, bei einem Menschen Neues zu verankern, ist es wichtig, das Neue mit etwas Bekanntem zu verbinden. Erinnerungen und Erwartungen stehen also immer in einem direkten Zusammenhang. Berücksichtigt man diese Erkenntnis bei der Führung und Motivation von Mitarbeitern, lässt sich vieles besser gestalten und umsetzen. Es gibt aber noch einen weiteren Aspekt, der bei Erinnerungen eine große Rolle spielt und der für Führungskräfte eine sehr wirkungsvolle Chance beinhaltet: Erinnerungen verändern sich! Die meisten Menschen denken, dass Erinnerungen immer wieder in den gleichen Arealen abgelegt und später unverändert wieder abgerufen werden. So wie wenn man abends seine Schuhe auszieht und am nächsten Morgen dieselben Schuhe am selben Ort wiederfindet. Das ist aber nicht so. Erinnerungen verändern sich im Laufe der Zeit, werden neu bewertet oder gewinnen bzw. verlieren an Bedeutung. Menschen sprechen gern von der guten alten Zeit. Bei genauer Betrachtung waren diese Zeiten aber oft keineswegs gut. Dennoch entsteht der Eindruck, weil viele Dinge aus dieser Zeit inzwischen an Bedeutung verloren haben oder einen anderen Stellenwert eingenommen haben. Ähnlich ist es mit der Aussage „Die Zeit heilt alle Wunden“. Auch hier werden Erinnerungen im Laufe der Zeit emotional neu bewertet oder bekommen eine andere Bedeutung. Vieles vergessen wir aber auch einfach, weil unser Gedächtnis die Erinnerungen nur so lange speichert, wie sie ihm wertvoll und brauchbar erscheinen, was aber keineswegs bedeutet, dass die Erinnerung völlig gelöscht ist. Was damit gemeint ist, kann man sich am besten vorstellen, wenn man das Gehirn mit einem Dorf vergleicht, das eine neue Umgehungsstraße bekommen hat. Die alte Straße durch den Ortskern ist zwar noch vorhanden, aber sie wird nicht mehr benutzt. Für die praktische Führungsarbeit bedeutet dies: Es ist nie zu spät, für unsere Mitarbeiter eine neue Umgehungsstraße zu bauen, auf der sie besser und schneller ans Ziel gelangen. 7. Das Entscheidungssystem - Die oberste Kommandozentrale Das Zentrum unseres Entscheidungssystems liegt im präfrontalen Cortex, also im vorderen Bereich unseres Gehirns. Hier laufen alle Informationen aus dem Belohnungssystem, dem Emotionssystem und dem Erinnerungssystem zusammen. Gleichzeitig ist der präfrontale Cortex auch der Sitz unserer sozialen Normen und Werte. Dass diese Normen und Werte dort ihren Sitz haben, weiß man u.a. durch Patienten, bei denen durch einen Unfall der präfrontale Cortex betroffen war. Schäden in diesem Bereich führten zu Veränderungen der Persönlichkeit, ohne dass wesentliche Defizite bei der Intelligenz auftraten. Unter Berücksichtigung unserer sozialen Normen und Werte und unter Berücksichtigung der Informationen aus den anderen drei Systemen werden hier nun Entscheidungen getroffen, Strategien entwickelt und Pläne entworfen. Der präfrontale Cortex ist also die oberste Kommandozentrale bei allem, wie wir denken, entscheiden und handeln. Dennoch ist es immer ein Wechselspiel zwischen allen vier Systemen, denn ohne die anderen drei wäre das Entscheidungssystem ziemlich hilflos und unfähig. Es wüsste nämlich weder, was es will, warum es etwas will, und schon gar nicht, wie es das erreichen soll. Wie die vier Systeme ineinander greifen, macht uns folgendes Bespiel deutlich: Kommt im Belohnungssystem z.B. der Wunsch auf, ein bestimmtes Produkt zu kaufen, so wird i.d.R. der Kauf nicht gleich vollzogen, sondern man wirft erst noch einen Blick auf den Preis. Die Verarbeitung der Preisinformation findet in der Insula, unserem Schmerzzentrum statt. Ist der Schmerz kleiner als das vom Belohnungssystem erzeugte Wohlgefühl, kaufen wir. Ist der Schmerz hingegen größer als das vom Belohnungssystem erzeugte Wohlgefühl, kaufen wir nicht. Oder doch? Manchmal kaufen wir trotzdem, weil wir durchaus in der Lage sind, uns so viele rationale Begründungen auszudenken, die den Kauf rechtfertigen, dass unser Belohnungssystem ein so starkes Wohlgefühl vermittelt, dass es den Schmerz übertrumpft – auch dann, wenn die Begründungen nichts mit Tatsachen zu tun haben. Ähnliche Phänomene sind auch zu beobachten, wenn es um kurzfristige und langfristige Belohnungen geht. Was unser Belohnungssystem bevorzugt, sind kurzfristige Belohnungen. Lieber häufig wenig als einmal viel. Unser Entscheidungssystem hingegen bevorzugt meist lieber eine einmalige große Belohnung, was auch durch viele neuro-ökonomische Studien belegt werden konnte. Befragt man Probanden, ob sie eine kurzfristige Belohnung sofort oder lieber eine große Belohnung später haben möchten, so entschieden sich fast alle für die große Belohnung später. Im Experiment selbst entschieden sich dann aber die meisten für die kurzfristige Belohnung. Das Belohnungssystem ist also oft stärker als die Vernunft, also das Entscheidungssystem. Auch das hat praktische Auswirkungen, wenn es um Führung und Motivation geht, denn die Studien zeigen, dass es durchaus effektiver ist, eine kleine wiederkehrende Gehaltserhöhung zu gewähren als eine einmalige hohe Prämie am Jahresende. Ein weiteres Thema, das mit unserem Entscheidungssystem in Verbindung steht, ist das Thema Ehrlichkeit. Ehrlichkeit ist im Wertesystem der meisten Menschen sehr hoch eingestuft, doch wenn es um die praktische Umsetzung geht, sieht die Welt oft anders aus. Noch ist die Wissenschaft nicht in der Lage, endgültig zu begründen, warum sich Menschen in bestimmten Situationen ehrlich oder unehrlich verhalten. Viele Tests zeigen aber, dass Unehrlichkeit wenig mit der Höhe des Risikos, ertappt zu werden, zu tun hat und auch gar nicht unbedingt mit der Höhe des damit erhofften Vorteils verbunden ist. Man kann daher davon ausgehen, dass die Bereitschaft, unehrlich zu sein, etwas mit der Person oder Institution zu tun hat, der man den Schaden zufügt, bzw. in welchem Umfang die Person oder Institution in der Lage ist, den Schaden zu verkraften. Für die Praxis ist es daher wichtig, Anonymität zu vermeiden und stattdessen Mitarbeitern und Abteilungen Möglichkeiten zu bieten, dass sie einander zuarbeiten oder Projekte gemeinsam abwickeln können. Je enger Menschen miteinander arbeiten und je häufiger sie miteinander zu tun haben, desto geringer ist die Bereitschaft zu lügen und zu betrügen. Ein letzter Aspekt in Bezug auf unser Entscheidungssystem, der hier erörtert werden soll, ist der Aspekt der Erfahrung. Dieser Aspekt steht auch in unmittelbarem Zusammenhang mit dem demografischen Wandel. Es steht außer Frage, dass Gehirne von Menschen, die in ihrem Leben viele Erfahrungen gesammelt haben, seltener von Angst- und Panikgefühlen überfallen werden als bei Menschen mit wenig Erfahrung. Wer eine Situation schon hundertmal gemeistert hat, wird sie mit großer Wahrscheinlichkeit auch beim nächsten Mal meistern. Dennoch schrecken viele Unternehmen davor zurück, diese Fähigkeit zu nutzen, und setzen lieber auf jüngere Mitarbeiter, deren Gehirn dann aber in der gleichen Situation blockiert und womöglich Fehlentscheidungen trifft. Die Hauptbegründung liegt darin, dass man immer noch der Meinung ist, dass ältere Menschen nicht mehr lernen könnten. Diese Annahme ist jedoch falsch. Vielmehr ist es so, dass auch ältere Menschen noch lernen können. Was sie jedoch von jüngeren Menschen unterscheidet, ist die Lernmethode. Klassisches Wiederholungslernen funktioniert nur bis zum 25. bzw. maximal 30. Lebensjahr. Danach lernt das Gehirn am besten im Kontext, also konkret situationsbezogen und/oder auch über Eselsbrücken. Im Hinblick auf den demografischen Wandel sollte auch diese Erkenntnis bei der Führung und der Motivation von Mitarbeitern eine größere Bedeutung bekommen. 8. Zusammenfassung Führung beschränkt sich nicht nur auf die Umsetzung von Anweisungen von oben nach unten. Führung bedeutet in erster Linie die Anwendung von Fähigkeiten im Umgang mit Menschen. Aber wie sehen diese Fähigkeiten aus? Was muss ich als Führungskraft tun, damit Mitarbeiter motiviert und zufrieden sind, und wie bekomme ich alles mit meinen eigenen Motiven und Zielen in Einklang? Auf diese und viele andere Fragen, die im Zusammenhang mit Führung und Motivation wichtig sind, gibt uns die Gehirnforschung erstaunliche Antworten. Kein Gehirn gleicht dem anderen Die Persönlichkeit eines Menschen ist neurowissenschaftlich gesehen das Spiegelbild seines neuronalen Netzwerks. Jede Handlung, jede Entscheidung, jede Aussage und jede Emotion ist das Ergebnis dieses individuellen Netzwerkes. Dies für sich zu erkennen und bei anderen anzuerkennen, ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Führung und Motivation. Für die Praxis bedeutet dies, dass man die eigene Wahrnehmung und Meinung nie als die einzige Wahrheit und Wirklichkeit sehen sollte. Vor allem in Meetings und Besprechungen ist diese Erkenntnis sehr wichtig und erklärt, warum die Standpunkte der Teilnehmer oft sehr unterschiedlich sind und Diskussionen ergebnislos verlaufen. Führen bedeutet Vorbild sein Durch Abschauen und Nachahmen haben wir unsere komplette Muttersprache erlernt. Durch das Verhalten unserer Eltern und Lehrer hat sich in unserer Kindheit unser soziales und kulturelles Wertesystem entwickelt. Und im Berufsleben sind es die Führungskräfte, von denen wir am schnellsten und effektivsten lernen können – und zwar positiv wie negativ. Wenn es also darum geht, neue Wissensinhalte zu vermitteln, Verhalten bei Mitarbeitern zu ändern oder die Bereitschaft zu entwickeln, neue Wege zu gehen, dann ist die Vorbildfunktion eine unbedingte Voraussetzung. Das Belohnungssystem – Der Entstehungsort für Leistung Der Zweck des Belohnungssystems im Gehirn ist, durch ein Wechselspiel zwischen Aktivierung und Deaktivierung den Anreiz für weitere Aktivitäten zu erhalten. Diese Erkenntnis hat im Zusammenhang mit Führung und Motivation eine enorme Bedeutung und stellt die Grundlage zur Leistungsbereitschaft dar. Das Emotionssystem – Die Bewertungszentrale der Reize Aus Sicht der Gehirnforschung sind Emotionen chemische Prozesse des Nervensystems, also Hirnfunktionen, die wir dann z.B. als Wut, Angst, Freude oder Trauer empfinden. Das wohl bekannteste Areal zur Emotionsverarbeitung im menschlichen Gehirn ist die Amygdala, auch Mandelkern genannt. Sie ist Teil des limbischen Systems und mit vielen anderen Strukturen des Gehirns verbunden. Durch diese Verbindungen kommt es einerseits zu einer vermehrten Ausschüttung von Botenstoffen, also Neurotransmitter, und andererseits wird durch diese Verbindungen unser ganzes hormonelles System in Schwung gebracht. Das Erinnerungssystem – Die Quelle für Erwartungen Wer sind wir? Diese Frage haben sich nicht nur Philosophen gestellt. Eine sowohl einfache als auch geniale Antwort liefert uns der Titel eines bekannten Buches des Psychologen und Hirnforschers Daniel L. Schacter: „Wir sind Erinnerung“. Wenn wir unser Leben beschreiben sollen, so ist dies die Summe der Erlebnisse und Erfahrungen, an die wir uns bewusst oder unbewusst erinnern. Aber an was erinnern wir uns? Wir erinnern uns an alles, was für uns von Bedeutung ist, und was für uns von Bedeutung ist, ist wiederum das, was von unserem Belohnungs- und Emotionssystem als bedeutsam bestimmt wurde. Im Umkehrschluss bedeutet dies, je stärker ein Erlebnis oder eine Erfahrung an Belohnungen oder Bestrafungen bzw. an positive oder negative Emotionen geknüpft ist, desto besser behalten wir es in Erinnerung. Das Entscheidungssystem – Die oberste Kommandozentrale Das Zentrum unseres Entscheidungssystems liegt im präfrontalen Cortex, also im vorderen Bereich unseres Gehirns. Hier laufen alle Informationen aus dem Belohnungssystem, dem Emotionssystem und dem Erinnerungssystem zusammen. Gleichzeitig ist der präfrontale Cortex auch der Sitz unserer sozialen Normen und Werte. Dass diese Normen und Werte dort ihren Sitz haben, weiß man u.a. durch Patienten, bei denen durch einen Unfall der präfrontale Cortex betroffen war. Schäden in diesem Bereich führten zu Veränderungen der Persönlichkeit, ohne dass wesentliche Defizite bei der Intelligenz auftraten. Unter Berücksichtigung unserer sozialen Normen und Werte und unter Berücksichtigung der Informationen aus den anderen drei Systemen werden hier nun Entscheidungen getroffen, Strategien entwickelt und Pläne entworfen. Der präfrontale Cortex ist also die oberste Kommandozentrale bei allem, wie wir denken, entscheiden und handeln.
- Glück kommt nicht von alleine
Neurowissenschaftliche Erkenntnisse der Glücksforschung und wie wir unser Gehirn steuern können. Inhaltsverzeichnis 1. Auf der Suche nach dem Glück 2. Unser Gehirn - der Entstehungsort für das Glück 3. Das Glück des Schnäppchenjägers 4. Warum wir an Glück sterben könnten 5. Warum uns Dopamin nicht glücklich macht 6. Können wir Glück trainieren und uns dadurch selbst glücklicher machen? 7. Glück geht durch den Magen 8. Bewegung macht uns glücklich 9. Entspann dich und werde glücklich 10. Erfolgreich unglücklich sein 11. Warum uns Geld nicht glücklich macht 12. Der Feldzug der Positiven Psychologie 13. Optimisten leben länger und sind erfolgreicher 14. Stärken stärken 15. Flow - Glück, auf das man Einfluss hat 16. Ohne Sinn macht alles keinen Sinn 17. Wir wurden bereits als Gewinner geboren Glück kommt nicht von alleine Neurowissenschaftliche Erkenntnisse der Glücksforschung und wie wir unser Gehirn steuern können. 1. Auf der Suche nach dem Glück Was ist Glück? Macht uns Geld glücklich? Oder ist es die Liebe? Oder sind es vielleicht Macht und Anerkennung, wodurch wir glücklich werden? Bereits der römische Dichter Seneca sagte: „Wir alle streben nach Glück und einem erfüllten Leben“. Unter allen Gefühlen, die wir kennen, ist Glück mit Abstand die Nummer eins. Aber unsere Glücksgefühle sind unberechenbar. Kaum hat uns das Glück gefunden, ist es auch schon wieder weg. Die Folge ist, dass wir Menschen in gewisser Weise immer auf der Suche nach dem Glück sind und es doch nie dauerhaft erreichen. Der Gehirnforscher Prof. Dr. Manfred Spitzer erklärt dieses Phänomen so: „Unser Gehirn ist nicht dafür gebaut, dauernd glücklich zu sein, aber es ist süchtig danach, nach Glück zu streben.“ Ein kleiner Junge wollte einmal herausfinden, was die Menschen glücklich macht und was dafür notwendig ist. In dem Ort, wo der kleine Junge lebte, wohnte ein sehr reicher Mann. Also ging der kleine Junge zu ihm und fragte ihn: „Bist du glücklich?“ Der reiche Mann antwortete: „Aber ja, schau dich doch um. Ich besitze ein großes Haus, habe viele wertvolle Kunstgegenstände und ein dickes Bankkonto.“ Als nächstes besuchte er einen jungen Mann, der vor ein paar Jahren einen Unfall hatte und seitdem im Rollstuhl saß. Auch ihn fragte er: „Bist du glücklich?“ Der junge Mann antwortete: „Ja, ich bin glücklich. Ich kann zwar nicht mehr laufen, aber ich bin glücklich, weil ich noch lebe, und jeden Morgen, wenn ich wach werde, freue ich mich auf den Tag. Ich bin viel in der Natur und beobachte die Tiere und die Pflanzen. Außerdem habe ich viele Freunde, und wir unternehmen viel gemeinsam. Das alles macht mich sehr glücklich. Als letztes besuchte der kleine Junge eine alte Frau, die völlig verarmt in einem heruntergekommenen Haus lebte. Auch sie fragte er: „Bist du glücklich?“ Die alte Frau antwortete: „Ob ich glücklich bin? Und wie glücklich ich bin. Schau nur aus dem Fenster in den Garten, dort spielen gerade meine beiden Enkelkinder. Gibt es ein größeres Glück, als ihnen beim Spielen zuzuschauen?“. Als der kleine Junge wieder zuhause ankam, ging er in sein Zimmer und dachte über das, was er erfahren hatte, nach. Er kam zu dem Ergebnis, dass Glück für jeden Menschen etwas anderes bedeutet und dass es „das“ Glück als solches nicht gibt. Aber nicht nur der kleine Junge aus unserer Geschichte hat sich die Frage nach dem Glück gestellt. Zu allen Zeiten und in allen Kulturen haben sich Menschen schon immer die Frage gestellt: „Was ist Glück?“ Früher waren es die Philosophen, die eine Antwort auf diese Frage suchten. Später waren es dann die Psychologen und Soziologen. Und heute sind es die Gehirnforscher, die mit den modernen Methoden der Medizin und der Technik dem Glück auf die Spur kommen wollen. Obwohl alle ganz unterschiedliche Wege und Ansätze verfolgen, kann man aber bereits jetzt schon sagen, dass es vor allem drei Erkenntnisse der Glücksforschung gibt, bei denen sich alle Experten weitestgehend einig sind: Die Lebensbedingungen eines Menschen sind nicht maßgeblich dafür verantwortlich, ob er glücklich ist oder nicht. Ein Mensch, der im Rollstuhl sitzt, ist über sein Schicksal ganz sicher nicht froh, aber dennoch kann er glücklich werden. Auch Faktoren wie Wohlstand, Macht, Status, Alter oder Intelligenz tragen nur zu einem bestimmten Teil zum Glück bei. Geld macht glücklich. Diese Aussage ist nur dann richtig, wenn man wirklich arm ist. Sobald aber die wichtigsten Grundbedürfnisse ausreichend geregelt sind, flacht die Glückskurve ab. Auch wenn Glück für jeden Menschen etwas anderes bedeutet, so ist unser Glücklichsein hauptsächlich geprägt durch unsere Denkweise und durch unsere Wahrnehmung. Wie wir denken, wie wir unsere Umwelt wahrnehmen und interpretieren und welche innere Einstellung wir zu unserem Leben haben, ist der eigentliche Maßstab dafür, ob wir glücklich oder unglücklich sind. Dale Carnegie, einer der erfolgreichsten Kommunikationstrainer der Welt, sagte bereits schon vor mehr als 50 Jahren: „Glück hängt nicht davon ab, wer du bist oder was du hast. Glück hängt nur davon ab, was du denkst.“ Lassen Sie uns gemeinsam herausfinden, welche aktuellen Erkenntnisse die Glücksforschung bis heute gewinnen konnte, welche Voraussetzungen aus wissenschaftlicher Sicht zum Glück gehören, und auch, was uns daran hindert, glücklich zu werden. 2. Unser Gehirn - der Entstehungsort für das Glück Seit vielen Jahren versuchen Gehirnforscher auf der ganzen Welt, dem Glück auf die Spur zu kommen. Die Wissenschaftler experimentieren mit euphorischen Ratten, untersuchen die Gehirne von Liebespaaren im Hirnscanner oder führen Studien an Probanden während eines Computerspiels durch. Auch wenn noch lange nicht alle Details bekannt sind, wissen wir inzwischen doch schon sehr viel darüber, wie und wo Glück in unserem Gehirn entsteht, welche Areale unseres Gehirns daran beteiligt sind und welche biochemischen Prozesse dabei ablaufen. Die Forschungsergebnisse sind beeindruckend, denn es gibt in unserem Gehirn eine Art Glücksmechanismus, der bereits anspringt, wenn wir uns auf ein mögliches Glück zubewegen und die damit verbundene Vorfreude empfinden. Mit Hilfe dieser Erkenntnisse gelingt es uns aber nicht nur, den Entstehungsort des Glücks zu definieren. Viel wichtiger ist, dass uns diese Erkenntnisse erstaunliche Antworten auf eine der wohl wichtigsten Fragen liefern: Was können wir tun, um ein glücklicheres Leben zu führen? Schauen wir uns also zunächst einmal die Erkenntnisse der Gehirnforschung näher an, und danach lassen Sie uns erarbeiten, welche Wege zum Glück führen. Wie man inzwischen weiß, sind es mindestens sieben Areale unseres Gehirns, die an der „Glücksproduktion“ beteiligt sind.Im Zentrum steht hierbei das so genannte VTA, das ventrale tegmentale Areal unseres Gehirns. In diesem Areal beginnt und endet der Kreislauf der „Glücksproduktion“. Die Amygdala, auch Mandelkern genannt, ist Bestandteil des limbischen Systems. Hier werden alle eingehenden Signale emotional bewertet. Hier entscheidet es sich, ob ein eingehendes Signal als angenehm oder unangenehm, als positiv oder negativ oder als gut oder schlecht bewertet wird. Der Nucleus accumbens ist ein wichtiger Bestandteil des Belohnungssystems im Gehirn. Er spielt u.a. eine große Rolle bei emotionalen Lernprozessen und ist maßgeblich an dem Grad unserer Motivation beteiligt. Der orbitale Cortex. Dieses Areal ist eine Hirnwindung, die direkt über unserem linken Auge liegt. Hier werden emotionale und motivationsbezogene Signale mit unserem gespeicherten Wissen und unseren gespeicherten Erfahrungen beurteilt und bewertet. Im anterior cingulären Cortex finden u.a. Prozesse statt, die im Hinblick auf Entscheidungen, Sozialverhalten und Lernprozesse eine große Rolle spielen. Der Hypothalamus wandelt Botenstoffe, also Neurotransmitter in Neurohormone um und regelt deren Ausschüttung über die Hypophyse, also über die Hirnanhangdrüse, mit der er in direkter Verbindung steht. Die Hypophyse liegt bereits außerhalb unseres Gehirns und hat direkten Zugang zu unserem Blutkreislaufsystem. Über den Blutkreislauf können nun die Neurohormone zu den zuständigen Organen transportiert werden. So z.B. zu den Sexualorganen. Jetzt können wir unsere Gefühle auch körperlich empfinden. Es sind mindestens diese sieben Areale, die eng miteinander verbunden und in einem sehr komplexen Wechselspiel untereinander für die Erzeugung des schönsten Gefühls der Welt, das Glück, zuständig sind. Wie aber sieht dieses Wechselspiel zwischen den Arealen konkret aus? Die Antwort auf diese Frage wollen wir uns nun an einem konkreten Beispiel anschauen. 3. Das Glück des Schnäppchenjägers Professor Michael Koch ist Hirnforscher und Neuropharmakologe an der Universität Bremen. Wie Glück in unserem Gehirn entsteht, hat er einmal sehr anschaulich an einem Beispiel umschrieben: Wenn wir uns einen neuen Computer anschaffen wollen und morgens in der Zeitung lesen, dass es ab heute genau den Computer, den wir suchen, im Media-Markt besonders günstig gibt, kommt unser Gehirn sofort in Schwung und wird aktiv. Das VTA, also das ventrale tegmentale Areal im Hirnstamm, schickt über seine Nervenbahnen den Botenstoff Dopamin ins Vorderhirn. Dort aktiviert das Dopamin den Nucleus accumbens, wodurch eine freudige Erwartung ausgelöst wird. Gleichzeitig entsteht die Lust, sofort loszufahren, damit uns das Schnäppchen ja nicht entgeht. Typisch für die Antriebsregulation des Nucleus accumbens ist, dass man wie mit Scheuklappen auf sein Ziel zusteuert. Die Vorfreude bestimmt das gesamte Handeln und Denken. Wir befinden uns quasi auf Stufe eins des Glücksgefühls. Erst wenn wir einen Parkplatz gefunden haben, im Geschäft stehen und feststellen, dass der Wunschcomputer noch zu haben ist, erreichen wir Stufe zwei des Glücks. Jetzt kommen der orbitale Cortex und der anterior cinguläre Cortex ins Spiel, und wir werden uns der Freude und des damit verbundenen Glücksgefühls bewusst. Und während wir noch damit beschäftigt sind, den Computer einzupacken und zum Auto bringen, hat der orbitale Cortex bereits an den Nucleus accumbens gemeldet, dass die Vorfreude berechtigt war. Parallel zu diesen Abläufen hat auch der Hypothalamus seine Aufgaben erledigt und fleißig die Botenstoffe in Neurohormone umgewandelt und die Ausschüttung über die Hypophyse gesteuert. Wir fühlen uns glücklich! Ein solches Einkaufserlebnis macht uns aber nicht nur glücklich, sondern es verändert auch unser Gehirn und setzt Lernprozesse in Gang. Der Lernprozess bei unserem Einkaufsbeispiel könnte u.a. der sein: „Es lohnt sich, früh aufzustehen und die Zeitung nach interessanten Angeboten zu durchsuchen“. Eine der wohl wichtigsten Erkenntnisse der Neurowissenschaften ist die, dass sich unser Gehirn ständig verändert. Bei allem, was wir tun und/oder denken, verändert sich unser Gehirn. Und eine weitere sehr wichtige Erkenntnis der Gehirnforschung ist, dass wir unser Gehirn trainieren können. Wir können es trainieren wie einen Muskel.Wenn sich also unser Gehirn ständig verändert und wir unser Gehirn wie Muskeln trainieren können, dann stellen sich folgende Fragen: Können wir Glück trainieren? Können wir unser Gehirn so verändern, dass wir dauerhaft und für immer glücklich sind? Die Frage, ob wir Glück trainieren können, kann man uneingeschränkt mit Ja beantworten, und wir werden uns hierzu später noch einige konkrete Beispiele anschauen. Die Frage, ob wir unser Gehirn so verändern können, dass wir dauerhaft und für immer glücklich sind, muss allerdings mit Nein beantwortet werden. Vielleicht denken Sie jetzt, dass das aber schade ist. Sie werden jedoch gleich sehen, warum es besser, ja sogar überlebenswichtig ist, nicht immer und dauerhaft glücklich zu sein. 4. Warum wir an Glück sterben könnten Es war in den 1950er Jahren, als Prof. James Olds mit Hilfe von Experimenten an Ratten eine Kartierung des Gehirns erstellen wollte. Um eine solche „Gehirn-Landkarte“ zu erstellen, hatte er den Ratten an verschiedenen Stellen des Gehirns Elektroden eingesetzt. Dabei machte er eine sehr interessante Beobachtung: Immer dann, wenn er bei den Ratten eine bestimmte Stelle des Hypothalamus reizte, kehrten die Ratten an den Platz zurück, wo sie diesen Reiz zum ersten Mal verspürten. Es hatte den Anschein, als ob die Ratten diesen Platz in der so genannten Scinner-Box mit einem besonderen Wohlgefühl verbunden hätten. Um seine Vermutung zu bestätigen, ging Olds einen Schritt weiter. Er implantierte den Ratten Reizelektroden am Hypothalamus und brachte den Ratten bei, einen Hebel zu drücken, wodurch sie selbst die Stromzufuhr und somit den Reiz im Gehirn regeln konnten. Das Ergebnis war erstaunlich: Die Ratten drückten unermüdlich und mit großer Leidenschaft immer wieder und wieder den Hebel. Solange, bis sie vor Erschöpfung zusammenbrachen. Die „Pleasure Centers of the Brain“, also die “Lustzentren des Gehirns” waren entdeckt. Hätte man das Experiment mit den gleichen Ratten dauerhaft fortgeführt, wären die Ratten früher oder später im wahrsten Sinne des Wortes vor lauter Glück gestorben. Heute wissen wir, dass Olds bei seinen Experimenten eine Nervenfaser entdeckte, die das ventrale tegmentale Areal und den Nucleus accumbens miteinander verbindet. Wie wir bereits erfahren haben, gibt es auch im menschlichen Gehirn diese Areale und Nervenfasern, und wie man an Patienten mit Zwangserkrankungen feststellen konnte, führt der Reiz zu ähnlichen Ergebnissen. Diese Patienten berichteten von euphorischen Gefühlen, wenn sie therapeutisch stimuliert wurden. 5. Warum uns Dopamin nicht glücklich macht Bei der Behandlung von Patienten mit Zwangserkrankungen stellte man aber nicht nur fest, dass der Reiz zu euphorischen Gefühlen führte, sondern man machte noch eine weitere Entdeckung, die uns bei der Suche nach dem Glück dem Ziel einen Schritt näher bringt: Während der Stimulierung konnte im Nucleus accumbens eine erhöhte Ausschüttung des Neurotransmitters Dopamin festgestellt werden. Diese Entdeckung führte dazu, dass man bis vor wenigen Jahren dem Botenstoff Dopamin die Eigenschaft einer Lustdroge bzw. eines Glückshormons zuschrieb. Inzwischen weiß man es aber besser. In einem Experiment an der Uni Bremen brachte man Ratten bei, wie sie per Zug an einem Hebel ihr Lieblingsfutter selbst holen konnten. Auch hierbei stellte man fest, dass die Ratten immer wieder und mit großer Begeisterung den Hebel bedienten. Doch dann verabreichte man den Ratten ein Medikament, welches die Dopamin-Rezeptoren blockierte. Die Ratten hörten sofort damit auf, den Hebel zu bedienen. Stellte man ihnen jedoch ein Schälchen mit ihrem Lieblingsfutter und ein Schälchen mit Normalfutter hin, so bedienten sich die Ratten mit ihrem Lieblingsfutter. Dopamin ist also nicht der eigentliche Glücksbringer, sondern vielmehr ein Botenstoff, der für die Aktivierung von motorischen Verhaltensprogrammen verantwortlich ist. Zu ähnlichen Erkenntnissen kam auch Prof. Brian Knutson an der Standfort University. Er ließ Probanden während eines Gehirnscans am Computer Glücksspiele spielen und fand dabei heraus, dass die Ausschüttung von Dopamin anstieg, wenn die Probanden einen möglichen Gewinn erwarteten, nicht aber, wenn die Probanden den Gewinn tatsächlich erzielten. Somit ist Dopamin also kein Botenstoff des Glücks, sondern ein Botenstoff der Vorfreude, der uns aktiviert, unserem Glück entgegenzugehen. Eine weitere wichtige Erkenntnis in diesem Zusammenhang hat Prof. Gregory Berns herausgefunden. Er ist Professor für Psychiatrie und Verhaltensforschung an der University of Atlanta und hat mit Probanden folgendes Experiment durchgeführt: Er ließ Probanden im Hirnscanner Tröpfchen mit Fruchtsaft und Tröpfchen mit Wasser verabreichen. Interessant daran war die Feststellung, dass die Dopaminproduktion besonders gut in Schwung kam, wenn die Probanden nicht wussten, wann das nächste Tröpfchen kommt, und auch nicht wussten, ob das nächste Tröpfchen Wasser oder Fruchtsaft ist. Neues und Überraschendes ist also für unser Gehirn besonders wichtig, wenn es darum geht, uns positiv zu stimulieren und zu aktivieren. Menschen, die ein abwechslungsreiches Leben führen und oft vor neuen Herausforderungen stehen, haben also besonders gute Chancen, in ihrem Leben viele Glücksmomente zu durchlaufen. Aber nicht nur Neues und Überraschendes führt dazu, dass wir glücklicher werden. Welche Möglichkeiten wir noch nutzen können, um glücklicher zu werden, wollen wir uns als nächstes anschauen. 6. Können wir Glück trainieren und uns dadurch selbst glücklicher machen? Wie wir bereits festgestellt haben, verändert sich unser Gehirn ständig. Jeder Gedanke, jede Handlung führt dazu, dass neue Verbindungen zwischen unseren Gehirnzellen geschaffen, umgebaut oder abgebaut werden. Und je häufiger wir bestehende Verbindungen benutzen, sie also anwenden bzw. trainieren, desto stärker und fester werden sie. Je häufiger wir glückliche Gedanken denken, umso glücklicher fühlen wir uns. Glücksgefühle sind also keine Gefühle, die von außen in uns hineintransportiert werden, sondern Gefühle, die von innen aufgrund unserer Gedanken und Handlungen entstehen. Dass dies so ist, können Sie sich selbst an einer kleinen Übung beweisen: Überlegen Sie einmal, was das schrecklichste Erlebnis Ihres Lebens war, vielleicht die Trennung von Ihrem Partner oder der Tod eines geliebten Menschen, und versetzen Sie sich noch einmal gedanklich in die Zeit, als dieses schreckliche Erlebnis passierte. Je länger Sie jetzt daran denken, desto schlechter und unglücklicher fühlen Sie sich. Und jetzt überlegen Sie einmal, was das schönste Erlebnis Ihres Lebens war. Vielleicht Ihre Hochzeit oder die Geburt Ihres Kindes. Je länger und intensiver Sie jetzt daran denken, desto besser und glücklicher fühlen Sie sich. Wer also auf der Suche nach Glück und dem Sinn des Lebens ist, muss dies in sich selbst suchen, man findet es an keinem anderen Ort der Welt. Der ehemalige Schauspieler und Gründer der Stiftung „Menschen für Menschen“ Karlheinz Böhm sagte einmal: „Glück ist ein Maßanzug. Unglückliche Menschen sind Menschen, die den Maßanzug eines anderen tragen wollen.“ Wie uns inzwischen die Gehirnforschung belegen kann, gibt es auch eine gewisse genetische Veranlagung dafür, ob jemand mehr zu einer glücklichen und optimistischen oder mehr zu einer unglücklichen und pessimistischen Persönlichkeit neigt. Der Grund hierfür ist, dass die Aktivität bestimmter Gehirnareale unsere allgemeine Stimmung beeinflusst. Menschen, bei denen die Aktivitäten im linken Stirnlappen höher als im rechten Stirnlappen sind, empfinden häufiger angenehme Gefühle. Menschen, bei denen die Aktivität im rechten Stirnlappen überwiegt, empfinden häufiger unangenehme Gefühle. Die gute Nachricht für alle „rechten Stirnlappenaktivisten“ ist jedoch, dass wir die Aktivitätsmuster des Gehirns beeinflussen und durch Trainings verändern können. Der Leiter der Fachgruppe Persönlichkeitspsychologie und Diagnostik an der Universität Zürich Prof. Dr. Willibald Ruch sagte einmal in einem Interview: „Empirisch kann man belegen, dass bestimmte Charaktereigenschaften, die Menschen haben, einen Einfluss auf die Lebenszufriedenheit haben. Optimismus, Neugierde, Humor, Ausdauer und Bindungsfähigkeit sind beispielsweise Charakterstärken, die Menschen mit einer besonders hohen Lebenszufriedenheit auszeichnen. Wir haben Grund zur Annahme, dass man diese Stärken trainieren und insofern selbst viel dazu beitragen kann, ein glücklicheres Leben zu führen.“ Schauen wir uns also an, wie wir Glücklichsein trainieren können. 7. Glück geht durch den Magen Die biochemischen Prozesse in unserem Gehirn werden maßgeblich durch unsere Ernährung beeinflusst. Im Hinblick auf unser Glücksgefühl nimmt hierbei der Botenstoff Serotonin eine besondere Rolle ein. Serotonin wirkt ähnlich wie Endorphine, also ähnlich wie körpereigene Drogenstoffe. Serotonin bewirkt Freude an Geselligkeit, mindert die Schmerzempfindlichkeit, fördert die Tiefschlafphase und vermittelt uns ein Gefühl von innerer Zufriedenheit. Wie aber erreichen wir, dass unser Körper fleißig Serotonin produziert? Wir erreichen dies, indem wir mit unserer Nahrung möglichst viel von dem Vorläuferstoff des Serotonins, nämlich Tryptophan aufnehmen. Tryptophan ist z.B. enthalten in: Schweinefleisch, Hähnchenbrustfilet, Lachs, Hühnerei, Kuhmilch, Cashew-Kernen, Walnüssen, Haferflocken, Mais-Vollkornmehl, ungeschältem Reis, Erbsen, getrocknetem Kakaopulver und Bananen. Diese Nahrungsmittel sind somit wahre Stimmungsmacher. Durch die Kohlehydrate steigt der Blutzuckerspiegel. Der wiederum bewirkt die Produktion von Insulin, wodurch die Aufnahme von Tryptophan steigt und die Bildung von Serotonin gefördert wird. Das erklärt auch, warum unser Körper in Stress-Situationen oder depressiven Phasen häufig nach besonders fett- oder kohlenhydrathaltiger Nahrung verlangt. 8. Bewegung macht uns glücklich Durch Bewegung halten wir nicht nur unseren Körper fit, auch unser seelisches Wohlbefinden und unsere Glücksgefühle werden hierdurch enorm gesteigert. Wie heißt es doch so schön: „In einem gesunden Körper wohnt ein gesunder Geist“. Bewegung entspannt, der Kreislauf kommt in Schwung, und unser Gehirn wird besser mit Nährstoffen und Sauerstoff versorgt. Ein besonders positiver Aspekt beim Ausdauersport ist, dass unser vegetatives Nervensystem aktiviert wird. Der Nervus vagus, ein Hirnnerv und gleichzeitig der größte Nerv des Parasympathikus ist an der Regulation von fast allen inneren Organen beteiligt und hat auf uns einen beruhigenden Einfluss. Wer sich sportlich betätigt, fördert nicht nur die Produktion von Glücksbotenstoffen und körpereigenen Drogen wie Serotonin, Dopamin, Noradrenalin und Endorphine, sondern reduziert auch Stresshormone wie Adrenalin und Cortisol. Und ganz nebenbei erhöhen wir auch noch unsere Lern- und Konzentrationsfähigkeit. Wir sind leistungsfähiger, entschlussfreudiger, können besser abschalten und Sorgen schneller verarbeiten. Bewegung ist also sehr wichtig, wenn wir glücklicher werden wollen. Dies bestätigt auch eine Studie vom Duke Medical Center in North Carolina. Prof. James A. Blumenthal teilte 156 ältere Depressionspatienten per Losverfahren in drei Gruppen auf. Der ersten Gruppe verordnete er dreimal pro Woche 30 Minuten Ausdauersport. Der zweiten Gruppe verordnete er ein Antidepressivum. Und die dritte Gruppe machte Ausdauersport und nahm gleichzeitig das Antidepressivum. Nach 16 Wochen war das Befinden der Mitglieder aller drei Gruppen deutlich besser: Ungefähr 60 Prozent der Probanden waren nicht mehr depressiv - das rein körperliche Training war mithin so wirksam wie die Medikamenten-Therapie. Sport hilft aber nicht nur gegen Depressionen, auch die Gefahr, an Alzheimer zu erkranken, kann deutlich reduziert werden, wie inzwischen skandinavische Forscher herausfanden. Sie zeichneten die Daten von Menschen in punkto Bewegung über zwanzig Jahre lang auf und analysierten sie. Das Ergebnis war erstaunlich: Die Personen, die in ihrem mittleren Lebensabschnitt mindestens zweimal pro Woche sportlich aktiv waren, hatten ein um 60% verringertes Risiko, an Alzheimer zu erkranken. Die an der Studie beteiligte Neurologin Mia Kivipelto sagt: "Wenn eine Person in jungen und in mittleren Jahren einen aktiven Lebensstil ergreift, dann vermag das die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, später im Leben Jahre voller körperlicher und geistiger Vitalität zu genießen." 9. Entspann dich und werde glücklich Viele Entspannungstechniken versprechen weniger Ängste, Abbau von Stress oder ein geringeres Depressionsrisiko. Stattdessen sollen uns Gelassenheit, Entspannung und inneres Glück überkommen. Aber was ist dran an solchen Versprechungen? Und was passiert wirklich im Körper und im Gehirn z.B. während einer Meditation? Dies herauszufinden versuchen Wissenschaftler schon seit den 1970er Jahren. Einer der weltweit führenden Meditationsforscher ist der Neurologe und Leiter des Max-Planck-Instituts in Frankfurt a.M. Prof. Dr. Wolf Singer. Er untersucht in Zusammenarbeit mit dem Dalai Lama schon seit den 1990er Jahren die Funktionsweise des Gehirns während der Meditation. Dabei gab es beim Messen von Hirnströmen im Elektroenzephalogramm (EEG) erstaunliche Ergebnisse: Die im EEG messbaren Gehirnaktivitäten sind hauptsächlich Alpha-, Beta-, Delta- und Gammafrequenzen, durch die sich verschiedene Aktivitätsmuster im Gehirn nachweisen lassen. Alphawellen entstehen im ruhigen Wachzustand, Betawellen bei geistiger Aktivität, Deltawellen im Tiefschlaf und Gammawellen während transzendenter Erfahrungen wie z.B. bei der Meditation. Vor allem die schnellen Gammafrequenzen zwischen 30 und 80 Hertz sind für die Meditationsforschung interessant. Wie man inzwischen weiß, sind diese während der Meditation besonders aktiv. Und nicht nur das. Während der Meditation werden auch verschiedene Gehirnareale synchronisiert, also aufeinander abgestimmt, insbesondere die Areale, die für unsere Emotionen zuständig sind. Prof. Singer: „Damit verändert Meditation grundlegend die Funktion des Gehirns“. Hirnstrom-Messungen haben ebenfalls ergeben, dass durch Meditation nicht nur die Gefühlsareale ihre Aktivitätsmuster ändern, auch das Schmerzempfinden verändert sich deutlich. Probanden wurden unempfindlicher gegen Schmerzen. Aufgrund der bisherigen Ergebnisse weist vieles darauf hin, dass die positiven Veränderungen im Gehirn durch Meditation nachhaltig und auch im nicht-meditativen Zustand messbar sind. Hinweise dafür lieferten unter anderem auch Studien des Mind & Life Instituts in Colorado: Danach kann Meditation nicht nur vorübergehende Entspannung verschaffen. Auf lange Sicht könnte sie das beste Mittel gegen destruktive Gefühle sein. 10. Erfolgreich unglücklich sein Wenn Sie einmal Lust darauf haben, so richtig schön erfolgreich unglücklich zu sein, dann sollten Sie folgendes tun: Meiden Sie positive und fröhliche Menschen Suchen Sie nach Menschen, die alles negativ und schlecht sehen. Schließen Sie Freundschaften mit diesen Menschen und treffen Sie sich regelmäßig mit ihnen zu einem aktiven Gedankenaustausch. Lachen Sie nie Runzeln Sie die Stirn, kneifen Sie Ihre Augen halb zu und ziehen Sie Ihre Mundwinkel nach unten. Sie werden sehen, wie schnell Ihnen das Lachen vergeht. Nutzen Sie die Medien für Ihr Unglück Lesen Sie in der Tageszeitung regelmäßig die Todesanzeigen. Schauen Sie sich täglich im Fernsehen Berichte über Katastrophen an und recherchieren Sie im Internet Geschichten über Menschen, die Schreckliches erlebt haben. Erinnern Sie sich an schlimme Ereignisse in Ihrem Leben Überlegen Sie einmal, was Ihnen alles Schlimmes im Leben passiert ist. Schreiben Sie sich diese Ereignisse auf und lesen Sie sie jeden Morgen, direkt nach dem Aufstehen. Mit der Zeit wird es Ihnen immer leichter fallen, negative Erinnerungen bewusst abzurufen. Reduzieren Sie Ihr Selbstwertgefühl Machen Sie sich klar, dass alles, was Sie anpacken, schief gehen wird. Stellen Sie sich vor, dass Sie Ihre Ziele nicht erreichen und dass Ihr Wissen und Ihre Fähigkeiten niemals ausreichen werden, um im Leben etwas Wertvolles schaffen zu können. Werden Sie nicht aktiv Gestalten Sie Ihr Leben passiv. Unternehmen Sie nichts, was Freude machen könnte. Bewegen Sie sich möglichst wenig und ernähren Sie sich ausschließlich von Fastfood und Fertiggerichten. Gönnen Sie sich keine Vorfreude Überlegen Sie nicht, worauf Sie sich freuen könnten. Sie verhindern damit sehr erfolgreich den Abbau von Stresshormonen und die Produktion von Glückshormonen. Geben Sie Ihrem Leben keinen Sinn Wenn Sie Ihrem Leben keinen Sinn geben, entziehen Sie dem Glück die Grundlage. Vergleichen Sie sich mit anderen und beneiden Sie diese Seien Sie neidisch auf alles, was andere haben und Sie selber gerne hätten. Seien Sie nie mit dem zufrieden, was Sie haben. Sie haben doch keine Lust, unglücklich zu sein? O.k., dann setzen Sie sich am besten einmal hin und formulieren diese neun Punkte um. Und dann schreiben Sie zu jedem Punkt auf, was Ihnen dazu einfällt. 11. Warum uns Geld nicht glücklich macht Viele Menschen glauben, dass Geld und Konsum die eigentlichen Voraussetzungen sind, um glücklich zu werden. Sie träumen von einem hohen Lottogewinn oder einer großen Erbschaft und davon, sich alles kaufen und leisten zu können. Aber macht Geld wirklich glücklich? Dieser Frage sind der Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahnemann und sein Ko-Autor Angus Deaten in einer groß angelegten Studie für die Universität Princeton nachgegangen. In den Jahren 2008 und 2009 wurden insgesamt 450.000 US-Amerikaner befragt. Neben Fragen zum Einkommen ging es dabei auch um Fragen zum persönlichen Wohlbefinden, der Lebenseinschätzung u.v.m. Die Auswertung brachte erstaunliche Erkenntnisse ans Licht: Geld macht zwar glücklich - aber nur bis zu einem bestimmten Punkt. Ab einem Jahresnettoeinkommen von mehr als 60.000 Euro blieben die Lebensqualität und das persönliche Wohlbefinden der Menschen in Bezug auf Geld konstant. Ab der 60.000 Euro-Grenze aufwärts ist das persönliche Glück durch andere Faktoren bestimmt. Hierzu zählen vor allem Familie, Freunde und Freizeitgestaltung. Umgekehrt bestätigt die Studie aber auch den Zusammenhang zwischen geringem Einkommen und Unglück. Je weiter das Einkommen unter die 60.000 Euro-Marke fiel, desto häufiger fühlten sich die Teilnehmer unglücklich und gestresst. In der Studie heißt es: "Ein geringes Einkommen verschärft den emotionalen Schmerz, der Unglücke wie Scheidung, Krankheit oder Einsamkeit begleitet". Anders ausgedrückt: Bei einer Scheidung oder bei Krankheit sinkt die Glückskurve bei einem armen Menschen schneller als bei einem reichen Menschen. Andere Studien belegen sogar, dass Menschen, die zwar über ein hohes Einkommen verfügen, aber keine Familie oder Freunde haben und nur wenig Freizeit genießen, sehr schnell in einen Konsumstrudel geraten. Diese Menschen suchen dann ihr Glück, indem sie sich teure Autos, schicke Kleidung oder wertvollen Schmuck zulegen. Das Glücksgefühl setzt zwar ein, aber es verschwindet auch wieder schnell, weil die Konsumgüter zur Gewohnheit werden und ihren Reiz verlieren. Um ein neues Glücksgefühl zu erleben, wird dann wie bei einem Drogensüchtigen eine noch höhere Dosis Konsum benötigt, ein noch teureres Auto, noch mehr Kleidung oder noch wertvolleren Schmuck. Dass dies so ist, zeigen auch viele Beispiele von Stars und Sternchen, für die der Reichtum zum alleinigen Maßstab für das Glück geworden ist. 12. Der Feldzug der Positiven Psychologie Bisher haben wir uns angeschaut, wie wir uns selbst glücklicher machen können und was dabei in unserem Körper und in unserem Gehirn passiert. Aber können wir auch andere glücklicher machen? Die Antwort lautet: Ja, wir können andere Menschen glücklicher machen. Eltern können ihre Kinder glücklicher machen, Lehrer ihre Schüler, Trainer ihre Seminarteilnehmer oder Vorgesetzte ihre Mitarbeiter. Wie dies funktioniert, wollen wir uns jetzt anschauen. In der Vergangenheit beschäftigte sich die Psychologie vor allem mit den krankhaften Aspekten der menschlichen Psyche wie z.B. Depressionen, Neurosen oder Psychosen. Seit Ende des letzten Jahrhunderts hat die Psychologie aber auch das Glück für sich entdeckt, und unter der Bezeichnung „Positive Psychologie“ gewinnt ein noch sehr junger Forschungsbereich zunehmend an Bedeutung. Dieser Forschungsbereich beschäftigt sich vor allem mit der Frage, wie sich positive Erfahrungen festigen und negative Erfahrungen abbauen lassen. Als Urvater und Begründer der Positiven Psychologie gilt der Therapeut und Psychologie Professor Marty Seligmann. Bei seiner Antrittsrede als Präsident der APA, der American Psychological Assoziation, forderte Seligmann seine Kollegen auf, die Depressionen, Psychosen und Neurosen einmal beiseite zu lassen und sich mehr um die Fragen des glücklichen Lebens zu kümmern. Und bei seiner ersten Vorlesung über Positive Psychologie im Jahre 2003 sorgte er für großes Aufsehen. Nicht zuletzt ist aber der Erfolg der Positiven Psychologie auch den Neurowissenschaften zu verdanken, denn dank der Erkenntnisse der Gehirnforschung lassen sich die Annahmen und Thesen der Positiven Psychologie auch wissenschaftlich belegen. Die Positive Psychologie besteht aus drei Säulen, die in ihrer Kombination ein Höchstmaß an persönlicher Zufriedenheit bewirken können, und bezogen auf Schule, Arbeit und Beruf sind sie die Eckpfeiler für Spitzenleistungen. Diese drei Säulen sind: Stärkenorientierung Nur wer seine Stärken kennt und sie optimal einsetzt, kann Spitzenleistungen erbringen. Flow Wenn die Aufgaben an die Fähigkeiten der Menschen angepasst sind, erreichen sie sehr häufig den Zustand der Selbstvergessenheit und gleiten in den so genannten Flow. Sinn Nur wenn es gelingt, die unternehmerischen Ziele und Visionen mit den Wünschen und Motiven der Mitarbeiter in Einklang zu bringen, erhält die Arbeit ein Höchstmaß an Sinn. Das wichtigste Ziel der Positiven Psychologie ist es, die positiven Emotionen zu mehren und die negativen zu mindern. Damit uns dies in der Zusammenarbeit bei anderen Menschen gelingt, ist es, wie so oft im Leben auch hier wichtig, erst einmal bei sich selbst anzufangen. Und das bedeutet hauptsächlich folgendes: Ich übernehme die volle Verantwortung für meine Gedanken und Gefühle. Mit einer Denkweise wie: „Du bist schuld, dass ich mich schlecht fühle“ lässt sich nichts Positives bewirken. Ich beklage mich nicht destruktiv über andere. Aussagen wie: „Die Politiker sind an allem schuld“ oder „Unsere Geschäftsleitung ist unfähig“ lassen ebenfalls jeden Ansatz für eine positive Veränderung im Keim ersticken. Ich bin zu allen meinen Mitmenschen freundlich. Keiner schreit den anderen an. Machen Sie sich diese drei Kernaussagen zum Lebensmotto und Sie sind Ihrem persönlichen Glück einen großen Schritt näher. 13. Optimisten leben länger und sind erfolgreicher Wie stark der Einfluss unserer Gedanken auf unser und auch auf das Wohlbefinden anderer ist, haben wir bereits kennen gelernt. Dass dies so ist, zeigt auch eine Studie, die an der Mayo-Klinik in Rochester im Bundesstaat Minnesota durchgeführt wurde. Hier zeigte sich, dass Menschen, die vor einer Impfung ein positives Erlebnis hatten, mehr Antikörper entwickelten als Menschen, die vor der Impfung ein negatives Erlebnis hatten. Eine andere Studie, die ebenfalls an der Mayoklinik durchgeführt wurde, belegt, dass Optimisten länger leben als Pessimisten. Um dies herauszufinden, wurden vor 40 Jahren 800 Patienten ausgewählt und einer Reihe von Tests unterzogen. Einer der Tests bestimmte den Grad des Optimismus. Bis zum Jahr 2000 waren rund ein Viertel der Patienten gestorben. Die Optimisten unter den verstorbenen Patienten lebten jedoch im Durchschnitt 19% länger als die Pessimisten. Optimisten leben aber nicht nur länger, sie sind i.d.R. auch erfolgreicher. Laut Seligmann werden Pessimisten bei negativen Erlebnissen mit einer achtmal größeren Wahrscheinlichkeit depressiv als Optimisten. Pessimisten neigen auch dazu, zu glauben, dass ihre Probleme und Sorgen nie enden werden. Optimisten hingegen haben die Fähigkeit zu erkennen, dass ein negatives Erlebnis vorübergehend ist und dass es nur für den jeweiligen Fall zutrifft, und übertragen es nicht auf andere Lebensbereiche. Auch sind Pessimisten in Schule, Sport oder Beruf oft schlechter, als es ihre Fähigkeiten und Begabungen ermöglichen würden. Optimisten hingegen sind aufgrund ihrer positiven Gedanken meist kreativer und offener für neue Ideen und Wege. Das bedeutet nicht, dass Optimisten zwangsläufig Verdrängungskünstler sind und ihre Probleme einfach ausblenden oder unbeachtet lassen. Was sie hauptsächlich von Pessimisten unterscheidet, ist, dass sie kraft ihrer positiven Haltung ein Gegengewicht zur negativen Sichtweise schaffen und dadurch ein Absinken ihrer Stimmung verhindern oder zumindest stark reduzieren. Wenn es uns gelingt, die Erkenntnisse aus dem Bisherigen für uns selbst umzusetzen, haben wir ideale Voraussetzungen, um auch andere Menschen glücklich zu machen und die drei Säulen der Positiven Psychologie, nämlich Stärken, Flow und Sinn erfolgreich anzuwenden. 14. Stärken stärken Jeder Personalleiter und auch viele Führungskräfte kennen die Situation: Ein Bewerber sitzt ihnen gegenüber, und dieser versucht sich von seiner besten Seite zu zeigen. Er zählt seine Stärken auf und versucht sich, so gut er kann, zu verkaufen. Was aber sind die tatsächlichen Stärken eines Menschen? Die Angaben, die Menschen machen, wenn sie nach ihren Stärken gefragt werden, sind meistens nicht richtig. Diese Angaben beruhen oft auf Wunschdenken. Menschen neigen dazu, Stärken, die sie gerne haben möchten, in sich hineinzuinterpretieren und so zu tun, als ob sie diese Stärken auch tatsächlich hätten. Ein anderer Grund, warum die Angaben der Menschen über ihre Stärken oft falsch sind, ist, dass sie sich Stärken zuschreiben, die sie von anderen gesagt bekommen. Jemand findet uns z.B. sehr diszipliniert oder einfühlsam. Wir fühlen uns geschmeichelt und denken, dass diese Eigenschaften tatsächlich zu unseren Stärken zählen. Weder die eigene Einschätzung noch die Einschätzung anderer sind objektiv und sollten mit größter Vorsicht betrachtet werden. Wie aber finden wir heraus, über welche Stärken ein Mensch tatsächlich verfügt, und wie können wir sie dann fördern? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir erst einmal herausfinden, wie Stärken entstehen. Wie uns die Erkenntnisse der Gehirnforschung bestätigen, sind unsere Stärken und Talente tief in unserem Gehirn verankert. Für die Entdeckung unserer Stärken und Talente sind vor allem die ersten zwei bis drei Lebensjahre von großer Bedeutung. In diesem Lebensabschnitt verfügt unser Gehirn über ein gewaltiges neuronales Netzwerk, und die Anzahl der neuronalen Verbindungen, also der Verbindungen zwischen den Gehirnzellen ist um etwa das Zwanzigfache höher als später im Erwachsenenalter. Bis zu unserem 6. Lebensjahr findet dann eine Selektion statt. Wir benutzen bestimmte Verbindungen häufiger, weil sie uns schneller ans Ziel bringen, und andere weniger. Es ist die Phase unseres Lebens, in der es hauptsächlich darum geht, durch spielerisches und kindgerechtes Ausprobieren und Experimentieren herauszufinden, auf welchen Gebieten wir talentiert sind. Diese Talente gilt es dann zu fördern und zu unterstützen, denn alle Verbindungen, die nicht genutzt werden, werden dann bis zu unserem 15. Lebensjahr wieder abgebaut. Zwar verfügt unser Gehirn über ein hohes Maß an Plastizität, also die Fähigkeit, sich zu verändern und an neue Bedingungen anzupassen, aber wenn wir erst einmal das 15. Lebensjahr überschritten haben, ist der Aufwand sehr hoch, und wie wir bereits beim Thema „Die Kunst der Verhaltensänderung“ erfahren haben, sind Verhaltensänderungen oft nur in engen Grenzen möglich. George Gallup, Gründer der Galupp-Organization, eines der weltweit führenden Markt- und Meinungsforschungsinstitute, beschreibt dies so: „Menschen sind weniger veränderbar, als wir glauben. Versuchen Sie nicht etwas hinzuzufügen, was die Natur nicht vorgesehen hat. Versuchen Sie herauszuholen, was in Ihnen steckt. Das ist schon schwierig genug!“ Um herauszufinden, welche Stärken und Talente in einem Menschen schlummern, gibt es inzwischen eine ganze Reihe von Tests. Einer der bewährtesten ist der Clifton StrengthsFinder®. Es ist ein webbasiertes Instrument, in das mehr als 30 Jahre Forschungserfahrung aus rund 50 Länder eingeflossen sind. Im Internet finden Sie mehr darüber unter www.strengthsfinder.com. Mehr als zwei Millionen Menschen haben bisher diesen Test durchlaufen, und er ist in 24 Sprachen verfügbar. Die Grundannahme dieses Tests ist: „Ein Talent für sich alleine ist weder gut noch schlecht – erst die individuelle Kombination der Talente führt zu hervorragenden Höchstleitungen“. Gemeint ist damit folgendes: Um zum Beispiel eine überzeugende Marketingpräsentation zu erstellen, benötigen wir das Talent der Kreativität. Dies alleine reicht aber nicht aus. Erst wenn wir auch die Fähigkeit besitzen, am Computer eine Präsentation zu erstellen, und über möglichst viel theoretisches und praktisches Marketingwissen verfügen, werden wir zu Höchstleistungen fähig sein. Stärken sind also eine Kombination aus Talent, Fähigkeiten und Wissen. Die persönlichen Stärken zu kennen und sie gewinnbringend einzusetzen, ist aber nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite der Medaille ist, dass in Unternehmen meist in Teams gearbeitet wird. Es reicht also nicht aus, herauszufinden, wo die Stärken der einzelnen Mitarbeiter stecken. Vielmehr muss es auch darum gehen, die Stärken des Einzelnen mit den Stärken der anderen Teamteilnehmer in Einklang zu bringen. Ein bewährtes Instrument hierfür ist der so genannte TeamBlend. Hierbei ermittelt man zunächst die Stärkenprofile der einzelnen Mitarbeiter. Im zweiten Schritt werden dann alle Stärken der Einzelnen den anderen vorgestellt. Und im dritten Schritt wird dann eine für die Aufgabenstellung wichtige Talentzusammenstellung durchgeführt. Wichtige und bewährte Kriterien hierbei sind: analytisches Denkvermögen Ziel- und Ergebnisorientierung soziale Kompetenz emotionale Kompetenz Neugierde Zukunftsorientierung Selbstbewusstsein Führungsfähigkeit Konfliktfähigkeit Verlässlichkeit Teamfähigkeit Kommunikationsfähigkeit Anpassungs- und Veränderungsfähigkeit Leistungsfähigkeit Kundenorientierung 15. Flow – Glück, auf das man Einfluss hat Flow ist nicht etwa ein Nervenkitzel oder ein Kick. Flow ist eine länger andauernde Euphorie – eine Form von Glück, auf das man Einfluss hat. Die idealen Rahmenbedingungen für einen Flow sind dann gegeben, wenn Anforderungen, Fähigkeiten und Zielklarheit zu einem „Aufgehen“ in der Tätigkeit führen. Wir versinken in der Arbeit und vergessen die Zeit. Aber wie entsteht ein Flow? Die Antwort hierauf finden wir in unserem Arbeitsgedächtnis. Unser Arbeitsgedächtnis verfügt nur über eine geringe Speicherkapazität, denn es kann nur 7 ± 2 Informationseinheiten gleichzeitig verarbeiten. Wenn nun z.B. ein Mitarbeiter Zielklarheit hat, also genau weiß, was und wie er etwas zu tun hat, und wenn die Anforderung auch seinen Fähigkeiten und inneren Zielen und Wünschen entspricht, dann kann dies dazu führen, dass er seine volle Konzentration und Aufmerksamkeit dieser Tätigkeit widmet. Mit anderen Worten: Die komplette Speicherkapazität des Arbeitsgedächtnisses wird für diese Aufgabe genutzt. Alles andere, was um ihn herum geschieht, wird nicht mehr bewusst wahrgenommen. Steigern lässt sich dies noch, wenn die Anforderungen und die Fähigkeiten nicht nur im Gleichgewicht sind, sondern wenn die Anforderungen um einen Tick erhöht werden. Wenn dies der Fall ist, gibt es etwas Neues zu entdecken, und das macht das Ganze dann noch spannender und interessanter. Jetzt erreicht der Flow seinen Höhepunkt, und das wiederum ist der Nährboden für Spitzenleistungen. Allerdings muss man aufpassen, dass die Anforderungen nicht zu hoch geschraubt werden. Ist dies der Fall, kann Stress oder Angst entstehen, was dann sehr kontraproduktiv ist. Werden die Anforderungen hingegen zu niedrig angesetzt, entsteht Langeweile. Wie so oft im Leben kommt es auch hierbei auf die richtige Dosierung an. Unternehmen, die sich Spitzenleistungen von ihren Mitarbeitern wünschen, sollten daher auf folgendes achten: Mitarbeiter müssen wissen, wofür sie arbeiten. Es muss Freiräume für Kreativität geben. Fehler müssen erlaubt sein. Jeder Chef sollte seinen Mitarbeitern das Gefühl geben, ein wichtiger Bestandteil des Unternehmens zu sein. Die Antwort, ob Mitarbeiter Rahmenbedingungen haben, unter denen Flow möglich ist, lässt sich mit einem Test der Gallup-Organization sehr schön ermitteln: Die zwölf Aussagen (Q12™) Ich weiß, was bei der Arbeit von mir erwartet wird. Ich habe die notwendigen Materialien und die Arbeitsmittel, um meine Arbeit richtig zu machen. Ich habe bei der Arbeit jeden Tag Gelegenheit, das zu tun, was ich am besten kann. Ich habe in den letzten sieben Tagen für gute Arbeit Anerkennung und Lob bekommen. Mein Vorgesetzter interessiert sich für mich als Mensch. Bei der Arbeit gibt es jemanden, der mich in meiner Entwicklung fördert. Bei der Arbeit scheinen meine Meinungen und Vorstellungen zu zählen. Die Ziele und die Unternehmensphilosophie meiner Firma geben mir das Gefühl, dass meine Arbeit wichtig ist. Meine Kollegen haben einen inneren Antrieb, Arbeit von hoher Qualität zu leisten. Ich habe einen sehr guten Freund / eine sehr gute Freundin innerhalb der Firma. In den letzten sechs Monaten hat jemand in der Firma mit mir über meine Fortschritte gesprochen. Während des letzten Jahres hatte ich bei der Arbeit Gelegenheit, Neues zu lernen und mich weiterzuentwickeln. Auf Basis dieses Tests werden jährlich weltweit Tausende von Menschen befragt, und es wird für viele Länder der in seiner Form einzigartige „Engagement-Index“ ermittelt. Für Deutschland fällt dieser Index sehr erschreckend aus. Der am 09.02.2011 veröffentlichte Engagement-Index für das Jahr 2010 zeigt, dass gerade mal 13% der Beschäftigten eine hohe emotionale Bindung an ihr Unternehmen haben, 66% der Beschäftigten haben eine geringe emotionale Bindung, und sage und schreibe 21% der Beschäftigten haben gar keine emotionale Bindung an ihr Unternehmen. Detaillierte Informationen hierzu finden Sie auf www.gallup.de. Diese Zahlen zeigen, dass großer Handlungsbedarf besteht. Es muss also in vielen Unternehmen hauptsächlich darum gehen, Missstände zu analysieren und dann mit voller Kraft und mit einer großen Bereitschaft zur Veränderung Lösungen zu suchen und in die Unternehmenskultur zu integrieren. Nur wenn dies gelingt, kann bei den Mitarbeitern mehr Flow und für das Unternehmen mehr Spitzenleistung erzeugt werden. 16. Ohne Sinn macht alles keinen Sinn Um Menschen glücklicher zu machen, müssen wir bei uns und anderen aber nicht nur die Stärken erkennen und optimal nutzen bzw. die Rahmenbedingungen für Flow schaffen. Ein dritter Punkt ist, dass wir für uns und auch für andere einen Sinn erkennen. Albert Einstein sagte einmal: „Wer keinen Sinn im Leben sieht, ist nicht nur unglücklich, sondern kaum lebensfähig“. Was aber macht den Sinn des Lebens aus? Ein wichtiger Wegweiser sind unsere Werte. Werte haben eine große Bedeutung für unseren Charakter und sorgen für die Stabilität unserer Persönlichkeit. Dennoch ist der Sinn des Lebens eine sehr individuelle Angelegenheit. Was dem einen Sinn verleiht, ist für andere ohne Sinn und umgekehrt. Was also den Sinn des Lebens ausmacht, muss jeder letztendlich für sich selbst herausfinden. Am besten gelingt dies, wenn wir Sinn gleichsetzen mit Wohlgefühl. Wenn wir bei der Bewältigung einer Aufgabe ein Wohlgefühl verspüren, macht diese Aufgabe für uns einen Sinn. Oder wenn wir ein Wohlgefühl empfinden, wenn wir anderen Menschen helfen, dann macht auch dies für uns einen Sinn. Wir können also den Sinn des Lebens in vielen kleinen und großen Situationen erfahren und erleben. Sinn erleben wir auch, wenn wir uns z.B. neuen Dingen gegenüber öffnen, wenn wir uns etwas erschließen, was uns bisher nicht zugänglich war, oder eine Leistung vollbringen, die wir nicht für möglich gehalten haben. Es gibt also sehr viele Möglichkeiten, den Sinn des Lebens zu erfahren. Wichtig ist nur, dass wir ihn erkennen, denn Fakt ist auch, dass Menschen, die einen Sinn in ihrem Leben sehen, glücklicher sind, mit Rückschlägen besser fertig werden, bei Problemen schneller Lösungen finden, insgesamt belastbarer sind und seltener depressiv werden. Genauso wichtig, wie den Sinn des Lebens für sich selbst zu finden, ist aber auch noch etwas anderes: Zu den wichtigsten Aufgaben von Eltern, Lehrern, Trainern, Führungskräften und Unternehmen gehört es, anderen Menschen Sinn zu vermitteln. Die besondere Herausforderung dabei besteht darin, sich in einer ständig verändernden Welt permanent zu erneuern, sich den Wandlungsprozessen des Marktes anzupassen und dabei den Kern einer Organisation oder eines Unternehmens unangetastet zu lassen. Anders ausgedrückt: Es geht um die Fähigkeit, Kontinuität und Wandel einerseits und Tradition und Fortschritt andererseits in Einklang zu bringen. Wenn dies gelingt, entstehen Visionen. Und die Visionen wiederum sind dann die Grundlage, um Menschen Sinn zu vermitteln. Eines der wohl beeindruckendsten Beispiele in der Geschichte der Menschheit war die Vision von John F. Kennedy, als er am 25. Mai 1961 verkündete: „Noch in diesem Jahrzehnt schicken wir einen Amerikaner zum Mond und holen ihn sicher zurück“. Um eine Vision zu entwickeln, sind drei Dinge erforderlich: Grundwerte des Unternehmens Grundwerte sind dauerhafte Werte und unabhängig z.B. von der aktuellen Marktlage oder der Wettbewerbssituation. Sie zeigen, wofür die Organisation oder das Unternehmen stehen, und sind unantastbar. Unternehmensstrategie Was sind die langfristigen Ziele, die es zu erreichen gilt? Unternehmenszweck Wie und womit sollen die Ziele erreicht werden? Diese drei Säulen sind es, die eine Vision kennzeichnen, und jedem Mitarbeiter müssen die Grundwerte, die Unternehmensstrategie und der Unternehmenszweck bekannt sein. Wenn dies gewährleistet ist, können alle Beteiligten einen Sinn in ihrer Arbeit finden. 17. Wir wurden bereits als Sieger geboren Wussten Sie eigentlich, dass Sie bereits als Sieger geboren wurden? Bereits vor Ihrer Geburt haben Sie den wohl schwierigsten Kampf Ihres Lebens gewonnen und sind dabei als Sieger hervorgegangen. Auf der Jagd nach dem Ei hatten Sie bis zu 500 Millionen Mitstreiter, nur ca. 500 davon trafen das Ei, aber nur einer kam durch – Sie! Na, wenn das kein Grund zum Glücklichsein ist!
- Kreativität und innovative Ideen
Wie wir die Erkenntnisse der Gehirnforschung für mehr Kreativität und innovative Ideen nutzen können. Inhaltsverzeichnis 1. Was ist Kreativität? 2. Wie entstehen Gedanken und Ideen? 3. Ist Intelligenz Voraussetzung für Kreativität? 4. Ist Kreativität eine Frage der Persönlichkeit? 5. Was grenzt unsere Kreativität ein? 6. Was stört unsere Kreativität? 7. Was fördert unsere Kreativität? 8. Kann man Kreativität lernen? 9. Lassen Sie Ihrer Kreativität freien Lauf! Kreativität und innovative Ideen Wie wir die Erkenntnisse der Gehirnforschung für mehr Kreativität und innovative Ideen nutzen können. 1. Was ist Kreativität? Der Literaturnobelpreisträger George Bernhard Shaw sagte einmal: „Du siehst Dinge und fragst: ´Warum?’, Doch ich träume von Dingen und sage: ‚Warum nicht?’” Und Goethe sagte: „In der Idee leben heißt, das Unmögliche behandeln, als wenn es möglich wäre.“ Sind also die Fähigkeit zu träumen und der feste Glaube an das Unmögliche der Schlüssel zur Kreativität? Werfen wir einmal einen Blick in die Fachliteratur und schauen nach, ob wir dort eine Antwort auf die Frage „Was ist Kreativität?“ finden. Im Brockhaus finden wir folgende Antwort: „Kreativität ist das schöpferische Vermögen, das sich im menschlichen Handeln oder Denken realisiert und einerseits durch Neuartigkeit oder Originalität gekennzeichnet ist, andererseits aber auch einen sinnvollen und erkennbaren Bezug zur Lösung technischer, menschlicher oder sozialpolitischer Probleme aufweist." Auf der Homepage der Deutschen Gesellschaft für Kreativität finden wir: „Kreativität ist die Fähigkeit, Wissen und Erfahrungen aus verschiedenen Lebens- und Denkbereichen unter Überwindung verfestigter Struktur- und Denkmuster zu neuen Ideen zu verschmelzen.“ Und in einem Lexikon der Medizin steht: „Kreativität ist ein spezifischer chemischer Zustand im Gehirn, der von unterschiedlichen Korrelaten determiniert wird.“ Die Reihe der Definitionen ließe sich fast unendlich fortführen und lässt uns erkennen, dass es keine einheitliche Definition für Kreativität gibt. Vielmehr kann sich Kreativität in sehr vielen und sehr unterschiedlichen Formen ausdrücken und zeigen. Fest steht allerdings eines: Kreativität und innovative Ideen sind gefragter als je zuvor: Sie sind der Motor der Wirtschaft, Wissenschaft und der Kultur. Sie entscheiden über Erfolg oder Misserfolg. Und immer stärker hängt auch das Überleben eines Unternehmens oder einer Einrichtung von den kreativen Einfällen und innovativen Ideen der Mitarbeiter und Führungskräfte ab. Die richtige Idee zur richtigen Zeit hat schon viele Menschen reich und berühmt gemacht, und viele Unternehmer, Künstler und Wissenschaftler haben es ihren kreativen Einfällen zu verdanken, dass sie erfolgreich geworden sind. Aber wie entstehen kreative und innovative Prozesse? Welche Voraussetzungen müssen dafür erfüllt sein? Welche Rahmenbedingungen fördern oder verhindern kreative Prozesse? Kann man Kreativität trainieren oder ist sie angeboren? Auf diese und andere Fragen im Hinblick auf Kreativität und innovative Ideen geben uns die jüngsten Erkenntnisse der Gehirnforschung erstaunliche Antworten. 2. Wie entstehen Gedanken und Ideen? Befragt man kreative Menschen, woher sie ihre Ideen und Einfälle beziehen, so erhält man oft als Antwort, dass ein Bauchgefühl ihnen diese mitgeteilt hätte. Kreative und innovative Prozesse spielen sich aber keineswegs im Bauch ab, sondern im Gehirn. Das so genannte Bauchgefühl ist lediglich ein Ausdruck, der uns die Ergebnisse unseres Gehirns körperlich spüren lässt. Stark vereinfacht lässt sich dieser Prozess so beschreiben: Durch unsere Sinneswahrnehmungen oder durch unsere Erinnerungen werden in den Arealen unseres Gehirns pausenlos Milliarden von elektrischen Impulsen erzeugt. In nur Bruchteilen von Sekunden werden diese analysiert, mit bereits bestehendem Wissen und bestehenden Erfahrungen im Langzeitgedächtnis abgeglichen und vom limbischen System emotional bewertet. Die meisten dieser Vorgänge bleiben uns im Unbewussten verborgen und äußern sich, wenn überhaupt, „nur“ in Form eines Bauchgefühls, also einer Intuition. Andere durchdringen die Schwelle zum Bewusstsein und können dann auch sprachlich formuliert werden. Ob unbewusst oder bewusst, für die Entstehung kreativer Einfälle und innovativer Ideen sind unsere Sinneswahrnehmungen, unser gespeichertes Wissen, unsere Erfahrungen und unsere emotionale Bewertung von enormer Bedeutung. Wer schlecht hört, wird wohl kaum in der Lage sein, ein fein abgestimmtes Musikinstrument zu entwickeln, aber er kann dadurch motiviert werden, ein perfektes Hörgerät zu erfinden. Wer kein Wissen über die Funktionsweise eines Motors hat, wird auch nicht in der Lage sein, einen neuen Motor mit mehr Leistung und weniger Energieverbrauch zu entwickeln. Dieses fehlende Wissen kann aber auch durchaus nützlich sein, um über ganz neue Antriebsformen nachzudenken. Wer keine Erfahrung im Umgang mit Menschen hat, wird wohl kaum in der Lage sein, Führungsstile zu verbessern, aber vielleicht kann er gerade deswegen besonders gut sachgerechte Ablaufpläne optimieren. Und wer Angst davor hat, auf einen hohen Berg zu steigen, wird wohl kaum darüber nachdenken, auf welchem Weg man den Gipfel schneller erklimmen kann, aber er wird vielleicht tolle Ideen entwickeln, wie sich Angst abbauen lässt. Wahrnehmungen, Wissen, Erfahrungen und Emotionen können also sowohl förderlich als auch hinderlich sein, wenn es darum geht, kreative Prozesse in Gang zu setzen. Der Neurowissenschaftler Dr. Ernst Pöppel sagte einmal: „Kreativität zählt zu den komplexesten neuronalen Funktionen. Hochmoderne Untersuchungsmethoden, die das Gehirn in Aktion zeigen, belegen, dass originelle Einfälle nur dann entstehen, wenn beide Gehirnhälften optimal zusammenarbeiten.“ Fazit: Wir müssen uns unsere Stärken und Schwächen bewusst machen und uns dann auf die Themen und Aufgaben konzentrieren, die unseren Fähigkeiten und Neigungen am meisten entsprechen. 3. Ist Intelligenz Voraussetzung für Kreativität? Die menschliche Intelligenz gehört zu den am besten erforschten Aspekten im Bereich der Persönlichkeitsmerkmale und lässt sich in Tests sehr gut messen und nachweisen. Was die Wissenschaftler aber erst seit kurzem untersuchen, ist, wie sich die Gehirne von Intelligenten und die Gehirne von weniger Intelligenten unterscheiden. In verschiedenen Studien konnte mit Hilfe von bildgebenden Verfahren nachgewiesen werden, dass intelligente Menschen die Aktivierung des Gehirns auf wenige und vor allem auf die für die jeweilige Aufgabenstellung notwendigen Areale beschränken können. Aber auch das Arbeitsgedächtnis spielt eine wichtige Rolle. Unser Arbeitsgedächtnis kann nur maximal fünf bis neun Informationseinheiten gleichzeitig verarbeiten. Intelligente Menschen haben den Vorteil, dass sie Informationseinheiten stärker bündeln können, also so genannte Chunks bilden, was z.B. bei Entscheidungsprozessen mit vielen Einflussfaktoren nützlich ist. Weniger intelligente Menschen hingegen müssen mehr Areale ihres Gehirns für die Lösung der gleichen Aufgaben aktivieren und verbrauchen dadurch wesentlich mehr Energie, wodurch die Entstehung und Gestaltung von Ideen behindert wird. Auch hat die Geschwindigkeit, mit der ein Gehirn arbeitet, großen Einfluss auf unsere kreativen Leistungen. Messungen der Gehirnströme haben ergeben, dass ein langsamer Hirnrhythmus für kreative Prozesse förderlich ist. Dieser langsame Hirnrhythmus entsteht z.B., wenn man sich mit geschlossenen Augen Tagträumen hingibt. Hieraus den Rückschluss zu ziehen, dass Tagträumer kreativere Menschen sind, ist jedoch falsch. Vielmehr ist es so, dass kreative Menschen in der Lage sind, sehr schnell zwischen niedriger und hoher Aktivität umzuschalten. Kreative Menschen zeichnen sich also u.a. dadurch aus, dass sie in der Lage sind, von Phasen der Träumerei auf Phasen der totalen Konzentration umzuschalten, in denen dann vor allem die Intelligenz gefragt ist. Kreativität und Intelligenz gehören also untrennbar zusammen. Auch dies beweisen viele Tests, in denen nachgewiesen werden konnte, dass der Intelligenzquotient und die Kreativitätsleistungen sehr stark voneinander abhängig sind. 4. Ist Kreativität eine Frage der Persönlichkeit? Unser Gehirn verfügt über rund 100 Milliarden Gehirnzellen. Jede einzelne Gehirnzelle ist mit bis zu 15.000 anderen Gehirnzellen verknüpft, und dennoch ist jede Gehirnzelle nicht mehr als vier Stationen von jeder anderen Gehirnzelle entfernt. Bei unserer Geburt ist unser Gehirn sogar mit einem gigantischen Überschuss an neuronalen Verbindungen ausgestattet. Diese Verbindungen werden aber erst wirksam, wenn sie in den ersten Jahren unseres Lebens genutzt werden. Das Entscheidende dabei ist: Je breiter diese Matrix in den frühen Jahren unserer Kindheit entwickelt wurde, desto umfangreicher sind später die Möglichkeiten für neue Verknüpfungen, die sich dann als Kreativität entfalten können. Studien über den Werdegang z.B. von Nobelpreisträgern oder erfolgreichen Unternehmern haben gezeigt, dass wer bereits im Vorschulalter in einer intellektuell stimulierenden Umgebung aufwächst, bessere Chancen, kreative Leistungen zu erbringen. Ein weiterer sehr wichtiger Faktor für die Kreativität ist neben der frühkindlichen Prägung Art und Umfang von Erlebnissen und Erfahrungen. Bei einer Studie, die bereits in den 1990er Jahren mit Geigern der Berliner Hochschule der Künste durchgeführt wurde, zeigte sich, dass die Studenten, die mit dem Geigespielen am frühsten angefangen hatten, auch die Besten waren. Im Alter von 20 Jahren verfügten einige der Studenten bereits über 10.000 Stunden Erfahrung mit der Geige. Wie sagte schon Thomas A. Edison: „Genialität besteht zu 1 % aus Inspiration und zu 99 % aus Transpiration“. Unsere Persönlichkeit ist daher das Ergebnis aus genetischer Veranlagung, vorgeburtlicher und frühkindlicher Prägung und der Summe unserer Erlebnisse und Erfahrungen. Das alles macht uns zu dem, was wir heute sind, und besonders gute Chancen für kreative Leistungen und innovative Ideen haben dabei die Menschen, deren Persönlichkeitsmerkmale starke Gegensätze in sich vereinigen. Auf der einen Seite strahlen sie Gelassenheit aus und auf der anderen Seite sind sie voller Tatendrang. Sie verfügen über ein Höchstmaß an Disziplin und Verantwortungsgefühl und verfügen dennoch über einen kindlichen Spieltrieb. Oder sie verfügen über eine hohe Intelligenz und sind dennoch natürlich-naiv. Allerdings leiden auch manche kreativen Menschen an diesen Gegensätzen oder zerbrechen gar daran. Genie und Wahnsinn liegen eben doch ziemlich dicht beieinander. 5. Was grenzt unsere Kreativität ein? Unser Gehirn geht davon aus, dass es nicht notwendig ist, die Welt permanent neu zu entdecken. Vielmehr geht es davon aus, dass alles kontinuierlich und homogen abläuft, und daran hat es sich seit vielen tausend Jahren der Evolution gewöhnt. Wir sprechen daher von dem „Ökonomieprinzip des Gehirns“. Dieses Ökonomieprinzip hat aber erhebliche Nachteile, wenn es um kreative Prozesse geht. Tritt etwas Neues oder etwas Unerwartetes auf, ist unser Gehirn bei der Informationsverarbeitung schnell überfordert. Das Ökonomiegesetz des Gehirns ist daher der größte Feind der Kreativität, denn wenn man kreativ sein will, muss man die gewohnten Wege und Grenzen überschreiten. Erschwerend kommt hinzu, dass das, was wir wahrnehmen oder was uns bewusst wird, in ein begrenztes zeitliches Fenster eingeordnet ist, denn unser Gehirn kann einen Sachverhalt nur etwa drei Sekunden lang festhalten. Beispiele hierfür sind musikalische Motive oder die Sprache. In allen Sprachen der Welt werden verbale Einheiten verwendet, die das Zeitfenster von drei Sekunden nicht übersteigen. Wenn also zwei Menschen sprachlich miteinander kommunizieren, dann wird die Sprache rhythmisch organisiert, denn nur dann kann sich der Hörer mit dem Sprecher synchronisieren. Verläuft die Kommunikation unrhythmisch, also nicht in dem Zeitfenster von drei Sekunden, wird der Rahmen überschritten und eine gemeinsame Kreativität ist nicht möglich. Ein weiterer Feind der Kreativität ist kausales Denken, also das lineare Denken in Ursache und Wirkung. Unser Gehirn neigt zu dieser Denkweise, weil es Energie sparen möchte, und ist daher immer bemüht, die Dinge einfach, also monokausal, zu sehen. Die meisten Probleme oder Aufgabenstellungen sind aber sehr komplex und oft von sehr vielen Einflussfaktoren und deren Wechselwirkungen gekennzeichnet. Die Suche nach nur einem Faktor, der alles bestimmt, engt die Kreativität daher erheblich ein. Was unsere Kreativität ebenfalls behindert oder blockiert, ist unsere persönliche Prägung. Durch diese Prägung ist festgelegt, was wir als wichtig oder unwichtig, wertvoll oder weniger wertvoll ansehen. Da aber jeder Mensch die Dinge anders bewertet oder beurteilt, ist eine gemeinsame Kreativität nur möglich, wenn sich alle Beteiligten darüber bewusst sind, dass jeder seine eigenen Vorurteile hat. 6. Was stört unsere Kreativität? Neue Technologien, die steigende Informationsflut, die Folgen der Globalisierung und ständige Veränderungsprozesse sind nur einige Faktoren, die unser Gehirn bewältigen und verarbeiten muss. Dies gelingt nicht nur immer weniger Menschen, die dann als Folge an Stress leiden, sondern es schmälert auch die Produktivität und Kreativität. Eine gesunde Portion Stress ist zwar gut für unser Gehirn, aber übertreibt man es, kann daraus schnell ein Burnout oder eine Depression werden. Der bekannte Psychotherapeut Allen Elkin formulierte es einmal so: „Stress ist wie eine Violinsaite. Ohne Spannung entsteht keine Musik. Wird die Saite aber zu sehr gespannt, reißt sie.“ Wissenschaftler der University of California in Irvine haben bei einer Gruppe von Softwareentwicklern, Managern und Analysten herausgefunden, dass diese im Durchschnitt alle drei Minuten durch Email, SMS oder Telefon bei ihrer Arbeit unterbrochen werden. Diese Unterbrechungen lösen nicht nur Stress oder Erschöpfung aus, sie sind auch der sichere Tod für jede Art von Kreativität. Den Stressfaktoren des Alltags ist man aber nicht hilflos ausgeliefert. Mit wenigen Veränderungen unserer Gewohnheiten lassen sie sich ausbremsen und unsere Belastbarkeit und Kreativitätsfähigkeit lassen sich wieder steigern. Hier fünf ausgewählte Tipps: Planung Planen Sie Ihren Arbeitstag bereits am Vorabend und legen Sie genau fest, was Sie wann erledigen wollen. Email Stellen Sie in Ihrem Emailprogramm die Pushfunktion oder den Signalton für neue Mitteilungen ab. Lesen und bearbeiten Sie Ihre Emails nur zu festgelegten Tageszeiten. Telefon Immer und überall erreichbar zu sein ist oft störend. Wenn Sie sich konzentrieren müssen oder kreativ sein wollen, stellen Sie Ihr Handy ab. Termin mit sich selbst Machen Sie Termine mit sich selbst. Informieren Sie die notwendigen Mitarbeiter oder Ihr Sekretariat darüber und schließen Sie Ihre Bürotür. Pausen Machen Sie im Abstand von maximal 60 bis 90 Minuten kurze Erholungspausen. Gehen Sie kurz an die frische Luft oder, wenn dies nicht möglich ist, schauen Sie aus dem Fenster. Fünf Minuten bewirken bereits Wunder. Ein weiterer Störfaktor, der uns in der Entfaltung der Kreativität oft behindert, ist der Versuch, Multitasking betreiben zu wollen. Hier konnte inzwischen die Gehirnforschung eindeutig nachweisen, dass unser Gehirn Aufgaben nur nacheinander und nie parallel verarbeitet. Die Annahme, dass wir mehrere Dinge gleichzeitig tun können, entsteht nur dadurch, dass unser Gehirn in der Lage ist, sehr schnell zwischen verschiedenen Aufgaben hin und her zu springen, oft in nur Bruchteilen einer Sekunde. Auch hierzu ein paar Tipps: Multitasking nur bei Routineaufgaben Erledigen Sie nur Routineaufgaben „gleichzeitig“. Das schafft Ihr Gehirn auch mit geringer Kraft. Konzentration Bei anspruchsvollen Aufgaben konzentrieren Sie sich allein auf die Aufgabe und halten Sie alles andere fern. Entspannung Entspannen Sie sich, bevor Sie an anspruchsvolle Aufgaben herangehen. Probieren Sie einfach mal verschiedene Entspannungsübungen aus und finden Sie heraus, welche bei Ihnen am besten wirken. Wir sehen also, oft sind es nur wenige Dinge, die wir ändern müssen, um unsere Kreativität zu steigern und gleichzeitig auch noch unsere Gesundheit zu fördern. 7. Was fördert unsere Kreativität? Der Neurobiologe und Hirnforscher Gerald Hüther definiert Kreativität als Fähigkeit, in dem vorhandenen Wissenspool plötzlich Lösungen zu finden, wie sich Dinge auf zuvor für unmöglich gehaltene Weise verbinden. Damit dies gelingt, ist es notwendig, dem Gehirn freien Lauf zu lassen. Die Lust, Neues zu schaffen, ist ein Urtrieb des Menschen, der sich aber nur dann entfalten kann, wenn er nicht durch starre Normen und Richtlinien eingeschränkt wird. Der ehemalige Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen Jürgen Rüttgers sagte einmal: „Bill Gates wäre in Deutschland allein deshalb gescheitert, weil nach der Baunutzungsordnung in einer Garage keine Fenster sein dürfen.“ Eine weitere wichtige Voraussetzung für kreative Prozesse ist, unerwartete Herausforderungen und Provokationen zuzulassen. Fehlt es an Provokationen, versucht unser Gehirn nicht von eingefahrenen Wegen abzuweichen. Provozieren bedeutet in erster Linie in Frage stellen, kritisch bleiben und, wenn es notwendig ist, auch zerstören. Für den britischen Mediziner und Buchautor Edward de Bono bedeutet daher Kreativität in erster Linie, „von vorgegebenen Bahnen abzuzweigen“. Und weiter sagt er: „Unsere Kultur ist leider nicht darauf ausgerichtet“. Aber wie kann eine neue Kultur aussehen, in der sich Kreativität entfalten kann? Nun, das Wichtigste hierbei ist, dass Rahmenbedingungen geschaffen werden, in denen Menschen sich nicht durch Druck oder Angst gezwungen fühlen, effizient arbeiten zu müssen. Eine weitere wichtige Bedingung ist, dass wir eine Kultur brauchen, in der nicht die Nutzung der Ressourcen Boden, Arbeit und Kapital im Vordergrund steht, sondern der neue Produktionsfaktor Wissen. Oder wie es der Neurobiologe Hüther einmal formulierte: „Es ist an der Zeit, die alte `Ressourcen-Nutzungskultur´ durch eine `Potential-Entfaltungskultur´ zu ersetzen. Damit dies gelingt, muss aber ein Umdenkungsprozess stattfinden. Ein Umdenkungsprozess, der bereits in der Schule und im Studium beginnt.“ Statt Schülern alte Lösungen zu vermitteln, müssten sie lernen, neue Lösungen selbst zu entwickeln. Und statt Studenten mit dem Lernen von Fakten und Formeln zu langweilen, sollten sie besser Zukunftsfähigkeiten wie z.B. soziale Kompetenz, emotionale Intelligenz, Persönlichkeitsentwicklung oder Teamfähigkeit erlernen. Selbst schon im Kindergarten lässt sich die Kreativitätsfähigkeit entwickeln. So üben Kinder bundesweit in rund fünfzig Horten, ohne Spielzeug auszukommen. Das Ergebnis: nach nur kurzer Zeit fangen die Kinder an, sich selbst Spiele auszudenken. Unser Gehirn verfügt über die Gabe, sich ein Leben lang neu zu organisieren. Und unser Gehirn liebt es, Neues zu entdecken und zu verstehen. Im Hippocampus, einer Hirnstruktur, die für Lernprozesse eine große Bedeutung hat, werden jeden Monat mehrere tausend neue Gehirnzellen produziert. Werden sie benutzt, bleiben sie dann auch erhalten. Jeder bekommt das Gehirn, das er sich schafft! 8. Kann man Kreativität lernen? Wie wir bereits im vorherigen Kapitel erfahren haben, werden im Hippocampus Monat für Monat neue Gehirnzellen produziert und das ein Leben lang. Diese neuen Gehirnzellen möchten nur eins: lernen, lernen und nochmals lernen. Der britische Mediziner und Buchautor de Bono sagte einmal: „Kreativität ist nichts Mysteriöses, das als Talent manchen gegeben ist. Kreativität kann man lernen. Es geht dabei um Asymmetrien in den Gedankengängen und um unerwartete Wendungen. So gesehen funktioniert Kreativität wie Humor.“ Geniale Ideen entstehen also nicht nur in wenigen Superhirnen, sondern auch in durchschnittlichen Gehirnen, was sich auch seit wenigen Jahren mit modernen Diagnostikmethoden wie z.B. der Positronen-Emissions-Tomographie nachweisen lässt. So wurden in einer Studie Männern Videobrillen aufgesetzt, und man ließ sie ein virtuelles Autorennen fahren. Während dieses virtuellen Rennens waren die Hirnaktivitäten der Männer relativ gering, denn jeder war nur darauf fokussiert, Erster zu werden. Erst als die Männer in einer zweiten Runde die Rolle des Beifahrers übernahmen, fingen die Neuronen an wie wild zu feuern. Der Grund: in der Rolle des Beifahrers mussten sich die Probanden nicht mehr mit dem Ziel, Erster zu werden, beschäftigen. Sie hatten nun auch die Zeit, die Umgebung zu beobachten, und ließen ihre Gedanken schweifen. Voraussetzung für die Entstehung von genialen Ideen ist allerdings, dass man begeistert ist. Fehlt es an Begeisterung, passiert im Gehirn nichts. Dies ist auch der Grund, warum kleine Kinder sehr kreativ sind. Sie sprühen vor Begeisterung und unermüdlich probieren sie alles aus. Im Gegensatz dazu ist es bei älteren Menschen oft schwer, sie für etwas zu begeistern. Die Folge ist, dass keine neuronalen Strukturveränderungen angeschoben werden. Alles bleibt beim Alten! Begeisterungsfähigkeit ist also sehr wichtig, und wem es gelingt, sich bis ins hohe Alter für Neues zu begeistern, der bleibt nicht nur jung im Gehirn, sondern kann sich auch ohne Probleme in der Zukunft zurechtfinden. Aber warum fehlt es älteren Menschen oft an Begeisterung? Der ehemalige Direktor für Technologieforschung bei Daimler-Benz Walter Kroy hat es einmal auf den Punkt gebracht: „Die Leute trauen sich zu wenig zu. Alle haben heute so viel zu verlieren und scheuen daher jede Neuerung, die ihre Errungenschaften, Positionen und Vermögen gefährden könnten. Ihr übertriebenes Sicherheitsdenken bedroht den Fortschritt.“ Ein anderer Grund, warum es vielen Menschen an der Begeisterung für Neues fehlt, ist auch der weit verbreitete Glaube, dass man im Alter nicht mehr lernen könne. Aber stimmt das wirklich? Die Antwort ist Ja! Aber nur dann, wenn man aufhört zu lernen, denn wer aufhört zu lernen, verlernt das Lernen. Außerdem sterben viele Gehirnzellen ab, wenn man aufhört zu lernen, und mit dem Absterben der Gehirnzellen stirbt dann auch das in ihren Verbindungen gespeicherte Wissen, was dann eine mögliche Ursache von Alzheimer oder Demenz sein kann. Ansonsten aber heißt die Antwort Nein. Viele Studien belegen inzwischen, dass Lernen bis ins hohe Alter möglich ist, vor allem wegen der bereits erwähnten lebenslangen Neuproduktion von Gehirnzellen im Hippocampus. Was allerdings stimmt, ist, dass das Lernen mit zunehmendem Alter langsamer wird. Dies hängt damit zusammen, dass der Botenstoff Acetylcolin, der für das Lerntempo sehr wichtig ist, mit zunehmendem Alter in seiner Konzentration abnimmt. Dies ist aber nicht schlimm, sondern sogar von der Natur gewollt. Durch das langsamere Lernen ist unser Gehirn viel besser in der Lage, neues Wissen mit bestehendem Wissen zu verknüpfen, und durch das langsamere Lernen bleibt uns mehr Zeit, neue Ableitungen und Strategien zu entwickeln. Langsames Lernen ist also keineswegs ein Manko, sondern ganz im Gegenteil. Es fördert unsere Kreativität und unseren Einfallsreichtum. Und noch eine gute Nachricht aus der Gehirnforschung: Unser Gehirn verfügt über eine fast grenzenlose Speicherkapazität für neues Wissen und neue Fähigkeiten. 9. Lassen Sie Ihrer Kreativität freien Lauf! Kreativität zu fordern und zu fördern ist keineswegs eine Modeerscheinung, sondern ein Urbedürfnis der Menschheit. Die gesamte Evolution des modernen Menschen ist seit mehr als 100.000 Jahren eine endlose Kette von Geistesblitzen und genialen Einfällen. Von den Urlauten bis hin zur Internetkommunikation, von den Höhlenbewohnern bis hin zur Eroberung des Weltraums. Von der Entdeckung des Feuers bis hin zu solarzellengesteuerten Wärmeanlagen und von der Erfindung des Rades bis hin zur Automobilindustrie. Kreativität gibt es schon immer und wird es auch immer geben. Nutzen Sie diese einmalige Fähigkeit des Gehirns und lassen Sie sich nicht von anderen davon abbringen: Halten Sie nicht an Bestehendem zwangsläufig fest. Die Aussage: „Das haben wir noch nie so gemacht!“ ist das Motto der Erfolglosen. Haben Sie Mut zum Risiko. Die Aussage: „Das haben andere auch schon mal versucht!“ ist der Wahlspruch der Hoffnungslosen. Seien Sie konsequent und beharrlich. Die Aussage: „Wenn das wirklich so eine gute Idee ist, warum machen es dann nicht alle?“ ist der Schlachtruf der Mittelmäßigen. Nutzen Sie das Potential Ihres Gehirns. Nur Strohköpfe sind nicht in der Lage, kreativ zu sein. Und wenn Sie wissen möchten, warum Strohköpfe dazu nicht in der Lage sind, dann gibt Ihnen der deutsche Aphoristiker Alexander Eilers eine passende Antwort: „Strohköpfe sind nicht kreativ, denn ein Geistesblitz wäre brandgefährlich!“.